Bundessozialgericht, Urteil vom 05.05.2015, Az. B 10 ÜG 5/14 R

10. Senat | REWIS RS 2015, 11631

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Überlanges Gerichtsverfahren - Entschädigungsklage - GmbH in Liquidation - Umfang des Entschädigungsanspruchs - materielle Nachteile - entgangener Gewinn - Kausalität - Adäquanz - wertende Betrachtung - immaterielle Nachteile bei juristischen Personen - Altfall - sozialgerichtliches Verfahren - Prozessvergleich über die Dauer der Überlänge


Leitsatz

1. Materielle Nachteile können wegen überlanger Verfahrensdauer nur entschädigt werden, wenn sie adäquat kausal auf der Überlänge beruhen. Dies gilt - ungeachtet seiner Entschädigungsfähigkeit - auch für entgangenen Gewinn.

2. Auch Gesellschaften in Liquidation können für immaterielle Nachteile Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer beanspruchen (Fortführung von BSG vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 1/13 R = SozR 4-1720 § 198 Nr 7).

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 22. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Streitig ist nach [X.] des Rechtsstreits im Revisionsverfahren noch die Entschädigung von entgangenem Gewinn infolge einer überlangen Dauer des Gerichtsverfahrens [X.] KR 1114/99 und [X.] vor dem [X.] und Hessischen L[X.].

2

Die Klägerin ist eine GmbH in Liquidation, nachdem die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen mangels Masse rechtskräftig abgelehnt ([X.] Beschluss vom [X.]; [X.] Beschluss vom 11.11.2002; [X.] Beschluss vom 10.4.2003) und ihre Auflösung am 16.6.2003 in das Handelsregister eingetragen worden ist. Die Klägerin betrieb vom [X.] bis zum [X.] eine Fachklinik für onkologische Akutbehandlungen mit einer Gewerbeerlaubnis zum Betrieb einer Privatkrankenanstalt, behandelte aber seit 1999 in erheblichem Umfang auch Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]). Ihr Antrag auf Aufnahme in den Krankenhausplan des [X.] wurde bestandskräftig abgelehnt (Bescheid vom [X.]). Ebenso lehnten die Verbände der Krankenkassen in H. den Antrag der Klägerin auf Abschluss eines Versorgungsvertrags nach § 109 [X.] mangels Gewähr für eine leistungsfähige Krankenhausbehandlung ab (Bescheid vom 1.6.1999; Widerspruchsbescheid vom 11.10.1999). Das [X.] wies die dagegen im Dezember 1999 erhobene Klage nach einem erfolglosen Mediations- und Eilverfahren ab ([X.] Urteil vom 13.11.2003). Das L[X.] wies die Berufung der Klägerin im Dezember 2007 (Urteil vom 17.12.2007, der Klägerin zugestellt am 6.3.2008), das B[X.] die Revision der Klägerin im Juli 2008 zurück (B[X.] Urteil vom [X.] - B 1 KR 5/08 R - der Klägerin zugestellt am 1.9.2008). Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen ([X.] Kammerbeschluss vom 22.1.2009 - 1 BvR 2581/08). Die Klägerin erhob daraufhin Individualbeschwerde zum [X.] (<[X.]>; [X.] vom [X.]), die dort unter der [X.] geführt wurde.

3

Am 1.6.2012 hat die Klägerin nach Hinweis des [X.] auf eine mögliche Zurückweisung der Beschwerde wegen des am 3.12.2011 in [X.] getretenen Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ([X.]) Entschädigungsklage zum Hessischen L[X.] erhoben und Ersatz immaterieller und materieller Nachteile zuletzt in Gestalt der Verfahrenskosten und eines Ausgleichs für den nicht mit Rückwirkung abschließbaren Versorgungsvertrag geltend gemacht. Das L[X.] (Entschädigungsgericht) hat das beklagte Land verurteilt, die Klägerin von den außergerichtlichen Kosten im Verfahren 12550/09 vor dem [X.] in gesetzlicher Höhe zu einem Achtel freizustellen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Das Verfahren sei unangemessen lang gewesen. In der Sache seien jedoch weder entgangener Gewinn zu entschädigen noch die Verfahrenskosten im Ausgangsverfahren zu erstatten. Allein die außergerichtlichen Kosten im Verfahren vor dem [X.] seien erstattungsfähig, soweit dieses die Rüge der Verfahrensdauer betroffen habe. Eine Wiedergutmachung durch Entschädigung des Nichtvermögensschadens sei dagegen bei einer aufgelösten GmbH ausgeschlossen, eine Feststellung der Unangemessenheit neben der Wiedergutmachung durch Entschädigung nicht geboten (Urteil vom [X.]).

