Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11.12.2018, Az. 1 ABR 12/17

1. Senat | REWIS RS 2018, 624

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Gegenstand

Betriebsvereinbarung - allgemeines Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer


Leitsatz

Eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung, nach der ein Arbeitgeber zu einem Personalgespräch, das er mit einem Arbeitnehmer führt, bevor er aufgrund eines diesem vorgeworfenen Fehlverhaltens eine arbeitsrechtliche Maßnahme ergreift, gleichzeitig auch den Betriebsrat zu laden hat, ist nach § 75 Abs. 2 BetrVG unwirksam.

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des [X.] vom 25. Oktober 2016 - 8 [X.]/16 - aufgehoben.

2. Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des [X.] vom 16. Juni 2016 - 2 [X.] - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die [X.]eteiligten streiten über die Einladung des [X.]etriebsrats zu [X.], die „disziplinarische“ Maßnahmen zum Gegenstand haben.

2

Der Arbeitgeber betreibt in [X.] ein [X.]erufsförderungswerk mit etwa 300 Mitarbeitern. Dort ist der antragstellende [X.]etriebsrat gebildet. Die [X.]eteiligten haben am 1. August 2002 eine „Rahmenbetriebsvereinbarung zur Unternehmens- [X.]rganisations- und Personalentwicklung“ ([X.]) geschlossen. Diese gilt nach ihrem § 1 [X.]uchst. b „sachlich für den Prozess der Unternehmens-, [X.]rganisations- und Personalentwicklung im [X.]FW [X.]“. § 4 Nr. 4.1 und § 6 [X.] lauten:

        

§ 4   

        

[X.]eteiligung des [X.]etriebsrates

        

4.1     

        

Zu Gesprächen, die im Rahmen des Prozesses zur Unternehmens- [X.]rganisations- und Personalentwicklung zwischen Geschäftsleitung, Abteilungsleitung und den Arbeitnehmern stattfinden, in denen es sich um disziplinarische (arbeitsrechtliche) Maßnahmen handelt, wird der [X.]etriebsrat gleichzeitig zu Gesprächen eingeladen.

        

Unter disziplinarischen Maßnahmen verstehen wir:

        

●       

Ermahnungen

        

●       

Abmahnungen

        

●       

Verwarnungen

        

●       

Kündigungsbegehren

        

●       

Versetzungen

        

Der Mitarbeiter kann arbeitsrechtlich so entscheiden, dass er dieses Gespräch ohne [X.]eteiligung eines [X.]etriebsratsmitgliedes führen möchte.

        

[X.]ei Nichtbeachtung der ordnungsgemäßen Einladung des [X.]etriebsrates und des Arbeitnehmers hat das Gespräch keine arbeitsrechtliche Konsequenz.

        

…       

        

§ 6     

        

Streitfälle

        

[X.]ei Streitfällen wird zur Vermeidung des Rechtsweges eine paritätisch besetzte [X.] mit jeweils 2 Teilnehmern eingesetzt, die eine Mehrheitsentscheidung trifft.“

3

Nach einer zwischen den [X.]eteiligten vereinbarten Verfahrensregelung zur Einhaltung des „§ 4.1“ [X.] vom 1. August 2002 obliegt es dem [X.]etriebsrat, den Arbeitnehmer über sein Recht auf Gesprächsführung ohne [X.]eteiligung des [X.]etriebsrats zu informieren. Wünscht der Arbeitnehmer keine Gesprächsteilnahme des [X.]etriebsrats, hat er dies durch Unterzeichnung eines entsprechenden Vordrucks zu erklären.

4

Seit dem Abschluss der [X.] verfuhren die [X.]eteiligten bei jährlich etwa 20 Mitarbeitergesprächen nach deren Vorgaben. Über Inhalt und Anlass des bevorstehenden Gesprächs informierte der Arbeitgeber den [X.]etriebsrat nicht.

5

Ende [X.]ktober 2015 teilte der Arbeitgeber dem [X.]etriebsrat mit, die Regelung in § 4 Nr. 4.1 Satz 1 [X.] verstoße gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer. Seitdem lud er den [X.]etriebsrat nicht mehr zu [X.] ein, sondern informierte den betroffenen Arbeitnehmer darüber, dass er nach Wunsch ein Mitglied des [X.]etriebsrats zum Gespräch hinzuziehen könne.

