Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 01.09.2011, Az. 5 C 27/10

5. Senat | REWIS RS 2011, 3608

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Gegenstand

Anspruchseinbürgerung; Notwendigkeit einer Identitätsprüfung im Einbürgerungsverfahren


Leitsatz

Die Klärung offener Identitätsfragen ist notwendige Voraussetzung und unverzichtbarer Bestandteil der Prüfung der in §§ 10 und 11 StAG (juris: RuStAG) genannten Einbürgerungsvoraussetzungen und Ausschlussgründe.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist kurdische Volkszugehörige yezidischen Glaubens. Sie wurde nach eigenen Angaben am 17. Juli 1988 in der [X.] geboren. Als siebenjähriges Kind reiste sie gemeinsam mit ihren Eltern und Schwestern ohne Ausweispapiere in die [X.] ein. Mit Bescheid vom 31. Mai 1999 wurde sie als Asylberechtigte anerkannt. Dem lag eine Entscheidung des [X.] zu Grunde, nach der die Familie auf Grund ihres yezidischen Glaubens in der [X.] einer mittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt war.

2

Die Klägerin ist Inhaberin eines Reiseausweises für Flüchtlinge. In ihrem im Juli 2004 ausgestellten Ausweis war vermerkt: "Identität nicht nachgewiesen". In dem Ausweis vom Oktober 2008 heißt es: "Die eingetragenen Personalien beruhen auf eigenen Angaben des Ausländers". Nach einer Mitteilung des [X.] Generalkonsulats vom 6. Juli 1995 sind die Klägerin und ihre Familie nicht in der [X.] registriert.

3

Seit Juni 1999 besitzt die Klägerin eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die seit Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgilt. Sie ist nicht vorbestraft, hat in [X.] das Abitur abgelegt und erhält als Studentin für sich und ihren [X.] Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz.

4

Im September 2004 beantragte die Klägerin ihre Einbürgerung. Dabei legte sie das Bekenntnis zur freiheitlich [X.] Grundordnung und die sogenannte Loyalitätserklärung ab. Auf Anfrage der Einbürgerungsbehörde erklärte sie, dass sie nicht in der Lage sei, ihre Identität nachzuweisen. Auf die Aufforderung des Beklagten, sich gegebenenfalls unter Einschaltung einer Mittelsperson um (amtliche) Dokumente zu bemühen, die Aufschluss über ihre Identität geben könnten, reagierte die Klägerin nicht. Die Beklagte lehnte die Einbürgerung der Klägerin mit Bescheid vom 22. Januar 2007 in erster Linie wegen der ungeklärten Identität ab. Die Klägerin habe trotz Hinweises auf ihre gesetzliche Mitwirkungs- und Nachweispflicht innerhalb der gesetzten Frist keine Identitätsnachweise vorgelegt. Ihr nicht näher begründeter Widerspruch blieb erfolglos.

5

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 6. Mai 2009 abgewiesen. Während des Berufungsverfahrens zog die Klägerin aus dem Bereich der Beklagten fort. Die Beklagte führte mit Zustimmung des nunmehr zuständigen [X.] und der Klägerin das Verfahren fort. Das Oberverwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, die Klägerin in den [X.] Staatsverband einzubürgern. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe einen Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 Abs. 1 [X.] 2005. Sie erfülle alle ausdrücklich normierten Tatbestandsvoraussetzungen. Die Einbürgerung dürfe nicht wegen der ungeklärten Identität der Klägerin versagt werden. Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 [X.] 2005 fordere anders als § 5 Abs. 1 Nr. 1a [X.] keine Identitätsklärung als Regelvoraussetzung. Nach der Systematik des Gesetzes werde die Identität im ausländerrechtlichen Verfahren geklärt, während das Staatsangehörigkeitsrecht keine erneute Prüfung vorsehe. Das Staatsangehörigkeitsgesetz knüpfe an die von der Ausländerbehörde erteilten Aufenthaltstitel und Ausweispapiere an. In der Regel werde dadurch die Identität des Ausländers hinreichend bestimmt. Soweit dies nach § 5 Abs. 3 Satz 1 [X.] ausnahmsweise nicht der Fall sei, habe der Gesetzgeber im aufenthaltsrechtlichen Verfahren bewusst darauf verzichtet und im [X.] nach Art. 28 GFK eine abgestufte Identitätsermittlungspflicht vorgesehen. Da ein Reiseausweis nach Art. 28 GFK erst ausgestellt werden dürfe, wenn die Identität des Ausländers hinreichend geklärt sei oder mit zumutbaren Mitteln nicht weiter aufgeklärt werden könne, sei eine erneute Überprüfung der Identität durch die Staatsangehörigkeitsbehörde nicht vorgesehen. Schließlich folge aus der Entstehungsgeschichte des § 10 [X.], dass die [X.] abschließend festgelegt worden seien. Für ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der geklärten Identität bestehe daher kein Raum. Im Übrigen spreche viel dafür, dass die Identität der Klägerin ausreichend geklärt und weitere Bemühungen um die Beschaffung von Dokumenten aussichtslos seien.

