Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.08.2010, Az. I B 49/10

1. Senat | REWIS RS 2010, 3788

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Gegenstand

Sog. Mindestbesteuerung bei endgültigem Ausschluss der Verlustverrechnung ernstlich zweifelhaft


Leitsatz

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die sog. Mindestbesteuerung gemäß § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. verfassungsrechtlichen Anforderungen auch dann standhält, wenn eine Verlustverrechnung in späteren Veranlagungszeiträumen aus rechtlichen Gründen (hier: nach § 8c KStG 2002 n.F.) endgültig ausgeschlossen ist    .

Tatbestand

1

I. Streitig ist im Rahmen eines Verfahrens wegen Aussetzung der Vollziehung (AdV) die Rechtmäßigkeit einer Steuerfestsetzung, bei der im Streitjahr 2007 ein Verlustvortrag, der im Folgejahr von einem weiteren Einfluss auf die Bemessungsgrundlage endgültig ausgeschlossen wurde, nur zu einem Teil bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens einkommensmindernd zum Ansatz kam (sog. Mindestbesteuerung).

2

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin), eine GmbH, ist Gesamtrechtsnachfolgerin der H-GmbH, für die zum 31. Dezember 2006 ein Verlustvortrag in Höhe von 35.303.643 € festgestellt worden war. Der Gesamtbetrag der Einkünfte der H-GmbH für das Streitjahr betrug 4.361.627 €. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --[X.]--) setzte insoweit nach Maßgabe des § 8 Abs. 1 des [X.] ([X.] 2002) i.V.m. § 10d Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) i.d.[X.] zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 2003 ([X.], 2840, [X.], 14) --EStG 2002 n.F.-- eine Körperschaftsteuer in Höhe von 331.273 € fest. In 2008 kam es zu einem Gesellschafterwechsel bei der H-GmbH und einer Verschmelzung; in der Folge entfiel gemäß § 8c [X.] 2002 i.d.[X.] 2008 vom 14. August 2007 ([X.], 1912, [X.], 630) --[X.] 2002 n.F.-- bzw. gemäß § 12 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 des Umwandlungssteuergesetzes (UmwStG 2006) der verbleibende Verlustabzug zum 31. Dezember 2008 vollständig.

3

Das Finanzgericht ([X.]) hat die Vollziehung des Steuerbescheids des Streitjahres wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Festsetzung ausgesetzt ([X.] Nürnberg, Beschluss vom 17. März 2010  1 V 1379/2009).

4

Das [X.] beantragt mit der vom [X.] zugelassenen Beschwerde, den Beschluss des [X.] aufzuheben und den Antrag auf AdV des [X.] 2007 abzulehnen.

5

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

II. [X.] ist nicht begründet. Die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung des Streitjahres ist --wie auch das [X.] entschieden [X.] insoweit ernstlich zweifelhaft, als bei der Einkommensermittlung nach Maßgabe der sog. Mindestbesteuerung ein Verlustabzug nur eingeschränkt zugelassen wurde.

7

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll --u.a. und soweit hier einschlägig-- erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 [X.]O). [X.] von § 69 Abs. 2 Satz 2 [X.]O sind u.a. dann zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (vgl. Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 10. Februar 1967 [X.]/66, [X.], 447, [X.] 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung). Dies gilt auch für ernstliche Zweifel an der verfassungsrechtlichen Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm (vgl. z.B. [X.] vom 6. März 2003 [X.] B 76/02, [X.], 147, [X.] 2003, 523, unter [X.] der Gründe, m.w.N.). An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind, wenn die Verfassungswidrigkeit von Normen geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen als im Fall der Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung ([X.] vom 10. Februar 1984 [X.]/83, [X.], 396, [X.] 1984, 454).

8

2. Es bestehen nach dieser Maßgabe bei einer wortlautgetreuen Anwendung des § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. (i.V.m. § 8 Abs. 1 [X.] 2002) ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides.

