Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.12.2011, Az. II ZB 5/11

2. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 771

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Kapitalanleger-Musterverfahren: Fehlende Bindungswirkung des Vorlagebeschlusses


Leitsatz

Die Bindungswirkung des Vorlagebeschlusses für das Oberlandesgericht besteht nicht, wenn das Prozessgericht im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 KapMuG in demselben Musterverfahren bereits zuvor einen Vorlagebeschluss mit identischem Feststellungsziel erlassen hat. In diesem Fall steht die Sperrwirkung des § 5 KapMuG dem Erlass eines weiteren Vorlagebeschlusses entgegen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerden der Kläger gegen den Beschluss des [X.] des [X.] vom 7. März 2011 werden zurückgewiesen.

Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 52.631,58 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Rechtsbeschwerdeführer machen vor dem [X.] wegen einer unzutreffenden Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten zu 1 geltend. Auf den Musterfeststellungsantrag der Kläger hat das [X.] mehrere [X.] mit gleichlautendem [X.] erlassen, um vom [X.] beanstandete Fehler des ersten [X.] zu berichtigen.

2

Das [X.] hat am 12. November 2009 zunächst nach § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.] beschlossen, eine Entscheidung des [X.]s „herbeizuführen zur beantragten Feststellung, dass die Ad-hoc-Mitteilung vom [X.] unrichtig war und hierdurch gegen die Beklagten zu 1) und 3) Schadensersatzansprüche aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung begründet werden.“ Mit Beschluss vom 11. März 2010 hat das [X.] ([X.], [X.], 51) diesen Vorlagebeschluss in entsprechender Anwendung der für willkürlich ergangene Verweisungsbeschlüsse zu § 281 ZPO entwickelten Grundsätze aufgehoben und das Verfahren zur anderweitigen Prüfung und Entscheidung an das [X.] zurückgegeben. Dagegen haben die Kläger am 9. April 2010 die vom [X.] zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt. Das [X.] hat sodann am 27. April 2010 und am 28. Juli 2010 weitere [X.] mit identischem [X.] erlassen. Den Vorlagebeschluss vom 27. April 2010 hat es mit Beschluss vom 20. Januar 2011 selbst wieder aufgehoben.

3

Den Vorlagebeschluss vom 28. Juli 2010 hat das [X.] mit Beschluss vom 7. März 2011 aufgehoben und das Verfahren zur anderweitigen Prüfung und Entscheidung an das [X.] zurückgegeben. Hiergegen richten sich die vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerden der Kläger. Den Beschluss des [X.]s vom 11. März 2010 zum Vorlagebeschluss des [X.]s vom 12. November 2009 hat der erkennende Senat inzwischen aufgehoben und die Sache an das [X.] zurückverwiesen ([X.], Beschluss vom 26. Juli 2011 - [X.], [X.], 1790; zur Veröffentlichung in [X.]Z bestimmt).

4

II. Das [X.] hat ausgeführt: Der Vorlagebeschluss vom 28. Juli 2010 sei schon deshalb aufzuheben, weil seinem Erlass die Sperrwirkung gemäß § 5 [X.] des Beschlusses vom 12. November 2009 entgegenstehe. Dieser Beschluss sei in demselben Ausgangsverfahren zwischen denselben Parteien ergangen und formuliere dasselbe [X.]. Leide der Vorlagebeschluss - wie hier der Beschluss vom 28. Juli 2010 - an schweren verfahrensrechtlichen Mängeln, entfalle die in § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.] angeordnete Bindung an den Vorlagebeschluss. Insoweit sei die Rechtsprechung zur Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses nach § 281 ZPO entsprechend heranzuziehen.

5

III. [X.] der Kläger sind statthaft und zulässig. Sie haben aber in der Sache keinen Erfolg. Die in § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 [X.] angeordnete Bindungswirkung des [X.] für das [X.] besteht nicht, wenn das Prozessgericht im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.] in demselben Musterverfahren bereits zuvor einen Vorlagebeschluss mit identischem [X.] erlassen hat. In diesem Fall steht die Sperrwirkung des § 5 [X.] dem Erlass eines weiteren [X.] entgegen.

6

1. [X.] sind statthaft, weil das [X.] im ersten Rechtszug sie in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Der [X.] steht nicht entgegen, dass der Vorlagebeschluss nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 [X.] unanfechtbar ist. Dieser Ausschluss der Anfechtbarkeit gilt nur für den Vorlagebeschluss selbst, nicht aber für eine Entscheidung des [X.]s, mit der der Vorlagebeschluss aufgehoben wird ([X.], Beschluss vom 26. Juli 2011 - [X.], [X.], 1790 Rn. 6; zur Veröffentlichung in [X.]Z bestimmt).