6

Die Beklagte macht mit ihrer Revision geltend, die Prüfung der Identität sei nach der gesetzlichen Systematik nicht allein den Ausländerbehörden vorbehalten. Sinn und Zweck des gesamten Staatsangehörigkeitsrechts und des § 10 [X.] 2005 erforderten eine Auslegung der Vorschrift, bei der zumindest in Zweifelsfällen - wenn durch die Ausländerbehörde etwa aus humanitären Gründen auf eine zweifelsfreie Identifizierung verzichtet worden sei - auch die Einbürgerungsbehörde eine Identitätsklärung vornehmen dürfe und müsse. Nur so könne sichergestellt werden, dass nicht Personen, die über ihre Identität gegenüber der Ausländerbehörde getäuscht hätten, [X.] Staatsangehörige würden. Soweit das Oberverwaltungsgericht die Identität der Klägerin als weitgehend geklärt angesehen habe, handele es sich nicht um eine selbstständig tragende Urteilsbegründung. Tatsächlich bestünden konkrete Verdachtsmomente für eine Identitätsfälschung, weil der Vater der Klägerin im Rahmen des Asylverfahrens ge- bzw. verfälschte Nüfen vorgelegt habe, seine Angaben mit denen des angeblichen Onkels der Klägerin in dessen Asylverfahren nicht übereinstimmten und die Familie nach Mitteilung des [X.] Generalkonsulats [X.] vom 6. Juli 1995 nicht in der [X.] registriert worden sei. Die [X.] siedelten nicht nur im Südosten der [X.], sondern auch im Nordosten [X.] und im Norden des Irak.

7

Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Annahme des [X.], dass im Einbürgerungsverfahren nach § 10 Abs. 1 [X.] keine Identitätsprüfung durchzuführen ist, verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der [X.] kann mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend entscheiden, ob die Klägerin einen Anspruch auf Einbürgerung hat. Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

9

1. Für die Beurteilung des Falles ist, weil die Klägerin ihren Einbürgerungsantrag bereits im September 2004 gestellt hat, die Übergangsregelung des § 40c [X.] anzuwenden mit der Folge, dass § 10 Abs. 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes in der Fassung des Art. 5 des [X.] vom 30. Juli 2004 ([X.], im Folgenden: [X.] 2005) maßgeblich ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer, der seit acht Jahren seinen rechtmäßigen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern, wenn er sich erstens zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt und eine sogenannte Loyalitätserklärung abgibt, zweitens im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines vergleichbaren langfristigen Aufenthaltstitels ist, drittens seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem [X.] oder [X.] bestreiten kann, viertens seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert und fünftens nicht wegen einer Straftat verurteilt worden ist.

Im vorliegenden Fall steht außer Streit, dass die Klägerin seit mehr als acht Jahren rechtmäßig im [X.] lebt, ihre unbefristete Aufenthaltserlaubnis als Niederlassungserlaubnis fortgilt (§ 101 Abs. 1 Satz 2 [X.]), sie die erforderlichen Bekenntnisse zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgegeben hat und keine einbürgerungsschädlichen Sozialleistungen bezieht. Soweit sie für sich und ihren [X.] [X.] erhält, handelt es sich bereits nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] 2005 nicht um Leistungen nach dem [X.] oder [X.]. Unstreitig ist mittlerweile auch, dass die Klägerin ihre frühere Staatsangehörigkeit nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 [X.] (= § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 Halbs. 1 [X.] 2005) nicht aufgeben muss, weil sie als Asylberechtigte einen Reiseausweis nach der [X.] besitzt. Konkrete Anhaltspunkte für eine strafrechtliche Verurteilung oder für Ausschlussgründe nach § 11 [X.] haben sich bei einer Überprüfung anhand der angegebenen Personalien der Klägerin ebenfalls nicht ergeben.

