Bundessozialgericht, Urteil vom 17.12.2015, Az. B 2 U 2/14 R

2. Senat | REWIS RS 2015, 427

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Gegenstand

Gesetzliche Unfallversicherung - Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge - Einrede der Verjährung - Beginn der Verjährung - Entstehung des Erstattungsanspruchs - Verfallklausel - Ermessen - keine unzulässige Rechtsausübung - offensichtliche Erkennbarkeit der unrichtigen Beitragsentrichtung aufgrund rechtswidriger Veranlagung


Leitsatz

In der gesetzlichen Unfallversicherung beginnt die Frist für die Verjährung des Anspruchs auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge auch dann mit dem Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung, wenn der Erstattungsanspruch später oder erst nach Ablauf der Verjährungsfrist entsteht (Anschluss an BSG vom 31.3.2015 - B 12 AL 4/13 R = SozR 4-2400 § 27 Nr 6).

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 23. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von zur gesetzlichen Unfallversicherung für die Jahre 1996 bis 2001 entrichteten Beiträgen streitig.

2

Die Klägerin betreibt seit 1983 einen Bade- und Saunabetrieb. Sie wurde von der Beklagten wegen der Unternehmensart "Masseure, Med. Bademeister, Kurbäder" mit dem [X.] 5000 ab 1.1.1996 zur [X.] 8 und [X.], ab 1.1.2001 zur [X.] veranlagt (Bescheide vom 28.6.1996 und 3.7.2001).

3

Mit Schreiben vom 16.1.2007 machte die Klägerin unter Hinweis auf den von ihr geführten Saunabetrieb eine Überprüfung ihrer Veranlagung sowie eine Beitragserstattung geltend. Die Beklagte veranlagte sie daraufhin ab 1.1.2007 nach dem [X.] 5000 ("Masseure, medizinische Bademeister") zur [X.] 8 und [X.] sowie ab [X.] nach dem [X.] 6000 ("Saunabetriebe") zur [X.] 7 und [X.] (Bescheide vom [X.]).

4

Die Klägerin erhob mit Schreiben vom [X.] Widerspruch gegen die Veranlagung für Januar 2007. Zudem beantragte sie, die Beitragsbescheide für die Jahre 1983 bis 2005 aufzuheben, die Beiträge nach der [X.] 7 neu festzusetzen und überzahlte Beiträge zu erstatten. Die Beklagte half dem Widerspruch mit Bescheid vom [X.] ab. Darüber hinaus teilte sie mit, dass dem Antrag auf Änderung der Veranlagung rückwirkend für die Vergangenheit stattgegeben werde und die "Beitragsbescheide … innerhalb des Verjährungszeitraums des § 27 Abs 2 [X.]B IV zu berichtigen" seien. Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 11.9.2007 darauf hingewiesen hatte, dass der Widerspruch auf "die Beitragserstattung der Jahre 1996 bis 2001 beschränkt" werde, wies die Beklagte den "Widerspruch vom 01.03.2007 (eingegangen am 03.03.2007) gegen den [X.] vom 05.02.2007" zurück, "soweit ihm nicht bereits durch rückwirkende Beitragskorrektur ab dem Umlagejahr 2002 abgeholfen wurde". Die Erstattungsansprüche in Bezug auf die [X.] 1996 bis 2001 seien verjährt (Widerspruchsbescheid vom [X.]).