9

a) Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz ließ der Gesetzgeber den innerperiodischen Verlustausgleich im Rahmen von § 2 Abs. 3 EStG 2002 n.F. wieder uneingeschränkt zu, während die Beschränkung des überperiodischen [X.] nach § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. beibehalten und verschärft wurde: Verluste, die weder im Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung noch im Wege des Verlustrücktrags ausgeglichen werden konnten, sind ab Veranlagungszeitraum 2004 im Rahmen des Verlustvortrags nur noch begrenzt verrechnungsfähig. Gemäß § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. können sie nur noch bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 1 Mio. € unbeschränkt abgezogen werden. Darüber hinausgehende negative Einkünfte aus früheren [X.] sind nur noch in Höhe von 60 % des 1 Mio. € übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte ausgleichsfähig. Im Ergebnis werden 40 % des positiven Gesamtbetrags der laufenden Einkünfte eines Veranlagungszeitraums unabhängig von etwaigen Verlusten in früheren Perioden der Besteuerung unterworfen, soweit sie die Schwelle von 1 Mio. € überschreiten. Diese Neuerungen im Bereich der Einkommensteuer sind auch bei der Veranlagung der Antragstellerin im Streitjahr zu beachten (§ 8 Abs. 1 [X.] 2002), was unter den Beteiligten im Grundsatz nicht streitig ist.

b) Die Begründung zum Regierungsentwurf des § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. (BTDrucks 15/1518, [X.]) führt an, dass "der Grund für die Beschränkung ... in dem gewaltigen Verlustvortragspotenzial der Unternehmen zu sehen (sei), das diese vor sich herschieben. Um das Steueraufkommen für die öffentlichen Haushalte kalkulierbarer zu machen, ist es geboten, den Verlustvortrag zu strecken. Nur so ist auf Dauer eine Verstetigung der Staatseinnahmen gewährleistet." Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass durch die sog. Mindestbesteuerung "keine Verluste endgültig verloren" gehen würden. Damit ist dem Regierungsentwurf eine ausschließlich fiskalischen Interessen geschuldete Begründung beigestellt worden (so auch die systematisierende Zuordnung durch [X.], [X.] Neuordnung der Verlustverrechnung - [X.] aus der Mindestbesteuerung, in Institut "Finanzen und Steuern" --FiSt--, Schrift Nr. 461, 2010, S. 27 ff.).

c) Das [X.] ([X.]) hat sich bereits mehrfach --wenn auch noch nicht zu § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F.-- zu Einschränkungen des Verlustvortrags geäußert. Danach ist ein uneingeschränkter Verlustvortrag verfassungsrechtlich nicht garantiert. Die Beschränkung des Verlustvortrags auf bestimmte Einkunftsarten und damit der Ausschluss anderer Einkunftsarten von jeglichem Verlustvortrag war ebenso wenig verfassungsrechtlich zu beanstanden ([X.]-Beschluss vom 8. März 1978  1 BvR 117/78, [X.] --[X.]-- 1978, 293) wie die Beschränkung des Verlustvortrags auf bestimmte, durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte [X.] ([X.]-Beschluss in [X.] 1978, 293; vgl. auch [X.]-Beschluss vom 30. Oktober 1980  1 BvR 785/80, [X.] 1981, 181). Nach der Rechtsprechung des [X.] bestanden ferner unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Beschränkung des [X.] auf einen einjährigen Verlustrücktrag und einen fünfjährigen Verlustvortrag ([X.]-Beschluss vom 22. Juli 1991  1 BvR 313/88, [X.] 1992, 423). Allerdings hat das [X.] im Beschluss vom 30. September 1998  2 BvR 1818/91 ([X.]E 99, 88) den völligen Ausschluss der Verlustverrechnung bei laufenden Einkünften aus der Vermietung beweglicher Gegenstände (§ 22 Nr. 3 Satz 3 EStG 1983) für verfassungswidrig erklärt.

