Bundesfinanzhof, Urteil vom 06.07.2023, Az. V R 5/21

5. Senat | REWIS RS 2023, 6026

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Gegenstand

Vertrauensschutz bei rechtswidrigem Verwaltungshandeln


Leitsatz

1. Nimmt der Umsatzsteuerjahresbescheid den Regelungsgehalt vorheriger Voranmeldungsfestsetzungen in sich auf, ist für die Prüfung, zu welchem Zeitpunkt die in § 176 Abs. 2 AO genannte allgemeine Verwaltungsvorschrift als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet wurde, auf die jeweilige Voranmeldungsfestsetzung abzustellen.

2. Es besteht keine Änderungsbefugnis nach § 27 Abs. 19 UStG, wenn der Organträger einer Bauleistungen erbringenden Organgesellschaft keinen Anspruch der Organgesellschaft gegen den Leistungsempfänger abtreten kann, da über das Vermögen der Organgesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom [X.] - 2 K 763/20 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war im Jahr 2012 (Streitjahr) Organträgerin einer GmbH. Die GmbH erbrachte gegenüber einer AG, einer Bauträgerin, im Streitjahr Bauleistungen ohne gesonderten Ausweis der Umsatzsteuer, da die Vertragspartner von der Steuerschuldnerschaft der Bauträgerin gemäß § 13b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ausgingen. Die Klägerin erfasste die an die Bauträgerin erbrachten Leistungen daher nicht in ihren monatlich abgegebenen Voranmeldungen, die gemäß § 168 Satz 1 und 2 der Abgabenordnung [X.]) zu [X.] unter Vorbehalt der Nachprüfung führten.

2

Über das Vermögen der GmbH eröffnete das zuständige Amtsgericht mit Beschluss vom [X.] das Insolvenzverfahren. Die Klägerin reichte am 09.04.2014 eine gemäß § 168 Satz [X.] nicht zustimmungsbedürftige Umsatzsteuerjahreserklärung für das Streitjahr beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) ein. Am 14.07.2014 reichte sie eine aus hier nicht streitigen Gründen berichtigte --und gemäß § 168 Satz [X.] zustimmungsbedürftige-- Umsatzsteuerjahreserklärung ein, der das [X.] am 07.10.2014 zustimmte. In beiden Umsatzsteuerjahreserklärungen ging die Klägerin [X.] von einer Steuerschuldnerschaft der Bauträgerin für die an diese erbrachten Leistungen aus.

3

Die Bauträgerin beantragte aufgrund des [X.] vom 22.08.2013 - V R 37/10 ([X.], 20, [X.], 128) im Jahr 2015 die Erstattung der von ihr entrichteten Umsatzsteuer. Daher setzte das [X.] mit Bescheid vom 14.09.2016 gemäß § 164 Abs. [X.] gegenüber der Klägerin als Organträgerin die Umsatzsteuer für das Streitjahr um 49.487,02 € höher fest. Mit Bescheid vom 14.10.2016 änderte das [X.] die Umsatzsteuerfestsetzung nochmals wegen hier nicht streitiger Gründe.

4

Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Am 15.02.2019 bot die Klägerin dem [X.] an, einen ihr gegenüber der GmbH aufgrund der seinerzeitigen Organschaft zustehenden Anspruch auf Ausgleich der Umsatzsteuer abzutreten, und meldete diese Forderung zur Insolvenztabelle an. Das [X.] nahm die Abtretung nicht an. Die Insolvenzverwalterin der GmbH übersandte der Bauträgerin keine geänderten Rechnungen und machte gegenüber dieser auch keine Nachforderung geltend.

