Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12.05.2011, Az. 5 C 17/10

5. Senat | REWIS RS 2011, 6761

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Ausgleichsleistung für auf besatzungshoheitlicher Grundlage entschädigungslos enteignetes Rittergut; Bemessungsgrundlage der Entschädigung; Auslegung von § 3 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 EntschG; Erlöschen der Verbindlichkeit


Leitsatz

Ein anderer Erlöschensgrund im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 2 EntschG ist auch das Erlöschen der Verbindlichkeit durch erbfolgebedingte Konfusion.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um den Abzug eines nachträglich durch Erbfolge erloschenen Ehegattendarlehens bei der Berechnung der Höhe eines Ausgleichsleistungsanspruchs.

2

Der Kläger ist einer von drei Erbeserben des Gutsbesitzers B., dem ein etwa 232 ha umfassendes Rittergut gehörte. Der Einheitswert des vorwiegend landwirtschaftlich geprägten Betriebes wurde zum 1. Januar 1940 mit 305 700 RM festgestellt. [X.] wurde im Zuge der Umsetzung der Verordnung vom 10. September 1945 über die landwirtschaftliche [X.] enteignet und in das Eigentum des [X.] überführt. Ausweislich des Jahresabschlusses für das Wirtschaftsjahr 1944/1945 lastete auf dem Rittergut u.a. eine Schuld zugunsten der Ehefrau des Gutsbesitzers in Höhe von 47 768,25 RM.

3

Der Gutsbesitzer wurde von seiner Ehefrau zu einem Viertel und seiner Tochter zu drei Vierteln beerbt. Alleinerbin der Ehefrau war die Tochter, die wiederum vom Kläger und seinen beiden Geschwistern jeweils zu einem Drittel beerbt wurde.

4

Mit Bescheid vom 18. Januar 2007 erkannte das [X.] zur Regelung offener Vermögensfragen die Ausgleichsberechtigung des Klägers und seiner Geschwister an und setzte die gekürzte Bemessungsgrundlage für [X.] auf 135 450,79 DM (= 69 254,89 €) fest. Dabei ging es vom dreifachen Einheitswert des Anwesens aus, von dem es sämtliche Verbindlichkeiten einschließlich der Ehegattenschuld abzog.

5

Auf die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, die gekürzte Bemessungsgrundlage für das Rittergut auf 142 616,02 DM (= 72 918,41 €) festzusetzen. Zwar seien nach § 3 Abs. 4 Satz 1 [X.] grundsätzlich alle langfristigen Verbindlichkeiten in Abzug zu bringen. Dies gelte aber nach § 3 Abs. 4 Satz 2 [X.] nur vorbehaltlich des Nachweises von Tilgungsleistungen oder anderer [X.] seitens des Berechtigten. [X.] eine langfristige Verbindlichkeit - wie hier - nachträglich durch die Vereinigung von Schuldner und Gläubiger in einer Person, sei dies aus verfassungsrechtlichen Gründen ebenfalls beachtlich. Denn das [X.]n beruhe nicht auf reinem Zeitablauf, sondern auf der Erbfolge, mithin auf dem Willen des Erblassers.

6

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 3 Abs. 4 Satz 1 und 2 [X.]. Das Verwaltungsgericht habe die nach der Schädigung eingetretene Vereinigung von Forderungsinhaber und Ausgleichsleistungsberechtigten zu Unrecht als einen anderen [X.] im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 2 [X.] angesehen.

7

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision, über die mit Einverständnis der [X.]eteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den [X.]eklagten ohne Verstoß gegen die bundesrechtliche Vorschrift des § 3 Abs. 4 [X.] dazu verpflichtet, bei der [X.]estimmung der Höhe der Ausgleichsleistung für [X.] die zum Zeitpunkt der Enteignung bestehende, später aber durch Erbfolge erloschene Ehegattenverbindlichkeit unberücksichtigt zu lassen.

9

1. Der Kläger kann als anteiliger Erbeserbe einen Anspruch auf Ausgleichsleistung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] für die Erbengemeinschaft geltend machen (§ 2039 Satz 1 [X.]G[X.]), weil sein Großvater das Rittergut auf besatzungshoheitlicher Grundlage im Zuge der [X.] durch entschädigungslose Enteignung verloren hat. Die Höhe der Ausgleichsleistung richtet sich gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 [X.] nach den §§ 1 bis 8 [X.]. Nach den für das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatrichterlichen Feststellungen lag entsprechend den damaligen Grundbucheintragungen ein landwirtschaftlich geprägter [X.]etrieb vor, so dass der [X.]eklagte bei der [X.]erechnung der [X.]emessungsgrundlage zutreffend nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] den dreifachen Einheitswert in Höhe von 917 100 RM angesetzt hat.

