Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.12.2011, Az. III ZR 56/11

3. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 848

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Gegenstand

Haftung bei Kapitalanlageberatung: Pflicht des Anlageberaters zur Erkundigung und Information des Interessenten über relevante Gesetzesänderungen


Leitsatz

Zur Pflicht des Anlageberaters, den Anlageinteressenten über für die Kapitalanlage bedeutsame Gesetzesänderungen zu informieren und hierzu Erkundigungen einzuziehen.

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des [X.] vom 10. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des [X.] zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Kläger nehmen den Beklagten unter dem Vorwurf fehlerhafter Kapitalanlageberatung auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Auf Empfehlung des Beklagten zeichneten die Kläger am 4. November 1997 Beteiligungen als atypisch stille Gesellschafter bei der [X.], und zwar die Klägerin zu 1 mit einer Gesamtvertragssumme von 29.127 DM (einschließlich 5 % Agio) und der Kläger zu 2 mit einer Vertragssumme von 27.405 DM (einschließlich 5 % Agio). Die Einlagen waren durch Einmalzahlungen sowie nachfolgende monatliche [X.]zahlungen zu erbringen. Die Klägerin zu 1 zahlte auf ihre Beteiligung insgesamt 5.615,41 € und der Kläger zu 2 auf die seinige 5.508,03 €. Das jeweilige Guthaben der Anleger sollte in [X.] zurückgezahlt werden. Die [X.] gehörte zum Konzernverbund der [X.]. Im Juni 2007 wurde über das Vermögen der Anlagegesellschaften der [X.] das Insolvenzverfahren eröffnet.

3

Die Kläger verlangen von dem Beklagten die Erstattung ihrer für die Kapitalanlage geleisteten Aufwendungen, den Ersatz entgangenen Gewinns sowie die Freistellung von Rechtsanwaltskosten. Sie haben geltend gemacht, zwischen den Parteien sei ein Beratungsvertrag zustande gekommen und der Beklagte habe die ihm hieraus erwachsenen Pflichten verletzt. Insbesondere habe der Beklagte keine (genügende) Plausibilitätsprüfung vorgenommen, die Risiken der Anlage verschwiegen oder verharmlost und eine Information über die möglichen Auswirkungen des [X.] vom 22. Oktober 1997 (6. [X.]) sowie die damit für die streitgegenständliche Kapitalanlage verbundenen Risiken unterlassen.

4

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision der Kläger ist unbegründet.

I.

6

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass der [X.] zwar als Anlageberater tätig geworden sei, die von den Klägern geltend gemachten Pflichtverletzungen jedoch nicht festgestellt werden könnten. Die Kläger hätten die Darlegungen des [X.]n zur rechtzeitigen Übergabe des Emissionsprospekts und zur hinreichenden mündlichen Aufklärung über die Kapitalanlage nicht zu widerlegen vermocht. Auch der Vorwurf einer unzureichenden Plausibilitätsprüfung greife nicht durch. Der Emissionsprospekt stelle die Vertriebskosten und die damit verbundenen Risiken ausreichend dar. Der [X.] habe auch Informationen von dritter Seite bei seiner Beratung berücksichtigt. Auf die mit der am 1. Januar 1998 in [X.] getretenen 6. [X.] verbundenen rechtlichen Risiken der Kapitalanlage habe der [X.] nicht hinweisen und deswegen auch nicht bei dem damaligen [X.] nachfragen müssen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Zeichnung der Beteiligung vor dem Inkrafttreten der 6. [X.] erfolgt sei, der Anlageberater insoweit nicht wie ein Emittent haftbar sei und der [X.] mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht davon habe ausgehen müssen, dass die Anlage ohne die erforderlichen Genehmigungen durchgeführt werden würde. Es würde die Pflicht zur Plausibilitätsprüfung erheblich überspannen, wenn der Berater bei jeder von ihm vertriebenen Anlage das Konzept in rechtlicher Hinsicht überprüfen müsste.

II.

7

Die Würdigung des Berufungsgerichts, die Kläger hätten nicht den Nachweis erbracht, dass der [X.] die ihm aus dem zwischen den Parteien zustande gekommenen Anlageberatungsvertrag obliegenden Pflichten verletzt habe, hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.

8

1. Wie das Berufungsgericht zutreffend zugrunde gelegt hat, reichen die Pflichten des Anlageberaters weiter als die Pflichten des Anlagevermittlers.

