Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.05.2004, Az. IX ZR 190/03

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2004, 3181

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.]/03
Verkündet am: 13. Mai 2004 [X.] Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja [X.]: nein

[X.] § 133 Abs. 1

Zu den Anforderungen an die Prüfung der Kenntnis vom [X.] des Schuldners.

[X.], [X.]eil vom 13. Mai 2004 - [X.]/03 - OLG Stuttgart

LG Heilbronn - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. Mai 2004 durch [X.] [X.], [X.], [X.], [X.] und [X.]

für Recht erkannt:
Auf die Revision des [X.] wird das [X.]eil des 19. Zivilsenats des [X.] vom 14. August 2003 aufgeho-ben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht [X.]. Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] (im folgenden: Schuldnerin). Das verklagte Land, handelnd durch das Finanzamt [X.], mahnte spätestens ab dem 6. April 2000 immer wieder rückständige Umsatz- und [X.] an, wobei es auch Vollstreckungsmaßnahmen ankündigte und einleitete. Auf einen Antrag der Schuldnerin vom 19. Oktober 2000 stundete das Finanzamt die Umsatzsteuer für zwei vorangegangene Monate, lehnte aber die Stundung von Lohnsteuer ab. Am 21. Dezember 2000 befand sich von den fälligen [X.] 3 - gen ein Betrag von ca. 230.000 DM in der Vollstreckung. Mit [X.] vom 22. Dezember 2000 zahlte die Schuldnerin einen Betrag in Höhe von 320.407,47 DM und mit [X.] vom 24. Januar 2001 einen weiteren Betrag in Höhe von 165.190,80 DM an das Finanzamt.

Auf einen am 4. Juli 2001 gestellten Antrag wurde am 1. September 2001 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet.

Mit der Anfechtungsklage hat der Kläger - soweit noch von Interesse - die Rückzahlung der von der Schuldnerin an den Beklagten mit den beiden [X.]zahlungen geleisteten Beträge in Höhe von insgesamt 485.598,27 DM verlangt. Die Klage ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision des [X.].

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

[X.]
Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des [X.] auf Rückgewähr gemäß § 143 Abs. 1, § 133 Abs. 1 [X.] in Höhe von 485.598,27 DM mit fol-gender Begründung verneint: Die beiden [X.]zahlungen an das Finanzamt vom 22. Dezember 2000 und vom 24. Januar 2001 seien als Rechtshandlun-gen der Schuldnerin im Sinne des § 133 Abs. 1 [X.] anzusehen, die auch zu - 4 - einer zumindest mittelbaren Gläubigerbenachteiligung geführt hätten. Dem Kläger sei es jedoch nicht gelungen, den [X.] der Schuld-nerin darzulegen. Auf das Beweisanzeichen einer inkongruenten Deckung könne er sich nicht berufen.

I[X.]
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer rechtlichen Über-prüfung nicht stand.

1. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß es sich bei den angefochtenen Zahlungen um Rechtshandlungen der Schuldnerin im Sinne des § 133 Abs. 1 Satz 1 [X.] handelt.

a) Eine zur Abwehr oder aus Anlaß einer Zwangsvollstreckung erfolgte Vermögensverlagerung, an welcher der Schuldner mitgewirkt hat, ist unter den Voraussetzungen des § 133 [X.] anfechtbar ([X.] 155, 75, 79; [X.], [X.]. v. 17. Juli 2003 - [X.] ZR 215/02, [X.], 87).

Das beklagte Land hat die Geldbeträge hier nicht durch Zwangsvoll-streckungsmaßnahmen, sondern aufgrund von [X.]zahlungen erhalten, die die Schuldnerin geleistet hat. Daß diese einen Teil des Betrages auch unter dem Druck der drohenden Zwangsvollstreckung gezahlt haben mag, rechtfer-tigt keine Gleichsetzung dieser (Teil-)Leistungen der Schuldnerin mit Vermö-genszugriffen, die durch Vornahme von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen er-folgen (vgl. hierzu [X.], jeweils aaO). - 5 -

b) Der vom Senat in der Entscheidung vom 11. April 2002 - [X.] ZR 211/01, [X.], 1193, 1194 ausgesprochene Grundsatz, daß die Befugnis des Gläubigers, sich mit Hilfe hoheitlicher Zwangsmittel eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung der eigenen fälligen Forderungen zu verschaffen, hinter dem Schutz der Gläubigergesamtheit zurücktritt, gilt für Zwangsvollstrek-kungsmaßnahmen des Gläubigers nach dem System der Anfechtungsregeln der Insolvenzordnung lediglich für den von § 131 [X.] erfaßten [X.]raum. Die Wertung des § 133 Abs. 1 [X.], daß die vorsätzliche Benachteiligung der Gläubigergesamtheit durch den Schuldner innerhalb einer längeren Frist zur Anfechtung befugt, trifft jedoch auch für solche Rechtshandlungen zu, die der Schuldner aus Anlaß oder im Rahmen der Zwangsvollstreckung vornimmt ([X.] 155, 75, 80).