2. Von diesem [X.]etrag sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 4 Satz 1 [X.] langfristige Verbindlichkeiten, die im Zeitpunkt der Schädigung mit Vermögen im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 [X.] in wirtschaftlichem Zusammenhang standen oder an solchem Vermögen dinglich gesichert waren, in Höhe ihres zu diesem Zeitpunkt valutierenden [X.]etrages abzuziehen. Diese im [X.] bereits im Regierungsentwurf zum [X.] ([X.]TDrucks 12/4887 S. 8) enthaltene Regelung wurde damit begründet, "dass nur der Nettowert eines Vermögensgegenstandes die Höhe der Entschädigung bestimmen" könne ([X.]TDrucks 12/4887 [X.]). Denn wirtschaftlich betrachtet waren die Enteignungsbetroffenen nur in diesem Umfang entreichert. Daher hat der [X.]eklagte nach der Grundregel des § 3 Abs. 4 Satz 1 [X.] verschiedene hier nicht im Streit stehende [X.]etriebsdarlehen in Höhe von 312 993,18 RM von der [X.]emessungsgrundlage abgezogen. Auch bei der umstrittenen Forderung der Ehefrau des Gutsbesitzers in Höhe von 47 768,25 RM handelte es sich nach den bindenden tatrichterlichen Feststellungen des [X.] nicht um eine stille Einlage, sondern um eine betriebsbezogene Verbindlichkeit, die - wie das [X.] bereits zu § 12 des Gesetzes über die Feststellung von Vertreibungsschäden und [X.] (Feststellungsgesetz - [X.]) entschieden hat (vgl. Urteil vom 6. Juli 1967 - [X.]VerwG 3 [X.] 28.65 - [X.] § 12 [X.] Nr. 36 S. 94 f.) - auch als langfristige Verbindlichkeit angesehen werden konnte.

3. Dem grundsätzlich vorgesehenen Abzug der [X.] steht allerdings im vorliegenden Fall § 3 Abs. 4 Satz 2 [X.] entgegen. Nach dieser Vorschrift gilt als valutierender [X.]etrag der Nennwert des früheren Rechts vorbehaltlich des Nachweises von Tilgungsleistungen oder anderer [X.] seitens des [X.]erechtigten. Die Norm verändert nicht nur die [X.]eweislast in [X.]ezug auf den noch offenen "valutierenden" [X.]etrag und dient damit der Verwaltungsvereinfachung (vgl. [X.]eschluss vom 22. Juni 2006 - [X.]VerwG 5 [X.] 62.06 - juris Rn. 3 f.; [X.]TDrucks 12/7588 S. 7). § 3 Abs. 4 Satz 2 [X.] ist darüber hinaus als Ausnahmeregelung zu § 3 Abs. 4 Satz 1 [X.] zu verstehen, die den Nachweis von "Tilgungsleistungen oder anderer Erlöschensgründe seitens des [X.]erechtigten" auch in dem Zeitraum nach der Schädigung (Enteignung) bis zur Entscheidung über die Anrechnung zulässt.

Der Wortlaut des § 3 Abs. 4 [X.] schließt - wie das [X.]undesverfassungsgericht (Urteil vom 22. November 2000 - 1 [X.]vR 2307/94 u.a. - [X.]VerfGE 102, 254 <327>) ausgeführt hat - eine solche Auslegung nicht aus. Satz 1 der Vorschrift knüpft zwar für den ursprünglichen [X.]estand, die dingliche Sicherung und die ursprüngliche Höhe der jeweiligen Altverbindlichkeit an den Zeitpunkt der Schädigung an. Satz 2 lässt aber den Nachweis von Tilgungsleistungen und anderen Erlöschensgründen zu, ohne für diese einen bestimmten Zeitpunkt oder eine zeitliche Grenze zu bestimmen.

Ein solches Verständnis ist auch im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichbehandlung der [X.] geboten. Denn der in § 3 Abs. 4 Satz 1 [X.] vorgesehene Abzug der Verbindlichkeiten geht von der Überlegung aus, dass der Geschädigte mit der Enteignung des Vermögenswertes in der Regel auch von den damit verbundenen [X.]elastungen und Verbindlichkeiten frei geworden ist. Ist dies ausnahmsweise nicht der Fall, kann es zu der vom [X.]undesverfassungsgericht (a.a.[X.]) beanstandeten doppelten [X.]enachteiligung kommen, dass der Geschädigte zum einen mit der Verbindlichkeit weiter belastet bleibt und zum anderen wegen der Anrechnung der Verbindlichkeit auf die [X.]emessungsgrundlage eine geringere Entschädigung oder Ausgleichsleistung erhält. Eine solche Doppelbelastung würde nicht nur - wie den tragenden Gründen der genannten Entscheidung des [X.]undesverfassungsgerichts zu entnehmen ist - das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Gebot der Gleichbehandlung verletzen, sondern wäre auch mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Gebot der materiellen Gerechtigkeit unvereinbar (vgl. Urteil vom 31. Juli 1973 - [X.]VerwG 3 [X.] 151.69 - [X.]VerwGE 44, 23 <26> zu § 8 [X.][X.]). Deshalb sind bei verfassungskonformer Auslegung des § 3 Abs. 4 Satz 2 [X.] Tilgungsleistungen oder andere Erlöschensgründe auch dann beachtlich, wenn sie nach der Schädigung bis zum Zeitpunkt der Anrechnung erbracht worden oder eingetreten sind ([X.]VerfG, Urteil vom 22. November 2000 a.a.[X.] S. 327).

