Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.06.2010, Az. I R 46/08

1. Senat | REWIS RS 2010, 5625

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Gegenstand

Besteuerung leitender Angestellten nach dem DBA-Schweiz


Leitsatz

NV: Das Besteuerungsrecht der Schweiz bei im Inland ansässigen leitenden Angestellten einer schweizerischen Kapitalgesellschaft (Art. 15 Abs. 4 Satz 1 DBA-Schweiz) setzt bei einer mit einem Domizilvermerk versehenen schweizerischen Kapitalgesellschaft voraus, dass die Geschäftsleitung nicht vom Inland aus erfolgt ist.

Tatbestand

1

I. Streitig ist die Besteuerung von Einkünften, die aus einem [X.]rbeitsverhältnis mit einem [X.] [X.]rbeitgeber (Gesellschaft mit einem [X.]omizilvermerk in der [X.]) erzielt wurden.

2

[X.]ie Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1998 einen inländischen Wohnsitz hatten und vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --F[X.]--) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. [X.]er Kläger war als Unternehmensberater und Informatiker bei der [X.] in [X.]/[X.] angestellt ([X.]rbeitsvertrag vom 31. Januar 1992); dort war ihm Prokura (Einzelprokura) erteilt worden. Nach den [X.]uszügen aus dem Handelsregister handelt es sich bei der [X.] um eine Gesellschaft mit einem [X.]omizilvermerk mit wechselnden [X.]omizilgebern. Nach dem [X.] vom 4. November 1999 befand sich das [X.]omizil bei der Y-[X.]G, [X.][X.], die Unternehmensberatung und [X.] betreibt. Unter der [X.]dresse der Y-[X.]G hatten mehrere weitere Firmen ihr [X.]omizil. [X.]ie Statuten der [X.] wurden am 17. [X.]ezember 2001 geändert; der Sitz der Gesellschaft war ab dem 20. [X.]ezember 2001 c/o Z-[X.]G, [X.]/[X.]. [X.]as [X.]omizil wurde nochmals am 18. Februar 2007 mit [X.]omizilvermerk zur …, in [X.]/[X.] verlegt. Bis zum 17. September 2004 war im Handelsregister bei dem Kläger als Heimat [X.]eutschland eingetragen. [X.]er Kläger war nach den Feststellungen des Finanzgerichts ([X.]) die einzige Person, die als Prokurist fortlaufend tätig war; die übrigen eingetragenen Personen waren [X.] Staatsbürger, entweder als [X.]omizilgeber oder als Revisionsstelle.

3

[X.]er Kläger betreute zahlreiche Kunden bei der [X.]nwendung von Software-Programmen und unternahm deshalb eine umfangreiche Reisetätigkeit in [X.]eutschland und der [X.]. Neben seinem Wohnsitz in [X.]eutschland hatte der Kläger eine in [X.] ([X.]) gelegene Ein-Zimmer-Wohnung angemietet. [X.]ls Verwendungszweck wird im Mietvertrag "[X.]" angegeben; die Miete wurde nach [X.]ngaben des Klägers vom [X.]rbeitgeber bezahlt. [X.]er Kläger hatte eine Niederlassungsbewilligung [X.] des Kantons [X.] für die dortige Wohnung.

4

[X.]as F[X.] erfasste die vom Kläger erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger [X.]rbeit zu einem Teil als steuerpflichtig. Zwar sei der Kläger, der im Verlauf des Veranlagungsverfahrens über 60 sog. Nichtrückkehrtage ([X.]ienstreisen mit Übernachtung in [X.]eutschland) nachgewiesen hatte, kein Grenzgänger i.S. des [X.]rt. 15a des [X.]bkommens zwischen der Bundesrepublik [X.]eutschland und der [X.]ischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der [X.]oppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. [X.]ugust 1971 ([X.] 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.[X.] vom 21. [X.]ezember 1992 ([X.] 1993, 1888, [X.], 928) --[X.]B[X.]-[X.] 1992--. Er unterliege aber --auch nach Maßgabe des [X.]rt. 15 [X.]bs. 4 [X.]B[X.]-[X.] 1992 (hier: [X.] mit dem rechnerisch auf seine Tätigkeit in [X.]eutschland entfallenden Einkünften aus nichtselbständiger [X.]rbeit der [X.] Besteuerung. [X.]ie Klage blieb erfolglos ([X.] Baden-Württemberg, [X.]ußensenate Freiburg, Urteil vom 1. [X.]pril 2008  11 [X.], Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1526).