2. Das Berufungsgericht hat ferner mit Recht das Vorliegen einer objek-tiven Gläubigerbenachteiligung (§ 129 [X.]) als Voraussetzung eines jeden anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruches bejaht (vgl. [X.] 124, 76, 78 f). Die [X.]s wurden zu Lasten des Kontos der Schuldnerin bei der [X.] eingelöst; daher bestehen an dem Vorliegen einer zumindest mit-telbaren Gläubigerbenachteiligung, die für § 133 Abs. 1 [X.] genügt (Münch-Komm-[X.]/Kirchhof, § 133 Rn. 11), keine Zweifel (vgl. [X.] 114, 315, 322; [X.], [X.]. v. 19. September 2001 - [X.] ZR 36/99, [X.], 1641, 1644). Dies gilt auch für den geleisteten Lohnsteueranteil; denn die entsprechende [X.] erfolgte aus dem Vermögen des Arbeitgebers (vgl. [X.], [X.]. v. 22. Januar 2004 - [X.] ZR 39/03, [X.], 517, 520, z.[X.]. in [X.]). - 6 - 3. Das Berufungsgericht konnte nicht feststellen, daß die Schuldnerin die angefochtenen Steuerzahlungen mit dem Vorsatz vorgenommen hat, ihre Gläubiger zu benachteiligen. Die dagegen von der Revision erhobenen [X.] haben im Ergebnis Erfolg.

a) Das Berufungsgericht ist mit Recht von einer kongruenten Deckung ausgegangen; dies stellt auch die Revision nicht in Abrede. Wie der Senat in seinem [X.]eil vom 27. Mai 2003 in der Sache [X.] ZR 169/02 im einzelnen [X.] hat ([X.] 155, 75, 83), stellt sich eine Leistung, die der Schuldner dem Gläubiger auf eine fällige Forderung früher als drei Monate vor dem Eröff-nungsantrag gewährt, nicht bereits deshalb als inkongruente Deckung dar, weil sie zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung erfolgt.

b) Zu Recht beanstandet die Revision jedoch die Auffassung des [X.], der [X.] nach § 133 Abs. 1 Satz 1 [X.] setze ein unlauteres Handeln voraus. Für den [X.] reicht vielmehr auch bei kongruenten [X.] die Feststellung aus, der Schuldner habe sich eine Benachteiligung nur als möglich vorgestellt, sie aber in Kauf genommen, ohne sich durch die Vorstellung dieser Möglichkeit von seinem Handeln abhalten zu lassen (Senat, [X.]. v. 17. Juli 2003 - [X.] ZR 272/02, [X.], 597, 598; MünchKomm-[X.]/Kirchhof, § 133 Rn. 13; [X.], in: [X.]/[X.], [X.] § 133 Rn. 23). Bei einem kongruenten Dek-kungsgeschäft, bei dem der Schuldner dem Gläubiger nur das gewährt, worauf dieser einen Anspruch hatte, sind allerdings erhöhte Anforderungen an die Darlegung und den Beweis des [X.]es zu stellen. In die-sem Sinne hat das Berufungsgericht zwar auch geprüft, ob die Schuldnerin - 7 - deswegen mit [X.] gehandelt haben könnte, weil sie das beklagte Land gegebenenfalls auf Kosten anderer Insolvenzgläubiger begün-stigen wollte. Wenn ein Schuldner zur Vermeidung einer unmittelbar bevorste-henden Zwangsvollstreckung an einen einzelnen Gläubiger leistet, obwohl er weiß, daß er nicht mehr alle seine Gläubiger befriedigen kann und infolge der Zahlung an einen einzelnen Gläubiger andere Gläubiger benachteiligt werden, so ist in aller Regel die Annahme gerechtfertigt, daß es dem Schuldner nicht in erster Linie auf die Erfüllung seiner vertraglichen oder [X.] wie hier [X.] gesetzlichen Pflichten, sondern auf die Bevorzugung dieses einzelnen Gläubigers ankommt (vgl. [X.] 155, 75, 83 f; [X.], [X.]. v. 17. Juli 2003 - [X.] ZR 215/02, [X.], 87, 88). Die Sichtweise des Berufungsgerichts erschöpft aber den entschei-dungserheblichen Vortrag des [X.] nicht (§ 286 ZPO):

Dieser hatte mit der Klageschrift ein Schreiben der Steuerberaterin der Schuldnerin vom 14. Dezember 2000 vorgelegt. Damit hat sich das Berufungs-gericht nicht befaßt. Mit Blick auf die bevorstehende Prüfung des [X.] führt die Steuerberaterin aus, daß die Schuldnerin zum [X.], selbst wenn die Verkehrswerte zugrunde gelegt würden, voraussicht-lich in Höhe von mindestens 500.000 • überschuldet sein werde. Ferner sei angesichts der Rückstände gegenüber dem Finanzamt, den [X.] und den Lieferanten Zahlungsunfähigkeit gegeben.

