Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 21.06.2012, Az. IX ZR 2/12

9. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 5356

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Gegenstand

Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften: Internationale Zuständigkeit für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner in einem Drittstaat


Leitsatz

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird zur Auslegung des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. Nr. L 160, S. 1) folgende Frage vorgelegt:

Sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner zuständig, der seinen Wohnsitz oder satzungsmäßigen Sitz nicht im Gebiet eines Mitgliedstaats hat?

Tenor

1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

2. Dem [X.] wird zur Auslegung des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren ([X.]. Nr. L 160, S. 1; im Folgenden: EuInsVO) folgende Frage vorgelegt:

Sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen [X.] zuständig, der seinen Wohnsitz oder satzungsmäßigen Sitz nicht im Gebiet eines Mitgliedstaats hat?

Gründe

I.

1

Der Kläger ist Verwalter in dem am 4. Mai 2007 in [X.] eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.].        (Schuldnerin). Die [X.]eklagte, die Stiefmutter der Schuldnerin, ist [X.] Staatsangehörige und lebt in der [X.]. Der Kläger nimmt sie im Wege der Insolvenzanfechtung auf Rückgewähr eines [X.]etrages von 8.015,08 € nebst Zinsen in Anspruch. Die Klage ist in den Vorinstanzen wegen fehlender internationaler Zuständigkeit der [X.] Gerichte als unzulässig abgewiesen worden. Mit seiner vom [X.]erufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Anfechtungsanspruch weiter.

II.

2

Vor der Entscheidung über die Revision ist das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung des [X.] zu der im [X.] gestellten Frage einzuholen (Art. 267 Abs. 1 [X.]uchst. [X.], Abs. 3 AEUV). Die Sachentscheidung ist abhängig von der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO.

3

1. Der sachliche Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist eröffnet. Unmittelbar regelt Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zwar nur die Zuständigkeit für das Insolvenzverfahren selbst. Eine Insolvenzanfechtungsklage gehört jedoch zu denjenigen Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und mit ihm in einem engen Zusammenhang stehen; sie fällt deshalb als [X.] ebenfalls in den Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1EuInsVO. Gemäß Urteil des [X.] vom 12. Februar 2009 ([X.]/07, [X.], 427 Rn. 21, Deko Marty [X.]elgium) sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen [X.] zuständig, der seinen satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat.

4

2. [X.]isher ungeklärt ist die Frage, ob Art. 3 Abs. 1 EuInsVO auch dann eingreift, wenn das Insolvenzverfahren in einem Mitgliedstaat eröffnet worden ist, der [X.] aber seinen allgemeinen Gerichtsstand (einen Wohnsitz oder satzungsmäßigen Sitz) nicht in einem Mitgliedstaat, sondern in einem Drittstaat hat.

5

a) Seinem Wortlaut nach lässt es Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ausreichen, dass der Mittelpunkt der sachlichen Interessen des Schuldners in einem Mitgliedstaat liegt. Dazu, ob der den Anwendungsbereich der Verordnung eröffnende grenzüberschreitende [X.]ezug zu einem anderen Mitgliedstaat oder zu einem Drittstaat bestehen muss, trifft er keine Aussage. Hieraus könnte geschlossen werden, dass der [X.]ezug zu einem Drittstaat ausreicht ([X.] in Haß/[X.]/[X.]/[X.], EU-Insolvenzverordnung, Art. 1 Rn. 19 ff; [X.], [X.] 114 (2001), 133, 138 f; [X.], [X.] 2003, 34, 35 f; [X.] ebenso High Court of Justice London, [X.], 813; High Court of Justice Leeds, [X.], 1769; [X.]/[X.], 2. Aufl., Art. 1 VO ([X.]) Nr. 1346/2000 Rn. 16; [X.]/[X.]/[X.], 6. Aufl., Art. 1 EuInsVO Rn. 9; Graf-Schlicker/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., Art. 1 EuInsVO Rn. 7; [X.] in [X.]/[X.]/Ringstmeier, Insolvenzrecht, Art. 1 EuInsVO Rn. 49; [X.]/[X.], [X.], 4. Aufl., § 130 Rn. 10 f; [X.]/[X.], [X.]/[X.], 2011, Art. 1 [X.]-InsVO Rn. 15; [X.]/Schütze, [X.], 3. Aufl., [X.], Art. 1 Rn. 39; [X.], [X.] bei der Insolvenz internationaler Unternehmensverbindungen, S. 28 f; [X.], Z[X.] 2003, 742, 745 f; [X.]/[X.], EWiR 2003, 367, 368; [X.], [X.] 2009, 309, 312).