5

Das [X.] hat den Bescheid der Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] insoweit aufgehoben, als die Erstattung [X.] geleisteter Beiträge für die Jahre 1996 bis 2001 abgelehnt wurde und die Beklagte verurteilt, die Klägerin hinsichtlich dieses [X.] neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 22.8.2011). Das L[X.]-Brandenburg hat das Urteil des [X.] geändert, die Beklagte unter Änderung ihres Bescheids vom [X.] in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom [X.] verpflichtet, die [X.] und Beitragsbescheide für die Jahre 1996 bis 2001 aufzuheben, die Klägerin für diesen Zeitraum zur [X.] 7 (Saunabetriebe) zu veranlagen sowie Beiträge nach der jeweiligen Gefahrklasse der [X.] 7 neu festzusetzen. Außerdem hat es die Beklagte verurteilt, die Klägerin hinsichtlich der Erstattung [X.] geleisteter Beiträge für die Jahre 1996 bis 2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der schriftsätzlich gestellte Berufungsantrag sei im Sinne des Klagevorbringens auszulegen. Dem Beitragserstattungsanspruch habe eine Aufhebung der [X.] und Beitragsbescheide logisch voranzugehen. Mit der unzutreffenden Veranlagung gehe die Neufestsetzung der Beiträge einher. Gegen den daraus resultierenden Erstattungsanspruch stehe der Beklagten aber die [X.] zu. Der Beginn der Verjährung sei nicht von der vorherigen Entstehung des Erstattungsanspruchs abhängig. Dafür spreche ungeachtet der nicht einheitlichen Rechtsprechung des B[X.] der eindeutige Wortlaut des § 27 Abs 2 Satz 1 [X.]B IV. Gründe, welche die Erhebung der [X.] als treuwidrig erscheinen ließen, seien nicht zu erkennen. Die Klägerin hätte die unrichtige Veranlagung ohne Weiteres erkennen können. Eine den Verzicht auf die [X.] begründende Ermessensreduzierung auf Null liege nicht vor. Allerdings sei eine Ermessensausübung zugunsten der Klägerin in einem späteren Rückabwicklungsverfahren nicht ausgeschlossen (Urteil vom 23.1.2014).

6

Mit der vom L[X.] zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 27 [X.]B IV. Der Anspruch auf Beitragserstattung setze [X.] die vorherige Aufhebung der zugrundeliegenden [X.] und Beitragsbescheide voraus. Damit könne die Verjährung erst mit der Entstehung des Erstattungsanspruchs in Lauf gesetzt werden. Im Falle der Verjährung eines rückwirkend entstehenden Erstattungsanspruchs würde der mit ihr verfolgte Zweck vereitelt. § 27 Abs 2 [X.]B IV gehe vom Regelfall aus, dass Beiträge ohne zugrundeliegenden Verwaltungsakt [X.] geleistet würden. Erst mit der Aufhebung des [X.] seien Beiträge "zu Unrecht" im Sinne dieser Vorschrift geleistet. Für diese Rechtsansicht spreche nicht nur die Rechtsprechung des B[X.] zur Arbeitslosenversicherung, sondern auch der systematische Zusammenhang mit § 160 Abs 2 Nr 2 [X.]B VII. Da die Überzahlung der Beiträge auf einer fehlerhaften Veranlagung der Beklagten beruhe, stelle die Erhebung der [X.] im Übrigen eine unzulässige Rechtsausübung dar.

7

Die Klägerin beantragt,

        

die Urteile des [X.] vom 23. Januar 2014 und des [X.] vom 22. August 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Februar 2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr überzahlte Beiträge in Höhe von 31 045,71 Euro zu erstatten.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Die auf Beitragserstattung gerichtete Klage sei unzulässig, weil es insoweit an einem durchgeführten Vorverfahren fehle. Im Übrigen stelle § 27 [X.]B IV für den Verjährungsbeginn auf den Zeitpunkt ab, in dem die Beiträge entrichtet worden seien. Die Verjährung könnte niemals eintreten, wenn sie erst mit der Aufhebung der Beitragsbescheide beginnen würde.

Entscheidungsgründe

Die Revision, mit der nur noch die Erstattung überzahlter Beiträge begehrt wird, ist zulässig aber unbegründet.

