Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.08.2023, Az. III R 24/21

3. Senat | REWIS RS 2023, 7544

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Gegenstand

Zur Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist in Kindergeldfällen und zur Zulässigkeit einer Anschlussrevision


Leitsatz

1. NV: Die für die Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist im Fall einer leichtfertigen Steuerverkürzung oder einer Steuerhinterziehung gemäß § 171 Abs. 7 der Abgabenordnung maßgebliche Verfolgungsverjährung beginnt erst mit der letztmals aufgrund desselben Tuns oder Unterlassens zu Unrecht erlangten fortlaufenden Kindergeldzahlung.

2. NV: Die unselbständige Anschlussrevision ist gegenüber der Hauptrevision akzessorisch und in Kindergeldangelegenheiten nur zulässig, soweit sie den Kindergeldanspruch für dieselben Monate betrifft wie die Revision.

Tenor

Auf die Revision der Familienkasse wird das Urteil des [X.] vom 19.10.2020 - 2 K 683/20 aufgehoben, soweit das [X.] der Klage für die Monate August 2009 bis einschließlich Dezember 2015 stattgegeben hat.

Insoweit wird die Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Anschlussrevision der Klägerin wird verworfen.

Dem [X.] wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

In der Sache ist streitig, ob die Beklagte, Revisionsklägerin und [X.] (Familienkasse) zu Recht die [X.]indergeldfestsetzung für das [X.]ind [X.] der [X.]lägerin, Revisionsbeklagten und Anschlussrevisionsklägerin ([X.]lägerin) für die [X.] von August 2009 bis einschließlich Juli 2018 gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aufgehoben und das für diese Monate für [X.] gezahlte [X.]indergeld zurückgefordert hat (§ 37 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung --AO--).

2

[X.] hatte den Wohnsitz und den gewöhnlichen Aufenthalt zunächst in der [X.] ([X.]). Das [X.]ind wechselte im Jahr 2009 an eine Schule in der [X.] ([X.]) mit dem Ziel, dort einen dem Abitur vergleichbaren Abschluss zu erwerben. ... Bei einer Prüfung des [X.]indergeldanspruchs im Jahr 2018 kam die Familienkasse zu dem Ergebnis, dass [X.] im Jahr 2009 den inländischen Wohnsitz aufgegeben habe. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 26.02.2020 hob die Familienkasse die [X.]indergeldfestsetzung für [X.] für die [X.] von August 2009 bis einschließlich Juli 2018 auf und forderte das [X.]indergeld zurück.

3

Auf die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene [X.]lage hob das [X.] ([X.]) den Bescheid der Familienkasse vom 26.02.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.04.2020 auf, soweit darin die [X.]indergeldfestsetzung für die [X.] von August 2009 bis einschließlich Dezember 2015 aufgehoben und das für diese [X.] gezahlte [X.]indergeld zurückgefordert wurde. Im Übrigen wies das [X.] die [X.]lage ab. Es entschied, die Aufhebung der [X.]indergeldfestsetzung und die Rückforderung des [X.]indergelds seien rechtmäßig, soweit noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten sei, das heißt für die [X.] von Januar 2016 bis Juli 2018. [X.] habe im gesamten streitgegenständlichen [X.]raum weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] oder einem gleichgestellten Land gehabt (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG i.d.F. der Bekanntmachung vom [X.], [X.], 3366 --EStG 2009-- für [X.]räume bis zum 31.12.2015, seither § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG, s. § 52 Abs. 49a Satz 5 und 6 EStG). Die behaupteten Aufenthalte im Inland während der Schulferien seien nicht nachgewiesen (Verweis auf das Urteil des Hessischen [X.] vom 27.07.2020 - 2 [X.] 269/19); sie wären im Hinblick auf das Alter des [X.]indes und den geplanten und auch tatsächlich langjährigen Aufenthalt im Ausland auch nicht ausreichend, um einen Wohnsitz in [X.] beizubehalten.