5

[X.]ie Kläger machen mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend und beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer des Streitjahres ohne Berücksichtigung der ausländischen Einkünfte aus nichtselbständiger [X.]rbeit (72.632 [X.]M) bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens (Steuerfreistellung unter Progressionsvorbehalt) festzusetzen.

6

[X.]as F[X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

7

[X.]em Revisionsverfahren sind das [X.] ([X.]) und das Finanzministerium des [X.] ([X.]) beigetreten (§ 122 [X.]bs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). [X.]as [X.] hat ebenso wie das [X.] keinen [X.]ntrag gestellt.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache an das [X.] zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O). Die tatsächlichen Feststellungen des [X.] reichen nicht aus, eine abschließende Entscheidung zur Frage der Steuerfreistellung der Einkünfte des [X.] aus seiner Tätigkeit als Prokurist der [X.] in [X.] zu treffen.

9

1. Die Kläger waren im Streitjahr gemäß § 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 1997 unbeschränkt steuerpflichtig; der Kläger unterlag daher mit allen in den Streitjahren erzielten Einkünften der Einkommensteuer. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) hatten die Kläger in den Streitjahren einen Wohnsitz im Inland.

2. Die Ausübung des hiernach bestehenden Besteuerungsrechts kann aber, soweit es um die hier streitigen Einkünfte geht, durch das [X.] 1992 eingeschränkt sein. Zu einer abschließenden Entscheidung dieser Frage (Ansässigkeit des Arbeitgebers in [X.]) fehlen Feststellungen des [X.].

a) Nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d [X.] 1992 werden bei einer in der Bundesrepublik [X.] ([X.]) ansässigen Person Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen [X.]. 15 [X.] 1992, soweit sie nicht unter Art. 17 [X.] 1992 fallen, von der Bemessungsgrundlage der [X.] Steuer ausgenommen, wenn sie nach dem Abkommen in [X.] besteuert werden können und die Arbeit in [X.] ausgeübt wird.

b) Der Kläger war in den Streitjahren [X.]. 4 [X.] [X.] 1992 in [X.] ansässig. Nach den Feststellungen des [X.] verfügte der Kläger in den Streitjahren sowohl in [X.] als auch in [X.] über eine ständige Wohnstätte. Für die Beurteilung der Ansässigkeit kommt es damit nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. a [X.] 1992 darauf an, wo sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen des [X.] befand. Die Würdigung des [X.], dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen des [X.] in [X.] lag, wird von den Beteiligten nicht angegriffen und ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

c) Für die Einkünfte des [X.] aus nichtselbständiger Arbeit kann nach Art. 15 Abs. 4 [X.] 1992 ein Besteuerungsrecht [X.] bestehen.

aa) Nach Art. 15 Abs. 4 Satz 1 [X.] 1992 können vorbehaltlich des Art. 15a [X.] 1992 die Einkünfte einer in [X.] ansässigen Person aus einer Tätigkeit als Vorstandsmitglied, Direktor, Geschäftsführer oder Prokurist einer in [X.] ansässigen Kapitalgesellschaft in [X.] besteuert werden, sofern die Tätigkeit nicht so abgegrenzt ist, dass sie lediglich Aufgaben außerhalb [X.] umfasst. [X.] die [X.] diese Einkünfte nicht, so können sie in [X.] besteuert werden (Art. 15 Abs. 4 Satz 2 [X.] 1992).