Allerdings ist die Klage zulässig erhoben worden. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 [X.]), mit der unter Aufhebung entgegenstehender Verwaltungsakte die Verurteilung der [X.]n zur Erstattung überzahlter Beiträge geltend gemacht wird. Eine solche Anfechtungsklage ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein (§ 54 Abs 1 Satz 2 [X.]). An dieser Klagebefugnis fehlt es zwar, wenn eine Verletzung subjektiver Rechte nicht in Betracht kommt (BSG vom 14.11.2002 - B 13 RJ 19/01 R - [X.], 127, 130 = [X.] 3-5795 § 10d [X.]), weil hinsichtlich des Klagebegehrens eine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung nicht vorliegt (BSG vom 28.10.2008 - [X.] [X.] 33/07 R - [X.] 4-1500 § 77 [X.] Rd[X.]3). Solange der zuständige Unfallversicherungsträger nicht über einen Leistungsanspruch entschieden hat, kann der Versicherte, außer bei rechtswidriger Untätigkeit der Behörde (§ 88 [X.]), kein berechtigtes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung haben. Entsprechendes gilt für die mit der Anfechtungsklage kombinierte (unechte) Leistungsklage (§ 54 Abs 4 [X.]). Auch sie setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger die begehrte Leistung versagt hat und kommt daher vor dem Erlass einer ablehnenden Verwaltungsentscheidung nicht in Betracht (BSG vom [X.] U 25/09 R - Juris Rd[X.]7).

Der Bescheid der [X.]n vom [X.] enthält bei verständiger Auslegung (§ 133 BGB) eine die Beitragserstattung versagende Regelung iS des § 31 Satz 1 [X.]. Den Inhalt eines Verwaltungsakts hat das Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit festzustellen. Dabei ist Maßstab der Auslegung der "[X.]" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat. Ausschlaggebend ist der objektive Sinngehalt der Erklärung, das objektivierte [X.]. Zur Bestimmung des objektiven Regelungsgehalts eines Verwaltungsakts kommt es darauf an, wie Adressaten und [X.] ihn nach [X.] und Glauben verstehen mussten oder durften. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (BSG vom 3.4.2014 - B 2 U 25/12 R - [X.], 256 = [X.] 4-2700 § 136 [X.], Rd[X.]5 mwN). Gemessen daran durfte die Klägerin aufgrund der Formulierung in dem Bescheid vom [X.], die "Beitragsbescheide sind innerhalb des [X.] nach § 27 Abs. 2 [X.] zu berichtigen" davon ausgehen, dass hiermit über ihren mit Schreiben vom 16.1.2007 gestellten und mit weiterem Schreiben vom [X.] wiederholten Antrag auf Erstattung überzahlter Beiträge für die [X.] von 1996 bis 2001 entschieden werden sollte. Aus der verlautbarten Erklärung wird deutlich, dass die [X.] eine die Klägerin begünstigende Korrektur der Beitragsfestsetzung und damit eine Beitragserstattung ablehnt, weil und soweit ihr die Verjährung entgegensteht.

Über den Anspruch auf Beitragserstattung für die Jahre 1996 bis 2001 ist auch im Widerspruchsbescheid vom [X.] entschieden worden, sodass die Zulässigkeit der Klage ferner nicht an einem fehlenden Vorverfahren gemäß § 78 Abs 1 [X.] scheitert. Durchgeführt ist ein Vorverfahren erst dann, wenn im [X.] an eine Nachprüfung der mit dem Widerspruch angefochtenen Verwaltungsentscheidung ein auf diese bezogener Widerspruchsbescheid ergangen ist. Ob das der Fall ist, bestimmt sich ebenfalls durch Feststellung des objektiven Erklärungsinhalts des Widerspruchsbescheids im Wege der Auslegung (§ 133 BGB), zu der das Revisionsgericht befugt ist. Hierbei sind sowohl die Entscheidungsformel als auch die Begründung des Widerspruchsbescheids zu berücksichtigen (BSG vom [X.] - [X.] [X.] 2/06 R - Juris Rd[X.]5 ff). Danach enthält der Widerspruchsbescheid der [X.]n auch eine Entscheidung zum geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der von 1996 bis 2001 zu Unrecht entrichteten Beiträge, auch wenn nach der Entscheidungsformel lediglich der "Widerspruch vom 01.03.2007 (eingegangen am 03.03.2007) gegen den [X.] vom 05.02.2007" zurückgewiesen wird. Für eine solche Auslegung spricht schon, dass der Widerspruch zurückgewiesen wird, "soweit ihm nicht bereits durch rückwirkende Beitragskorrektur ab dem Umlagejahr 2002 abgeholfen wurde" und damit ausdrücklich eine Beziehung zur Beitragserstattung hergestellt wird. Zudem weist die [X.] in der Begründung ausdrücklich darauf hin, dass der Antrag auf Erstattung der Beiträge "für die Jahre 1996 bis 2001" strittig geblieben sei und infolge "Verjährung der Rückerstattungsansprüche" eine Beitragskorrektur ausscheide. Diese Auseinandersetzung mit dem Erstattungsanspruch und seine Ablehnung aufgrund eingetretener Verjährung konnte die Klägerin als Erklärungsempfängerin nur so verstehen, dass die [X.] auf ihren Widerspruch hin über die Beitragserstattung für die Jahre 1996 bis 2001 entschieden hat.