4

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 198 Abs 1, [X.] und [X.] ). Im Lichte von Europäischer Menschenrechtskonvention ([X.]) und [X.] umfasse die Entschädigung wegen materieller Nachteile auch den entgangenen Gewinn.

5

In der mündlichen Verhandlung vor dem B[X.] haben die Beteiligten sich über eine unangemessene Verfahrensdauer von 33 Monaten verständigt und einen Teilvergleich über eine Entschädigung wegen immaterieller Nachteile in Höhe von 3300 Euro sowie wegen Verfahrenskosten des Verfahrens vor dem [X.] ([X.]) geschlossen.

6

Die Klägerin beantragt im [X.] an den Teilvergleich,
das Urteil des [X.] vom 22. Januar 2014 abzuändern und das beklagte Land zu verurteilen, ihr wegen der unangemessenen Dauer des Verfahrens vor dem [X.] ([X.] KR 1114/99) und dem [X.] ([X.]) eine vom Gericht festzusetzende angemessene Entschädigung wegen entgangenen Gewinns nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

7

Das beklagte Land beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Das beklagte Land hält das angefochtene Urteil im noch angegriffenen Teil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

[X.]ie Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 [X.]G). [X.]ie [X.] ist zulässig (dazu 2.). Ein Entschädigungsanspruch der Klägerin besteht jedoch nicht (dazu 3.). Zwar hat die Klägerin den richtigen Beklagten verklagt (dazu a). Eine [X.] war ausnahmsweise entbehrlich (dazu b). Auch war das Ausgangsverfahren vor dem [X.] und L[X.] unangemessen lang (dazu c). [X.]er Entschädigungsanspruch scheitert aber daran, dass Entschädigung wegen materieller Nachteile auf kausal hervorgerufene Nachteile beschränkt ist. [X.]ies gilt unabhängig von der Frage seiner Entschädigungsfähigkeit auch für den allein noch geltend gemachten entgangenen Gewinn (dazu d).

1. [X.]er [X.] entscheidet in seiner geschäftsverteilungsplanmäßig vorgesehenen Besetzung. [X.]er [X.]svorsitzende, der bereits an der Revisionsentscheidung des Ausgangsverfahrens (B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] [X.] 5/08 R) mitgewirkt hat, ist im vorliegenden Verfahren nicht ausgeschlossen. Ein Ausschlussgrund nach § 60 [X.]G iVm § 41 [X.] ZPO besteht nicht.

In Sachen wegen überlanger Gerichtsverfahren ist [X.] von der Ausübung des [X.] nur ausgeschlossen, wenn er in dem - als unangemessen lang - beanstandeten Verfahren in einem Rechtszug mitgewirkt hat, auf dessen [X.]auer der Entschädigungsanspruch gestützt wird (BT-[X.]rucks 17/3802 [X.]). Gegenstand der Revision der Klägerin ist die vorinstanzliche Entscheidung, soweit mit ihr jetzt noch die auf Entschädigung entgangenen Gewinns wegen unangemessen langer [X.]auer der Verfahren vor dem [X.] Wiesbaden ([X.] [X.] 1114/99) und dem Hessischen L[X.] (L 1 [X.] 62/04) gerichtete Klage abgewiesen wurde. Nicht [X.] ist dagegen das an den Ausgangsrechtsstreit anschließende Revisionsverfahren [X.] [X.] 5/08 R (B[X.]E 101, 177 = [X.]-2500 § 109 [X.] 6).