d) Nach der Rechtsprechung des [X.] (vgl. dazu die Nachweise im Senatsurteil vom 1. Juli 2009 [X.]/08, [X.]E 225, 566 und --zu der ebenfalls eine Mindestbesteuerung vorsehenden Regelung des § 10a des [X.] [[X.] [X.] in dem [X.] vom 27. Januar 2006 [X.], [X.]/NV 2006, 1150) bestehen im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) grundsätzlich insoweit keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer [X.]beschränkung, als der Verlustausgleich nicht versagt, sondern lediglich zeitlich gestreckt wird. Eine Verlagerung des [X.] auf spätere Veranlagungszeiträume ist im Hinblick darauf nicht zu beanstanden, dass das Grundrecht seine Wirkung grundsätzlich veranlagungszeitraumübergreifend entfaltet. Es genügt, wenn die Verluste überhaupt, sei es auch in einem anderen Veranlagungszeitraum, steuerlich berücksichtigt werden. Insbesondere erstarkt die bei ihrer Entstehung gegebene bloße Möglichkeit, die Verluste später ausgleichen zu können, nicht zu einer grundrechtlich geschützten [X.] (Art. 14 Abs. 1 GG - dies relativierend Beschluss des [X.] des [X.] vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04, [X.]E 220, 129, [X.] 2008, 608, zu [X.]). Immerhin hat der [X.] in seinem Beschluss vom 29. April 2005 [X.] ([X.]E 209, 379, [X.] 2005, 609), in dem eine Beschränkung des Verlustvortrags, wenn der Vortrag zeitlich über mehrere Veranlagungszeiträume gestreckt wird, grundsätzlich gebilligt wurde, ausgeführt, dass damit nicht zugleich über die Konstellation entschieden sei, dass "negative Einkünfte aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen" in einem solchen System "nicht mehr vorgetragen werden können". Darüber hinaus hat der [X.]. Senat des [X.] in seinem Vorlagebeschluss an das [X.] vom 6. September 2006 [X.] R 26/04 ([X.]E 214, 430, [X.] 2007, 167) hervorgehoben, dass die sog. Mindeststeuer durchaus den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG berühre; auch wenn in mehreren summarischen Verfahren nach § 69 Abs. 2 und 3 [X.]O wegen der die Veranlagungszeiträume übergreifenden Wirkung des Art. 3 Abs. 1 GG die Norm als verfassungsgemäß angesehen worden sei, sei nicht zu verkennen, dass die Begrenzung des vertikalen [X.] (im dortigen Streitfall durch § 2 Abs. 3 EStG 2002) trotz der Streckung der Verlustverrechnung nicht nur bei einer kleinen Zahl von Steuerpflichtigen mit gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu nennenswerten [X.] führen könne. Auch bestehe naturgemäß keine Gewissheit, die Verluste in Zukunft verrechnen zu können.

