Bundesfinanzhof, Urteil vom 03.07.2014, Az. III R 52/13

3. Senat | REWIS RS 2014, 4357

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Gegenstand

(Kindergeld: Duales Studium mit studienintegrierter praktischer Ausbildung im Lehrberuf als einheitliche Erstausbildung - Auslegung von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG)


Leitsatz

1. Setzt ein Kind im Rahmen eines dualen Studiums nach erfolgreichem Abschluss seines studienintegrierten Ausbildungsgangs sein parallel zur Ausbildung betriebenes Bachelorstudium fort, kann auch das Bachelorstudium als Teil einer einheitlichen Erstausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der ab 2012 geltenden Fassung zu werten sein .

2. Für die Frage, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Erstausbildung darstellen, kommt es darauf an, ob sie in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in einem engen zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Mutter ihres 1988 geborenen [X.] ([X.]). [X.] nahm nach dem Abitur ein duales Hochschulstudium zum Bachelor im [X.]tudiengang [X.]teuerrecht auf, das am 29. Februar 2012 enden sollte. Parallel dazu absolvierte er in einer [X.]teuerberatungskanzlei eine studienintegrierte praktische Ausbildung zum [X.]teuerfachangestellten, die er am 1. August 2008 begann und im Juni 2011 mit der Prüfung zum [X.]teuerfachangestellten beendete. Im März 2013 beendete [X.] erfolgreich sein Bachelorstudium.

2

Nach Beendigung seiner Ausbildung zum [X.]teuerfachangestellten arbeitete [X.] ab 1. August 2011 mehr als 20 [X.]tunden pro Woche in einer anderen [X.]teuerberatungskanzlei. Nach deren Erklärungen vom 12. April 2012 und 12. Juni 2012 setzte [X.] dort seine Ausbildung durch eine studienbegleitende Betreuung fort. Ein schriftlicher Vertrag über Inhalt und Umfang der Tätigkeit bestand nicht. Die Entlohnung entsprach der eines [X.]teuerfachangestellten.

3

Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) hob die gegenüber der Klägerin erfolgte Kindergeldfestsetzung für [X.] mit Bescheid vom 16. Februar 2012 ab 1. Januar 2012 auf und forderte das für die Monate Januar und Februar 2012 bereits ausbezahlte Kindergeld von der Klägerin zurück. Der hiergegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 2012 zurückgewiesen.

4

Auf die dagegen gerichtete Klage hob das [X.] ([X.]) den Aufhebungsbescheid und die Einspruchsentscheidung mit den in Entscheidungen der [X.]e 2014, 57 veröffentlichten Gründen auf.

5

Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, dass [X.] mit der bestandenen Prüfung zum [X.]teuerfachangestellten seine Erstausbildung beendet habe. Die anschließend aufgenommene Vollzeittätigkeit in einer [X.]teuerberatungskanzlei sei daher nach § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 des Einkommensteuergesetzes (E[X.]tG) in der im [X.]treitzeitraum geltenden Fassung anspruchsschädlich gewesen.

6

Die Familienkasse beantragt, das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

8

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der [X.]sordnung --[X.]O-- [X.]. § 121 [X.]O).

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision der Familienkasse ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O).

1. Zu Recht ist das [X.] davon ausgegangen, dass [X.] im [X.]treitzeitraum Januar 2012 bis August 2012 (Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom 31. Juli 2012) beim Kindergeldanspruch der Klägerin nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Buchst. a E[X.]tG zu berücksichtigen ist, weil er das 18. Lebensjahr, aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hatte und für einen Beruf ausgebildet wurde.