2. [X.]ie auf § 198 [X.] gestützte [X.] ist zulässig.

a) [X.]ie Klage ist zulässig, obwohl sich die Klägerin in Liquidation befindet. Auch eine GmbH in Liquidation, die - wie die Klägerin - noch nicht vollständig beendet ist, ist als juristische Person beteiligtenfähig und überdies prozessführungsbefugt, solange ein Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden ist ( § 70 [X.] 1 [X.]G ; B[X.]E 101, 177 = [X.]-2500 § 109 [X.] 6, Rd[X.] 11, 12 mwN).

b) [X.]er [X.] hat das Begehren der Klägerin sowohl in prozessualer als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht an § 198 ff [X.] zu messen, obwohl diese Vorschriften erst nach Abschluss des hier von der Klägerin als überlang gerügten Verfahrens in [X.] getreten sind (zeitlicher Anwendungsbereich des § 198 [X.]). [X.]ie Vorschriften des [X.] vom 24.11.2011 ([X.] 2302) und damit auch die §§ 198 ff [X.] finden aufgrund der Übergangsregelung des Art 23 S 1 [X.] auch auf Verfahren Anwendung, die bei Inkrafttreten des [X.] am 3.12.2011 (vgl Art 24 [X.]) bereits abgeschlossen waren, deren [X.]auer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim [X.] ist oder noch werden kann (sog Altfälle). Ein solcher Fall liegt hier vor, denn das im März 2008 abgeschlossene Ausgangsverfahren war bei Inkrafttreten des [X.] wegen seiner [X.]auer noch Gegenstand einer Individualbeschwerde vor dem [X.] iS des Art 23 S 1 [X.]. [X.]er [X.] hat bereits entschieden, dass der Gesetzgeber mit dieser Übergangsregelung nicht die innerstaatlichen Gerichte veranlassen wollte, eine dem [X.] zustehende Zulässigkeitsprüfung vollständig vorwegzunehmen, sondern vor allem die Regelung des Art 35 [X.] im Auge hatte und sicherstellen wollte, dass missbräuchlich erhobene bzw offensichtlich unzulässige Individualbeschwerden zum [X.] nicht die Anwendung des [X.] für Altfälle eröffnen (B[X.] [X.]-1710 Art 23 [X.] 1 Rd[X.] 25). Nach dem Hinweis des [X.] vom 27.1.2012 ist davon auszugehen, dass die Individualbeschwerde erst mit dem Inkrafttreten des [X.] hätte unzulässig werden können. Anhaltspunkte für eine gezielte Verschiebung des zeitlichen Geltungsbereichs von Art 23 [X.] durch eine missbräuchliche oder offensichtlich unzulässige Konstellation bestehen nicht.

c) [X.]as L[X.] war für die Entscheidung funktional und örtlich zuständig. In den der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Angelegenheiten (vgl § 51 [X.]G) ist gemäß § 201 Abs 1 S 1 [X.] iVm § 202 S 2 [X.]G für Klagen auf Entschädigung nach § 198 [X.] gegen ein Land das für dieses Land örtlich zuständige L[X.] zuständig.

d) [X.] ist im Verfahren wirksam durch den [X.] vertreten worden (vgl Zuständigkeit der [X.]schaft nach § 3 Abs 1 [X.] 1 der Anordnung über die Vertretung des [X.] im Geschäftsbereich des [X.], für Integration und [X.] vom 20.3.2012, StAnz [X.]11 , 412).

e) [X.]ie [X.] vom 1.6.2012 ist als allgemeine Leistungsklage statthaft (§ 54 Abs 5 [X.]G; hierzu B[X.] Urteile vom [X.] - [X.] ÜG 2/14 R - [X.]-1720 § 198 [X.] 5 Rd[X.] 17 und [X.] ÜG 12/13 R - [X.]-1720 § 198 [X.] 4 Rd[X.] 20 mwN).

f) [X.]ie Klägerin hat ihre Klage am 1.6.2012 und damit rechtzeitig innerhalb der für "Altfälle" geltenden Klagefrist des Art 23 S 6 [X.] erhoben. Klagen zur [X.]urchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Abs 1 [X.] mussten bei abgeschlossenen Fällen spätestens am 3.6.2012 erhoben werden.