5

Demgegenüber gab das Finanzgericht ([X.]) der Klage statt. Nach seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 1235 veröffentlichten Urteil fehlte es für den Änderungsbescheid vom 14.09.2016 an einer Korrekturgrundlage. Eine Änderung nach § 164 Abs. [X.] scheitere an § 176 [X.]. Zwar sei beim Eingang der nach § 168 Satz [X.] als Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung geltenden Umsatzsteuerjahreserklärung das Senatsurteil in [X.], 20, [X.], 128 bereits veröffentlicht gewesen. Es sei aber das "Steuerjahr 2012" zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen gewesen. Die Klägerin habe bei Abgabe der Steuererklärung die bisherige Beurteilung zugrunde gelegt. Vertrauensschutz greife ein, wenn die Finanzbehörde bei Kenntnis der Umstände die bisherige Beurteilung von sich aus angewendet hätte. Das [X.] ([X.]) habe in seinem Schreiben vom 05.02.2014 (BStBl I 2014, 823) die geänderte Rechtsprechung für alle Umsätze ab dem 14.02.2014 für anwendbar erklärt. Auch die Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 UStG lägen nicht vor. Abtretbarer Anspruch sei im Fall einer Organschaft nur der dem Organträger gegenüber der Organgesellschaft zustehende Erstattungsanspruch. Dessen Abtretung habe das [X.] nicht angenommen.

6

Hiergegen wendet sich das [X.] mit seiner auf das Streitjahr beschränkten Revision. [X.] komme nur nach § 176 Abs. [X.] in Betracht. Dieser scheide aber aus, da das Senatsurteil in [X.], 20, [X.], 128 vor der Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung des Streitjahres veröffentlicht worden sei. Es sei unerheblich, dass die Klägerin Umsatzsteuervor-anmeldungen für Januar bis Dezember 2012 eingereicht habe und diese [X.] unter dem Vorbehalt der Nachprüfung darstellten. Die Voraussetzungen für die Anwendung einer finanzbehördlichen Übergangsregelung lägen nicht vor.

7

Das [X.] beantragt,
das Urteil des [X.] in Bezug auf das Streitjahr aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Ihr stehe Vertrauensschutz zu.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des [X.] ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass das [X.] zu einer Änderung zu Lasten der Klägerin nicht berechtigt war. Zum einen verhindert § 176 Abs. [X.] eine Änderung des [X.] nach § 164 Abs. [X.]. Zum anderen liegen die Voraussetzungen von § 27 Abs. 19 UStG nicht vor.

1. Der Änderung nach § 164 Abs. [X.] steht § 176 Abs. [X.] entgegen. Danach darf bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der [X.]regierung, einer obersten [X.]- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des [X.] als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.

a) Die von § 176 Abs. [X.] vorausgesetzte Änderung eines Steuerbescheids ist gegeben. Vertrauensschutz gemäß § [X.] besteht auch bei formell bestandskräftigen Bescheiden, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sind (vgl. z.B. Urteile des [X.]finanzhofs --[X.]-- vom 28.09.1987 - VIII R 154/86, [X.], 107, [X.] 1988, 40, unter 1.; vom 10.11.1988 - IV R 63/86, [X.], 109, [X.] 1989, 198, unter 3.a und vom 30.10.1997 - IV R 76/96, [X.] 1998, 578, unter 2.a), und demgemäß für Steueranmeldungen, die nach § [X.] einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen (vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 17.12.2015 - V R 45/14, [X.], 511, [X.] 2017, 658, Rz 20).

Im Streitfall änderte der ursprünglich angefochtene Änderungsbescheid vom 14.09.2016 die mit Zustimmung des [X.] nach § 168 Satz [X.] als Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung wirkende berichtigte Umsatzsteuerjahresanmeldung vom 14.07.2014, die zu einer Änderung der nach § 168 Satz 1 [X.] ebenfalls als Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung wirkenden Umsatzsteuerjahresanmeldung vom 09.04.2014 geführt hatte.