9

Der Anlagevermittler schuldet dem Interessenten eine richtige und vollständige Information über diejenigen tatsächlichen Umstände, die für dessen Anlageentschluss von besonderer Bedeutung sind (st. Rspr.; z.B. Senatsurteile vom 12. Februar 2004 - [X.], [X.], 110, 116; vom 12. Juli 2007 - [X.], [X.], 1608 Rn. 8; vom 5. März 2009 - [X.], [X.] 2009, 471, 472 Rn. 11 und vom 16. Juni 2011 - [X.], BeckRS 2011, 17987 Rn. 14). Der Anlagevermittler muss das Anlagekonzept, bezüglich dessen er Auskunft erteilt, wenigstens auf Plausibilität, insbesondere wirtschaftliche Tragfähigkeit hin überprüfen. Ansonsten kann er keine sachgerechten Auskünfte erteilen (Senatsurteile vom 5. März 2009 aaO mwN und vom 16. Juni 2011 aaO). Vertreibt er die Anlage anhand eines Prospekts, muss er, um seiner Auskunftspflicht nachzukommen, im Rahmen der geschuldeten Plausibilitätsprüfung den Prospekt jedenfalls darauf überprüfen, ob er ein in sich schlüssiges Gesamtbild über das Beteiligungsobjekt gibt und ob die darin enthaltenen Informationen, soweit er das mit zumutbarem Aufwand festzustellen in der Lage ist, sachlich vollständig und richtig sind (Senatsurteile vom 12. Februar 2004 aaO; vom 5. März 2009 aaO Rn. 12 mwN und vom 16. Juni 2011 aaO).

Demgegenüber ist ein Anlageberater zu mehr als nur zu einer Plausibilitätsprüfung verpflichtet. In Bezug auf das Anlageobjekt hat sich seine Beratung auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, die für die jeweilige Entscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können. Er muss deshalb eine Anlage, die er empfehlen will, mit üblichem kritischem Sachverstand prüfen oder den [X.] auf ein diesbezügliches Unterlassen hinweisen. Ein Berater, der sich in Bezug auf eine bestimmte Anlageentscheidung als kompetent geriert, hat sich dabei aktuelle Informationen über das Objekt, das er empfehlen will, zu verschaffen. Dazu gehört die Auswertung vorhandener Veröffentlichungen in der Wirtschaftspresse (vgl. z.B. Senatsurteile vom 5. März 2009 - [X.], [X.], 688, 690 Rn. 13 ff; vom 5. November 2009 - [X.], [X.], 2360, 2362 Rn. 16, 18 und vom 16. September 2010 - [X.], [X.] 2010, 1272, 1273 Rn. 10).

2. Diese Maßgaben hat das Berufungsgericht bei seiner Würdigung beachtet. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg.

a) Soweit das Berufungsgericht die in dem Anlageprospekt enthaltenen Angaben zu den Emissionskosten und den Risiken des Ausfalls von Rateneinlagen der Anleger für ausreichend hält, lässt dies entgegen den [X.] der Revision Rechtsfehler nicht erkennen. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass sich die Quote der - betragsmäßig ausgewiesenen - Emissionskosten nach Abzug des [X.] in Höhe von 5 % der Einlage auf 14,9 % der [X.] belaufe (Seite 72) und dass der Ausfall erwarteter Einlagezahlungen generell - nicht nur: bei "außerordentlichen Systemstörungen" - negative Auswirkungen auf die Durchführung der geplanten Investitionen haben könne (Seite 87). Dass das Anlagekonzept der hier streitgegenständlichen Beteiligung von vornherein die Gefahr größerer Zahlungsausfälle in sich getragen hätte und der Anlageerfolg auf diese Weise grundsätzlich in Frage gestellt worden wäre, haben die Kläger nicht (ausreichend) dargetan. Der [X.] hat vielmehr, worauf die Revisionserwiderung zutreffend aufmerksam gemacht hat, dargelegt, dass die Stornierungsquote in damaliger [X.] allenfalls 2 % betragen habe und dass nach dem Gesellschaftsvertrag im Falle einer vorzeitigen Stornierung kompensatorische Vorfälligkeits- und Ausgleichszahlungen an die Gesellschaft zu leisten seien, was die Kläger nicht konkret bestritten haben.

b) Ihre Behauptung, der [X.] habe die Verlustrisiken der Kapitalanlage grob verharmlost, haben die Kläger nach der [X.] Würdigung des Berufungsgerichts nicht nachzuweisen vermocht.

c) Letztlich begegnet auch die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der [X.] nicht verpflichtet gewesen sei, über die Auswirkungen der 6. [X.], insbesondere die damit verbundenen rechtlichen Risiken für die Kapitalanlage, zu informieren, keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