Die Klage hat indes in der Sache keinen Erfolg. Die Ablehnung der Beitragserstattung in dem Bescheid der [X.]n vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen durchsetzbaren Anspruch auf Erstattung der in den Jahren 1996 bis 2001 zu Unrecht geleisteten Beiträge. Der Erstattungsanspruch (dazu 1.) ist hinsichtlich der Beitragszahlungen für die Jahre 1996 bis 2001 verjährt (dazu 2.). Die [X.] hat die Einrede der Verjährung rechtsfehlerfrei erhoben (dazu 3.).

1. Nach § 26 Abs 2 Halbs 1 [X.] in der hier maßgebenden Fassung der Bekanntmachung vom 23.1.2006 ([X.]) sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, der Versicherungsträger hat bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs aufgrund dieser Beiträge oder für den [X.]raum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen. Die Voraussetzungen dieser auch in der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich anwendbaren Erstattungsnorm (BSG vom 2.2.1999 - B 2 U 3/98 R - [X.], 270, 276 = [X.] 3-2400 § 26 [X.]1 S 56) sind hier erfüllt. Die Klägerin hat für die Jahre 1996 bis 2001 Beiträge nach der [X.] 8 ohne Rechtsgrund (vgl hierzu BSG vom 31.3.2015 - [X.] [X.] 4/13 R - [X.] 4-2400 § 27 [X.] Rd[X.]3 mwN) gezahlt. Für diese Beitragsentrichtung war weder eine [X.] noch formal-rechtliche Grundlage gegeben. Die Beiträge wurden fälschlicherweise nach der [X.] 8 anstelle der [X.] 7 bemessen. Die [X.] ist zudem aufgrund des lediglich von der Klägerin angegriffenen Urteils des [X.] nach § 44 Abs 1 [X.] verpflichtet, die Verwaltungsakte über die [X.] für die Jahre 1996 bis 2001 aufzuheben. Dem Erstattungsanspruch steht auch nicht die so genannte Verfallklausel des § 26 Abs 2 Halbs 1 Teils 2 [X.] entgegen. Diese ist von vornherein ausgeschlossen, wenn es - wie hier - an jeglichem Zusammenhang zwischen den zu erstattenden Beiträgen und erbrachten oder zu erbringenden Leistungen fehlt, weil die Rechtswidrigkeit der Beitragserhebung auf einer unrichtigen Veranlagung zum Gefahrtarif beruht (BSG vom [X.] - [X.], 18, 24 f = [X.] 1300 § 44 [X.] S 86).

2. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch ist jedoch verjährt. Nach § 27 Abs 2 Satz 1 [X.] verjährt der Erstattungsanspruch des § 26 Abs 2 [X.] in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. Die Verjährung hinsichtlich der für die Jahre 1996 bis 2001 im jeweiligen Nachfolgejahr entrichteten Beiträge trat daher mit Ablauf des 31.12.2006 ein. Der erst im Januar 2007 gestellte Antrag auf Erstattung überzahlter Beiträge konnte daher die Verjährung nicht hemmen iS des § 27 Abs 3 Satz 2 [X.].