2. Zwingende Voraussetzung einer Anspruchseinbürgerung nach § 10 [X.] 2005 ist zudem, dass die Identität des Einbürgerungsbewerbers geklärt ist und feststeht. Zwar hat dieses Erfordernis im Wortlaut des § 10 Abs. 1 [X.] 2005 keine ausdrückliche Erwähnung gefunden. Die Klärung offener Identitätsfragen ist jedoch notwendige Voraussetzung und unverzichtbarer Bestandteil der Prüfung der in §§ 10 und 11 [X.] 2005 genannten [X.] und Ausschlussgründe.

Die Angaben zur Person bilden gleichsam die Basis für alle weiteren Ermittlungen. Auf der Grundlage der angegebenen Personalien (wie Titel, Vorname, Nachname, Geburtsname, Geburtsdatum, Geburtsort, Familienstand) werden alle weiteren Anfragen bei in- und ausländischen Behörden durchgeführt. Nur wenn Gewissheit besteht, dass ein Einbürgerungsbewerber die Person ist, für die er sich ausgibt, kann nach Durchführung der erforderlichen Ermittlungen mit hinreichender Sicherheit beurteilt werden, ob und welche ausländische Staatsangehörigkeit der Einbürgerungsbewerber besitzt, ob er im In- oder Ausland wegen einer Straftat verurteilt worden ist, ob tatsächliche Anhaltspunkte für eine Verfolgung oder Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen bestehen oder ob ein [X.] vorliegt. Die Identitätsprüfung stellt daher nicht nur einen unverzichtbaren Teil der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 [X.] vorgesehenen Statusprüfung dar (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 5. März 2009 - 19 A 1657/06 - NVwZ-RR 2009, 661). Sie bildet auch eine notwendige Voraussetzung der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 und § 11 [X.] vorgesehenen Sicherheitsüberprüfung. In diesem Sinne wird die Identitätsprüfung im Gesetz unausgesprochen vorausgesetzt ([X.], Urteil vom 17. März 2009 - 13 S 3209/08 - [X.] 20).

Die Erforderlichkeit einer Identitätsprüfung erschließt sich auch aus dem Sinn und Zweck einer Verleihung der Staatsangehörigkeit durch rechtsgestaltenden Verwaltungsakt. Mit der am Ende des individuellen Einbürgerungsverfahrens stehenden Aushändigung der Einbürgerungsurkunde nach § 16 Satz 1 [X.] wird einer bestimmten Person mit einer in der Urkunde festgehaltenen Identität eine neue Staatsangehörigkeit verliehen. Damit werden einerseits Identitätsmerkmale wie Name, Vorname und Geburtsdatum deklaratorisch beurkundet und andererseits wird die Staatsangehörigkeit konstitutiv geändert. Schon das öffentliche Interesse daran, dass die Einbürgerungsurkunde auch im Hinblick auf die beurkundeten Personalien richtig ist, macht eine Überprüfung der diesbezüglichen Identitätsangaben erforderlich. Eine Überprüfung der Frage, unter welchen Personalien ein Einbürgerungsbewerber im Ausland registriert ist, ist aber auch deswegen zwingend geboten, weil die Einbürgerung nicht dazu dient, einer Person eine vollkommen neue Identität oder eine zusätzliche Alias-Identität zu verschaffen. Es besteht ein erhebliches staatliches Interesse daran zu verhindern, dass ein und dieselbe Person im Rechtsverkehr mit mehreren unterschiedlichen Identitäten und amtlichen Ausweispapieren auftreten kann.

Einer Klärung der Identität im Einbürgerungsverfahren steht nicht entgegen, dass diese bereits regelmäßig gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1a [X.] im aufenthaltsrechtlichen Erlaubnisverfahren zu prüfen ist. § 5 Abs. 1 Nr. 1a [X.] gilt allein für die Erteilung eines Aufenthaltstitels, nicht für die Einbürgerung. Dieser Vorschrift ist auch keine Zuständigkeitsverteilung zwischen Ausländer- und Einbürgerungsbehörde zu entnehmen. Identitätsfeststellungen der Ausländerbehörde haben auch keine Bindungswirkung für das nachfolgende Einbürgerungsverfahren. Erst recht hindert ein nach § 5 Abs. 3 [X.] zulässiges Absehen von der Feststellung der Identität die Einbürgerungsbehörde nicht, eine solche Prüfung im staatsangehörigkeitsrechtlichen Verfahren durchzuführen.