aa) Nach der Neufassung von § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG (Einlagengeschäft) durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen vom 22. Oktober 1997 ([X.]) mit Wirkung ab dem 1. Januar 1998 bestand allerdings die nahe liegende Möglichkeit, dass die Aufsichtsbehörde die ratierliche Auszahlung des späteren [X.]s der Anleger als ein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft ansehen und gegen die [X.] eine entsprechende Verbotsverfügung erlassen würde. Jedenfalls war die Rechtslage mit Inkrafttreten der 6. [X.] insoweit unsicher geworden (s. dazu [X.], Urteil vom 21. März 2005 - [X.], [X.] 2005, 476, 478). Der II. Zivilsenat des [X.] hat die [X.] (Emittentin) daher für verpflichtet gehalten, die [X.] darauf hinzuweisen, dass aufgrund der Gesetzesänderung rechtliche Bedenken gegen die ratierliche Auszahlung der [X.] bestehen könnten ([X.], Urteile vom 21. März 2005 aaO; vom 18. April 2005 - [X.], BeckRS 2005, 07047 und vom 26. September 2005 - [X.], NJW-RR 2006, 178, 181). Angesichts der Bedeutung dieses Gesichtspunkts für die [X.] mussten die Interessenten darüber informiert werden, ob das [X.] rechtlich abgesichert oder aber mit bankaufsichtsrechtlichen Maßnahmen und damit verbundenen Prozessrisiken zu rechnen war. Die Verletzung dieser Aufklärungspflicht kann, wenn der Gesellschaftsvertrag nach dem Inkrafttreten der 6. [X.] geschlossen worden ist, eine Schadensersatzpflicht der [X.] (Emittentin) nach sich ziehen ([X.], Urteile vom 21. März 2005 aaO; vom 18. April 2005 aaO und vom 26. September 2005 aaO).

bb) Aus den genannten Entscheidungen ergibt sich, wie das Berufungsgericht zu Recht ausgeführt hat, nicht zugleich und ohne Weiteres eine entsprechende Aufklärungs- und Haftungspflicht des Anlageberaters (so auch [X.], Urteil vom 20. Dezember 2007 - 24 U 98/07, juris Rn. 42 - die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde ist vom Senat durch Beschluss vom 26. Juni 2008 - [X.] zurückgewiesen worden; a.A. hingegen wohl [X.], Urteil vom 28. April 2009 - 5 U 355/08, Umdruck S. 7 f).

Für den Anlageberater gelten nicht dieselben Maßstäbe wie für die [X.] (Emittentin), die in eigener Verantwortung die rechtliche Einstufung ihrer Geschäftstätigkeit umfassend und unter Inanspruchnahme aller zu Gebote stehenden Erkenntnismöglichkeiten zu prüfen und um die Erteilung etwaiger erforderlicher Genehmigungen oder Erlaubnisse nachzusuchen hat beziehungsweise die rechtliche Bewertung der zuständigen Genehmigungs- oder Aufsichtsbehörde abfragen kann ("Negativattest"). Umfang und Art der Hinweis- und Ermittlungspflichten des Anlageberaters bestimmen sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Dabei kommt es insbesondere darauf an, wie der Anlageberater gegenüber dem [X.] auftritt und ob und inwieweit dieser die berechtigte Erwartung hegt, über bestimmte Umstände informiert zu werden. Zu solchen Umständen zählen grundsätzlich zwar auch Gesetzesänderungen, sofern sie für die empfohlene Kapitalanlage erhebliche Auswirkungen haben können. Anders als die [X.] muss der Anlageberater aber nicht ohne besondere Anhaltspunkte infolge einer Gesetzesänderung auftretenden schwierigen und ungeklärten Rechtsfragen nachgehen, die er regelmäßig nur unter Inanspruchnahme sachkundiger Hilfe (Rechtsgutachten) abklären könnte.

Nach diesen Grundsätzen war der [X.] im Streitfall nicht gehalten, Erkundigungen über die damals bevorstehende Änderung der Gesetzeslage einzuziehen und die Kläger hiervon in Kenntnis zu setzen.

Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die 6. [X.] zum [X.]punkt der Zeichnung (4. November 1997) noch nicht in [X.] getreten war. Die Kläger haben auch nicht aufgezeigt, dass der [X.] von der damit verbundenen Problematik für die hier in Rede stehende Kapitalanlage aus der Wirtschaftspresse erfahren hätte oder jedenfalls hätte erfahren müssen. Gleiches gilt für etwaige sonstige Anhaltspunkte. Der Umstand allein, dass der [X.] seit 1991 Beteiligungen bei der "[X.]     " in seiner "Angebotspalette" hatte, ist insoweit ohne Aussagekraft.

Musste dem [X.]n die mit der 6. [X.] verknüpfte Rechtsunsicherheit demnach nicht bekannt sein und durften die Kläger diesbezügliche Nachforschungen und Informationen nach Lage des Falles von dem [X.]n auch nicht erwarten, so musste der [X.] die Kläger auch nicht darüber aufklären, dass er eine dahingehende Überprüfung unterlassen habe.

[X.]                                             Herrmann                                           Wöstmann

                           Seiters                                                [X.]

Meta

III ZR 56/11

01.12.2011

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Dresden, 10. Februar 2011, Az: 8 U 980/10, Urteil

§ 1 Abs 1 S 2 Nr 1 KredWG vom 22.10.1997, § 280 BGB, § 675 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.12.2011, Az. III ZR 56/11 (REWIS RS 2011, 848)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 848

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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