g) [X.]er [X.] kann auch nicht entgegengehalten werden, sie sei nach Erhebung der [X.] verfrüht erhoben worden. Zur [X.]urchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Abs 1 [X.] kann eine Klage grundsätzlich frühestens sechs Monate nach Erhebung der [X.] erhoben werden (§ 198 Abs 5 S 1 [X.]). Für Verfahren, die bei Inkrafttreten des [X.] am 3.12.2011 bereits abgeschlossen waren, gilt § 198 Abs 3 und 5 [X.] nicht (Art 23 S 5 [X.]); mithin bedurfte es weder einer [X.] (dazu [X.]) noch der Einhaltung der Wartefrist (zur grundsätzlichen Unheilbarkeit der Nichteinhaltung der Wartefrist und ausnahmsweisen Einräumung einer Übergangsfrist vgl B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] ÜG 2/14 R - [X.]-1720 § 198 [X.] 5 Rd[X.] 19 ff, kritisch hierzu Loytved jurisPR - [X.] 11/2015 [X.] 3).

3. [X.]er allein noch streitige Entschädigungsanspruch wegen entgangenen Gewinns besteht nicht. Zwar hat die Klägerin den richtigen Beklagten verklagt (dazu a). [X.]ie sonst nötige [X.] war auch ausnahmsweise entbehrlich (dazu b). Auch waren die Ausgangsverfahren unangemessen lang (dazu c). [X.]er Entschädigungsanspruch scheitert aber daran, dass Entschädigung wegen materieller Nachteile auf adäquat kausal hervorgerufene Nachteile beschränkt ist. [X.]ies gilt unabhängig von der Frage seiner Entschädigungsfähigkeit auch für den allein noch geltend gemachten entgangenen Gewinn (dazu d).

a) [X.] ist für die [X.]n nach § 200 S 1 [X.] passiv legitimiert, weil es danach für Nachteile haftet, die aufgrund von Verzögerungen bei seinen Gerichten entstehen; solche Nachteile macht die Klägerin aufgrund ihres bei dem [X.] und L[X.] geführten Ausgangsverfahrens geltend.

b) Eine [X.] brauchte die Klägerin - ausnahmsweise - nicht zu erheben. Nach Art 23 S 5 [X.] bedarf es einer solchen Rüge iS des § 198 Abs 3 und 5 [X.] nicht, wenn das für die Entschädigung relevante Ausgangsverfahren - wie das der Klägerin - durch Urteil vom 17.12.2007 bei Inkrafttreten des [X.] am 3.12.2011 bereits abgeschlossen war, da die Beteiligten eines Verfahrens vor Inkrafttreten des [X.] ihre Rügeobliegenheit nicht kennen konnten (vgl BT-[X.]rucks 17/3802 S 31 zu Art 22).

c) [X.]ie Ausgangsverfahren waren auch unangemessen lang. [X.]ie Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs 1 S 2 [X.] nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und [X.]ritter (vgl ausführlich B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] ÜG 2/13 R - [X.]-1720 § 198 [X.] 3 Rd[X.] 23 ff mwN). Hiervon ausgehend haben sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung auf eine Überlänge von 33 Monaten verglichen (vgl zum Unstreitigstellen von Teilelementen eines Anspruchs durch Vergleich B[X.] [X.]-3500 § 90 [X.] 1 Rd[X.] 14 mwN).

d) [X.]er Entschädigungsanspruch scheitert bereits daran, dass der von der Klägerin als entgangen geltend gemachte Gewinn nicht "infolge" unangemessen langer [X.]auer eines Gerichtsverfahrens entgangen ist.

aa) Es fehlt insoweit an der von § 198 Abs 1 S 1 [X.] ("infolge") vorausgesetzten haftungsausfüllenden Kausalität zwischen materiellem Nachteil und Überlänge (hierzu [X.] Urteil vom 23.1.2014 - [X.]/13 - [X.]Z 200, 20 Rd[X.] 26, 45 f). [X.]ie haftungsausfüllende Kausalität bemisst sich auch im sozialgerichtlichen Entschädigungsverfahren wegen überlanger Verfahrensdauer nach den Regeln der Adäquanz. [X.]er [X.] schließt sich insoweit der Rechtsprechung des [X.] und des [X.] an (Urteil vom 23.1.2014 - [X.]/13 - [X.]Z 200, 20 Rd[X.] 48; [X.] Urteil vom [X.] - 5 C 1/13 [X.] - Rd[X.] 40). Nachteil und Ursächlichkeit sind im [X.] vom Geschädigten nachzuweisen (BT-[X.]rucks 17/3802 [X.]). [X.]ie gesetzliche Vermutung des Eintritts von Nachteilen ist auf immaterielle Nachteile beschränkt (§ 198 Abs 2 S 1 [X.]).