Der Wortlaut des § 3 Abs. 4 Satz 2 [X.] und das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot verlangen allerdings nur die [X.]erücksichtigung nachträglicher Tilgungsleistungen und Erlöschensgründe, die ihre Ursache in der Rechtssphäre des [X.] haben. In dem ebenfalls denkbaren Fall, dass eine Schuld ohne Zutun des [X.]etroffenen nachträglich erlischt, verlangt das Gleichbehandlungsgebot mangels Doppelbelastung keine unterschiedliche [X.]ehandlung bei der Entschädigung.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass im Ergebnis nur nachträgliche Tilgungsleistungen des [X.] [X.]erücksichtigung finden. Denn § 3 Abs. 4 Satz 2 [X.] stellt "Tilgungsleistungen oder andere Erlöschensgründe seitens des [X.]erechtigten" gleichwertig nebeneinander. Auch andere nachträglich eintretende Erlöschensgründe sind danach zu beachten, wenn sie ihre Ursache in der Rechtssphäre des [X.]erechtigten haben und dort ein Vermögensverlust festzustellen ist. Denn auch in diesem Fall liegt eine gegen das Gebot der materiellen Gerechtigkeit und auf Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende ungleiche Doppelbelastung vor. [X.] beispielsweise eine dem Entschädigungs- oder Ausgleichsleistungsberechtigten nahestehende Person die Verbindlichkeit, geschieht dies regelmäßig mit Zuwendungsabsicht gegenüber dem [X.]erechtigten, so dass dies einer Tilgungsleistung durch den [X.]erechtigten gleichstehen muss.

Auch der hier vorliegende Fall eines Erlöschens der Verbindlichkeit durch erbfolgebedingte Konfusion gründet in der Sphäre des [X.]erechtigten. Wirtschaftlich betrachtet tritt mit der Annahme der Erbschaft bei dem nun wiedergutmachungsberechtigten Erben ein Verlust der Forderung ein. Dieser ist unabhängig davon, ob die Konfusion aktiv durch testamentarische Erbfolgeregelung herbeigeführt oder passiv durch Eintritt der gesetzlichen Erbfolge hingenommen wurde. Denn die Vermögenseinbuße beruht auf der Annahme der Erbschaft. Soweit der Erbe mit der Annahme der Erbschaft auf eine eigene betriebsbezogene Forderung verzichtet, ist dies wirtschaftlich betrachtet ebenso ein Vermögensopfer, wie wenn er nach Antritt des Erbes eine betriebsbezogene Verbindlichkeit eines [X.] tilgt. Dieser Vermögensverlust bewirkt eine andere Entschädigungsberechtigte nicht anzutreffende Doppelbelastung, die im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG einen Abzug der Schuld hindert.

Diese Auslegung führt auch nicht - wie der [X.]eklagte meint - zu einer im [X.] nicht vorgesehenen Entschädigung mittelbar [X.]etroffener. Entschädigt wird der Kläger hier nicht mittelbar als Erbe der Darlehensforderung, sondern unmittelbar als Erbe des (durch das Erlöschen der als solche nicht entschädigungsfähigen Darlehensforderung) wieder unbelasteten Ritterguts.

Meta

5 C 17/10

12.05.2011

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend VG Leipzig, 24. Februar 2010, Az: 1 K 604/09, Urteil

§ 3 Abs 4 S 1 EntschG, § 3 Abs 4 S 2 EntschG, § 3 Abs 1 S 1 Nr 1 EntschG, § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 EntschG, § 2 Abs 1 S 2 AusglLeistG, § 1 Abs 1 S 1 AusglLeistG, § 1 Abs 2 AusglLeistG, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12.05.2011, Az. 5 C 17/10 (REWIS RS 2011, 6761)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6761

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 C 18/09 (Bundesverwaltungsgericht)

Ausgleichsleistungen für ein von Demontagen betroffenes Unternehmen; Bemessungsgrundlage


5 C 19/09 (Bundesverwaltungsgericht)


5 B 36/14 (Bundesverwaltungsgericht)

Ausgleichsleistungen; Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde


5 C 18/10 (Bundesverwaltungsgericht)

Ausgleichsleistung für Reparationsschäden; Bemessung der Höhe von Unternehmensentschädigungen; Berücksichtigung von nicht ausgleichsfähigen Verlusten


1 BvR 2307/94, 1 BvR 1120/95, 1 BvR 1408/95, u.a. (Bundesverfassungsgericht)

Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz über die Wiedergutmachung von Enteigungsunrecht


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

1 BvR 2307/94

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.