b) Die nach § 176 Abs. [X.] erforderliche Bezeichnung einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend ergibt sich vorliegend aus dem [X.]surteil in [X.], 20, [X.] 2014, 128, wovon auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen. Diese Verwaltungsvorschrift (Abschn. 182a Abs. 11 der [X.] 2005 und später Abschn. 13.b.3 Abs. 8 Satz 4 ff. des [X.] i.d.F. vor der Änderung durch das BMF-Schreiben vom 05.02.2014, [X.], 233) lag den zu einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung führenden Umsatzsteuerjahreserklärungen der Klägerin zugrunde. Die Klägerin ging dabei entsprechend dieser Verwaltungsauffassung für die Erbringung von Bauleistungen an einen Bauträger unter den dort bezeichneten Voraussetzungen von dessen Steuerschuldnerschaft als Leistungsempfänger aus.

c) Entgegen der Auffassung des [X.] steht der Anwendung von § 176 Abs. [X.] nicht entgegen, dass der [X.] mit seinem Urteil in [X.], 20, [X.] 2014, 128 die Verwaltungsauffassung bereits vor der ersten Umsatzsteuerjahresfestsetzung vom 09.04.2014 als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet hat.

aa) Im Ausgangspunkt zutreffend weist das [X.] darauf hin, dass die in § 176 Abs. [X.] genannte Bezeichnung nach dem Erlass des ursprünglichen Bescheids, aber vor dem Erlass des Änderungsbescheids erfolgt sein muss (vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 20.12.2000 - I R 50/95, [X.]E 194, 185, [X.] 2001, 409, unter [X.]; ebenso für § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] z.B. [X.]-Urteile in [X.]E 194, 185, [X.] 2001, 409, unter [X.] und vom 11.04.2002 - V R 26/01, [X.]E 198, 238, [X.] 2004, 317, unter II.2.). § [X.] ist daher zum Beispiel beim Erlass eines Erstbescheids nicht anwendbar, der dann vorliegt, wenn der Steuerpflichtige weder Umsatzsteuervoranmeldungen noch eine Jahressteuererklärung eingereicht hat, die gemäß § [X.] als Festsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gelten, sondern die Finanzbehörde von sich aus erstmals einen Steuerbescheid erlassen hat ([X.]-Urteil vom 24.01.2013 - V R 34/11, [X.]E 239, 552, [X.] 2013, 460, Rz 30).

bb) Liegen allerdings bereits vor dem [X.] [X.] vor, können diese für die Prüfung, ob einer Änderung einer Steuerfestsetzung der Vertrauensschutz nach § 176 Abs. [X.] entgegensteht, nicht außer Betracht bleiben.

(1) § [X.] schützt nicht das Vertrauen in die Gesetzgebung oder in die höchstrichterliche Rechtsprechung, sondern in die Bestandskraft der Steuerfestsetzung ([X.]-Urteile in [X.]E 198, 238, [X.] 2004, 317, unter II.2. und vom 14.02.2007 - XI R 30/05, [X.]E 216, 559, [X.] 2007, 524, unter [X.] aa). Die Vorschrift beruht auf einem einheitlichen Vertrauenstatbestand, durch den der Steuerpflichtige davor geschützt werden soll, dass sich ein Rechtsakt, der Eingang in einen Steuerbescheid gefunden hat, später als mit der Rechtsordnung nicht vereinbar erweist ([X.]-Urteil vom 11.10.1988 - VIII R 419/83, [X.], 298, [X.] 1989, 284, unter 3.b).