6

Der [X.]etriebsrat begehrt vom Arbeitgeber die Durchführung von § 4 Nr. 4.1 Satz 1 [X.]. Er macht geltend, die Regelung sei wirksam. Die Einladung des [X.]etriebsrats solle die Unterstützung der Mitarbeiter in den von der Norm erfassten [X.] sicherstellen. Sein Recht eingeladen zu werden, beschränke sich auch nicht auf [X.], die im Rahmen eines Prozesses der Unternehmens-, [X.]rganisations- und Personalentwicklung stattfänden.

7

Der [X.]etriebsrat hat sinngemäß beantragt,

        

dem Arbeitgeber aufzugeben, ihn entsprechend § 4 Nr. 4.1 der [X.]etriebsvereinbarung zur Unternehmens-, [X.]rganisations- und Personalentwicklung zu Gesprächen einzuladen, die disziplinarische Maßnahmen von Arbeitnehmern zum Gegenstand haben.

8

Die Arbeitgeberin hat die Abweisung des Antrags begehrt.

9

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des [X.]etriebsrats abgewiesen. Das [X.] hat ihm auf die [X.]eschwerde des [X.]etriebsrats entsprochen. Der Arbeitgeber erstrebt mit seiner Rechtsbeschwerde die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

[X.]. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers hat Erfolg. Der zulässige Antrag des [X.]etriebsrats ist unbegründet.

I. Der Antrag ist - in der gebotenen Auslegung - zulässig.

1. Wie sich aus der [X.]ezugnahme auf § 4 Nr. 4.1 [X.] im Antrag ergibt, begehrt der [X.]etriebsrat die Einladung zu Gesprächen, die auf Initiative des Arbeitgebers zwischen der [X.] und einem Arbeitnehmer stattfinden und deren Gegenstand eine vom Arbeitgeber beabsichtigte „disziplinarische“ Maßnahme iSd. § 4 Nr. 4.1 Satz 2 [X.] ist. Sowohl die Formulierung „disziplinarisch“ als auch die ersten drei in § 4 Nr. 4.1 Satz 2 [X.] genannten Maßnahmen zeigen, dass es sich - auch soweit „Kündigungsbegehren“ und „Versetzungen“ betroffen sind - nur um solche Maßnahmen handeln soll, mit denen der Arbeitgeber ggf. auf ein mögliches Fehlverhalten der Arbeitnehmer reagieren will. Da die Regelung in § 4 Nr. 4.1 [X.] darauf abzielt, dem Arbeitnehmer vor einem etwaigen Ausspruch einer „disziplinarischen“ Maßnahme Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, muss sich der Inhalt des Gesprächs auf ein Verhalten des Arbeitnehmers beziehen, auf welches der Arbeitgeber ggf. mit einer solchen Maßnahme reagieren möchte. Der Vortrag des [X.]etriebsrats zeigt, dass sich sein Antragsbegehren dabei auf alle [X.] bezieht, die diese Voraussetzungen erfüllen, unabhängig davon, ob sie „im Rahmen des Prozesses zur Unternehmens-, [X.]rganisations- und Personalentwicklung“ erfolgen.

2. Mit diesem [X.] ist der Leistungsantrag des [X.]etriebsrats hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZP[X.]. Im Fall eines stattgebenden [X.]eschlusses ist die Leistung so genau bezeichnet, dass der Arbeitgeber ohne Weiteres erkennen kann, durch welche Verhaltensweisen er dem [X.] nachkommen kann; der [X.]eschluss ist in diesem Sinn vollstreckungsfähig (vgl. [X.] 24. April 2018 - 1 [X.] - Rn. 19).

3. Dem [X.]etriebsrat steht nach § 77 Abs. 1 Satz 1 [X.] die erforderliche Antragsbefugnis für sein auf die Durchführung von § 4 Nr. 4.1 Satz 1 [X.] gestütztes Leistungsbegehren zu.