Soweit Aufwendungen im Raum stehen, die vor Eintritt der Überlänge des gerichtlichen Verfahrens entstanden sind, kann die Überlänge des Verfahrens die getätigten Aufwendungen/Investitionen schon von der zeitlichen Abfolge her nicht verursacht haben. Soweit es um Aufwendungen geht, die im [X.]raum des überlangen Verfahrens entstanden sind, mag es sein, dass Aufwendungen ab rechtzeitiger gerichtlicher Entscheidung über den Versorgungsvertrag unterblieben wären und die Klägerin bei rascherem Verfahren insgesamt weniger Aufwendungen getätigt hätte. Hierauf kommt es bei wertender Betrachtung vorliegend jedoch nicht an. [X.]enn die Klägerin war niemals berechtigt, gesetzlich Krankenversicherte stationär zu behandeln. Ein Vergütungsanspruch oder ein Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen stand ihr gegen die Verbände der Krankenkassen oder die Krankenkassen zu keinem [X.]punkt zu.

Aufgrund der im Ausgangsverfahren ergangenen Entscheidung des 1. [X.]s des B[X.] vom [X.] ([X.] [X.] 5/08 R) steht rechtskräftig fest, dass die Klägerin zu keinem [X.]punkt einen Anspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrages hatte. Zwar hat der 1. [X.] einen Anspruch der Klägerin auf Abschluss des [X.] auch deshalb verneint, weil die Klägerin wegen der - von ihr auch auf die Überlänge zurückgeführten - Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse nicht mehr die nötige Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche Krankenhaushandlung als Voraussetzung für den Abschluss eines [X.] bot (Rd[X.] 34 ff). [X.]er 1. [X.] hat aber zudem entschieden, dass die Voraussetzungen für den Abschluss eines [X.] aus einem zweiten davon unabhängigen Grund nicht gegeben waren, nämlich weil das von ihr verfolgte Behandlungskonzept nach den Feststellungen des L[X.] nicht dem jeweiligen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprach (Rd[X.] 48 ff).

Hieran hätte sich auch nichts geändert, wenn das gesamte Gerichtsverfahren innerhalb angemessener [X.] abgeschlossen gewesen wäre. [X.]ie Aufwendungen können - unbeschadet des auf entgangenen Gewinn gerichteten Antrags der Klägerin - nicht dem verzögerten Gerichtsverfahren zugerechnet werden, sondern beruhen auf vorgelagerten Investitionsentscheidungen der Klägerin. [X.]as Risiko, [X.] ohne vorherigen Abschluss eines Versorgungsvertrages zu Lasten der Krankenkassen zu behandeln und deshalb keinen Erstattungsanspruch gegen die Krankenkassen zu erwerben, wenn der Versorgungsvertrag endgültig nicht zustande kommt, wird der Klägerin bei wertender Betrachtung durch die Länge des auf Abschluss eines solchen Versorgungsvertrages gerichteten Gerichtsverfahrens hier nicht abgenommen.

bb) [X.]ies gilt unabhängig davon, dass die Entschädigung für materielle Nachteile in Anlehnung an § 906 Abs 2 S 2 BGB einen Schadensausgleich nach enteignungs- und aufopferungsrechtlichen Grundsätzen darstellt und deshalb grundsätzlich nur ein Ausgleich der erlittenen Vermögenseinbuße, aber keine Naturalrestitution unter Einschluss entgangenen Gewinns stattfindet.