Die durch das [X.]teuervereinfachungsgesetz 2011 vom 1. November 2011 ([X.], 2131, B[X.]tBl I 2011, 986) bewirkte Änderung des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 ff. E[X.]tG berührt den in § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Buchst. a E[X.]tG verwendeten Begriff der Berufsausbildung nicht (s. hierzu auch die Gesetzesbegründung in [X.] 54/11, [X.]. 56, wonach eine Einschränkung dieses Berufsausbildungsbegriffs nicht erfolgen sollte). Das von [X.] durchgeführte [X.]tudium bildet daher einen [X.], unabhängig davon, ob es sich um eine Erst- oder Zweitausbildung handelte ([X.]enatsurteil vom 27. Januar 2011 III R 57/10, [X.], 1316). Anhaltspunkte dafür, dass [X.] sich im [X.]treitzeitraum Januar 2012 bis August 2012 nicht ernsthaft und nachhaltig auf sein Berufsziel vorbereitet hatte (s. zu dieser Anforderung z.B. Urteile des [X.] --[X.]-- vom 26. Oktober 2012 VI R 102/10, [X.], 366; vom 22. November 2012 V R 60/10, [X.], 531; [X.]enatsurteil vom 22. Dezember 2011 III R 67/10, [X.], 930), wurden vom [X.] nicht festgestellt.

2. Zutreffend ist das [X.] auch davon ausgegangen, dass nach § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG eine Erwerbstätigkeit nicht nur dann schädlich sein kann, wenn das zu berücksichtigende Kind neben einer erstmaligen Berufsausbildung zusätzlich (kumulativ) ein Erststudium abgeschlossen hat.

a) Das [X.] legte insoweit noch den im [X.]punkt der Entscheidung geltenden Wortlaut des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG i.d.F. des [X.]teuervereinfachungsgesetzes 2011 zugrunde, wonach ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung und eines Erststudiums in den Fällen des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 E[X.]tG nur berücksichtigt wird, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Das [X.] hat den Begriff "und" implizit so interpretiert, dass es sich hierbei um alternative und nicht um kumulative Voraussetzungen handelt. Anderenfalls hätte sich die vom [X.] behandelte [X.], ob mit dem Abschluss der Ausbildung zum [X.]teuerfachangestellten eine neben dem [X.]tudium ausgeübte Erwerbstätigkeit kindergeldschädlich ist, nicht gestellt.

b) Der [X.]enat hat indes die mittlerweile eingetretene Rechtsänderung zu berücksichtigen (s. hierzu Lange in [X.]/[X.]/ [X.]pitaler, § 118 [X.]O Rz 78, m.w.N.) und bereits § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG i.d.F. des Art. 2 Nr. 13 des Gesetzes zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 26. Juni 2013 ([X.], 1809, B[X.]tBl I 2013, 802, [X.]) anzuwenden. Danach wird ein Kind nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums in den Fällen des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 E[X.]tG nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Die Regelung trat rückwirkend zum 1. Januar 2012 in [X.] (Art. 31 Abs. 2 [X.]).

c) Offen bleiben kann, ob die durch das [X.] bewirkte Änderung des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG eine unzulässige Rückwirkung im [X.]inne der neueren Rechtsprechung des [X.] (Beschluss vom 17. Dezember 2013  1 BvL 5/08, [X.], 255) enthält. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, müsste der dann geltende § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG i.d.F. des [X.]teuervereinfachungsgesetzes 2011 in dem [X.]inne ausgelegt werden, wie es das [X.] getan hat.

aa) Das [X.] entscheidet in diesen Fällen allein über die Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung, nicht über die verbindliche Auslegung des einfachen Rechts, das der Gesetzgeber rückwirkend ändern wollte. Hält das [X.] die Rückwirkung für verfassungswidrig, ist es weiterhin der [X.] aufgegeben, den Inhalt der alten Rechtslage durch Auslegung zu klären. Dabei kann sich auch ergeben, dass die Norm gerade so zu verstehen ist, wie es der Gesetzgeber nachträglich festgestellt wissen wollte (s. im Einzelnen [X.]-Beschluss in [X.], 255, unter [X.] cc (1) (b)).