(2) § 18 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 UStG ordnen an, dass der Unternehmer für die gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG bereits mit Ablauf des [X.] entstandene Steuer eine Voranmeldung und eine Steuererklärung (Steueranmeldung) zu übermitteln hat, die unter den Voraussetzungen des § [X.] zu einer [X.] und einer Umsatzsteuerjahresfestsetzung führen. Dabei ist zu beachten, dass die Steuer für den Voranmeldungszeitraum in der Steuer für den Besteuerungszeitraum (Kalenderjahr) aufgeht, dass die materiell zutreffende Jahressteuer der Summe der materiell zutreffenden Steuern der Voranmeldungszeiträume entspricht und dass die [X.] mehr auf bloße "Vorauszahlungen" bezogene-- Jahressteuerfestsetzung die Voranmeldungszeiträume mit der Folge ablöst, dass die Voranmeldungsfestsetzung durch die Umsatzsteuerjahresfestsetzung im Sinne von § 124 Abs. [X.] "auf andere Weise erledigt" wird ([X.]-Urteil vom 29.11.1984 - V R 146/83, [X.]E 143, 101, [X.] 1985, 370). Das materielle Ergebnis der in dem Kalenderjahr entstandenen Umsatzsteuer wird für die Zukunft ausschließlich aus dem [X.] festgestellt ([X.]-Urteil vom 21.02.1991 - V R 130/86, [X.]E 163, 408, [X.] 1991, 465).

Damit weist der für einen Besteuerungszeitraum ergangene [X.] grundsätzlich denselben Regelungsinhalt auf wie die Gesamtheit der für die Voranmeldungszeiträume dieses [X.] vorliegenden [X.]. Denn die Jahressteuerfestsetzung nimmt die [X.] in ihren Regelungsgehalt ([X.]-Urteil vom 19.05.2005 - V R 31/03, [X.]E 210, 167, [X.] 2005, 671, unter [X.]) und damit materiell-rechtlich den Inhalt der Steuerfestsetzungen für die Voranmeldungszeiträume in sich auf ([X.]-Urteil vom 07.07.2011 - V R 42/09, [X.]E 234, 519, [X.] 2014, 76, Rz 27).

(3) Nimmt der [X.] den Regelungsgehalt vorheriger [X.] in dieser Weise in sich auf, ist für die Prüfung, zu welchem Zeitpunkt die in § 176 Abs. [X.] genannte allgemeine Verwaltungsvorschrift als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet wurde, auf die jeweilige Voranmeldungsfestsetzung abzustellen. Denn bereits aus dieser ergibt sich gemäß § [X.] eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung für eine bereits nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG entstandene Steuer, die das für § 176 Abs. [X.] entscheidende Vertrauen in die Bestandskraft der Steuerfestsetzung erzeugt (vgl. z.B. [X.]-Urteil in [X.], 511, [X.] 2017, 658, Rz 20).

Dem steht die "Vorläufigkeit" der Voranmeldungsfestsetzung nicht entgegen. Zwar ist die Voranmeldungsfestsetzung keiner materiellen Bestandskraft in dem Sinne fähig, dass sie --mit gegenüber dem [X.] durchsetzbarer Verbindlichkeit-- über das Bestehen einer Umsatzsteuerschuld entscheidet ([X.]-Urteil in [X.]E 234, 519, [X.] 2014, 76, Rz 27). Dies ist aber bezogen auf die hier maßgebliche Anwendung von § [X.] unerheblich, da sogar vorläufige Steuerfestsetzungen gemäß § 165 [X.] den Änderungsschutz nach dieser Vorschrift genießen (Beschluss des Großen [X.]s des [X.] vom 23.11.1987 - GrS 1/86, [X.], 495, [X.] 1988, 180, unter C.II.2.c).

Im Übrigen steht die Berücksichtigung der [X.] für die Prüfung, ob der Anwendungsbereich des § 176 Abs. [X.] eröffnet ist, im Einklang mit der [X.]-Rechtsprechung, nach der einzelne Rechtswirkungen der Voranmeldungsfestsetzung trotz ihrer Erledigung durch den [X.] ([X.]-Urteil in [X.]E 143, 101, [X.] 1985, 370) erhalten bleiben. So werden auf der Voranmeldungsfestsetzung beruhende Vollstreckungsmaßnahmen, festgesetzte [X.], die Auszahlung eines an einen Dritten abgetretenen Vorsteuerüberschusses oder die Fälligkeit von Vorauszahlungen und eine dadurch entstandene Aufrechnungslage durch den späteren Erlass eines [X.] nicht berührt ([X.]-Urteil vom 15.06.1999 - VII R 3/97, [X.]E 189, 14, [X.] 2000, 46, unter 2.b bb ccc, m.w.N. zur diesbezüglichen [X.]-Rechtsprechung). Eine derartige Rechtswirkung ist auch vorliegend zu bejahen.