Eine Identitätsprüfung ist schließlich nicht deswegen generell ausgeschlossen, weil für die Klägerin als anerkannter Flüchtling nach Art. 34 Satz 1 GFK ein besonderes Wohlwollensgebot gilt. Nach dieser Vorschrift hat die [X.] als [X.] so weit wie möglich die Eingliederung und Einbürgerung anerkannter Flüchtlinge zu erleichtern. Die Bestimmung wirkt zwar insbesondere auf die Betätigung des Einbürgerungsermessens ein (grundlegend Urteil vom 1. Juli 1975 - BVerwG 1 [X.] 44.70 - BVerwGE 49, 44 <48>), setzt jedoch zwingende nationale [X.] für Flüchtlinge nicht außer [X.] und ermächtigt auch nicht die Einbürgerungsbehörden, sich im Einzelfall über sie hinwegzusetzen (vgl. Urteile vom 27. September 1988 - BVerwG 1 [X.] 3.85 - [X.] 130 § 9 Ru[X.] Nr. 10 und vom 10. Juli 1984 - BVerwG 1 [X.] 30.81 - [X.] 130 § 8 Ru[X.] Nr. 24 S. 37).

Da die Prüfung der Identität notwendige Voraussetzung und unverzichtbarer Bestandteil der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und 5 und § 11 [X.] zwingend vorgeschriebenen Status- und Sicherheitsprüfungen ist, kann sie auch bei anerkannten [X.] nicht entfallen. Zwar hat der Gesetzgeber die Einbürgerung von [X.] dadurch erleichtert, dass er in § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 [X.] (= § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 Halbs. 1 [X.] 2005) auf die Aufgabe der fremden Staatsangehörigkeit verzichtet hat. Er hat damit den vielfach bestehenden Schwierigkeiten anerkannter Flüchtlinge, eine Entlassung aus dem Staatsverband ihres Herkunftsstaates zu erreichen, Rechnung getragen. Dies lässt jedoch die Notwendigkeit der Identitätsprüfung im Einbürgerungsverfahren nicht entfallen. Die völlig ungeprüfte Übernahme der Identitätsangaben von [X.] würde - wie das [X.] bereits zur Erteilung eines Reiseausweises nach Art. 28 Abs. 1 GFK ausgeführt hat - erhebliche Missbrauchsgefahren nach sich ziehen (vgl. Urteil vom 17. März 2004 - BVerwG 1 [X.] 1.03 - BVerwGE 120, 206 <213>). Daher kann den bei anerkannten [X.] typischerweise bestehenden Beweisschwierigkeiten in Bezug auf ihre Identität nur durch Erleichterungen bei der Beweisführung und durch deren Berücksichtigung bei der Mitwirkungspflicht, nicht aber durch einen generellen Verzicht auf die Identitätsprüfung Rechnung getragen werden.

Dem grundsätzlichen Erfordernis einer Identitätsprüfung kann auch nicht entgegengehalten werden, dass im Falle des gesetzlichen Staatsangehörigkeitserwerbs durch Geburt gemäß § 4 Abs. 3 [X.] keine Identitätsfeststellung vorgesehen ist und dass auch Kinder von [X.] mit ungeklärter Identität nach dieser Vorschrift kraft Gesetzes in den [X.] aufgenommen werden. Unabhängig davon, dass diese Rechtsfrage bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist, könnte eine insoweit bestehende Ungleichbehandlung ohne Weiteres damit gerechtfertigt werden, dass die staatlichen Sicherheitsinteressen bei der Einbürgerung im Inland geborener Kinder ein geringeres Gewicht haben als bei der Einbürgerung von Erwachsenen und ihren im Ausland geborenen Kindern, die im Ausland regelmäßig mit bestimmter Identität registriert sind und eine für die Einbürgerung relevante Vorgeschichte haben könnten.

