Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 12.12.2012, Az. 5 AZR 858/12 (F)

5. Senat | REWIS RS 2012, 492

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Gegenstand

Anhörungsrüge - Verwerfliche Gesinnung beim Lohnwucher


Tenor

1. Die Rüge des Klägers gegen das Urteil des [X.] vom 27. Juni 2012 - 5 [X.] - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

1

I. Die Parteien haben über die Höhe der geschuldeten Vergütung gestritten. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat auf die Berufung des [X.] der Klage teilweise stattgegeben. Der [X.] hat auf die Revision der Beklagten mit Urteil vom 27. Juni 2012 (- 5 [X.] -), das dem Kläger am 6. September 2012 zugestellt worden ist, die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt. Dagegen richtet sich die auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gestützte Rüge des [X.].

2

[X.]. Die nach § 78a Abs. 2 ArbGG zulässige Anhörungsrüge ist unbegründet. Der [X.] hat den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör nicht verletzt.

3

1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessparteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die vom [X.]achgericht zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben ([X.] 14. Dezember 2010 - 6 [X.] - Rn. 25 mwN, [X.] ArbGG 1979 § 72a Rechtliches Gehör Nr. 16 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 126). Außerdem darf das Gericht seine Entscheidung nicht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielzahl von vertretbaren Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte ([X.] 17. [X.]ebruar 2004 - 1 BvR 2341/00 - zu [X.] 2 a der Gründe, [X.] 2004, 1050). Denn die Parteien müssen bei Anwendung der von ihnen zu verlangenden Sorgfalt erkennen können, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommt. Ansonsten ist das Gericht vor Schluss der mündlichen Verhandlung grundsätzlich nicht zur Offenlegung seiner Rechtsauffassung verpflichtet. Ein Prozessbevollmächtigter muss, auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und bei seinem Sachvortrag berücksichtigen (vgl. [X.] 31. Mai 2006 - 5 [X.] ([X.]) - Rn. 5, [X.]E 118, 229; 31. Juli 2007 - 3 [X.]/07 - Rn. 16, [X.] ArbGG 1979 § 77 Nr. 11 = EzA GG Art. 103 Nr. 9; 20. März 2008 - 8 [X.] 1062/07 - Rn. 10, [X.] 1979 § 72 Nr. 38). [X.]erner muss er schon in den Tatsacheninstanzen bedenken, dass das [X.] als Revisionsgericht den Bindungen des Revisionsrechts unterliegt und neuer Sachvortrag in der Revisionsinstanz nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 559 ZPO grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig ist (vgl. statt aller [X.] 22. Mai 2012 - 1 [X.] - Rn. 23 f., [X.], 1234).

4

2. Der [X.] hat in der angegriffenen Entscheidung an die subjektiven Voraussetzungen des Lohnwuchers und des wucherähnlichen Rechtsgeschäfts keine neuen oder - zulasten klagender Arbeitnehmer - strengeren Anforderungen gestellt als in dem Urteil vom 22. April 2009 (- 5 [X.] - Rn. 26 f. mwN, [X.]E 130, 338). Dort hat der [X.] insbesondere nicht erkannt, bereits ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung indiziere die subjektiven Voraussetzungen des § 138 BGB. Der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter wären deshalb gehalten gewesen, Tatsachenvortrag zu den im Urteil vom 22. April 2009 (- 5 [X.] - Rn. 26 f., aaO) bezeichneten subjektiven Voraussetzungen von Lohnwucher und wucherähnlichem Geschäft zu halten, zumal die Beklagte bereits erstinstanzlich das [X.]ehlen entsprechenden Sachvortrags gerügt hatte.

5

3. Aus der angezogenen Rechtsprechung des [X.] durfte der Kläger bzw. ein kundiger und gewissenhafter Prozessbevollmächtigter nicht folgern, das [X.] werde bereits aus einem auffälligen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung einen tatsächlichen Schluss auf die subjektiven Voraussetzungen des § 138 BGB ziehen (vgl. dazu auch [X.] 16. Mai 2012 - 5 [X.] - Rn. 36, [X.] 2012, 974). In der vom [X.] in seinem Urteil vom 22. April 2009 (- 5 [X.] - Rn. 27, [X.]E 130, 338) zitierten Entscheidung des [X.] vom 13. Juni 2001 (- [X.] - zu 4 b der Gründe, NJW 2002, 55) heißt es ausdrücklich, ein Vertrag sei als wucherähnliches Geschäft nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stünden und weitere sittenwidrige Umstände hinzuträten, wie zB eine verwerfliche Gesinnung des durch den Vertrag objektiv Begünstigten. Ein besonders auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung spreche für eine verwerfliche Gesinnung.

6

In der vom Kläger in der [X.] nur auszugsweise zitierten Entscheidung des [X.] vom 19. Januar 2001 (- V ZR 437/99 - BGHZ 146, 298) heißt es unter [X.] 1 c und [X.] 2 b der Gründe wörtlich: „Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besonders grob, so kann dies den Schluss auf die bewusste oder grob fahrlässige Ausnutzung eines den Vertragspartner in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstandes rechtfertigen.“ Und: „Allein das besonders grobe Äquivalenzverhältnis erlaubt es, auf die verwerfliche Gesinnung als subjektives Merkmal des § 138 Abs. 1 BGB zu schließen.“ Dass für den Schluss auf die verwerfliche Gesinnung bereits ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung ausreichen würde, sagt der [X.] nicht.

7

Auch in seiner neueren Rechtsprechung nimmt der [X.] eine tatsächliche Vermutung auf eine verwerfliche Gesinnung des durch den Vertrag Begünstigten - wie der [X.] - erst bei einem groben Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung an (vgl. zB [X.] Oktober 2009 - [X.]/08 - zu [X.] 2 b der Gründe, NJW 2010, 363; 8. März 2012 - [X.]/11 - zu [X.] 2 a der Gründe, NJW 2012, 2099). Es bedarf deshalb keiner abschließenden Entscheidung darüber, ob für einen kundigen und gewissenhaften Prozessbevollmächtigten die Rechtsprechung des [X.] ein schützenswertes Vertrauen darauf begründen kann, das für [X.] letztinstanzlich allein zur Entscheidung berufene [X.] werde eine Rechtsfrage auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten eines Arbeitsverhältnisses wie der [X.] für die von ihm zu beurteilenden Rechtsverhältnisse beantworten.

8

[X.]. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rügeverfahrens zu tragen.

        

    Müller-Glöge    

        

    Laux    

        

    Biebl    

        

        

        

    Hromadka    

        

    Zoller    

                 

Meta

5 AZR 858/12 (F)

12.12.2012

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Neuruppin, 15. April 2010, Az: 3 Ca 1764/09, Urteil

§ 78a ArbGG, § 138 Abs 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 12.12.2012, Az. 5 AZR 858/12 (F) (REWIS RS 2012, 492)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 492

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