Aus den Ausführungen der Steuerberaterin ergibt sich jedenfalls ein we-sentliches Indiz dafür, daß die Schuldnerin zur [X.] der Vornahme der [X.]-zahlungen zahlungsunfähig war. Unter dieser Voraussetzung geht der Senat in der Regel davon aus, daß ein Insolvenzschuldner die angefochtenen Rechts-handlungen mit [X.] vorgenommen hat (vgl. [X.] 155, - 8 - 75, 84; [X.], [X.]. v. 17. Juli 2003, jeweils aaO). Allerdings sind in dem hier zu beurteilenden Fall die angefochtenen [X.]zahlungen ungewöhnlich hoch. Sie überstiegen den in der Vollstreckung befindlichen Betrag offenbar bei [X.]. Zwar steht es der Zahlungsunfähigkeit nicht entgegen, daß der Schuldner noch einzelne - sogar beträchtliche - Zahlungen leistet, sofern die unerfüllt ge-bliebenen Verbindlichkeiten nicht unwesentlich sind ([X.], [X.]. v. 10. Januar 1985 - [X.] ZR 4/84, NJW 1985, 1785; v. 25. September 1997 - [X.] ZR 231/96, [X.], 607, 608; v. 17. Juli 2003 - [X.] ZR 272/02, aaO). Da das Berufungs-gericht aber die Höhe der Zahlungen und deren nähere Umstände nicht ge-würdigt hat, verfügt der Senat über keine tatsächliche Grundlage, insoweit ab-schließend zu entscheiden.

II[X.] Folglich ist das angefochtene [X.]eil aufzuheben (§ 562 ZPO).

Wenn das Berufungsgericht nach erneuter mündlicher Verhandlung zu dem Ergebnis kommt, daß die Schuldnerin die [X.]zahlungen mit Benach-teiligungsvorsatz vorgenommen hat, wird es weiter zu prüfen haben, ob das beklagte Land den Vorsatz der Schuldnerin zur [X.] der Handlung (§ 140 [X.]) kannte. Dabei wird es insbesondere berücksichtigen müssen, wie lange die Schuldnerin mit der Begleichung ihrer Steuerschulden schon im Rückstand war und in welcher Höhe solche Rückstände bestanden. Nur aufgrund näherer Feststellungen hierzu kann der Umstand rechtsfehlerfrei bewertet werden, daß die Schuldnerin offenbar wesentlich mehr gezahlt hat, als zur Abwendung der Vollstreckung erforderlich gewesen wäre. Für den Beklagten war es jedenfalls - 9 - offensichtlich, daß die Verbindlichkeiten der gewerblich tätigen Schuldnerin ihm gegenüber nicht annähernd die einzigen waren (vgl. [X.] 149, 100, 111; 155, 75, 86). [X.] Feststellungen zur Kenntnis des Benachteiligungsvorsat-zes bedarf es nur dann nicht, wenn die Voraussetzungen der [X.] in § 133 Abs. 1 Satz 2 [X.] gegeben sind und dem Beklagten der Beweis des Gegenteils nicht gelingt. Nach § 133 Abs. 1 Satz 2 [X.] wird die Kenntnis des anderen Teils - hier des Beklagten - vermutet, wenn er wußte, daß die [X.]sunfähigkeit der Schuldnerin drohte und die Handlung die Gläubiger [X.]. Diese Voraussetzungen können schon dann gegeben sein, wenn die Verbindlichkeiten des Schuldners bei dem späteren [X.] über einen längeren [X.]raum hinweg ständig in beträchtlichem Umfang nicht ausgeglichen wurden und jenem den Umständen nach bewußt ist, daß es noch weitere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen gibt. Hierzu hat der Kläger be-reits in der Klageschrift schlüssig vorgetragen (vgl. hierzu auch [X.] 155, 75, 85 f; [X.], [X.]. v. 17. Juli 2003, jeweils aaO). Beweist der Insolvenzverwalter, daß der [X.] Umstände kannte, die zwingend auf eine drohen-de Zahlungsunfähigkeit hindeuteten, greift § 133 Abs. 1 Satz 2 [X.] ebenfalls ein. Von einem Gläubiger, der solche Umstände kennt, ist - widerleglich - zu vermuten, daß er auch die drohende Zahlungsunfähigkeit und die [X.] kennt ([X.], [X.]. v. 17. Februar 2004 - [X.] ZR 318/01, ZIn-sO 2004, 385, 386).

[X.] Ganter [X.]

[X.] [X.]

Meta

IX ZR 190/03

13.05.2004

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.05.2004, Az. IX ZR 190/03 (REWIS RS 2004, 3181)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 3181

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZR 182/01 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 272/02 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 134/13 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzanfechtungsprozess wegen der ratenweisen Zahlung von Gewerbesteuerforderungen: Notwendige Erstellung einer Liquiditätsbilanz durch einen gerichtlich bestellten …


IX ZR 211/02 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 169/02 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.