Dass die [X.] erst durch das hier angegriffene Urteil verpflichtet wurde, die der Beitragsbemessung zugrundeliegenden Verwaltungsakte über die Veranlagung und Beitragserhebung aufzuheben, führt zu keinem anderen Ergebnis. Entgegen der Auffassung der Revision beginnt die Verjährung nicht erst mit der Kassation der die [X.] begründenden Verwaltungsentscheidung. Der erkennende Senat schließt sich in Fortsetzung seiner eigenen Rechtsprechung (Urteil vom 26.1.1988 - 2 RU 5/87 - [X.], 18 = [X.] 1300 § 44 [X.]) nach nochmaliger Überprüfung dem 12. Senat des BSG an. Dieser hat zuletzt unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung mit Urteil vom 31.3.2015 ([X.] [X.] 4/13 R - [X.] 4-2400 § 27 [X.]) entschieden, dass die in § 27 Abs 2 [X.] für den Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge normierte Verjährungsfrist auch dann mit Ablauf des Kalenderjahres der Beitragsentrichtung beginnt, wenn der Erstattungsanspruch später oder sogar erst nach Ablauf der Verjährungsfrist entstehen sollte. Dabei hat er sich auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, den mit ihr verfolgten Zweck sowie das Regelungskonzept der §§ 25 ff [X.] gestützt. Zudem hat er zur Begründung ausgeführt, dass der an den [X.]punkt der Beitragsentrichtung anknüpfende Verjährungsbeginn den Anforderungen an eine verfassungskonforme Inhaltsbestimmung des Eigentums iS des Art 14 Abs 1 Satz 2 GG genüge. Zwar ist einzuräumen, dass Gegenstand der Verjährung nur ein entstandener Anspruch sein kann. Daraus folgt aber nicht denknotwendig, dass die Verjährung jeweils erst mit dem Entstehen des Anspruchs beginnen kann oder darf. Der Gesetzgeber ist vielmehr nicht gehindert, für den Beginn der Verjährung an unterschiedliche Ereignisse anzuknüpfen (vgl §§ 199 ff BGB) und im Falle eines überhaupt entstandenen Anspruchs auf einen früheren [X.]punkt als den seiner Entstehung abzustellen. Infolgedessen kann offenbleiben, ob im Falle der Aufhebung eines Verwaltungsakts über die Beitragsfestsetzung der Erstattungsanspruch mit Wirkung ex nunc ab dem [X.]punkt dieser Aufhebung oder mit Wirkung ex tunc bereits ab dem [X.]punkt der fehlerhaften Beitragsentrichtung entsteht.

Das [X.] führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Einwand der Klägerin, der Wortlaut des § 27 Abs 2 [X.] gelte lediglich für den Regelfall einer Beitragsentrichtung ohne dass dieser ein Verwaltungsakt zugrunde liege, geht fehl. Der Gesetzestext knüpft an das Kalenderjahr an, "in dem die Beiträge entrichtet worden sind", ohne nach der rechtlichen Grundlage für die Beitragsforderung zu differenzieren. Eine Begrenzung der Verjährungsvorschrift auf nur eine bestimmte Gruppe von Beitragszahlungen betreffende Erstattungsansprüche ist auch der Gesetzeshistorie nicht zu entnehmen. Durch § 27 Abs 2 [X.] sollte vielmehr die Regelung des § 45 SGB I über die Verjährung von Sozialleistungen auf Erstattungsansprüche erstreckt werden (BT-Drucks 7/4122 [X.] zu § 26). Hinweise darauf, dass die Verjährungsregelung nicht für Beitragszahlungen, die erst aufgrund eines entsprechenden Verwaltungsakts entstehen, gelten soll, lassen sich den Gesetzesmaterialien hingegen nicht entnehmen.