bb) Nach Auffassung des [X.]enats ist auch die ursprüngliche Formulierung ("und" statt "oder") nicht als eine Aufzählung verschiedener Tatbestandsvoraussetzungen zu verstehen. Zwar sollte bei der sprachlichen Fassung von Gesetzestexten das Wort "und" immer dann verwendet werden, wenn in einer Rechtsvorschrift verschiedene Tatbestandsvoraussetzungen oder Rechtsfolgen kumulativ festgelegt werden sollen (s. Rz 90 des Handbuchs der [X.], Bundesanzeiger Nr. 160a vom 22. Oktober 2008). Die Gesetzeshistorie spricht jedoch dafür, dass dies im vorliegenden Fall nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprach. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum [X.]teuervereinfachungsgesetz 2011 ([X.] 54/11, [X.]. 6) verwendete noch den Ausdruck "oder". Auch in der Gesetzesbegründung wurde ausgeführt, dass zukünftig eine Erwerbstätigkeit nur noch bis zum Abschluss der ersten Berufsausbildung oder eines Erststudiums eines Kindes außer Betracht bleiben soll ([X.] 54/11, [X.]. 55 f.). Der Finanzausschuss des [X.] empfahl hingegen, den Ausdruck "oder" durch das Wort "und" zu ersetzen (BTDrucks 17/6105, [X.]. 12), um die Formulierung an § 12 Nr. 5 E[X.]tG anzupassen (BTDrucks 17/6146, [X.]. 14). Dem folgte der [X.] ([X.] 360/11, [X.]. 5). In der Folge wies der Finanzausschuss des [X.] darauf hin, dass der verwendeten Formulierung im Rahmen des § 12 Nr. 5 E[X.]tG eine andere Bedeutung zukomme als im Rahmen des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG. Er führte zudem aus, dass eine kumulative Voraussetzung (Berufsausbildung und Erststudium) weder gewollt noch sinnvoll sei und deshalb zum ursprünglichen Wortlaut zurückzukehren sei ([X.] 360/1/11, [X.]. 5). Dieser Anregung ist der Gesetzgeber zwar im weiteren Gesetzgebungsverfahren nach Durchführung des [X.] nicht gefolgt. Da jedoch nicht ersichtlich ist, dass mit dem Änderungsbegehren des Finanzausschusses des [X.]es eine über die bloße redaktionelle Anpassung an § 12 Nr. 5 E[X.]tG hinausgehende inhaltliche Änderung des Gesetzentwurfs bezweckt wurde, und sich ein derartiges Anliegen auch aus dem Vermittlungsverfahren (BTDrucks 17/7025, [X.] 568/11) nicht ergibt, geht der [X.]enat davon aus, dass die Rückkehr zum ursprünglichen Wortlaut entweder nur wegen eines redaktionellen Versehens im Vermittlungsverfahren unterblieben ist oder der Begriff "und" nur zur Kennzeichnung eines Fallbeispiels (Erststudium als Unterfall der Erstausbildung) Verwendung finden sollte. Entsprechend wäre auch die ursprüngliche Gesetzesfassung trotz der Verwendung des Wortes "und" nicht im [X.]inne von kumulativen, sondern von alternativen Voraussetzungen zu lesen gewesen (ebenso [X.]/[X.] 2012, 278, 282, die die Formulierung im [X.]inne von "sowohl ... als auch" interpretieren; [X.], NJW 2012, 22, 24 f., wonach eine andere Auslegung ihrerseits verfassungsrechtliche Probleme aufwürfe).

3. Zu Recht ist das [X.] weiter davon ausgegangen, dass ein Kind, das ein duales [X.]tudium durchführt, seine Erstausbildung i.[X.]. des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG noch nicht mit der erfolgreichen Absolvierung der studienintegrierten praktischen Ausbildung im Lehrberuf (hier zum [X.]teuerfachangestellten) beendet, sondern die Erstausbildung bis zum Abschluss des parallel zum [X.]tudium durchgeführten Bachelorstudiums fortdauert. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:

a) § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG ist dahin auszulegen, dass der Begriff des Erststudiums nur einen Unterfall des [X.] der erstmaligen Berufsausbildung darstellt.

Der Wortlaut des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG lässt zwar sowohl die Interpretation zu, dass durch den Begriff der erstmaligen Berufsausbildung nur Ausbildungsgänge erfasst werden, die kein [X.]tudium an einer Hochschule beinhalten, als auch die Interpretation, dass die erstmalige Berufsausbildung den Oberbegriff bildet und das Erststudium nur einen Unterfall der erstmaligen Berufsausbildung darstellt. Der normale [X.]prachgebrauch spricht jedoch eher für die zweite Auslegungsvariante, da danach üblicherweise --wie im Rahmen des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Buchst. a E[X.]tG-- auch ein [X.]tudium als Berufsausbildung anzusehen ist.