4

Die Aufhebung der [X.]indergeldfestsetzung für [X.] und die Rückforderung des [X.]indergelds seien jedoch für die Monate August 2009 bis einschließlich Dezember 2015 rechtswidrig, da die Festsetzungsfrist für diese Monate beim Erlass des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids am 26.02.2020 bereits abgelaufen gewesen sei (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Festsetzungsfrist von vier Jahren (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. [X.]) habe sich nicht auf fünf oder [X.] (§ 169 Abs. 2 Satz [X.]) verlängert; der [X.]lägerin sei weder eine Steuerhinterziehung (§ [X.]) noch eine leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) vorzuwerfen. Notwendig wäre die Erkenntnis der Entscheidungsrelevanz des nicht mitgeteilten Umstands für die Fortdauer des [X.]indergeldanspruchs. In Anbetracht der [X.]omplexität der Rechtsprechung zur Beibehaltung des Wohnsitzes könne es jedenfalls nicht als vorsätzlich oder grob fahrlässig angesehen werden, dass die [X.]lägerin von einer Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes ausgegangen sei. Von einem juristischen Laien könne keine exakte Beurteilung erwartet werden.

5

Soweit das [X.] der [X.]lage hinsichtlich des [X.]indergeldanspruchs für die Monate August 2009 bis einschließlich Dezember 2015 stattgegeben hat, wendete sich die Familienkasse zunächst mit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 116 Abs. 1 der [X.]sordnung --[X.]O--) gegen das Urteil; der [X.] ([X.]) hat der Beschwerde stattgegeben. Das Verfahren wird nun als Revisionsverfahren fortgesetzt (§ 116 Abs. 7 Satz 1, §§ 118 ff. [X.]O).

6

Die [X.]lägerin hat keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, aber eine Anschlussrevision erhoben. Sie wendet sich gegen die Vorentscheidung, soweit das [X.] die [X.]lage hinsichtlich des [X.]indergeldanspruchs für die Monate Januar 2016 bis einschließlich Juli 2018 abgewiesen hat.

7

Die Familienkasse beantragt sinngemäß,
das Urteil des Hessischen [X.] vom 19.10.2020 - 2 [X.] 683/20 aufzuheben, soweit das [X.] der [X.]lage für die Monate August 2009 bis einschließlich Dezember 2015 stattgegeben hat, und die [X.]lage auch insoweit abzuweisen sowie die Anschlussrevision der [X.]lägerin zurückzuweisen.

8

Die [X.]lägerin beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen und das Urteil des Hessischen [X.] vom 19.10.2020 - 2 [X.] 683/20 auch insoweit aufzuheben, als das [X.] die [X.]lage für die Monate Januar 2016 bis einschließlich Juli 2018 abgewiesen hat, sowie auch insoweit den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 26.02.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.04.2020 aufzuheben.

Entscheidungsgründe

II.

9

Die Revision der Familienkasse ist begründet. Die Vorentscheidung verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 [X.]O), soweit sie das [X.]indergeld für die [X.] von August 2009 bis einschließlich Dezember 2015 betrifft. Das [X.] hat zu hohe Anforderungen an die Feststellung von [X.]keit gestellt; seine Feststellungen tragen nicht die Entscheidung, dass die Aufhebung der [X.]indergeldfestsetzung für [X.] und die Rückforderung des [X.]indergelds für diese Monate wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung rechtswidrig sind. Soweit das [X.] der [X.]lage insoweit stattgegeben hat, ist die Vorentscheidung deshalb aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O).

Die Revision der [X.]lägerin ist als [X.] unzulässig, weil sie einen anderen Streitzeitraum als die Revision der Familienkasse betrifft; als eigenständige Revision ist sie mangels Zulassung nicht statthaft. Soweit das [X.] die [X.]lage gegen die Aufhebung der [X.]indergeldfestsetzung für [X.] für die [X.] von Januar 2016 bis Juli 2018 und die Rückforderung des [X.]indergelds abgewiesen hat, ist die Vorentscheidung somit rechtskräftig.

1. Die Aufhebung der [X.]indergeldfestsetzung ist möglich, wenn sich die für den [X.]indergeldanspruch erheblichen Verhältnisse geändert haben (§ 70 Abs. 2 Satz 1 EStG) und die Festsetzungsfrist für die betroffenen Monate noch nicht abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 [X.]).

a) Zu den Verhältnissen, deren Änderung die Aufhebung der [X.]indergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG rechtfertigen, gehören unter anderem der Wohnsitz (§ 8 [X.]) oder der gewöhnliche Aufenthalt (§ 9 [X.]) des [X.]indergeldberechtigten (§ 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) sowie des [X.]indes im Inland oder im begünstigten Ausland. [X.]inder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der [X.] oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, haben, werden --von im Streitfall nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen-- beim [X.]indergeld nicht berücksichtigt (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG 2009).