4. Der Antrag ist auch nicht deshalb unzulässig, weil die [X.]eteiligten nicht zunächst das in § 6 [X.] vereinbarte Verfahren durchgeführt haben (zur Prüfung einer solchen Verfahrensvoraussetzung vgl. [X.] 23. Februar 2016 - 1 [X.] - Rn. 21; 11. Februar 2014 - 1 [X.] - Rn. 13).

a) Haben sich die [X.]etriebsparteien verpflichtet, zur Klärung einer betriebsverfassungsrechtlichen Meinungsverschiedenheit erst eine innerbetriebliche Einigung in einem von ihnen vereinbarten Verfahren zu versuchen, ist ein hierauf gerichteter Antrag im [X.]eschlussverfahren unzulässig, solange das vereinbarte Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt worden ist. Dies gilt auch, wenn Gegenstand der [X.] innerbetrieblichen Schlichtungsstelle keine Regelungs-, sondern eine Rechtsfrage ist (vgl. [X.] 23. Februar 2016 - 1 [X.] - Rn. 21 mwN).

b) Zwar erfasst § 6 [X.] aufgrund seiner sprachlichen Fassung („Streitfälle“) auch den vorliegenden Streit der [X.]etriebsparteien über die Wirksamkeit und die Reichweite von § 4 Nr. 4.1 Satz 1 [X.]. Dennoch war der [X.]etriebsrat nicht gehalten, vor Anrufung der Gerichte für Arbeitssachen das Verfahren nach § 6 [X.] durchzuführen. Die Regelung ist unwirksam. Sie sieht keinen Konfliktlösungsmechanismus vor, wenn die paritätisch besetzte [X.] nicht zu einer Mehrheitsentscheidung gelangt. In einem solchen Fall wäre einer [X.]etriebspartei eine Anrufung der Gerichte gegen den Willen der anderen [X.]etriebspartei dauerhaft unmöglich. Der damit verbundene Ausschluss der Gerichte für Arbeitssachen verstößt gegen § 4 ArbGG.

II. Der Antrag des [X.]etriebsrats ist jedoch unbegründet. Der [X.]etriebsrat kann vom Arbeitgeber nicht verlangen, ihn nach § 4 Nr. 4.1 Satz 1 [X.] zu allen [X.] einzuladen, die sich auf eine mögliche „disziplinarische“ Maßnahme beziehen. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die [X.] gegen das Gebot der [X.]estimmtheit und der Normenklarheit (vgl. dazu auch [X.] 11. März 2008 - 1 [X.]vR 2074/05 - und - 1 [X.]vR 1254/07 - Rn. 93 bis 97 mwN, [X.]E 120, 378; [X.] 26. Mai 2009 - 1 [X.] - Rn. 17) verstößt, weil ihr sachlicher Geltungsbereich gemäß § 1 [X.]uchst. b [X.] („Prozess der Unternehmens-, [X.]rganisations- und Personalentwicklung“) auch durch Auslegung nicht näher ermittelbar ist. Denn jedenfalls sind die Regelungen in § 4 Nr. 4.1 Satz 1 und Satz 3 [X.] wegen Verstoßes gegen § 75 Abs. 2 [X.] iVm. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG unwirksam. Die [X.]etriebsparteien haben mit dem dort geregelten Verfahren die ihnen nach § 75 Abs. 2 Satz 1 [X.] obliegende Pflicht verletzt, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im [X.]etrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern.

1. Nach dieser [X.]estimmung haben die [X.]etriebsparteien beim Abschluss von [X.]etriebsvereinbarungen das aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht zu beachten. Dieses gewährleistet Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden [X.]edeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst insbesondere die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende [X.]efugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (vgl. [X.] 19. September 2018 - 2 [X.], 2 [X.] - Rn. 219; 15. Dezember 1983 - 1 [X.] - zu [X.] 1 a der Gründe, [X.]E 65, 1). Außerhalb des absoluten Kernbereichs privater Lebensgestaltung wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht in den Schranken der verfassungsmäßigen [X.]rdnung garantiert. Es kann deshalb durch verfassungsgemäße Gesetze eingeschränkt werden. Derartige Regelungen können auch die von den [X.]etriebsparteien im Rahmen ihrer Regelungskompetenz geschlossenen [X.]etriebsvereinbarungen enthalten. Der Gesetzgeber genügt insoweit seiner Pflicht, die Arbeitnehmer als Grundrechtsträger vor einer unverhältnismäßigen [X.]eschränkung ihrer Grundrechte durch [X.] zu bewahren, indem er die [X.]etriebsparteien in § 75 Abs. 2 Satz 1 [X.] verpflichtet, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im [X.]etrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen ([X.] 15. April 2014 - 1 [X.] ([X.]) - Rn. 40 mwN, [X.]E 148, 26).