Diese Auslegung wird auch durch die Gesetzesmaterialien gestützt. [X.]o führte der Gesetzgeber aus, nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums bestehe die widerlegbare Vermutung, dass das Kind in der Lage sei, sich selbst zu unterhalten, und dass diese Vermutung durch den Nachweis als widerlegt gelte, dass das Kind sich in "einer weiteren Berufsausbildung" befinde und tatsächlich keiner weiteren (schädlichen) Erwerbstätigkeit nachgehe ([X.] 54/11, [X.]. 55 f.). Insoweit verwendet der Gesetzgeber den Begriff der weiteren Berufsausbildung als Oberbegriff für ein weiteres [X.]tudium und eine weitere andere Art der Berufsausbildung. Entsprechendes gilt, soweit der Gesetzgeber ausführt, dass ein [X.]tudium dann ein erstmaliges [X.]tudium darstelle, wenn es sich um eine "Erstausbildung" handele ([X.] 54/11, [X.]. 55 f.).

b) Der in § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG verwendete Berufsausbildungsbegriff ist enger auszulegen als das in § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Buchst. a E[X.]tG verwendete Tatbestandsmerkmal "Kind, das ... für einen Beruf ausgebildet wird".

Der Wortlaut des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG gibt auf die Frage, ob der Begriff der Berufsausbildung --wie im Rahmen des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Buchst. a E[X.]tG-- dahin auszulegen ist, dass darunter jede allgemein berufsqualifizierende Maßnahme zu fassen ist, oder ein engeres Verständnis erfordert, allenfalls insoweit eine Antwort, als der Begriff "erstmaligen" darauf hindeutet, dass die Berufsausbildung auf einen Abschluss ausgerichtet sein muss.

Auch die Gesetzesmaterialien sprechen dafür, dass der Gesetzgeber für den in § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG verwendeten Begriff der Berufsausbildung einen eingeschränkteren Anwendungsbereich vorsehen wollte als für den in § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Buchst. a E[X.]tG geregelten [X.]. Danach soll der in § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG verwendete Begriff der Berufsausbildung enger gefasst sein und sicherstellen, dass nicht bereits jede allgemein berufsqualifizierende Maßnahme zum Verbrauch der Erstausbildung führt ([X.] 54/11, [X.]. 55 f.). Voraussetzung soll danach zum einen sein, dass das Kind durch die berufliche Ausbildungsmaßnahme die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse erwirbt, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen, weshalb insbesondere der Besuch einer allgemein bildendenden [X.]chule keine erstmalige Berufsausbildung vermitteln soll. Zum anderen muss der Beruf nach der Gesetzesbegründung durch eine Ausbildung im Rahmen eines öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgangs erlernt werden und der Ausbildungsgang durch eine Prüfung abgeschlossen werden, weshalb beispielsweise ein bloßer Computerkurs nicht für eine Erstausbildung ausreichen soll ([X.] 54/11, [X.]. 55 f.). Ziel dieser beiden Einschränkungen ist es, die berücksichtigungsschädliche Wirkung des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG zu begrenzen.

c) Für die Frage, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führen soll oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang Teil der Erstausbildung sein kann, ist darauf abzustellen, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt.

aa) Wortlaut und Gesetzesmaterialien lassen nicht erkennen, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss zum Verbrauch der Erstausbildung führen soll. [X.]o kann die Formulierung "Eine Berufsausbildung liegt demnach vor, wenn der [X.]teuerpflichtige durch eine berufliche Ausbildungsmaßnahme die notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse erwirbt, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen" ([X.] 54/11, [X.]. 55 f.) sowohl dahin interpretiert werden, dass das Kind befähigt sein müsse, irgendeinen Beruf aufzunehmen, als auch dahin, dass es befähigt sein müsse, einen von ihm angestrebten Beruf aufzunehmen.

bb) Die systematische [X.]tellung des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG und der [X.]inn und Zweck der Norm sprechen indes dafür, mehraktige Ausbildungsmaßnahmen dann als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu qualifizieren, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann (in diesem [X.]inne auch [X.]eiler in Kirchhof, E[X.]tG, 13. Aufl., § 32 Rz 17).