(4) Bestätigt wird dies durch das Unionsrecht.

(a) Grundlage für die Pflicht, Voranmeldungen nach § 18 Abs. 1 UStG abzugeben, ist die in Art. 250 der Richtlinie 2006/112/[X.] über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) genannte Mehrwertsteuererklärung, die gemäß Art. 252 Abs. 2 MwStSystRL für einen von den Mitgliedstaaten zu bestimmenden Steuerzeitraum von einem, zwei oder drei Monaten abzugeben ist. Dagegen beruht die Steueranmeldung des § 18 Abs. 3 UStG auf Art. 261 Abs. 1 MwStSystRL. Danach können die Mitgliedstaaten von dem Steuerpflichtigen verlangen, dass er eine Erklärung über sämtliche Umsätze des vorangegangenen Jahres abgibt.

(b) Die Abgabe einer Jahressteuererklärung ist somit unionsrechtlich nicht zwingend vorgesehen. Entscheidet sich ein Mitgliedstaat gleichwohl für eine derartige Zusatzerklärungspflicht, darf dies aus Sicht des [X.]s nicht zu einer Einschränkung eines ansonsten zu gewährenden Vertrauensschutzes führen, der unionsrechtlich insbesondere dann eingreift, wenn die zuständige Verwaltungsbehörde wie vorliegend aufgrund einer allgemein angewendeten Verwaltungsvorschrift berechtigte Erwartungen begründet hat ([X.]-Urteil vom 23.02.2017 - V R 16, 24/16, [X.]E 257, 177, [X.] 2017, 760, Rz 34 unter Bezugnahme auf die Urteile des Gerichtshofs der [X.] Europäisch-Iranische Handelsbank vom 05.03.2015 - [X.]/13 P, [X.]:C:2015:145, Rz 95 und [X.] vom 09.07.2015 - [X.]/14, [X.]:C:2015:452, Rz 44).

Der Streitfall verdeutlicht dies. Ohne Ausübung der durch Art. 261 MwStSystRL eingeräumten Möglichkeit, den Steuerpflichtigen zur Abgabe einer Steueranmeldung nach § 18 Abs. 3 UStG zu verpflichten, hätte das [X.] die einzelnen [X.] ändern müssen, was diesem im Hinblick auf das [X.]surteil in [X.], 20, [X.] 2014, 128 nach Abgabe dieser Voranmeldungen (§ 168 Satz 1 [X.]) verwehrt gewesen wäre.

(5) Der [X.] weicht damit nicht von der bisherigen [X.]-Rechtsprechung ab, die sich zu dieser Frage noch nicht geäußert hat. So hatte der [X.] im Urteil vom 06.12.2007 - V R 3/06 ([X.]E 221, 67, [X.] 2009, 203, unter [X.]) nur zu entscheiden, zu welchem Zeitpunkt der [X.] als Erstbescheid vorlag, ohne dass er sich weitergehend zur Bedeutung von [X.] zu äußern hatte. Auch für das [X.]-Urteil in [X.], 511, [X.] 2017, 658 war die hier zu entscheidende Frage unerheblich. Weiter hat der [X.] in seinem Urteil vom 14.05.2008 - XI R 70/07 ([X.]E 221, 517, [X.] 2008, 912, unter II.4.) lediglich das Vorliegen einer geänderten Rechtsprechung verneint und ist im Urteil vom 28.05.2013 - XI R 11/09 ([X.]E 242, 84, [X.] 2023, 537, Rz 70) davon ausgegangen, dass die fragliche Rechtsprechung erst im [X.] an den Änderungsbescheid veröffentlicht wurde. Es besteht auch kein Widerspruch zu der Rechtsprechung, in der der [X.] den Vertrauensschutz nach § [X.] bejaht hat (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 11.10.2007 - V R 27/05, [X.]E 219, 266, [X.] 2008, 438, unter [X.] und in [X.], 511, [X.] 2017, 658, Rz 19 ff.).

