Bundessozialgericht, Beschluss vom 09.04.2021, Az. B 13 R 276/20 B

13. Senat | REWIS RS 2021, 7126

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Sozialgerichtsverfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Gehörsrüge - Widerruf der Erklärung über die Rücknahme einer Berufung - unvollkommen formulierte Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 S 2 SGG)


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 17. März 2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Das [X.] hat mit Beschluss vom 17.3.2020 festgestellt, dass der Rechtsstreit über die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom [X.] durch Rücknahme der Berufung am 15.1.2020 erledigt ist.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem ihm am 20.3.2020 zugestellten Beschluss hat der Kläger mit Telefax vom 14.4.2020 Beschwerde beim [X.] eingelegt und Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines noch zu benennenden Prozessbevollmächtigten beantragt. Mit dem Kläger am 24.10.2020 zugestellten Beschluss vom 15.10.2020 hat der erkennende Senat dessen Antrag auf PKH sowie auf Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten mangels Erfolgsaussichten abgelehnt und die nicht [X.] eingelegte Beschwerde verworfen.

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] hat der Kläger mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 9.11.2020 erneut Beschwerde beim [X.] eingelegt und Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist beantragt. Zur Begründung der Beschwerde beruft er sich auf Verfahrensmängel ([X.] nach § 160 Abs 2 [X.] [X.]).

4

II. Die Beschwerde des [X.] ist als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 [X.] keinen [X.] hinreichend dargelegt oder bezeichnet. Insbesondere fehlt es an der hinreichenden Bezeichnung der allein geltend gemachten Verfahrensmängel.

5

Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.] ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB [X.] Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - [X.], 81 - juris RdNr 4; [X.] Beschluss vom 30.10.2018 - [X.] R 59/18 B - juris Rd[X.]). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Zugrunde zu legen ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des [X.] ([X.] Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - [X.] zu § 162 [X.]; [X.] Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - [X.] 1500 § 160 [X.]3; [X.] Beschluss vom 16.11.2000 - [X.] RA 122/99 B - [X.] 3-1500 § 160 [X.]3 - juris Rd[X.]3).

6

Die vom Kläger allein geltend gemachten Verfahrensmängel wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs aufgrund ungenügender Hinweise auf die Folgen einer Berufungsrücknahme und fehlerhafter Anhörung vor einer Entscheidung im [X.] (§ 62 [X.] iVm Art 103 Abs 1 GG, § 106 Abs 1 bzw § 153 Abs 4 Satz 2 [X.]) werden nicht hinreichend bezeichnet. Hierfür fehlt es in der Beschwerdebegründung vom 23.11.2020 - wie auch den vorangehenden Schriftsätzen - schon an einer - zumindest knappen - Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Vorliegend wird bereits der ursprüngliche Gegenstand des Rechtsstreits nicht kenntlich gemacht. Zugleich fehlt eine geordnete Darstellung von Ablauf und Inhalt des Berufungsverfahrens, die gerade im Hinblick auf die konkret geltend gemachten Verfahrensmängel notwendig gewesen wäre. Ein Verfahrensmangel wird jedoch nur dann iS des § 160a Abs 2 Satz 3 [X.] hinreichend bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des [X.] möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB [X.] Beschluss vom 16.11.2000 - [X.] RA 122/99 B - [X.] 3-1500 § 160 [X.]3 - juris RdNr 16 mwN; [X.] Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.]0 RdNr 16 mwN). Demgegenüber ist es nicht Aufgabe des erkennenden Senats, sich den maßgeblichen Sachverhalt aus den Akten oder der angegriffenen Entscheidung des [X.] herauszusuchen (vgl [X.] Beschluss vom 31.5.2017 - B 5 R 358/16 B - juris RdNr 8 mwN; [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] R 309/14 B - juris Rd[X.] f).

