Bundessozialgericht, Beschluss vom 24.02.2016, Az. B 13 R 341/15 B

13. Senat | REWIS RS 2016, 15692

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Gegenstand

(Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 S 2 SGG - Beschlussfassung des Berufungsgerichts vor dem Ende der in der Anhörungsmitteilung gesetzten Frist)


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 25. August 2015 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über eine Rente wegen Erwerbsminderung.

2

Den Antrag des 1960 geborenen [X.] auf Rente wegen Erwerbsminderung vom Januar 2013 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.5.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] ab. Die hiergegen vor dem [X.] erhobene Klage blieb erfolglos (Urteil vom 16.6.2014). Im Berufungsverfahren hat das [X.] ua ein Sachverständigengutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. vom 27.7.2015 eingeholt. Diese hat den Kläger noch für in der Lage erachtet, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte körperliche Arbeiten mindestens sechs Stunden täglich, zB als Warenaufmacher/Versandfertigmacher, auszuüben. Mit Schreiben vom 6.8.2015, beim Prozessbevollmächtigten des [X.] eingegangen am 12.8.2015, hat das [X.] dieses Gutachten dem Kläger zur Kenntnis übersandt und darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, den Rechtsstreit nach § 153 Abs 4 S 1 SGG ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Zugleich hat es ihm Gelegenheit zur Äußerung binnen vier Wochen gegeben. Mit Beschluss vom 25.8.2015 hat das [X.] die Berufung zurückgewiesen und sich zur Begründung ua auch auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. P. gestützt. Die Entscheidung wurde dem Prozessbevollmächtigten des [X.] am 31.8.2015 zugestellt.

3

Der Kläger rügt eine Verletzung des § 153 Abs 4 [X.] SGG. Das [X.] habe ihm in seiner Anhörungsmitteilung eine Frist zur Äußerung bis zum [X.] (vier Wochen bei Zugang am 12.8.2015) gesetzt. Ohne eine entsprechende Stellungnahme von ihm abzuwarten, habe das [X.] im Beschlussverfahren aber bereits am 25.8.2015 entschieden. Er habe daher keine Gelegenheit mehr gehabt, fristgerecht insbesondere zum Gutachten der Sachverständigen Dr. P. eine Stellungnahme abgeben zu können. Dies stelle einen absoluten Revisionsgrund dar.

4

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist zulässig und begründet. Er hat mit der von ihm gerügten Verletzung der [X.] nach § 153 Abs 4 [X.] SGG einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 [X.] SGG schlüssig bezeichnet (§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Dieser Verfahrensmangel liegt auch tatsächlich vor (dazu unter 1.). Die angefochtene Entscheidung beruht auch auf diesem Verfahrensmangel (dazu unter 2.).

5

1. Das [X.] hat § 153 Abs 4 [X.] SGG verletzt, wonach die Beteiligten vor Erlass eines Beschlusses nach § 153 Abs 4 S 1 SGG zu hören sind. Der Verstoß des Berufungsgerichts gegen diese Verfahrensvorschrift liegt darin begründet, dass es dem Kläger in seiner Anhörungsmitteilung vom 6.8.2015 eine Frist zur Äußerung von vier Wochen eingeräumt und diese durch seine bereits am 25.8.2015 erfolgte Beschlussfassung selbst nicht beachtet hat (vgl Senatsbeschluss vom 17.4.2012 - [X.]3 R 61/12 B - Juris Rd[X.] 8; BSG Beschluss vom [X.] - B 5 R 386/07 B - [X.] 4-1500 § 153 [X.] Rd[X.] 12 mwN).