3. Die Identität der Klägerin ist auch nicht in einem vorangegangenen Verfahren verbindlich festgestellt worden.

Der vom [X.] im Asylverfahren ausgestellte Bescheid vom 31. Mai 1999 entfaltet nach § 4 Satz 1 AsylVfG nur insoweit Bindungswirkung, als alle staatlichen Instanzen von der Asylberechtigung der Klägerin ausgehen müssen. Auch aus dem Urteil des [X.] vom 21. April 1999 - 5 A 572/95 - im Asylrechtsstreit der Klägerin ergibt sich keine weitergehende Bindungswirkung. Die Rechtskraft dieser Entscheidung begründet eine verbindliche Feststellung nach § 121 VwGO nur im Verhältnis der damaligen Prozessbeteiligten, zu denen die beklagte [X.] nicht gehört (vgl. Urteil vom 17. Dezember 2002 - BVerwG 1 [X.] 3.02 - BVerwGE 117, 276 <281>).

Die von der Ausländerbehörde im Juni 1999 ausgestellte unbefristete Aufenthaltserlaubnis entfaltet nur insoweit [X.], als darin die Rechtmäßigkeit des dauerhaften Aufenthalts der Klägerin begründet wird. Darin erschöpft sich der für die [X.] maßgebliche Regelungsgehalt des Verwaltungsakts im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG (vgl. zur [X.] allgemein Urteile vom 30. Januar 2003 - BVerwG 4 [X.]N 14.01 - BVerwGE 117, 351 <354 f.> und vom 4. Juli 1986 - BVerwG 4 [X.] 31.84 - BVerwGE 74, 315 <320>). Hingegen nimmt die Richtigkeit der in den Bescheiden festgehaltenen Personalien als bloße Vorfrage nicht an der [X.] teil.

Ebenso wenig besitzt der im Oktober 2008 ausgestellte Reiseausweis für Flüchtlinge nach Art. 28 Abs. 1 GFK eine Bindungswirkung hinsichtlich der angegebenen Personalien. Zwar hat ein solcher Reiseausweis neben der Funktion, Konventionsflüchtlingen Reisen außerhalb des [X.] zu ermöglichen, grundsätzlich auch die Funktion, die Identität des [X.] zu bescheinigen. Er kann ebenso wie ein anderer Reisepass den (widerlegbaren) Nachweis erbringen, dass sein Inhaber die in ihm beschriebene und abgebildete Person ist (vgl. Urteil vom 17. März 2004 a.a.[X.]). Ist die Identität eines Flüchtlings jedoch ungeklärt und nicht weiter aufklärbar, kann diese Funktion als Legitimationspapier durch den Vermerk, dass die angegebenen Personalien auf eigenen Angaben beruhen, aufgehoben werden (Urteil vom 17. März 2004 a.a.[X.] f.). Durch den entsprechenden Vermerk im Ausweis der Klägerin vom Oktober 2008 hat die Ausstellungsbehörde jede Gewähr für die Richtigkeit der Identitätsangaben abgelehnt, so dass auch keine andere Behörde auf die Richtigkeit dieser Angaben im Sinne eines auch nur widerlegbaren Nachweises vertrauen kann. In gleicher Weise hatte die Ausstellungsbehörde in dem nicht mehr gültigen früheren Reiseausweis vom Juli 2004 durch den Zusatz "Identität nicht nachgewiesen" die Identifikationsfunktion des Ausweises beseitigt.

4. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Oberverwaltungsgericht bei Durchführung der erforderlichen Identitätsprüfung zu einem anderen Ergebnis in der Sache gekommen wäre. Nach der Rechtsprechung des [X.]s bestehen begründete Zweifel an der Identität einer Person, wenn geeignete Dokumente zum Nachweis der Identität fehlen oder wenn gefälschte Urkunden vorgelegt werden (Urteil vom 17. März 2004 a.a.[X.]). Im Hinblick auf ihren Prüfauftrag nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 und 5 sowie § 11 [X.] dürfen sich die Einbürgerungsbehörden grundsätzlich nicht mit den eigenen Angaben des Einbürgerungsbewerbers zu seiner Person begnügen, sondern sie müssen regelmäßig die Vorlage eines Ausweises oder anderer Identitätsnachweise des Einbürgerungsbewerbers verlangen. Dies folgt auch aus § 37 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 82 Abs. 1 Satz 1 [X.], in dem von der Beibringung von Nachweisen zu den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen die Rede ist. Dies gilt unabhängig davon, dass im Einzelfall die typischerweise bestehende Beweisnot von [X.] eine Beweiserleichterung gebieten kann.