Eine Auslegung des § 27 Abs 2 [X.] im Sinne der Revision ist auch nicht durch den mit dem [X.] verbundenen allgemeinen Zweck geboten. [X.] dienen zwar einem angemessenen Ausgleich der Interessen von Schuldner und Gläubiger. Der Gläubiger muss eine faire Chance haben, seine Ansprüche zu verfolgen ([X.] vom 17.6.2005 - [X.]/04 - NJW-RR 2005, 1683, 1686). Er muss daher auch in die Lage versetzt werden, sich gegen oder für die Geltendmachung eines Anspruchs entscheiden zu können. Gerade daran aber ist der [X.], der aufgrund eines ihm bekannt gegebenen Verwaltungsakts Beiträge entrichtet, nicht gehindert. Gegen den die Beitragsbelastung feststellenden Verwaltungsakt kann Widerspruch und anschließend Klage erhoben werden. Ist die Rechtsmittelfrist abgelaufen, besteht darüber hinaus grundsätzlich die Möglichkeit der Überprüfung bestandskräftig festgestellter Beitragsforderungen im Rahmen eines [X.] nach § 44 Abs 1 [X.]. Zwar führt der auf den Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung festgelegte Beginn der Verjährung gemäß § 27 Abs 2 [X.] gegebenenfalls dazu, dass einem Erstattungsanspruch, der erst durch die Aufhebung des die Beitragspflicht feststellenden Verwaltungsakts begründet wird, von vornherein die Einrede der Verjährung entgegengehalten werden kann, wenn die Beitragsentrichtung entsprechend lange zurückliegt. Dieses Ergebnis ist aber dem vermeidbaren Umstand geschuldet, dass der Gläubiger von einer rechtlichen Kontrolle der festgesetzten [X.] und der Geltendmachung überzahlter Beiträge über einen [X.]raum von mindestens vier Jahren aus eigenem Entschluss abgesehen hat. Auch bei dem hier angenommen Verjährungsbeginn mit Ablauf des Kalenderjahrs der Beitragsentrichtung wird dem Zweck der Verjährung, eine Übergangsfrist in Bezug auf die Prüfung und Geltendmachung von Ansprüchen einzuräumen, mithin hinreichend Rechnung getragen.

Auch die Besonderheiten der gesetzlichen Unfallversicherung bedingen keine andere Einschätzung. Nach § 1 Abs 1 Satz 1 und 2 [X.] gelten die Vorschriften des [X.] für die gesetzliche Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte, die [X.] Pflegeversicherung sowie mit Ausnahme des [X.] und Zweiten Teils des Vierten Abschnitts und des Fünften Abschnitts auch für die Arbeitsförderung. Vom Geltungsbereich des [X.] ist daher auch die gesetzliche Unfallversicherung erfasst. Ausgenommen sind lediglich Vorschriften der jeweiligen Sozialleistungsbereiche, soweit sie von den Bestimmungen des [X.] abweichen, sie bleiben unberührt (§ 1 Abs 3 [X.]). Das [X.] enthält keine § 27 Abs 2 Satz 1 [X.] ausdrücklich verdrängende Regelung. Anders als § 351 Abs 1 Satz 2 SGB III, der § 27 Abs 2 Satz 2 [X.] für die Beitragserstattung der Arbeitsförderung ausdrücklich ausschließt, ordnet das [X.] an keiner Stelle die Unanwendbarkeit des § 27 Abs 2 Satz 1 [X.] an.

Auch das unfallversicherungsrechtliche Regelungskonzept der §§ 160 und 168 [X.] steht einem Verjährungsbeginn mit Ablauf des Kalenderjahres der Beitragsentrichtung nicht entgegen. § 160 [X.] normiert die Aufhebung des nach § 159 [X.] erlassenen [X.]s und bestimmt den [X.]punkt für das Wirksamwerden der Aufhebung. § 160 [X.] ordnet einerseits die Aufhebung der ursprünglich rechtmäßigen Veranlagung bei Unternehmensänderungen für die Zukunft an (Abs 1) und normiert andererseits die Voraussetzungen, unter denen die Veranlagung mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben wird (Abs 2). In allen übrigen Fällen wird die Veranlagung mit Beginn des Monats, der der Bekanntgabe des Änderungsbescheids folgt, aufgehoben (Abs 3). Diese Regelungen verdrängen als lex specialis die §§ 44 ff [X.] oder werden durch diese Vorschriften ergänzt (BT-Drucks 13/2204 [X.] zu § 160; BSG vom 9.12.2003 - B 2 U 54/02 R - [X.], 287 = [X.] 4-2700 § 160 [X.], RdNr 25 ff). Sie beeinflussen aber nicht die für sämtliche Sozialversicherungszweige geltende gemeinsame Verjährungsregelung des § 27 Abs 2 Satz 1 [X.]. Weder dem Wortlaut des § 160 [X.] noch seinem Regelungsinhalt und auch nicht den Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung, die lediglich auf die Vorgängerregelung des § 734 Abs 2 RVO verweisen (BT-Drucks 13/2204 [X.] zu § 160), lassen sich Vorgaben oder ansatzweise Hinweise zu den beitragsrechtlichen Konsequenzen einer im Nachhinein veränderten Veranlagung entnehmen. § 160 [X.] bestimmt ausschließlich, unter welchen Voraussetzungen und zu welchem [X.]punkt eine Veranlagung iS des § 159 [X.] zu korrigieren ist. Die Norm enthält aber gerade keine Regelung über die Durchsetzbarkeit einer mit der geänderten Veranlagung einhergehenden Beitragsrückforderung.