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein [X.]ind bei einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt zu Ausbildungszwecken im nicht begünstigten Ausland einen inländischen Wohnsitz in der elterlichen Wohnung innehat, auf das Senatsurteil vom 21.06.2023 - III R 11/21 ([X.]NV 2023, 1125, Rz 16 ff., m.w.[X.]) Bezug genommen.

b) Für den Eintritt der Festsetzungsverjährung gelten folgende Grundsätze:

aa) Die Festsetzungsfrist für das in den einzelnen Monaten des jeweiligen [X.]alenderjahres gezahlte [X.]indergeld, das laufend als Steuervergütung gezahlt wird (§ 31 Satz 3 EStG), beginnt mit Ablauf des jeweiligen [X.]alenderjahres (§ 170 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 und § 155 Abs. 5 [X.]; vgl. z.B. Senatsurteil vom 18.05.2006 - III R 80/04, [X.], 1, [X.], 371, Rz 21). Die Frist beträgt regelmäßig vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 [X.]), im Fall einer leichtfertigen Steuerverkürzung fünf Jahre und im Fall einer Steuerhinterziehung zehn Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 [X.]).

bb) Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist im Fall einer leichtfertigen Steuerverkürzung oder einer Steuerhinterziehung überdies bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung gehemmt (§ 171 Abs. 7 [X.]). Ob eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt, bestimmt sich nach den §§ 370, 378 [X.] ([X.]-Urteil vom 02.04.2014 - VIII R 38/13, [X.], 295, [X.], 698, Rz 51).

(1) Die Frist von fünf Jahren für die Verfolgungsverjährung bei einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 Abs. 1, § 384 [X.]) beginnt, wenn ein zum Tatbestand gehörender Erfolg später als die Handlung oder Unterlassung eintritt, mit dem Erfolgseintritt (§ 31 Abs. 3 Satz 1 und 2 des [X.]). Im Falle des Bezugs von [X.]indergeld stellt die letzte aufgrund desselben Tuns oder Unterlassens zu Unrecht erlangte fortlaufende [X.]indergeldzahlung den Erfolg im Sinne dieser Vorschrift dar. Die Verfolgung verjährt und die Hemmung endet somit gegebenenfalls unterjährig (s. z.B. Senatsurteil vom 06.04.2017 - III R 33/15, [X.], 295, [X.], 997, Rz 24 f., m.w.[X.]; s.a. [X.]/Rüsken, [X.], 16. Aufl., § 171 Rz 123). Entsprechendes gilt gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4, § 78a des Strafgesetzbuchs für die Verjährung der Verfolgung einer (bedingt) vorsätzlichen Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 1 [X.]. Für die Hemmung der Festsetzungsfrist genügt es somit in Fällen wie dem Streitfall, wenn eine leichtfertige Steuerverkürzung festgestellt wird.

(2) Nach § 378 Abs. 1 [X.] handelt ordnungswidrig, wer als Steuerpflichtiger oder bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen eine der in § 370 Abs. 1 [X.] bezeichneten Taten leichtfertig begeht.

(a) Eine leichtfertige Steuerverkürzung kann gemäß § 378 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.] darin liegen, dass der Täter die Finanzbehörden --zu denen nach § 6 Abs. 2 Nr. 6 [X.] auch die Familienkassen [X.] pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen --wie zum Beispiel einen Umzug des [X.]indes in das nicht begünstigte [X.] in Unkenntnis gelassen und dadurch für sich oder einen anderen einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil, etwa in Form einer Steuervergütung (§ 378 Abs. 1 Satz 2 [X.] i.V.m. § 370 Abs. 4 Satz 2 [X.]), wie zum Beispiel [X.]indergeld (§ 31 Satz 3 EStG), erlangt hat.

(b) [X.] handelt, wer die Sorgfalt außer [X.] lässt, zu der er nach den Umständen des Einzelfalles und seinen persönlichen Fähigkeiten und [X.]enntnissen verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass durch [X.] oder Unterlassen eine Steuerverkürzung eintritt oder eine nicht gerechtfertigte Steuervergütung erlangt wird (vgl. etwa [X.]-Urteil vom 22.11.2018 - V R 65/17, [X.], 90, Rz 51, m.w.[X.]). [X.]keit bezeichnet lediglich einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit (Urteil des [X.] --BGH-- vom 13.01.1988 - 3 StR 450/87, [X.] --[X.]-- 1989, 444, unter [X.]). Eine sichere (Er-)[X.]enntnis von bestimmten Umständen oder Rechtsfolgen ist nicht erforderlich.