Auf die Rechtsprechung zu anderen Steuerarten, denen wie zum Beispiel bei der Einkommensteuer (vgl. § 37 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes) ein Besteuerungsverfahren mit [X.] über bereits entstandene [X.] fremd ist (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 30.06.1993 - XI R 76/92, [X.] 1994, 303, unter [X.]; vom 12.12.1995 - VIII R 59/92, [X.]E 179, 335, [X.] 1996, 219, unter A.[X.] aa; vom 23.04.1996 - VIII R 13/95, [X.]E 181, 1, [X.] 1998, 325, unter 2.; in [X.]E 194, 185, [X.] 2001, 409, unter [X.] und b; vom 19.03.2002 - VIII R 57/99, [X.]E 198, 137, [X.] 2002, 662, unter [X.]; vom 28.05.2002 - IX R 86/00, [X.]E 199, 1, [X.] 2002, 840, unter [X.]; in [X.]E 216, 559, [X.] 2007, 524, unter [X.] aa; vom 10.06.2008 - VIII R 79/05, [X.]E 222, 320, [X.] 2008, 863, unter [X.]; vom 14.07.2009 - VIII R 10/07, [X.] 2009, 1815, unter [X.] und vom 27.08.2014 - II R 43/12, [X.]E 246, 506, [X.] 2015, 241, Rz 27) und für die die Regelungen der MwStSystRL ohne Bedeutung sind, kommt es im Übrigen nicht an.

cc) Danach ist der vorliegend angefochtene Bescheid zur Änderung des [X.] unter Verstoß gegen § 176 Abs. [X.] ergangen. Im Streitfall, in dem die Klägerin anders als in der Fallgestaltung des [X.]-Urteils in [X.]E 239, 552, [X.] 2013, 460 für die einzelnen Voranmeldungszeiträume des Streitjahres Voranmeldungen abgegeben hatte, die gemäß § [X.] Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstanden, sind diese für die Prüfung, ob der Anwendungsbereich des § 176 Abs. [X.] bei einer Änderung der Umsatzsteuerjahresfestsetzung eröffnet ist, zu berücksichtigen. Da die [X.] ausnahmslos bereits vor der maßgeblichen Veröffentlichung des [X.] in [X.], 20, [X.] 2014, 128 auf der Internetseite des [X.] (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 221, 67, [X.] 2009, 203, unter [X.]) am 27.11.2013 vorlagen, hat das [X.] im Ergebnis zu Recht entschieden, dass § [X.] --und zwar dessen Abs. 2-- einer Änderung nach § 164 Abs. [X.] entgegenstand.

Aufgrund der insoweit zu berücksichtigenden [X.] ist es im Übrigen unerheblich, dass die Finanzverwaltung aufgrund der Änderungen durch das BMF-Schreiben vom 05.02.2014 ([X.], 233) ihre frühere Auffassung aufgegeben und sich der [X.]-Rechtsprechung angeschlossen hatte. Schließlich ist nicht zu entscheiden, ob der [X.] zu einer Änderung von [X.] führt (verneinend [X.]sbeschluss vom [X.], [X.] 2010, 1782) und ob bei Annahme einer derartigen Änderung § [X.] anzuwenden sein könnte.

2. Das [X.] war auch nicht zu einer Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG berechtigt. Diese Vorschrift eröffnet keine Änderungsbefugnis, wenn der Organträger einer Bauleistungen erbringenden Organgesellschaft keinen Anspruch der Organgesellschaft gegen den Leistungsempfänger abtreten kann, da über das Vermögen der Organgesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.

a) Sind Unternehmer und Leistungsempfänger davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b UStG auf eine vor dem 15.02.2014 erbrachte steuerpflichtige Leistung schuldet und stellt sich diese Annahme als unrichtig heraus, ist gemäß § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Steuerfestsetzung zu ändern, soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer fordert, die er in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner zu sein.