Zwar hat das Berufungsgericht in seiner Entscheidung hilfsweise ausgeführt, dass vieles für die Richtigkeit der von der Klägerin angegebenen Personalien und für eine ausreichende Klärung der Identität der Klägerin spreche. Es hat aber nicht im Rahmen einer Beweiserhebung verbleibende Identitätszweifel ausgeräumt. So hat die Beklagte nicht nur geltend gemacht, dass die Klägerin keinerlei Dokumente zum Identitätsnachweis vorgelegt habe, was mit der Beweisnot von [X.] und Flüchtlingskindern erklärt werden könne. Sie hat jedenfalls im Revisionsverfahren auch vorgetragen, dass der Vater der Klägerin bei seiner Einreise gefälschte Nüfen vorgelegt habe, dass bei der Familie bei Einreise ein [X.] (nicht [X.]) Adressbuch gefunden worden sei und dass erhebliche Unstimmigkeiten zwischen den identitätsrelevanten Aussagen des [X.] der Klägerin in seinem Asylverfahren und ihres Onkels in dessen Asylverfahren bestünden. Mit diesen Einwänden befasst sich das Berufungsurteil nicht.

Auch bedarf es der Überprüfung, ob die Auskunft des [X.] Generalkonsulats vom 6. Juli 1995, dass die Familie der Klägerin nicht unter den angegebenen Personalien in der [X.] registriert sei, mit dem Hinweis auf die allgemein bestehenden Unzulänglichkeiten des [X.] Melderegisters ausgeräumt werden kann. Denn auch wenn das [X.] Melderegister fehleranfällig geführt wird, erklärt dies nicht ohne Weiteres, dass gar kein Mitglied einer mehrköpfigen Familie unter den angegebenen Personalien erfasst ist. Das Oberverwaltungsgericht hat sich auch nicht dahingehend festgelegt, dass die Mitteilung des [X.] Generalkonsulats selbst als staatliche Verfolgungsmaßnahme [X.]r Behörden gegenüber der yezidischen Minderheit zu werten sei. Ebenso wenig ist festgestellt worden, dass die [X.] Meldebehörden in der Heimatregion der Klägerin an der mittelbaren Gruppenverfolgung der [X.] in der Form mitgewirkt hätten, dass sie sich generell nicht nur bei der Geburt der Klägerin, sondern auch schon bei der Geburt der Eltern der Klägerin geweigert hätten, [X.] ins Melderegister einzutragen. Da somit Zweifel an der Identität der Klägerin nicht ausgeräumt sind, ist der Rechtsstreit nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur Nachholung tatrichterlicher Feststellungen an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

5. Für das weitere Verfahren wird darauf hingewiesen, dass das Berufungsgericht wegen der nicht ausgeräumten Zweifel an der Identität der Klägerin weitere Nachforschungen anzustellen hat (§ 86 Abs. 1 VwGO). Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin nach § 37 Abs. 1 [X.], § 82 Abs. 1 [X.] an der Klärung ihrer Identität auch im Gerichtsverfahren mitzuwirken hat. Verweigert ein Einbürgerungsbewerber die ihm im Einzelfall zumutbare Mitwirkung, kann dies im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 VwGO berücksichtigt werden. Der Einbürgerungsbewerber trägt dann auch das Risiko, im Falle der [X.] seiner wahren Identität zur vollen Überzeugung des Gerichts daran zu scheitern, dass ihm die materielle Beweislast für die Erfüllung der [X.] obliegt.

Meta

5 C 27/10

01.09.2011

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 18. August 2010, Az: 19 A 1412/09, Urteil

§ 10 Abs 1 RuStAG vom 30.07.2004, § 11 RuStAG, § 4 Abs 3 RuStAG, § 5 Abs 1 Nr 1a AufenthG 2004, § 5 Abs 3 AufenthG 2004, § 82 Abs 1 AufenthG 2004, Art 28 Abs 1 FlüAbk, Art 34 S 1 FlüAbk, § 37 Abs 1 RuStAG, § 35 S 1 VwVfG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 01.09.2011, Az. 5 C 27/10 (REWIS RS 2011, 3608)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3608

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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