[X.]keit kann in Form von bewusster oder unbewusster Fahrlässigkeit vorliegen ([X.] vom 13.01.1988 - 3 StR 450/87, [X.] 1989, 444, unter [X.], m.w.[X.]; [X.]/[X.][X.], Steuerstrafrecht, 9. Aufl., § 378 [X.] Rz 38; zur bewussten Fahrlässigkeit und zu ihrer Abgrenzung zum bedingten Vorsatz vgl. z.B. [X.] vom 11.02.2020 - 1 StR 119/19, Neue [X.]schrift für Strafrecht 2020, 487, Rz 14 und Senatsbeschluss vom 06.06.2016 - III B 92/15, [X.], 315, [X.], 844, Rz 17, m.w.[X.]; zur unbewussten Fahrlässigkeit vgl. z.B. [X.] in [X.]/[X.]ühl/[X.], 30. Aufl. 2023, StGB § 15 Rz 53; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], 30. Aufl. 2019, StGB § 15 Rz 203). Unbewusste [X.]keit liegt namentlich vor, wenn der [X.]indergeldempfänger --obwohl es sich ihm hätte aufdrängen müssen-- nicht erkennt, dass eine Änderung seiner Lebensumstände oder der des [X.]indes vorliegt, die zur Verringerung oder zum Verlust des [X.]indergeldanspruchs führt und die der Familienkasse mitzuteilen ist, und dass er in Folge der unterbliebenen Mitteilung zu Unrecht [X.]indergeld bezieht. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn der [X.]indergeldempfänger zwar nicht weiß, dass der auf mehrere Jahre angelegte Aufenthalt des [X.]indes im nicht begünstigten Ausland zum (teilweisen) Verlust des [X.]indergeldanspruchs führen kann und deshalb anzeigepflichtig ist, sich ihm dies jedoch ebenso aufdrängen musste wie der Umstand, dass er, wenn er eine Anzeige unterlässt, zu Unrecht [X.]indergeld bezieht.

Ob im konkreten Einzelfall [X.]keit im Sinne des § 378 Abs. 1 Satz 1 [X.] vorliegt, ist im Wesentlichen Tatfrage ([X.]-Urteil vom 03.03.2015 - II R 30/13, [X.], 212, [X.], 777, Rz 46 zur Verkürzung von Grunderwerbsteuer). Rückschlüsse auf den [X.]enntnisstand und die Fähigkeiten des [X.]indergeldberechtigten können zum Beispiel aus den Antragsformularen --in denen Angaben zur Anschrift des [X.]indes nur dann gefordert werden, wenn diese von der des Antragstellers abweicht-- oder aus Merkblättern der Familienkasse gezogen werden. Auch aus einem vorangegangenen Verwaltungsverfahren können Indizien für den [X.]enntnisstand des [X.]indergeldberechtigten abzuleiten sein, beispielsweise aus früheren Erklärungen des [X.]indergeldberechtigten auch in Bezug auf weitere [X.]inder oder aufgrund von Schreiben der Familienkasse. Daneben können Ausbildung, Tätigkeit und Stellung des [X.]indergeldberechtigten relevant sein (vgl. [X.]-Urteil vom 03.03.2015 - II R 30/13, [X.], 212, [X.], 777, Rz 45).

(c) Ob sich die für den [X.]indergeldanspruch erheblichen Verhältnisse geändert haben und ob im konkreten Einzelfall [X.]keit im Sinne des § 378 Abs. 1 Satz 1 [X.] vorliegt, ist vom [X.] anhand der Gesamtumstände des Einzelfalls zu entscheiden. Die Entscheidung kann in der Revisionsinstanz jedoch insbesondere daraufhin überprüft werden, ob das [X.] den Sachverhalt verfahrensfehlerfrei festgestellt und zutreffend unter die richtig verstandenen Rechtsbegriffe subsumiert hat, sowie, ob die Würdigung der Verhältnisse den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen entspricht (vgl. etwa [X.]-Urteile vom 02.04.2014 - VIII R 38/13, [X.], 295, [X.], 698, Rz 52 und vom 24.07.2014 - V R 44/13, [X.], 207, [X.], 955, Rz 17; zum Fehlen einer tragfähigen Tatsachengrundlage vgl. z.B. Senatsurteil vom 02.12.2004 - III R 49/03, [X.], 531, [X.] 2005, 483, unter [X.], m.w.[X.]).