e) In der Literatur wird die sog. Mindestbesteuerung teilweise für verfassungskonform gehalten (z.B. [X.] in [X.], EStG, 9. Aufl., § 10d Rz 4; Schlenker in [X.], EStG/[X.]/ [X.], § 10d EStG Rz 6; [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/ [X.], [X.], § 10d Rz 6; [X.], Die Wirtschaftsprüfung --WPg-- 2004, 467, 468): Die im Einzelfall eintretende Einschränkung des objektiven Nettoprinzips habe der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot in vertretbarer Weise ausgestaltet, da sich Beschränkungen des Verlustvortrags in [X.] oder zeitlicher Hinsicht jedenfalls im Grundsatz als verfassungskonform erwiesen hätten. Dem wird von anderer Seite entgegengehalten, die durch die "Deckelung" des [X.] bewirkte zeitliche Streckung des [X.] sei schon "als solche" verfassungswidrig (s. z.B. [X.], [X.] der Verlustverrechnung im [X.] Steuerrecht, 2010, [X.] ff., 355 ff.; [X.], Die Verlustverrechnungsbeschränkungen des Einkommensteuergesetzes im Lichte der Verfassung, 2006, [X.] ff.; [X.] in Tipke/[X.], Steuerrecht, 20. Aufl., § 9 Rz 66; [X.]/ [X.], Steuer und Wirtschaft --StuW-- 2005, 3, 21 ff.; [X.], Betriebs-Berater --[X.]-- 2004, 2720, 2723 f.; [X.] in [X.] [Hrsg.], Verluste im nationalen und Internationalen Steuerrecht, 2004, [X.], 60 f.; [X.] in von [X.] [Hrsg.], Verluste im Steuerrecht, Veröffentlichungen der [X.] [2005], S. 11, 34; [X.] in Korn, EStG, § 10d [X.]). Andere [X.] nehmen einen Verfassungsverstoß der sog. Mindestbesteuerung nur in den Fällen an, in denen ein Verlust nicht nur zeitlich gestreckt, sondern von einer Wirkung auf die Ermittlung des Einkommens endgültig ausgeschlossen wird ("[X.]", s. z.B. [X.] in [X.]/[X.]/ [X.], EStG/[X.], § 10d EStG [X.]; [X.], [X.], Band 28, [X.], 74 ff.; [X.], [X.] --[X.]-- 2007, 281, 283 ff.; wohl auch [X.]/[X.], [X.], 53, 63 f.; [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/[X.] [Hrsg.], Verluste im Steuerrecht, 2010, [X.]), wobei insoweit auch eine verfassungskonforme Reduktion des Wortlauts des § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. für möglich gehalten wird (z.B. [X.], [X.], Band 28, [X.], 78; [X.], [X.] 2007, 281, 285 f.). Solche Effekte können im Unternehmensbereich insbesondere auftreten bei der Liquidation körperschaftsteuerpflichtiger Unternehmen, soweit es sich um zeitlich begrenzt bestehende Projektgesellschaften handelt, aber auch etwa bei bestimmten Unternehmensgegenständen (z.B. bei langfristiger Fertigung) und in [X.] (s. [X.]/[X.], [X.], 3, 21 ff.; s.a. [X.], [X.], [X.] f.; [X.], [X.] 2005, 515, 530; [X.]/[X.], [X.] 2004, 53, 58 ff.; [X.], [X.] 2004, 2720, 2722 f.).

3. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 11. Februar 1998 [X.] ([X.]E 185, 393, [X.] 1998, 485) hervorgehoben, dass die Abzugsfähigkeit von Verlusten nicht in ihrem Kernbereich betroffen und gänzlich ausgeschlossen sein dürfe (s.a. Senatsurteil vom 5. Juni 2002 [X.]/00, [X.]/NV 2002, 1549). Diesem Maßstab wird § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. --bei der im Verfahren auf Gewährung von AdV gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und [X.] dann nicht gerecht, wenn ein sog. Definitiveffekt eintritt.

a) Die Grundkonzeption der zeitlichen Streckung des [X.] dürfte auch angesichts des Zins- bzw. Liquiditätsnachteils den verfassungsrechtlichen Anforderungen noch entsprechen. Insoweit entnimmt der Senat der neueren Rechtsprechung des [X.]s eine Unterscheidung zwischen temporären und endgültigen Steuereffekten (s. den [X.]-Beschluss vom 12. Mai 2009  2 BvL 1/00, [X.]E 123, 111; s.a. das [X.]-Urteil vom 25. Februar 2010 IV R 37/07, [X.]E 229, 122, [X.] 2010, 784). Wenn sich danach der maßgebliche Zeitpunkt der einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung eines gewinnmindernden Aufwands, also das Wann, nicht das Ob der Besteuerung, nicht mit Hilfe des Maßstabs wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit oder des objektiven Nettoprinzips bestimmen lässt, dürfte eine "Verluststreckung" verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein. Dabei wird es auch innerhalb der gesetzgeberischen Typisierungsbefugnis (z.B. [X.]-Beschluss vom 17. November 2009 1 BvR 2192/05, [X.], 326) liegen, dass die zeitliche Streckung des Verlustvortrags das Risiko für den einkommenswirksamen Abzug des Verlustes erhöht, da "naturgemäß keine Gewissheit besteht, die Verluste in Zukunft verrechnen zu können" (Senatsurteil in [X.]E 225, 566; [X.] in [X.]E 214, 430, [X.] 2007, 167). Diesem Ergebnis dürfte auch die Existenz verschiedener gesetzlicher Regelungen ("abstrakt") nicht entgegenstehen, die als Rechtsfolge eine "Vernichtung" von [X.] in bestimmten Fallsituationen vorsehen (z.B. im Zuge einer Anteilsübertragung: § 8c [X.] 2002 n.F.); eher dürfte (umgekehrt) die Existenz der sog. Mindestbesteuerung dazu geeignet sein, den belastenden Effekt jener Regelungen aufzuzeigen (z.B. [X.], [X.] 2007, 1303, 1306). Dies gilt sinnentsprechend z.B. auch für die Situation der Beendigung der persönlichen Steuerpflicht angesichts der fehlenden Möglichkeit der "Verlustvererbung" ([X.] in [X.]E 220, 129, [X.] 2008, 608).