2. Das zulässige Maß einer [X.]eschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugunsten schützenswerter [X.]elange eines Grundrechtsträgers richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser verlangt eine Regelung, die geeignet, erforderlich und unter [X.]erücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Den [X.]etriebsparteien dürfen zur Zielerreichung keine anderen, gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer weniger einschränkende Mittel zur Verfügung stehen. Eine Regelung ist verhältnismäßig im engeren Sinn, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht (vgl. [X.] 15. April 2014 - 1 [X.] ([X.]) - Rn. 41 mwN, [X.]E 148, 26).

3. Die in § 4 Nr. 4.1 Satz 1 und Satz 3 [X.] geregelte Einladung des [X.]etriebsrats und das daran anknüpfende Verfahren zur [X.]eteiligung eines Mitglieds des [X.]etriebsrats an dem vor Ausspruch einer „disziplinarischen“ Maßnahme iSv. § 4 Nr. 4.1 Satz 2 [X.] obligatorischen Personalgespräch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beeinträchtigen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der zum Gespräch geladenen Arbeitnehmer.

a) [X.] iSv. § 4 Nr. 4.1 [X.] dient der Vorbereitung einer „disziplinarischen“ Maßnahme, der typischerweise ein vom Arbeitgeber beanstandetes Verhalten des Arbeitnehmers zugrunde liegt. Da die Einladung an den [X.]etriebsrat als Gremium gerichtet ist, wird die Information einer drohenden „disziplinarischen“ Maßnahme aufgrund eines (etwaigen) fehlerhaften Verhaltens des Arbeitnehmers allen Mitgliedern des [X.]etriebsrats bekannt. Weil die Einladung des [X.]etriebsrats nach § 4 Nr. 4.1 Satz 1 [X.] „gleichzeitig“ zu erfolgen hat, hängt es weder vom Willen des Arbeitnehmers ab, ob der [X.]etriebsrat überhaupt von dem konkret bevorstehenden Gespräch erfährt, noch kann er selbst bestimmen, welches oder welche Mitglieder des [X.]etriebsrats hiervon ggf. Kenntnis erlangen sollen.

b) Darüber hinaus sieht § 4 Nr. 4.1 [X.] - anders als vom [X.]etriebsrat angenommen - nicht vor, dass der betroffene Arbeitnehmer selbst entscheiden kann, welches [X.]etriebsratsmitglied seines Vertrauens er zum Gespräch hinzuzieht. Weder der Wortlaut dieser Norm noch ihre Systematik lassen den Schluss darauf zu, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch darauf hat, das am Gespräch teilnehmende [X.]etriebsratsmitglied selbst zu bestimmen. Vielmehr richtet sich die Einladung zum Gespräch nach § 4 Nr. 4.1 Satz 1 und Satz 4 [X.] an den gesamten [X.]etriebsrat. Dieser kann daher im Rahmen seines ihm obliegenden Auswahlermessens dasjenige Mitglied bestimmen, welches sich am Gespräch beteiligt. Das dem Arbeitnehmer in § 4 Nr. 4.1 Satz 3 [X.] eingeräumte Wahlrecht beschränkt sich lediglich auf die [X.]efugnis, das Gespräch ohne jegliche [X.]eteiligung eines [X.]etriebsratsratsmitglieds zu führen. Es beinhaltet jedoch nicht das Recht, es nur mit einem bestimmten - vom Arbeitnehmer ausgewählten - [X.]etriebsratsmitglied zu führen.