c) Nach diesen Grundsätzen ist das [X.] zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Aufhebung der [X.]indergeldfestsetzung für [X.] für die Monate August 2009 bis Dezember 2015 und die Rückforderung des gezahlten [X.]indergelds wegen des Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht in Betracht kam. Das [X.] hat zu hohe Anforderungen an die Feststellung von [X.]keit gestellt und ist ohne tragfähige Tatsachengrundlage davon ausgegangen, die [X.]lägerin habe nicht zumindest leichtfertig gehandelt, der Ablauf der Festsetzungsfrist sei nicht gemäß § 171 Abs. 7 [X.] gehemmt und bei Erlass des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids bereits abgelaufen gewesen.

aa) Das [X.] hielt es zu Unrecht für erforderlich, dass die [X.]lägerin erkannt hatte, dass der Wegzug des [X.]indes für die Entscheidung über das Fortbestehen ihres [X.]indergeldanspruchs relevant war; es hielt zu Unrecht die "Erkenntnis" der Entscheidungsrelevanz für erforderlich. Da [X.]keit auch bei unbewusster (mehr als einfacher) Fahrlässigkeit vorliegen kann, ist weder eine positive [X.]enntnis von der Tathandlung oder Unterlassung noch vom Eintritt des [X.] erforderlich. Für eine leichtfertige Steuerverkürzung und damit für eine Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist ist es ausreichend, wenn es sich dem [X.]indergeldempfänger --hier der [X.]lägerin-- hätte aufdrängen müssen, dass der auf mehrere Jahre --hier bis zu einem dem Abitur vergleichbaren [X.] angelegte Auslandsaufenthalt zu Ausbildungszwecken zum Verlust des (vollen) [X.]indergeldanspruchs führen kann und deshalb der Familienkasse mitzuteilen ist.

Für die Annahme von [X.]keit hätte es deshalb --unterstellt, die [X.]lägerin hat [X.]s Umzug in die [X.] nicht mitgeteilt-- genügt, festzustellen, ob die [X.]lägerin wusste (so ihre bisherige Einlassung) oder es sich ihr zumindest hätte aufdrängen müssen, dass sie der Familienkasse [X.]s Umzug in die [X.] mitteilen muss, und ob es sich ihr außerdem zumindest aufdrängen musste, dass sie, wenn sie den Umzug nicht mitteilt, gegebenenfalls zu Unrecht (volles) [X.]indergeld bezieht, wenn das [X.]ind keinen inländischen Wohnsitz hat. Dazu hätte das [X.] die ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel heranziehen und auswerten müssen. Dem Urteil lässt sich nicht entnehmen, dass das [X.] seine Möglichkeiten ausgeschöpft hat.

bb) Das Urteil kann auch auf diesem Rechtsfehler beruhen. Sollte sich im zweiten Rechtsgang (erneut) ergeben, dass die Zahlung von [X.]indergeld in den noch streitgegenständlichen Monaten August 2009 bis Dezember 2015 zu Unrecht erfolgt ist, dass die [X.]lägerin pflichtwidrig die gebotenen Mitteilungen unterlassen hat und sollte ihr dabei [X.]keit vorzuwerfen sein, wäre im Jahr 2020, als die Familienkasse den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid erlassen hat, noch keine Verfolgungs- und damit gemäß § 171 Abs. 7 [X.] auch noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten gewesen.