Auch zwischen § 168 [X.] und § 27 Abs 2 Satz 1 [X.] lässt sich kein systematischer Zusammenhang herleiten, nach dem die Regelung des § 27 Abs 2 Satz 1 [X.] im [X.] keine Anwendung finden soll. § 168 [X.] regelt die Schriftform des Beitragsbescheids (Abs 1), zählt die Fälle auf, in denen ein Beitragsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zuungunsten des Unternehmers aufzuheben ist (Abs 2), sieht eine Satzungsermächtigung für die Selbstberechnung des Beitrags durch die Unternehmer vor (Abs 3) und bestimmt eine Ausnahme für die Feststellung des Beitrags bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten (Abs 4). [X.] zugunsten des Unternehmers sind indes gerade nicht Gegenstand der Vorschrift, sie richten sich nach § 44 [X.]. Dass § 44 Abs 4 [X.] lediglich den [X.] auf längstens vier Jahre vor der Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts begrenzt, ist aber gerade durch die für die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge maßgebenden besonderen Bestimmungen der §§ 26 und 27 [X.] bedingt (vgl BT-Drucks 8/2034 [X.] zu § 42).

3. Die [X.] hat die Einrede der Verjährung rechtsfehlerfrei erhoben. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sie das ihr eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt und ihre Ermessensbetätigung in dem angefochtenen Verwaltungsakt hinreichend begründet hat. Die in dem Urteil des [X.] ausgesprochene Verurteilung der [X.]n, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, ist von der [X.]n nicht mit der Revision angegriffen worden und damit in Rechtskraft erwachsen. Für die Ermessensbetätigung relevante Gesichtspunkte, die eine sog [X.] auf Null naheliegend erscheinen lassen und ausnahmsweise hätten Anlass geben können, von der [X.] abzusehen, sind nicht erkennbar. Der Erhebung der [X.] durch die [X.] steht auch nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen (vgl hierzu BSG vom 12.12.2007 - [X.] [X.] 1/06 R - [X.], 271 = [X.] 4-2400 § 27 [X.], Rd[X.]3). Zwar geht die rechtswidrige Beitragserhebung auf ein Fehlverhalten der [X.]n zurück. Das fehlerhafte Verwaltungshandeln schließt aber jedenfalls dann nicht die Erhebung der [X.] aus, wenn - wie hier - der Gläubiger des Erstattungsanspruchs die unrichtige Beitragsentrichtung aufgrund einer rechtswidrigen Veranlagung ohne Weiteres hätte erkennen können. Das war nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.] der Fall. Diese den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen (§ 163 [X.]) sind nicht mit zulässig erhobenen Verfahrensrügen angegriffen worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 [X.] iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Meta

B 2 U 2/14 R

17.12.2015

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Berlin, 22. August 2011, Az: S 25 U 325/08, Urteil

§ 1 Abs 1 S 1 SGB 4, § 1 Abs 1 S 2 SGB 4, § 1 Abs 3 SGB 4, § 26 Abs 2 Halbs 1 SGB 4 vom 23.01.2006, § 27 Abs 2 S 1 SGB 4, § 160 SGB 7, § 168 SGB 7, § 133 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 17.12.2015, Az. B 2 U 2/14 R (REWIS RS 2015, 427)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 427

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