7

2. [X.] sind unbegründet. Das [X.] war entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerden nicht nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 [X.] an der Aufhebung des [X.] vom 28. Juli 2010 gehindert. Der Vorlagebeschluss des [X.] ist zwar nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 [X.] für das [X.] grundsätzlich bindend. Die Bindung gilt aber nicht uneingeschränkt.

8

a) Der erkennende Senat hat sich im vorliegenden Musterverfahren bereits in seinem Beschluss vom 26. Juli 2011 ([X.], [X.], 1790; zur Veröffentlichung in [X.]Z bestimmt) damit befasst, ob der geltend gemachte Anspruch Gegenstand eines Musterverfahrens sein kann, ob das [X.] auf die Feststellung des Anspruchs selbst gerichtet ist und ob im Hinblick darauf die Bindungswirkung nicht besteht. Aus den im Beschluss vom 26. Juli 2011 angeführten Gründen, auf die wegen der insoweit identischen [X.] verwiesen werden kann, ist dies nicht der Fall.

9

b) Dem Vorlagebeschluss vom 28. Juli 2010 kommt jedoch deshalb keine Bindungswirkung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 [X.] zu, weil das [X.] damit unter Verstoß gegen § 5 [X.] in demselben Ausgangsverfahren mit denselben Parteien nach dem Vorlagebeschluss vom 12. November 2009 einen weiteren Vorlagebeschluss mit identischem [X.] erlassen hat.

Nach § 5 [X.] ist die Einleitung eines weiteren Musterverfahrens für die gemäß § 7 [X.] auszusetzenden Verfahren unzulässig. Durch die Vorschrift soll ausgeschlossen werden, dass ein Prozessgericht durch einen Vorlagebeschluss ein Musterverfahren zu derselben oder zu einer weiteren Anspruchsvoraussetzung einleitet, wenn bereits ein Musterverfahren für die gemäß § 7 [X.] auszusetzenden Verfahren eingeleitet worden ist. Damit sollen parallel laufende Musterverfahren aus prozessökonomischen Gründen vermieden werden (vgl. Begründung des [X.], BT-Drucks. 15/5091, [X.]). Demzufolge kann einem Vorlagebeschluss keine Bindungswirkung nach § 4 Abs. 2 Halbsatz 2 [X.] zukommen, wenn er unter Verstoß gegen die Sperrwirkung des § 5 [X.] erlassen wird. Anderenfalls wäre das [X.] gezwungen, ein Musterverfahren durchzuführen (§ 6 [X.]), das entgegen der Intention des § 5 [X.] gar nicht hätte eingeleitet werden dürfen (ebenso [X.] in [X.], [X.], 2007, § 5 Rn. 4; aA KK-[X.]/[X.], § 5 Rn. 16).

Die Sperrwirkung des § 5 [X.], die bereits mit Erlass des ersten [X.] einsetzt und durch eine nicht rechtskräftige Aufhebung dieses [X.] durch das [X.] nicht entfällt, bindet in jedem Fall das Prozessgericht im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Auf den Streit über die Reichweite des § 5 [X.] (vgl. hierzu KK-[X.]/[X.], § 5 Rn. 4 f.; [X.]/Wilsing, [X.] 2006, 79, 98) kommt es danach nicht an.

[X.]                                               Caliebe                                               Drescher

                               Born                                                      Sunder

Meta

II ZB 5/11

06.12.2011

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG München, 7. März 2011, Az: KAP 2/10, Beschluss

§ 4 Abs 1 S 2 Halbs 2 KapMuG, § 5 KapMuG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.12.2011, Az. II ZB 5/11 (REWIS RS 2011, 771)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 771

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

II ZB 5/11 (Bundesgerichtshof)


II ZB 10/19 (Bundesgerichtshof)

KapMuG: Möglichkeit der Einleitung eines weiteren Musterverfahrens


XI ZB 27/19 (Bundesgerichtshof)

Kapitalanlegermusterverfahren: Zulässigkeit der Ersetzung des Vorlagebeschlusses durch einen Beschluss des Oberlandesgerichts


II ZB 11/10 (Bundesgerichtshof)

Kapitalanlegermusterverfahren: Bindungswirkung eines Vorlagebeschlusses bei verfahrensrechtlichen Mängeln


II ZB 11/10 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.