4. Die durch § 4 Nr. 4.1 Satz 1 und Satz 3 [X.] bewirkte [X.]eeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der betroffenen Arbeitnehmer ist gemessen am Zweck der [X.]etriebsratsbeteiligung nicht verhältnismäßig.

a) § 4 Nr. 4.1 [X.] verpflichtet den Arbeitgeber, mit dem betroffenen Arbeitnehmer vor Ausspruch einer „disziplinarischen“ Maßnahme zunächst ein Gespräch zu führen. Dem Arbeitnehmer soll damit Gelegenheit gegeben werden, zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen. Dadurch erhält er die Möglichkeit, ein ihm ggf. zur Last gelegtes Fehlverhalten auszuräumen oder entlastende Umstände vorzubringen und damit die vom Arbeitgeber beabsichtigte Maßnahme entweder gänzlich zu verhindern oder diese zumindest abzumildern. Als Unterstützung in einer Situation struktureller Unterlegenheit des Arbeitnehmers und ggf. zu dessen [X.]eratung wollten die [X.]etriebsparteien ihm hierbei ein Mitglied des [X.]etriebsrats zur Seite stellen. Auch kann dem am Gespräch beteiligten [X.]etriebsratsmitglied im Hinblick auf das vom Arbeitgeber vorgebrachte Fehlverhalten des Arbeitnehmers eine wichtige Kontroll- und Korrekturfunktion zukommen. Zudem wird durch seine Teilnahme sichergestellt, dass für den Arbeitnehmer eine Person als Zeuge zugegen ist (vgl. hierzu auch [X.] 16. November 2004 - 1 A[X.]R 53/03 - Rn. 24, [X.]E 112, 341).

b) Im Hinblick auf diesen Zweck sind die Regelungen in § 4 Nr. 4.1 Satz 1 und Satz 3 [X.] - ihre Geeignetheit unterstellt - weder erforderlich noch angemessen.

aa) Um dem Arbeitnehmer dem bei der Führung des obligatorischen Personalgesprächs gebotenen Schutz zu gewährleisten, ist die in § 4 Nr. 4.1 Satz 1 und Satz 3 [X.] vorgesehene Verfahrensweise nicht erforderlich. Eine im Interesse des Arbeitnehmers liegende Teilnahme eines [X.]etriebsratsmitglieds am Personalgespräch ist auch dann hinreichend gewährleistet, wenn dem betroffenen Arbeitnehmer ein Recht auf Hinzuziehung eines bestimmten [X.]etriebsratsmitglieds eingeräumt und er hierauf in der Einladung zum Gespräch hingewiesen wird. Dies zeigen die Regelungen in § 81 Abs. 4 Satz 3 und § 82 Abs. 2 Satz 2 [X.]. Nach dem sich aus diesen gesetzlichen Regelungen ergebenden Leitbild ist der durch die [X.]eteiligung eines [X.]etriebsratsmitglieds an den Erörterungen und Gesprächen des Arbeitgebers mit dem Arbeitnehmer über dessen berufliche Fähigkeiten und Leistungen vermittelte Schutz schon dann ausreichend sichergestellt, wenn die [X.] für die Hinzuziehung des [X.]etriebsratsmitglieds beim Arbeitnehmer liegt. Dies gilt - wie § 81 Abs. 4 Satz 3 [X.] erkennen lässt - auch dann, wenn eine Pflicht des Arbeitgebers zur Gesprächsführung mit dem Arbeitnehmer besteht.

bb) Darüber hinaus ist das in § 4 Nr. 4.1 [X.] geregelte Verfahren angesichts der Intensität der damit einhergehenden [X.]eeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer in mehrfacher Hinsicht nicht angemessen.

(1) Der Arbeitnehmer kann - anders als in § 81 Abs. 4 Satz 3, § 82 Abs. 2 Satz 2 und § 84 Abs. 1 Satz 2 [X.] vorgesehen - nicht selbst entscheiden, welches [X.]etriebsratsmitglied er als Person seines Vertrauens zum Gespräch hinzuziehen will. [X.] der [X.]etriebsrat ein Mitglied, in dessen Gegenwart der Arbeitnehmer - aus welchen Gründen auch immer - das Gespräch mit dem Arbeitgeber nicht führen möchte, hat er nur die Möglichkeit, dieses gänzlich abzulehnen. Dies steht im Widerspruch zu den Zielen, die die [X.]etriebsparteien mit der Gesprächsteilnahme des [X.]etriebsratsmitglieds verfolgen.