6

2. Die angefochtene Entscheidung beruht auch auf dem festgestellten Verfahrensmangel. Anders als die Verletzung von § 153 Abs 4 S 1 SGG ist diejenige von [X.] nicht ohne Weiteres wie ein absoluter Revisionsgrund (gemäß § 202 S 1 SGG iVm § 547 [X.] 1 ZPO ) zu behandeln, bei dem unwiderleglich vermutet wird, dass die Entscheidung auf dem [X.] beruht (vgl BSG Beschluss vom [X.] - B 2 U 29/00 R - [X.] 3-1500 § 153 [X.] 13). Denn die nicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörung nach § 153 Abs 4 [X.] SGG ist in erster Linie eine Gehörsverletzung, deren Kausalität für die angegriffene Entscheidung nicht ohne Weiteres zu unterstellen ist (vgl BSG Beschluss vom [X.] - B 5 R 386/07 B - [X.] 4-1500 § 153 [X.] Rd[X.] 19; Senatsbeschlüsse vom 17.4.2012 - [X.]3 R 61/12 B - Juris Rd[X.] 9 und vom 2.11.2015 - [X.]3 R 203/15 B - Juris Rd[X.] 15). Fallkonstellationen, in denen eine erforderliche Anhörung überhaupt nicht durchgeführt wurde bzw deren Durchführung nicht nachweisbar ist, sodass die Beteiligten keinerlei Veranlassung hatten, sich gegenüber dem Gericht noch innerhalb der gesetzten Frist Gehör zu verschaffen, können dabei aber einer lediglich (formal) unzulänglich erfolgten Anhörung nicht gleichgestellt werden. Hier fehlt es nämlich von vornherein an einer wesentlichen Voraussetzung, nämlich einer Anhörungsmitteilung, die das Gesetz für eine Entscheidung im vereinfachten Beschlussverfahren nur durch die Berufsrichter verlangt (Senatsbeschluss vom 2.11.2015 aaO; insoweit noch offengelassen in BSG Beschluss vom [X.] - B 5 R 386/07 B - [X.] 4-1500 § 153 [X.] Rd[X.] 19). Dasselbe gilt, wenn eine erste Anhörung aufgrund einer neuen prozessualen Situation keinerlei Wirkung mehr entfaltet und eine deshalb notwendige erneute (zweite) Anhörung unterblieben ist (Senatsbeschluss vom 2.11.2015 aaO; BSG Beschluss vom 17.11.2015 - [X.] KR 65/15 B - BeckR[X.]016, 65453 Rd[X.] 8) oder wenn - wie vorliegend - eine vom [X.] gesetzte [X.] von diesem selbst nicht beachtet worden ist. Letzteres ist schon vor dem Hintergrund geboten, dass der Kläger berechtigt war, die vom [X.] eingeräumte Frist bis zu ihrer Grenze auszunutzen. Hatte er aber zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Berufungsgerichts aufgrund dessen eigener Fristsetzung noch keine Veranlassung sich zu äußern, ist (auch) diese Konstellation einem Ausfall der Anhörung vergleichbar. Denn auch hier konnte die nach § 153 Abs 4 [X.] SGG vorgeschriebene Anhörung die ihr zugedachte Funktion, die ansonsten durch die mündliche Verhandlung ermöglichte umfassende Anhörung der Beteiligten adäquat zu kompensieren (BSG Beschluss vom 17.11.2015 aaO), nicht erfüllen. Dann aber führt der Verfahrensmangel jedenfalls auch zu einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (§ 202 S 1 SGG iVm § 547 [X.] 1 ZPO) und damit zu der unwiderleglichen Vermutung dafür, dass die angegriffene Entscheidung auf dieser Gesetzesverletzung beruht.

7

Soweit der bisherigen Rechtsprechung des Senats Gegenteiliges entnommen werden kann (vgl Senatsbeschluss vom 17.4.2012 - [X.]3 R 61/12 B - Juris Rd[X.] 9 f), hält er hieran nach erneuter Prüfung nicht fest (der Senatsbeschluss vom [X.] - [X.]3 R 300/11 B - Juris Rd[X.] 14 ff und der Beschluss des 5. Senats des BSG vom [X.] - B 5 R 386/07 B - [X.] 4-1500 § 153 [X.] betreffen dagegen den hier nicht zu behandelnden Fall einer zu kurzen [X.]).

8

3. Da somit die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] SGG vorliegen, macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 160a Abs 5 SGG).

9

4. Die Entscheidung über die Kosten unter Einbeziehung der Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des [X.] vorbehalten.

Meta

B 13 R 341/15 B

24.02.2016

Bundessozialgericht 13. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Leipzig, 16. Juni 2014, Az: S 22 R 994/13, Urteil

§ 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 202 S 1 SGG, § 547 Nr 1 ZPO, § 43 SGB 6

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 24.02.2016, Az. B 13 R 341/15 B (REWIS RS 2016, 15692)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 15692

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