Die Funktion des steuerlichen Familienleistungsausgleichs besteht primär darin, einen Einkommensbetrag in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich der Bedarfe für Betreuung, Erziehung oder Ausbildung eines Kindes steuerlich freizustellen (§ 31 [X.]atz 1 E[X.]tG). Bei Kindern in Ausbildung dient der Freibetrag für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung der Abdeckung des allgemeinen Ausbildungsbedarfs ([X.], in: Kirchhof/[X.]öhn/[X.], E[X.]tG, § 32 Rz A 91), zu dem nach der Rechtsprechung des [X.] auch der Ausbildungsunterhalt i.[X.]. von § 1610 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ([X.]) zählt (Urteil vom 17. Dezember 2009 VI R 63/08, [X.]E 227, 487, B[X.]tBl II 2010, 341). Die steuerliche Berücksichtigung solcher Belastungen ist dabei nicht vollständig in das Ermessen des Gesetzgebers gestellt. Denn die Eltern können sich ihnen nicht beliebig entziehen, sondern sind im Gegenteil schon nach dem Unterhaltsrecht des [X.] weitgehend dazu verpflichtet, ihren Kindern zumindest "eine" Berufsausbildung zu finanzieren (s. hierzu [X.]-Urteil in [X.]E 227, 487, B[X.]tBl II 2010, 341).

Unter Berücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Funktion des steuerlichen Familienleistungsausgleichs hat die Rechtsprechung bereits bei der Auslegung des [X.] des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Buchst. a E[X.]tG auch das durch die Eltern und das Kind definierte Berufsziel miteinbezogen. [X.]o ist in ständiger Rechtsprechung des [X.] anerkannt, dass sich in Berufsausbildung befindet, wer "sein Berufsziel" noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet (z.B. [X.]-Urteile in [X.], 366, und in [X.], 531; [X.]enatsurteil in [X.], 930). Unter Berufsausbildung wird deshalb die Erlangung der für die Ausübung des "angestrebten" Berufs geeigneten Grundlagen verstanden (z.B. [X.]-Urteile vom 16. April 2002 VIII R 58/01, [X.]E 199, 111, B[X.]tBl II 2002, 523, Ausbildung eines [X.]oldaten auf [X.] zum Offizier; vom 26. August 2010 III R 88/08, [X.], 26, betr. Traineetätigkeit). Der [X.] erkennt damit zum einen an, dass den Eltern und dem Kind von Verfassungs wegen ein weiter Entscheidungsspielraum bei der Gestaltung der Ausbildung zukommt ([X.]-Urteil vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, [X.]E 189, 88, B[X.]tBl II 1999, 701). Zum anderen verweist er hinsichtlich dieses Auslegungsergebnisses auf den [X.]inn und Zweck des seit dem 1. Januar 1996 geltenden steuerrechtlichen Kindergelds, wonach das Existenzminimum eines Kindes von der Besteuerung auszunehmen ist, weil durch den kindbedingten Aufwand die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern gemindert wird ([X.]-Urteil in [X.]E 189, 88, B[X.]tBl II 1999, 701, unter Verweis auf den [X.]-Beschluss vom 29. Mai 1990  1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, [X.]E 82, 60, B[X.]tBl II 1990, 653).

Dieser systematische Zusammenhang spricht dafür, dass auch im Rahmen der durch § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG erfolgten Abgrenzung --zwischen der steuerlich zu berücksichtigenden Unterhaltsverantwortung der Eltern für "eine" Ausbildung des Kindes und der Verantwortung des Kindes für die eigene Unterhaltssicherung-- bei mehraktigen Ausbildungen das von den Eltern und dem Kind bestimmte Berufsziel nicht außer Betracht gelassen werden darf. Ist daher aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beendet hat, kann auch eine weiterführende Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung zu qualifizieren sein. Abzustellen ist dabei darauf, ob sich die einzelnen Ausbildungsabschnitte als integrative Teile einer einheitlichen Ausbildung darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z.B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden.

cc) Nichts anderes ergibt sich aus der in § 32 Abs. 4 [X.]atz 3 E[X.]tG vorgesehenen Einschränkung der Vermutungsregel des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG. Danach ist eine nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums ausgeübte Erwerbstätigkeit anspruchsunschädlich, wenn sie im Rahmen einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit mit bis zu 20 [X.]tunden, einem Ausbildungsdienstverhältnis oder einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis i.[X.]. der §§ 8 und 8a des Vierten Buches [X.]ozialgesetzbuch ausgeübt wird.