2. Eine Zurückverweisung ist notwendig, weil der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des [X.] die Revision weder (teilweise) zurückweisen --auch nicht gemäß § 126 Abs. 4 [X.]O-- noch ihr (teilweise) stattgeben kann. Im zweiten Rechtsgang wird das [X.] die notwendigen Feststellungen nachholen und erneut über die Sache entscheiden, soweit das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Im Hinblick auf die Zurückverweisung kann dahinstehen, ob die Verfahrensrügen der Familienkasse zulässig und begründet sind.

a) Der Senat kann das für die im Revisionsverfahren noch streitgegenständlichen Monate stattgebende Urteil nicht mit der Begründung aufrechterhalten, die [X.]lägerin habe für [X.] für diese Monate einen (vollen) [X.]indergeldanspruch gemäß §§ 62 ff. [X.] zulässiger und begründeter Revisionsgründe ist der Senat insoweit an die Feststellung des [X.] gebunden (§ 118 Abs. 2 [X.]O), dass die [X.]lägerin [X.]s Inlandsaufenthalte und damit den Wohnsitz im Inland nicht nachgewiesen hat. Dies deckt sich mit dem Vortrag der [X.]lägerin im Revisionsverfahren, dass sie dazu zwischen 2009 und 2018 für [X.] keine Unterlagen eingereicht und die die Inlandsaufenthalte belegenden Unterlagen nicht aufgehoben habe.

b) Die Feststellungen des [X.] genügen auch nicht, um das Urteil für die im Revisionsverfahren noch streitgegenständlichen Monate zumindest teilweise mit der Begründung aufrechtzuerhalten, die [X.]lägerin habe einen Anspruch auf das niedrigere sogenannte Abkommenskindergeld aufgrund des Abkommens zwischen der [X.] und der Republik [X.] über Soziale Sicherheit vom 30.04.1964 ([X.] 1965, 1170) i.d.[X.] vom [X.] ([X.] 1972, 2), des [X.] ([X.] 1975, 374) und des [X.] ([X.] 1986, 1040; vgl. etwa [X.]-Urteil vom 17.12.2015 - V R 13/15, [X.]NV 2016, 534 sowie Senatsurteile vom 27.09.2012 - III R 55/10, [X.], 109, [X.], 473 und vom 15.07.2010 - III R 6/08, [X.], 545, [X.] 2012, 883; Senatsbeschlüsse vom 13.05.2014 - III B 158/13, [X.]NV 2014, 1365 und vom 10.01.2013 - III B 103/12, [X.]NV 2013, 552; [X.] in [X.]/[X.], § 62 EStG Rz 172 ff. und § 72 Rz 38; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 62 EStG Rz 22 und § 66 EStG Rz 11). Das [X.] hat nicht festgestellt, ob die [X.]lägerin zwischen 2009 und 2015 die Voraussetzungen des Abkommens erfüllte, vor allem, ob sie Arbeitnehmerin und [X.] Staatsangehörige war. Im zweiten Rechtsgang wird es die entsprechenden Feststellungen gegebenenfalls nachzuholen haben.

c) Die von der [X.]lägerin vorgetragenen Umstände rechtfertigen es nicht, von einer Aufhebung der [X.]indergeldfestsetzung und Rückforderung des gezahlten [X.]indergelds abzusehen.

aa) ...

bb) Ein Grund, um nach [X.] und Glauben eine Aufhebung der [X.]indergeldfestsetzung auszuschließen, folgt nicht daraus, dass die Familienkasse bis zum Eintritt von [X.]s Volljährigkeit nicht geprüft hat, ob die Voraussetzungen für einen fortlaufenden [X.]indergeldbezug vorliegen. Die sich aus § 88 Abs. 1 Satz 1 [X.] ergebende Aufklärungspflicht der Familienkassen wird durch die Mitwirkungspflicht des [X.]indergeldberechtigten (§ 68 Abs. 1 Satz 1 EStG) begrenzt. Erst nach Eintritt der Volljährigkeit besteht Anlass, die [X.]indergeldberechtigung zu überprüfen; dies gilt auch für "Familien mit Auslandsbezug". Bis dahin eintretende wesentliche Änderungen hat der [X.]indergeldberechtigte von sich aus mitzuteilen; hierüber wird er regelmäßig durch ein Merkblatt unterrichtet. Die Mitteilungspflicht ist zu erfüllen, ohne dass es einer weiteren Aufforderung oder eines zusätzlichen Hinweises bedarf (Senatsbeschluss vom 12.07.2016 - III B 33/16, [X.]NV 2016, 1750, Rz 14).

d) Im zweiten Rechtsgang wird das [X.] den Sachverhalt somit weiter aufklären und unter Beachtung der vorstehend genannten Rechtsgrundsätze und der bereits aufgeworfenen Fragen erneut verhandeln und entscheiden müssen.