bb) Der Kläger war nach den Feststellungen des [X.] Prokurist der in [X.] ansässigen [X.]; er gehörte damit zum Kreis der in Art. 15 Abs. 4 Satz 1 [X.] 1992 genannten leitenden Angestellten. Das [X.] hat nicht festgestellt, dass die Tätigkeit des [X.] lediglich Aufgaben außerhalb [X.] umfasste. Schließlich wurden die Einkünfte des [X.] aus der Tätigkeit für die [X.] in den Streitjahren in [X.] besteuert.

cc) Die Anwendung des Art. 15 Abs. 4 Satz 1 [X.] 1992 wird im Streitfall nicht durch Art. 15a [X.] 1992 ausgeschlossen. Denn der Kläger ist kein Grenzgänger [X.]. 15a [X.] 1992, da er in den Streitjahren jeweils an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz zurückgekehrt ist (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1992).

Nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 [X.] 1992 sind Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragsstaat zu besteuern, in dem dieser ansässig ist. Grenzgänger [X.]. 15a Abs. 1 [X.] 1992 ist jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die im anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 1 [X.] 1992). Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, so entfällt nach Art. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1992 die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn sie bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt.

Im Streitfall hat der Kläger zur Überzeugung des Tatsachengerichts nachgewiesen, dass er an über 60 Tagen durch das Arbeitsverhältnis veranlasste Dienstreisen mit auswärtiger Übernachtung (in [X.]) unternommen hat. Damit hat der Kläger nach den Maßgaben des [X.] vom 11. November 2009 [X.] ([X.], 419), auf das für Einzelheiten zu verweisen ist, über 60 Nichtrückkehrtage [X.]. 15a Abs. 2 Satz 2 [X.] 1992 nachgewiesen, so dass eine Grenzgängereigenschaft im Streitfall nicht besteht.

dd) Das [X.] hat jedoch keine Feststellungen zu der für die Anwendung des Art. 15 Abs. 4 [X.] 1992 erheblichen Frage getroffen, ob es sich bei der [X.] (im Streitjahr) um eine in [X.] ansässige Kapitalgesellschaft handelt.

Nach der Eintragung im Handelsregister trug die [X.] einen sog. Domizilvermerk. Darin drückt sich gemäß Art. 43 der Verordnung über das Handelsregister in [X.] eine juristische Person aus, die am Ort ihres statutarischen Sitzes kein Geschäftsbüro hat. Solche Gesellschaften müssen anmelden, bei wem sich ihr Domizil befindet. Ein Rückschluss auf den Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung lässt sich aus einer am [X.] geführten formellen Verwaltung nicht ziehen (z.B. Urteil des [X.] vom 16. Januar 1976 [X.]/74, [X.], 277, [X.] 1976, 401).

Es wird deshalb vom [X.] aufzuklären sein, ob die Geschäftsleitung der [X.] nicht von [X.] aus ausgeübt worden ist. Dazu müsste der Kläger, der nach den Feststellungen des [X.] die Geschäfte der [X.] ohne Mitwirkung anderer Personen geführt hat, die im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erforderlichen Entscheidungen von einigem Gewicht überwiegend im Inland (an seinem Wohnsitz) getroffen haben (s. auch z.B. Senatsurteil vom 17. Juli 1968 I 121/64, [X.], 1, [X.] 1968, 695); die Feststellung des [X.], dass der Kläger die einzige Person war, die als Prokurist fortlaufend tätig gewesen ist, während die übrigen eingetragenen Personen --entweder als Domizilgeber oder als Revisionsstelle-- [X.] Staatsbürger waren, reicht in dieser Hinsicht nicht aus. [X.]. käme es in Betracht, die [X.] nach Maßgabe des Art. 4 Abs. 8 Satz 1 [X.] 1992 als in [X.] ansässige Kapitalgesellschaft zu qualifizieren, was eine Besteuerung der in [X.] erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit ermöglichen würde.

Meta

I R 46/08

22.06.2010

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 1. April 2008, Az: 11 K 66/05, Urteil

Art 15 Abs 4 S 1 DBA CHE 1971

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.06.2010, Az. I R 46/08 (REWIS RS 2010, 5625)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5625

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