Hintergrund dieser Regelung ist die Überlegung, dass eine Erwerbstätigkeit dann schädlich sein soll, wenn sie [X.] und Arbeitskraft des Kindes überwiegend in Anspruch nimmt ([X.] 54/11, [X.]. 55 f.). Auch in der Literatur ([X.]/ [X.] 2012, 278, 281) wird argumentiert, dass das Kind seiner Berufsausbildung nicht mehr ernsthaft und hinreichend nachgehen könne, wenn es regelmäßig in Vollzeit arbeite; ebenso sollten Fälle der "Pro-forma-Immatrikulation" eines Vollzeitbeschäftigten aus dem steuerlichen [X.] ausgeschlossen werden. Jedoch erfordert auch der insoweit zum Ausdruck kommende Aspekt der Missbrauchsverhinderung nicht, dass die in § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG verwendeten Tatbestandsmerkmale der erstmaligen Berufsausbildung und des Erststudiums immer bereits dann als erfüllt angesehen werden müssen, wenn das Kind --unabhängig vom angestrebten [X.] irgendeinen berufsqualifizierenden Abschluss erlangt hat. Denn die Vermeidung eines solchen Missbrauchs findet bei konsequenter Anwendung der [X.]-Rechtsprechung bereits auf [X.] des [X.] des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Buchst. a E[X.]tG statt. Wie bereits ausgeführt wurde, befindet sich ein Kind nur dann in Berufsausbildung, wenn es sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, "sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet" (z.B. [X.]-Urteile in [X.], 366, und in [X.], 531; [X.]enatsurteil in [X.], 930). Eine strenge Prüfung der Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der Ausbildungsbemühungen auf [X.] des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Buchst. a E[X.]tG trägt zudem dazu bei, dass Missbrauch nicht nur im Falle des Abschlusses einer objektiv berufsqualifizierenden Erstausbildung, sondern in jedem von § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Buchst. a E[X.]tG erfassten Fall verhindert werden kann. Im Übrigen geht der [X.]enat davon aus, dass Kinder, die im Rahmen einer mehraktigen Ausbildung einen ersten Abschluss erlangt haben, häufig nur vorübergehend --insbesondere während weniger lernintensiver [X.]räume wie den [X.]emesterferien-- ihren [X.] erhöhen und deshalb ihre gesamte Ausbildung gleichwohl in üblichem [X.]rahmen beenden werden können. Daher dürften in solchen Fällen bereits im Rahmen der Prüfung des § 32 Abs. 4 [X.]atz 1 Nr. 2 Buchst. a E[X.]tG keine Missbrauchsanzeichen erkennbar werden.

dd) Für eine Beschränkung des Erstausbildungsbegriffes auf den ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss spricht schließlich auch nicht, dass bei Kindern, die nach einem solchen Abschluss einer den Umfang des § 32 Abs. 4 [X.]atz 3 E[X.]tG überschreitenden Erwerbstätigkeit nachgehen, die Freistellung des Existenzminimums des Kindes im Rahmen der Besteuerung der Einkünfte des Kindes stattfindet. Denn selbst bei Annahme einer ganzjährigen Tätigkeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 21 [X.]tunden ergäben sich unter Zugrundelegung eines [X.]tundensatzes von 7,50 € oder 8,50 € --wie er für typische Aushilfstätigkeiten von in Ausbildung befindlichen Kindern nicht unüblich ist-- nach Berücksichtigung üblicher Abzugsbeträge (insbesondere für Werbungskosten) häufig unter dem Existenzminimum liegende Einkünfte des Kindes (s. hierzu auch [X.], NJW 2012, 22, 27, zum Fall einer studentischen Hilfskraft). Dies hätte zur Folge, dass bei Anwendung der Verwaltungsauffassung eine effektive steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes sowohl auf [X.] der Besteuerung der Eltern als auch auf [X.] der Besteuerung des Kindes fehlschlagen könnte.