b) Diese Grenze zum Kernbereich der Gewährleistung eines [X.] könnte aber überschritten sein, wenn auf der Grundlage eines inneren Sachzusammenhangs bzw. einer Ursachenidentität der sog. Mindestbesteuerung ("konkret") die Wirkung zukommt, den Verlustabzug gänzlich auszuschließen.

In diesem Zusammenhang hat das [X.] München in seinem ([X.] vom 31. Juli 2008  8 V 1588/08 (Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 2008, 1736) bei der Anwendung des § 10a [X.] 2002 auf eine "Übermaßbesteuerung" und einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG erkannt, soweit durch einen Gesellschafterwechsel bei einer Personengesellschaft zwar einerseits ein außerordentlicher Gewerbeertrag i.S. des § 7 Satz 2 Nr. 2 [X.] 2002 besteuert, andererseits der zum 31. Dezember des Vorjahres festgestellte vortragsfähige [X.] nur eingeschränkt zum Ausgleich zugelassen wurde; der Steuerpflichtige werde auf die Möglichkeit des späteren [X.] verwiesen, obgleich feststehe, dass dieser infolge der Veräußerung des Mitunternehmeranteils nicht mehr in Betracht komme. Die Finanzverwaltung zieht aus diesem Beschluss keine weitergehenden Folgerungen (s. Schreiben des [X.] --BMF-- vom 5. Januar 2009, Der Betrieb 2009, 877). Auch sie verzichtet in [X.] aber --allerdings antragsgebunden und aus Billigkeits-, nicht aus Rechtsgründen (ebenso [X.] Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. Juni 2010  6 [X.]/06 B, nicht veröffentlicht)-- bis zur Höhe des (durch den Erlass von Schulden veranlassten) [X.] auf die Beschränkung der Verlustverrechnung durch die sog. Mindestbesteuerung (BMF-Schreiben vom 27. März 2003, [X.], 240 [X.]. 8; zur Rechtsverbindlichkeit dieses Schreibens bei unternehmensbezogenen Sanierungen s. [X.]-Urteil vom 14. Juli 2010 [X.]/08, [X.]E 229, 502).

c) Es ist nicht von vornherein auszuschließen, dass dieser Fallgruppe (s. zu b) gleichzustellen ist, wenn eine Verlustverrechnung aufgrund der Eigenheiten der Einkunftserzielung (z.B. zeitlich begrenzt tätige Objektgesellschaften) oder eines anderen "tatsächlichen oder rechtlichen Grundes" (s. insoweit [X.] in [X.]E 209, 379, [X.] 2005, 609) zum endgültigen Ausschluss der Verlustnutzungsmöglichkeit führt.

aa) Für die zuletzt genannte Situation ist dabei die Prüfung nicht isoliert auf § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. zu beziehen, vielmehr kann diese Wirkung auch auf einer im konkreten Streitfall verwirklichten Verbindung mit anderen Rechtsvorschriften beruhen. In diesem Zusammenhang wird man es jedenfalls nach summarischer Prüfung nicht als entscheidungserheblich ansehen müssen, dass eine solche Rechtsfolge auf dem eigenständigen Willen des Steuerpflichtigen beruht (im Streitfall: Umstrukturierung; so aber offenbar [X.] München, Urteil vom 4. August 2010  1 K 608/07, nicht veröffentlicht); man wird allerdings Regelungen auszuschließen haben, die der Missbrauchsvermeidung dienen. Letzteres ist bei der im Streitfall einschlägigen Regelung des § 8c Abs. 1 [X.] 2002 n.F. (jedenfalls vor der für schädliche Beteiligungserwerbe nach dem 31. Dezember 2009 vollzogenen Einfügung der Sätze 6 und 7 durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom 22. Dezember 2009, [X.], 3950, [X.], 2) allerdings (und abweichend von der Vorgängerregelung des § 8 Abs. 4 [X.] 2002 a.F., vgl. Senatsurteil vom 27. August 2008 [X.], [X.]E 222, 568) nicht ohne weiteres anzunehmen.