7

Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen an die Bezeichnung der geltend gemachten Verfahrensmängel aber auch aus anderen Gründen nicht. Dies gilt zunächst, soweit der Kläger die gerichtliche Hinweispflicht nach § 139 Abs 2 ZPO (für das sozialgerichtliche Verfahren zutreffender § 62 iVm § 106 Abs 1 [X.]) verletzt sieht, weil er in der mündlichen Verhandlung vom 15.1.2020 nach Erörterung der Sach- und Rechtslage die Berufung zurückgenommen habe ohne zuvor darauf hingewiesen worden zu sein, dass dies eine endgültige Erklärung darstelle. Er habe das Gericht so verstanden, dass ihm eine große Kostenlast auferlegt werde, wenn er die Berufung nicht zurücknehme. Die Folgen seiner Erklärung seien ihm erst durch ein späteres Schreiben des Gerichts bewusst geworden. Anders als für die Bezeichnung eines Verfahrensmangels erforderlich wird damit aber nicht erkennbar, weshalb das [X.] aufgrund dieser Umstände im angegriffenen Beschluss vom 17.3.2020 zu einem anderen Ergebnis als der ausgesprochenen Feststellung der Erledigung der Berufung durch Rücknahme hätte kommen können. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Berufungsrücknahme wie auch die Klagerücknahme als Prozesshandlungen grundsätzlich unwiderruflich und nicht wegen Irrtums anfechtbar sind (vgl [X.] Urteil vom [X.] - 9 RV 16/79 - juris RdNr 18; vgl auch [X.] Urteil vom 14.6.1978 - 9/10 RV 31/77 - [X.] 1500 § 102 [X.] - juris RdNr 12; [X.] Beschluss vom 17.12.2015 - [X.] U 150/15 B - juris RdNr 14 mwN; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl 2020, § 156 Rd[X.]a; [X.] in [X.]/Voelzke, jurisPK-[X.], 1. Aufl 2017, § 156 Rd[X.]7 ff, Stand 19.3.2021, mwN). Die Rücknahmeerklärung kann nur ausnahmsweise widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 179 Abs 1 [X.] iVm § 578 ff ZPO bzw § 179 Abs 2 [X.]) erfüllt sind und die [X.] von einem Monat (§ 586 ZPO) eingehalten wird ([X.] Urteil vom 14.6.1978 - 9/10 RV 31/77 - [X.] 1500 § 102 [X.] - juris RdNr 15). Der Beschwerdebegründung vom 23.11.2020 - wie auch den vorangehenden Schriftsätzen des vom Kläger für das erneute Beschwerdeverfahren bestellten Prozessbevollmächtigten - sind keine Umstände zu entnehmen, aufgrund derer eine Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig sein könnte. Ebenso wenig werden Umstände mitgeteilt, die eine Berufung auf die Berufungsrücknahme als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben erscheinen lassen könnten, etwa weil der geltend gemachte Irrtum über die das Verfahren endgültig beendende Wirkung der Rücknahneerklärung für Beklagte und Gericht offensichtlich gewesen wäre (vgl hierzu [X.] Beschluss vom 13.5.2014 - X ZR 25/13 - juris RdNr 9; [X.] Beschluss vom 26.9.2007 - [X.]/07 - juris Rd[X.]0; [X.] in Zöller, ZPO, 33. Aufl 2020, § 516 RdNr 9 mwN). Darüber hinaus ist diesen Schriftsätzen nicht zu entnehmen, dass ein Widerruf durch den Kläger innerhalb der Monatsfrist des § 586 ZPO erklärt wurde.