(2) Zudem übt die Umkehr der [X.] für die Hinzuziehung eines Mitglieds des [X.]etriebsrats Druck auf den Arbeitnehmer aus, wenn er sich gegen eine Teilnahme des [X.]etriebsrats am Gespräch aussprechen will. Nach dem gesetzlichen Leitbild in § 81 Abs. 4 Satz 3 und § 82 Abs. 2 Satz 2 [X.] hat es der Arbeitnehmer in der Hand zu entscheiden, ob er überhaupt ein Mitglied des [X.]etriebsrats zum Gespräch hinzuziehen möchte. Damit wird sichergestellt, dass er bei seiner Entscheidung nicht in [X.] gegenüber dem [X.]etriebsrat gerät, wenn er sich gegen dessen Unterstützung ausspricht. Die in § 4 Nr. 4.1 [X.] geregelte Verfahrensweise birgt demgegenüber die Gefahr, dass der Arbeitnehmer die Teilnahme eines [X.]etriebsratsmitglieds am Gespräch nur deshalb nicht ablehnt, weil er andernfalls befürchtet, der [X.]etriebsrat könnte annehmen, er bringe ihm kein Vertrauen (mehr) entgegen.

(3) Hinzu kommt, dass die [X.]etriebsparteien in § 4 Nr. 4.1 [X.] für das am Gespräch teilnehmende [X.]etriebsratsmitglied keine Pflicht zur Verschwiegenheit über dessen Inhalt geregelt haben. Die Vorschrift des § 79 Abs. 1 Satz 1 [X.] greift insoweit nicht. Auch eine analoge Anwendung von § 99 Abs. 1 Satz 3 und § 102 Abs. 2 Satz 5 [X.] bzw. - wie vom [X.] angenommen - von § 82 Abs. 2 Satz 3 [X.] scheidet aus. Eine solche setzt eine vom Normgeber unbeabsichtigt gelassene Lücke voraus, deren Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann (vgl. nur [X.] 27. Juni 2018 - 10 [X.] - Rn. 23). Hieran fehlt es.

c) Die verfahrensrechtlichen Regelungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) nach § 167 Abs. 2 SG[X.] IX gebieten keine andere [X.]ewertung. Auch im Rahmen des bEM darf die Hinzuziehung des [X.]etriebsrats nur mit vorheriger Einwilligung des Arbeitnehmers erfolgen (vgl. [X.] 22. März 2016 - 1 A[X.]R 14/14 - Rn. 11 und 30 mwN, [X.]E 154, 329). Unabhängig davon zielt das bEM darauf ab, eine bestehende und in aller Regel auch betriebsbekannte Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des [X.]eschäftigungsverhältnisses zu fördern (vgl. [X.] 7. Februar 2012 - 1 A[X.]R 46/10 - Rn. 21, [X.]E 140, 350). Damit dient dieses Verfahren anderen Zwecken als das typischerweise an ein pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmers anknüpfende Personalgespräch nach § 4 Nr. 4.1 [X.].

d) Entgegen der Ansicht des [X.]etriebsrats ergibt sich auch aus seinen Unterrichtungsrechten nach § 99 Abs. 1 Satz 1, § 102 Abs. 1 Satz 2 [X.] bei einer etwaigen nachfolgenden Versetzung oder Kündigung des Arbeitnehmers vorliegend nichts Gegenteiliges. Die genannten [X.]estimmungen treffen keine Aussage darüber, wie die Hinzuziehung eines [X.]etriebsratsmitglieds zu einem ggf. im Vorfeld einer solchen personellen Einzelmaßnahme zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber stattfindenden Gespräch ausgestaltet werden kann.

        

    Schmidt    

        

    K. Schmidt    

        

    Ahrendt    

        

        

        

    [X.]usch    

        

    Hann    

                 

Meta

1 ABR 12/17

11.12.2018

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Oberhausen, 16. Juni 2016, Az: 2 BV 9/16, Beschluss

§ 75 Abs 2 BetrVG, Art 2 Abs 1 GG, Art 1 Abs 1 GG, § 81 Abs 4 S 3 BetrVG, § 82 Abs 2 S 2 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11.12.2018, Az. 1 ABR 12/17 (REWIS RS 2018, 624)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 945-946 REWIS RS 2018, 624

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