Hierzu hat der [X.] bereits entschieden, dass eine Umsatzsteuerfestsetzung nach § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG gegenüber dem leistenden Unternehmer nur dann geändert werden kann, wenn ihm ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger zusteht ([X.]-Urteil in [X.]E 257, 177, [X.] 2017, 760, Leitsatz 1). Der [X.] hat dies aus einer Auslegung von § 27 Abs. 19 UStG nach Normzweck, Sinnzusammenhang und Wortlaut abgeleitet.

b) Ist bei einer Organschaft die Bauleistungen erbringende Organgesellschaft irrtümlich von einer Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers ausgegangen, ist für die nach dem [X.]-Urteil in [X.]E 257, 177, [X.] 2017, 760 erforderliche Prüfung, ob der zivilrechtliche Anspruch der Organgesellschaft auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger "abtretbar" ist, im Grundsatz auf den Organträger abzustellen, der umsatzsteuerrechtlich gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG als [X.] hinsichtlich der Bauleistungen anzusehen ist. Ohne dass der [X.] nach den Verhältnissen des Streitfalls hierüber abschließend zu entscheiden hat, ist im Fall einer bestehenden Organschaft, bei der das der Leistungserbringung zugrunde liegende Rechtsverhältnis, das den Anspruch auf die Gegenleistung begründet, zum Leistungsempfänger über eine Organgesellschaft vorliegt, im Allgemeinen davon auszugehen, dass der Organträger im Rahmen der für ihn aufgrund der Eingliederung bestehenden Einwirkungsmöglichkeiten auf eine Anspruchsabtretung durch die Organgesellschaft hinwirken kann.

Diese Möglichkeit besteht aber bei einer zwischenzeitlichen Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Organgesellschaft nicht. Unabhängig davon, dass es hierdurch zur Beendigung der Organschaft kommt ([X.]-Urteil vom 15.12.2016 - V R 14/16, [X.]E 256, 562, [X.] 2017, 600, Leitsatz 2), kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Insolvenzverwalter einen werthaltigen, der Masse zustehenden Anspruch durch Abtretung aufgibt. Daher scheidet hier eine Änderung gemäß § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG zu Lasten des [X.] aus. Das von der Vorschrift verfolgte [X.], eine Änderung zu Lasten des leistenden Unternehmers deshalb zu ermöglichen, da ihm aufgrund einer Anspruchsabtretung an das [X.] kein Nachteil erwächst, wobei das [X.] die Nachforderung durch die Durchsetzung der ihm abgetretenen Forderung tilgen kann, versagt hier. Nicht zu entscheiden hat der [X.] vorliegend, ob das [X.], hätte es das Angebot auf Abtretung eines "Erstattungsanspruchs" gegen die Organgesellschaft angenommen, änderungsbefugt gewesen wäre.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V R 5/21

06.07.2023

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 3. Februar 2021, Az: 2 K 763/20, Urteil

§ 2 Abs 2 Nr 2 UStG 2005, § 27 Abs 19 UStG 2005, § 176 Abs 2 AO, Art 252 Abs 2 EGRL 112/2006, Art 261 Abs 1 EGRL 112/2006, § 18 Abs 1 UStG 2005, § 18 Abs 3 UStG 2005, UStG VZ 2012

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 06.07.2023, Az. V R 5/21 (REWIS RS 2023, 6026)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6026

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Organschaft und Eingliederungsvoraussetzungen - kein ermäßigter Steuersatz für Speisenversorgung in einem Pflegeheim - Billigkeitserlass - …


XI R 45/20 (Bundesfinanzhof)

Abrechnungsbescheid; Aufrechnung in sogenannten Bauträger-Fällen; keine Pflicht zur Verfahrensaussetzung; Auswirkungen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft


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7 K 165/15

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