Als entgangen gilt nach Maßgabe des § 252 S 2 BGB der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der [X.]inge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. [X.]ie Entschädigung nach dem [X.] ist hingegen auf erlittene Vermögenseinbußen zugeschnitten. [X.]ie Entschädigung ist kein Schadensersatz. Sie stellt vielmehr in Anlehnung an § 906 Abs 2 S 2 BGB einen Schadensausgleich nach enteignungs- und aufopferungsrechtlichen Grundsätzen dar. Beabsichtigt ist ein Ausgleich der erlittenen Vermögenseinbuße, aber grundsätzlich keine Naturalrestitution (vgl [X.] Urteil vom [X.] - 5 C 1/13 [X.] - Rd[X.] 41; auch [X.] Urteil vom 11.7.2013 - 5 C 27/12 [X.] - Rd[X.] 54 f; ferner [X.] Urteil vom 17.4.2013 - [X.] - [X.]E 240, 516 Rd[X.] 21). [X.]ies ergibt sich bereits aus der Terminologie des Gesetzes und der Gesamtsystematik im Verhältnis zu den Vorschriften über Schadensersatz iS der §§ 249 ff BGB und dort insbesondere auch über den entgangenen Gewinn nach Maßgabe des § 252 BGB. Mit hinlänglicher [X.]eutlichkeit wird dies durch den Gang des Gesetzgebungsverfahrens bestätigt. Ursprünglich sah nämlich der Gesetzentwurf der Bundesregierung eine Regelung des vollen Ausgleichs materieller und immaterieller Nachteile nach den Regeln der §§ 249 ff BGB unter Einbeziehung des entgangenen Gewinns vor ohne Beschränkung auf deren Angemessenheit (vgl BT-[X.]rucks 17/3802 [X.] zu § 198 [X.], hieran anschließend [X.] NVwZ 2012, 265, 269). In seiner Stellungnahme schlug der Bundesrat dagegen zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen mit der verschuldensabhängigen Amtshaftung (§ 839 BGB iVm Art 34 GG) vor, lediglich einen Anspruch auf "angemessene" Entschädigung zu gewähren (BT-[X.]rucks 17/3802 [X.]). [X.]er [X.] ist diesem Vorschlag des [X.] im weiteren Verlauf gefolgt mit der Zielsetzung, den Ersatz für materielle Nachteile auf eine angemessene Entschädigung zu beschränken und einen Ersatz entgangenen Gewinns auszuschließen (vgl Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-[X.]rucks 17/7217 [X.] f; hieran anknüpfend [X.]/[X.], Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, [X.], § 198 Rd[X.] 59 ff; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2013, § 198 Rd[X.] 221 ff; [X.]/[X.], [X.], 7. Aufl 2013, § 198 Rd[X.] 26; [X.] NVwZ 2012, 257, 262; [X.]/[X.] NJW 2012, 1, 3). Zwar bliebe die aufgezeigte nationale Regelung insoweit dann hinter der Rechtsprechung des [X.] zurück, die entgangenen Gewinn wegen Verletzung des Art 6 Abs 1 [X.] für möglich hält und im Einzelfall auch zugesprochen hat ([X.] NJW 1997, 2809, 2811). Ob und inwieweit deshalb eine konventionskonforme Korrektur der grundsätzlich verselbständigten eigenständigen nationalen Rechtsschutzregelung (vgl B[X.] Urteil vom 10.7.2014 - [X.] ÜG 8/13 R - [X.]-1720 § 198 [X.] 2 Rd[X.] 20 f) in Erwägung gezogen werden muss (vgl Guckelberger [X.]ÖV 2012, 289, 296), bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, weil es, wie aufgezeigt, jedenfalls am aufgezeigten Kausalverlauf fehlt.