3. Die die Monate Januar 2016 bis einschließlich Juli 2018 betreffende [X.] der [X.]lägerin ist unzulässig.

a) Die unselbständige [X.] ist ein nach § 155 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 554 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung statthafter Antrag im Rahmen der Revision des Revisionsklägers und ihrem Wesen nach akzessorisch gegenüber der [X.] ([X.]-Urteil vom 03.07.1979 - VII R 53/76, [X.], 158, [X.] 1979, 655). Sie ist nur zulässig, soweit sie denselben Streitgegenstand wie die Revision betrifft (Senatsbeschluss vom 16.07.2014 - III S 1/13 (P[X.]H), [X.]NV 2014, 1759, Rz 16 f.; [X.]-Urteil vom 17.10.1984 - I R 22/79, [X.], 276, [X.] 1985, 69, Rz 38). Weil in [X.]indergeldangelegenheiten jeder Monat einen eigenen Streitgegenstand bildet (§ 66 Abs. 2 EStG), ist eine unselbständige [X.] somit nur zulässig, soweit sie den [X.]indergeldanspruch für dieselben Monate betrifft wie die Revision (Senatsbeschluss vom 16.07.2014 - III S 1/13 (P[X.]H), [X.]NV 2014, 1759, Rz 17).

b) Nach diesen Grundsätzen ist die [X.] der [X.]lägerin nicht statthaft. Die Revision der Familienkasse betrifft den [X.]indergeldanspruch für die Monate August 2009 bis einschließlich Dezember 2015, die [X.] der [X.]lägerin hingegen den [X.]indergeldanspruch für die Monate Januar 2016 bis einschließlich Juli 2018.

c) Die [X.] der [X.]lägerin ist auch nicht als eigenständige Revision statthaft. Das [X.] hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die [X.]lägerin hätte, wenn sie ein selbständiges Rechtsmittel einlegen hätte wollen, innerhalb der Frist des § 116 Abs. 2 Satz 1 [X.]O eine Nichtzulassungsbeschwerde erheben müssen; dies hat sie nicht getan. Auf den [X.] des [X.] kann die [X.]lägerin ihren die Monate Januar 2016 bis einschließlich Juli 2018 betreffenden Revisionsantrag nicht stützen. Die Zulassung geht nicht weiter als der Antrag der Familienkasse im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision. Dieser betraf nur die Aufhebung der [X.]indergeldfestsetzung und die Rückforderung des [X.]indergelds für die Monate August 2009 bis einschließlich Dezember 2015.

d) Auch wenn eine unzulässige Revision nach § 126 Abs. 1 [X.]O grundsätzlich durch Beschluss zu verwerfen ist, kann der Senat in einem Fall wie dem vorliegenden einheitlich durch Urteil entscheiden (vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 21.06.2012 - IV R 42/11, [X.]NV 2012, 1927, Rz 27, m.w.[X.]).

4. Die [X.]ostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

III R 24/21

17.08.2023

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 19. Oktober 2020, Az: 2 K 683/20, Urteil

§ 8 AO, § 9 AO, § 37 Abs 2 AO, § 169 AO, §§ 169ff AO, § 171 Abs 7 AO, § 176 AO, § 370 AO, § 378 AO, § 384 AO, § 31 Abs 3 EStG, § 62 EStG 2009, §§ 62ff EStG 2009, § 63 Abs 1 S 6 EStG 2009, § 66 Abs 2 EStG 2009, § 68 Abs 1 S 1 EStG 2009, § 70 Abs 2 S 1 EStG 2009, § 11 Abs 1 OWiG, § 11 Abs 2 OWiG, § 31 Abs 3 S 1 OWiG, § 31 Abs 3 S 2 OWiG, § 16 Abs 1 StGB, § 16 Abs 2 StGB, § 78 Abs 3 Nr 4 StGB, § 554 Abs 1 ZPO, § 554 Abs 2 S 1 ZPO, § 88 Abs 1 S 1 AO, § 32 Abs 4 EStG 2009, § 126 FGO, EStG VZ 2009, EStG VZ 2010, EStG VZ 2011, EStG VZ 2012, EStG VZ 2013, EStG VZ 2014, EStG VZ 2015, EStG VZ 2016, EStG VZ 2017, EStG VZ 2018

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.08.2023, Az. III R 24/21 (REWIS RS 2023, 7544)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7544

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