bb) Insoweit geht es in der Sache um die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. im Streitjahr (z.B. [X.], [X.], Band 28, [X.], 78; [X.], [X.] 2007, 281, 285 f.; ablehnend z.B. [X.], a.a.[X.], S. 357; [X.]/[X.], [X.], 3, 14; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], a.a.[X.], § 10d EStG [X.]), die aufgrund der im Folgejahr eintretenden Rechtsfolge der "Verlustvernichtung" erforderlich wird.

Dieser möglichen Auslegung steht das gesetzgeberische Konzept der "Verluststreckung" nicht entgegen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der sog. Mindestbesteuerung deren überschießende Wirkung in einer Vielzahl von Fallsituationen (z.B. bei einer nachfolgenden Anteilsübertragung) bewusst in Kauf genommen hat (zweifelnd Wüllenkemper, E[X.] 2008, 1738, 1739). Die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs dürfte allein unter dem Gesichtspunkt einer "Verstetigung der Steuereinnahmen" --als Ausprägung des allgemeinen Fiskalzwecks jeder Steuer ([X.], a.a.[X.], [X.] nicht ausreichend sein (s. zum "Ziel der Einnahmenvermehrung" [X.]-Beschluss vom 6. Juli 2010  2 [X.], [X.], 1563; s.a. [X.], a.a.[X.], S. 269 ff., 273 ff., 278 f., 356; [X.]/[X.], [X.], 3, 10 f.; [X.], a.a.[X.], [X.] ff.; [X.], [X.] 2007, 281, 285). Auch ein Verstoß gegen das Prinzip der [X.] dürfte in dieser Restriktion des [X.] entgegen der Ansicht des [X.] nicht liegen, da --was die Existenz des Verlustvor- und -rücktrags (§ 10d EStG 2002 n.F.) anzeigt-- die ertragsteuerliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen insoweit durchaus abschnittsübergreifend ermittelt wird. [X.] ließe sich dieses Auslegungsergebnis durch die Beifügung eines Vorläufigkeitsvermerks i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung ([X.]) in den Fällen einer Besteuerung auf der Grundlage der sog. Mindestbesteuerung absichern. Denkbar wäre es auch, in der verlustabzugsschädlichen Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft ein auf den Veranlagungszeitraum des [X.] rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] zu sehen (so [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/[X.], a.a.[X.], [X.]).

4. Das [X.] hat daher im angefochtenen Beschluss zu Recht wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung eine AdV für das Streitjahr angeordnet. Dies gilt ungeachtet der Möglichkeit, den belastenden Eingriff im konkreten Fall auf das Jahr des endgültigen Ausschlusses des Verlustvortrags (das Folgejahr) zu beziehen und damit ausschließlich der --nach einer häufig in der Literatur vertretenen Ansicht (stellvertretend [X.] in [X.], [X.], 2. Aufl., § 8c Rz 26, m.w.N.) durchaus ebenfalls mit verfassungsrechtlichen Zweifeln behafteten-- Rechtswirkung des § 8c [X.] 2002 n.F. zuzuordnen.

Meta

I B 49/10

26.08.2010

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend FG Nürnberg, 17. März 2010, Az: 1 V 1379/2009, Beschluss

§ 8 Abs 1 KStG 2002, § 8c KStG 2002 vom 14.08.2007, § 10d Abs 2 S 1 EStG 2002 vom 22.12.2003, § 69 Abs 3 FGO, § 69 Abs 2 FGO, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.08.2010, Az. I B 49/10 (REWIS RS 2010, 3788)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3788

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