ee) [X.]chließlich sieht sich der [X.]enat bei der Auslegung der in § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG verwendeten Begriffe der erstmaligen beruflichen Ausbildung und des Erststudiums auch nicht an eine ggf. hiervon abweichende Auslegung dieser Begriffe im Rahmen des § 12 Nr. 5 E[X.]tG gebunden. Die beiden Regelungen unterscheiden sich bereits insoweit, als sie die steuerliche Anerkennung unterschiedlicher Gegenstände betreffen. Während es im Rahmen des Familienleistungsausgleichs primär um die steuerliche Berücksichtigung des Existenzminimums des in Ausbildung befindlichen Kindes einschließlich des Ausbildungsbedarfs geht, regelt § 12 Nr. 5 E[X.]tG die steuerliche Anerkennung von Aufwendungen für die Ausbildung. Entsprechend muss die Auslegung des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 E[X.]tG den Anforderungen des subjektiven Nettoprinzips genügen, während die Rechtsprechung bei der Anwendung des § 12 Nr. 5 E[X.]tG die folgerichtige Umsetzung des objektiven Nettoprinzips in den Blick nimmt (z.B. [X.]-Urteil in [X.]E 227, 487, B[X.]tBl II 2010, 341). Entsprechend hat der [X.] auch in seiner bisherigen Rechtsprechung bereits die Unabhängigkeit der beiden Regelungskomplexe betont ([X.]-Urteil vom 27. Mai 2003 VI R 33/01, [X.]E 202, 314, B[X.]tBl II 2004, 884).

4. Überträgt man diese Rechtsgrundsätze auf den [X.]treitfall, so ist das [X.] zu Recht davon ausgegangen, dass die Erstausbildung des [X.] mit der bestandenen Prüfung zum [X.]teuerfachangestellten noch nicht beendet war.

Nach den Feststellungen des [X.] bildete die Ausbildung zum [X.]teuerfachangestellten einen integrativen Bestandteil einer von [X.] angestrebten mehraktigen Ausbildung, die auch den im Rahmen des Hochschulstudiums zu erlangenden weitergehenden Abschluss zum Bachelor im [X.]tudiengang [X.]teuerrecht mitumfasste. Dass die beiden Abschlüsse in einem engen sachlichen Zusammenhang standen, ergibt sich dabei bereits daraus, dass sie sich inhaltlich schwerpunktmäßig auf denselben Fachbereich, den Themenbereich [X.]teuerrecht, bezogen und damit --wenn auch ggf. auf unterschiedlichen [X.] auf dasselbe Berufsfeld vorbereiteten. Die Ausbildungsgänge standen auch in einem engen zeitlichen Zusammenhang. [X.]ie wurden zunächst parallel zueinander verfolgt. Nach Beendigung der Ausbildung zum [X.]teuerfachangestellten wurde die Ausbildung zum Bachelor ohne beachtliche Unterbrechung fortgeführt und beendet. Da somit auch der weitergehende Bachelorabschluss noch als Teil der Erstausbildung des [X.] zu qualifizieren ist, hat das [X.] zu Recht nicht darauf abgestellt, ob [X.] im [X.]treitzeitraum Januar 2012 bis August 2012 einer schädlichen Erwerbstätigkeit i.[X.]. des § 32 Abs. 4 [X.]atz 2 und 3 E[X.]tG nachgegangen ist.

Meta

III R 52/13

03.07.2014

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 15. Mai 2013, Az: 2 K 2949/12 Kg, Urteil

§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst b EStG 2009, § 32 Abs 4 S 2 EStG 2009 vom 26.06.2013, § 32 Abs 4 S 3 EStG 2009 vom 01.11.2011, EStG VZ 2012, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 32 Abs 4 S 2 EStG 2009 vom 01.11.2011

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 03.07.2014, Az. III R 52/13 (REWIS RS 2014, 4357)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4357

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