8

Schließlich ist auch ein Verfahrensmangel der Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör wegen mangelhafter Anhörung zu einer Entscheidung durch Beschluss (§ 62 [X.] iVm Art 103 Abs 1 GG, § 153 Abs 4 Satz 2 [X.]) nicht nur wegen der unzureichenden Sachverhaltsdarstellung nicht hinreichend bezeichnet. Zwar kann - wie der Senat bereits im Beschluss über den [X.] und die formunwirksame Beschwerde des [X.] vom 15.10.2020 ([X.] R 83/20 B) ausgeführt hat - ein Verfahrensmangel darin gesehen werden, dass das [X.] in seiner Anhörungsmitteilung vom 31.1.2020 über das weitere Vorgehen nach § 153 Abs 4 [X.] - Beschluss ohne mündliche Verhandlung - nicht ausdrücklich auf die beabsichtigte Entscheidung hingewiesen hat (zu diesem Erfordernis jedenfalls bei [X.] vgl [X.] Urteil vom [X.] - B 9 SB 19/97 R - [X.] 3-1500 § 153 [X.] - juris RdNr 16; [X.] Urteil vom 7.9.1998 - [X.] U 10/98 R - [X.] 3-1500 § 193 [X.] - juris RdNr 9; [X.] in [X.]/Voelzke, jurisPK-[X.], 2017, § 153 Rd[X.]5, Stand 19.3.2021). Die nicht in jeder Hinsicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörung nach § 153 Abs 4 Satz 2 [X.] stellt eine Gehörsverletzung dar, deren Kausalität für die angegriffene Entscheidung allerdings nicht zu unterstellen ist (vgl [X.] Beschluss vom [X.] - B 5 R 386/07 B - [X.] 4-1500 § 153 [X.] RdNr 19; [X.] Beschluss vom 17.4.2012 - [X.] R 61/12 B - juris RdNr 8; [X.] Beschluss vom 18.7.2019 - [X.] R 259/17 B - juris RdNr 14). Denn die unvollkommen formulierte Anhörungsmitteilung lässt die in § 153 Abs 4 Satz 1 [X.] festgelegten Voraussetzungen für die Befugnis des [X.], ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, nicht zwangsläufig entfallen. Davon könnte nur dann die Rede sein, wenn der Fehler den Betroffenen an Vorbringen gehindert hat, welches das [X.] hätte veranlassen müssen, von einem Beschluss nach § 153 Abs 4 [X.] Abstand zu nehmen (vgl [X.] Beschluss vom [X.] - B 5 R 386/07 B - [X.] 4-1500 § 153 [X.] RdNr 19; [X.] Beschluss vom 18.7.2019 - [X.] R 259/17 B - juris RdNr 14).

9

Solches wird jedoch aus der Beschwerdebegründung nicht erkennbar. Vielmehr räumt der Kläger ausdrücklich ein, er habe noch versucht, seine Argumente vorzutragen. Zwar macht er geltend, bei einem ordnungsgemäßen Anhörungsschreiben des Gerichts hätte er "möglicherweise Rechtsbeistand gesucht, um rechtliche Erwägungen zur tatsächlichen Problematik vorzutragen". Jedoch wird mit Ausnahme der insoweit ungeeigneten Ausführungen im Rahmen der oben behandelten Rüge einer Hinweispflichtverletzung nicht einmal angedeutet, durch welche rechtlichen Erwägungen bei den Berufsrichtern des [X.] Zweifel an der Wirksamkeit der Berufungsrücknahme und der Entbehrlichkeit einer mündlichen Verhandlung hierüber hätten entstehen können. Jedenfalls in Konstellationen wie der vorliegenden steht einer solchen Anforderung der vom Kläger benannte Beschluss des Senats vom 29.8.2006 ([X.] R 37/06 B - [X.] 4-1500 § 153 [X.] Rd[X.]) nicht entgegen, wonach bei einer Verletzung des § 153 Abs 4 [X.] keine näheren Ausführungen dazu erforderlich sind, was in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden wäre.

Dass der Kläger die Entscheidung des [X.] inhaltlich für unrichtig hält, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB [X.] Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.]2 RdNr 4; [X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 96/10 - [X.] 4-1500 § 178a [X.] Rd[X.]8 mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]).

Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 [X.] durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 [X.].

Meta

B 13 R 276/20 B

09.04.2021

Bundessozialgericht 13. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Köln, 14. Januar 2019, Az: S 36 R 1801/15, Urteil

§ 62 SGG, § 106 Abs 1 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 153 Abs 4 S 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 179 Abs 1 SGG, § 179 Abs 2 SGG, § 139 Abs 2 ZPO, § 578 ZPO, §§ 578ff ZPO, § 586 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 09.04.2021, Az. B 13 R 276/20 B (REWIS RS 2021, 7126)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 7126

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 12 KR 30/12 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Bezeichnung des Verfahrensmangels - Fehlen von Entscheidungsgründen - Unerheblichkeit des Zeitpunkts der Zustellung


B 13 R 219/20 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtsverfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler der überlangen Verfahrensdauer


B 13 R 233/18 B (Bundessozialgericht)

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Beschluss ohne mündliche Verhandlung nach § 153 Abs …


B 13 R 300/11 B (Bundessozialgericht)

(Nichtzulassungsbeschwerde - Verletzung der Anhörungspflicht von § 153 Abs 4 S 2 SGG)


B 5 R 166/22 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Gehörsrüge - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss - …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

X ZR 25/13

1 BvR 96/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.