4. [X.]er [X.] hat aufgrund des [X.] nicht mehr zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Klägerin immaterielle Nachteile erlitten hat. [X.]er [X.] geht allerdings davon aus, dass auch juristische Personen im Liquidationsstadium nicht allein deshalb von einer Entschädigung wegen immaterieller Nachteile ausgeschlossen sind. Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird nach § 198 Abs 2 S 1 [X.] vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Zu ermitteln ist [X.] bestehen, die geeignet sind, diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen (vgl [X.]surteil vom 21.2.2013 - [X.] ÜG 1/[X.] - B[X.]E 113, 75 = [X.]-1720 § 198 [X.] 1, [X.]-1500 § 202 [X.] 1; vgl zu Massenverfahren [X.] Urteil vom 12.2.2015 - [X.]/14 - Rd[X.] 39, 41; bei ausschließlich positivem Ausgang wegen der Überlänge [X.] Urteil vom 20.11.2013 - [X.] - [X.]E 243, 151 Rd[X.] 25 ff). [X.]ie Eigenschaft einer GmbH in Liquidation ist nicht geeignet, die Vermutungswirkung zu entkräften. [X.]er erkennende [X.] hat bereits entschieden, das juristische Personen des Privatrechts wegen überlanger Verfahrensdauer in gleicher Weise wie natürliche Personen immaterielle Nachteile erleiden können und zur Begründung insbesondere auch darauf verwiesen, dass der weite Anwendungsbereich des § 198 Abs 2 [X.] vom Gesetzgeber (BT-[X.]rucks 17/3802 [X.]0 f) gewählt wurde, um dem Interesse nach einem effektiven nationalen Rechtbehelf in Fällen überlanger Verfahrensdauer Rechnung zu tragen (B[X.] Urteil vom 12.2.2015 - [X.] ÜG 1/13 R - Rd[X.] 34 f). [X.]as Liquidationsstadium einer juristischen Person ändert an diesem Bedürfnis entgegen der Auffassung der Vorinstanz nichts. [X.]ementsprechend billigt das [X.] eine angemessene Entschädigung infolge unangemessener [X.]auer eines Gerichtsverfahrens jedem "Verfahrensbeteiligten" (§ 198 Abs 2 S 1 [X.]) zu und definiert im Sinne dieser Vorschrift als Verfahrensbeteiligten jede Partei und jeden Beteiligten eines Gerichtsverfahrens (§ 198 Abs 6 [X.] 2 [X.]). [X.]as Gesetz konzipiert den Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener [X.] mit der Folge der Entschädigung folglich als [X.] für jede Person, die an einem Gerichtsverfahren beteiligt ist (hierzu [X.] Urteil vom [X.] - 5 C 113 [X.] - Rd[X.] 37; zu Art 6 [X.] vgl auch [X.] Urteil vom 2.10.2003 [X.] 41444/98). [X.]a eine GmbH trotz ihres Liquidationsstadiums Beteiligte sowohl des Ausgangs- wie auch des [X.] sein kann und auch nicht durch einen Insolvenzverwalter daran gehindert ist, einen masserelevanten Prozess zu führen (vgl dazu II.2. a; auch [X.] Beschluss vom [X.]/13 PKH - Rd[X.]), ist sie von der Entschädigung immaterieller Nachteile nicht ausgeschlossen, ohne dass es darauf ankäme, ob und inwieweit gerade der in Liquidation befindlichen GmbH noch [X.] zum Nachteil gereichen können. [X.]enn jedenfalls lässt sich bei dieser vereinfachenden Betrachtungsweise eine derartige Beeinträchtigung nicht in Bezug auf die hinter ihr stehenden natürlichen Personen gänzlich ausschließen.

5. [X.]ie Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Alt 2 [X.]G iVm § 154 Abs 1 VwGO.

6. [X.]ie vorzunehmende Streitwertfestsetzung bleibt einem gesonderten Beschluss vorbehalten.

Meta

B 10 ÜG 5/14 R

05.05.2015

Bundessozialgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: False

vorgehend SG Wiesbaden, 13. November 2003, Az: S 4 KR 1114/99, Urteil

§ 198 Abs 1 S 1 GVG, § 198 Abs 1 S 2 GVG, § 198 Abs 2 S 1 GVG, § 198 Abs 3 GVG, § 198 Abs 5 S 1 GVG, § 198 Abs 6 Nr 2 GVG, § 200 S 1 GVG, § 201 Abs 1 S 1 GVG, Art 23 S 1 ÜberlVfRSchG, Art 23 S 5 ÜberlVfRSchG, Art 23 S 6 ÜberlVfRSchG, Art 24 ÜberlVfRSchG, § 60 SGG, § 101 SGG, § 202 S 2 SGG, § 41 Nr 7 ZPO, § 249 BGB, §§ 249ff BGB, § 252 S 2 BGB, § 906 Abs 2 S 2 BGB, Art 6 Abs 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 05.05.2015, Az. B 10 ÜG 5/14 R (REWIS RS 2015, 11631)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 11631

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III ZR 37/13

X K 3/12

III ZR 141/14

X K 2/12

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