6

b) Zwingend ist dieser Schluss jedoch nicht. In der [X.] Literatur wird vielfach die Ansicht vertreten, dass nur ein "qualifizierter" Auslandsbezug zu mindestens einem weiteren Mitgliedstaat den Anwendungsbereich der EuInsVO eröffnet ([X.] in Kübler/Prütting/[X.]ork, [X.], 2010, Art. 1 EuInsVO Rn. 15; MünchKomm-[X.]G[X.]/[X.], VO ([X.]) Nr. 1346/2000, 5. Aufl., Art. 1 Rn. 28; [X.] in [X.]/[X.][X.], [X.], Art. 1 Rn. 3, 8 f, 53; HK-[X.]/[X.], 6. Aufl., Art. 1 EuInsVO Rn. 11, 13; [X.]/[X.], [X.], 13. Aufl., Art. 1 EuInsVO Rn. 2; Pannen, Europäische Insolvenzverordnung, Art. 1 Rn. 120; [X.]/[X.], [X.], 5. Aufl., vor §§ 335, 358 Rn. 17; HmbKomm-[X.]/[X.], 4. Aufl., Art. 1 EuInsVO Rn. 6 f; [X.], Internationales Insolvenzrecht, § 2 Rn. 43 f; [X.], Die internationale Zuständigkeit im [X.] Insolvenzrecht, [X.] ff; Schmiedeknecht, [X.] und die Auswirkungen auf das [X.] Insolvenzrecht, [X.]08 ff; [X.]/[X.]/[X.], Grenzüberschreitende Insolvenzen, Rn. 86 f; [X.]/[X.], [X.] 2000, 533, 538 ff; [X.], [X.], 87; [X.], [X.] 2003, 397, 402 f; Pannen/Riedemann, [X.], 646, 651).

7

[X.], insbesondere die hier in Frage stehenden Insolvenzanfechtungsklagen werden in Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nicht ausdrücklich geregelt, so dass aus dem Schweigen der Vorschrift keine Schlussfolgerungen hinsichtlich ihres räumlichen Anwendungsbereichs gezogen werden können. Die Gründe, welche den [X.] im Urteil vom 12. Februar 2009 (aaO) bewogen haben, Insolvenzanfechtungsklagen der Vorschrift des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zu unterstellen, lassen sich auf entsprechende Klagen gegen [X.] außerhalb des Gebiets der [X.] zudem nur teilweise übertragen. Die Zuständigkeit der Gerichte des Eröffnungsstaats entspricht dem im zweiten und im achten Erwägungsgrund der EuInsVO genannten Zweck der Verbesserung der Effizienz und der [X.]eschleunigung der Insolvenzverfahren (vgl. [X.], Urteil vom 12. Februar 2009, aaO Rn. 22). Der vierte Erwägungsgrund, welcher der Verlagerung von Vermögensgegenständen oder Rechtsstreitigkeiten entgegenwirken soll, nimmt demgegenüber nur auf das ordnungsgemäße Funktionieren des [X.]innenmarkts [X.]ezug (vgl. [X.], Urteil vom 12. Februar 2009, aaO Rn. 23 f). [X.] mit [X.]ezügen allein zu Drittstaaten lassen sich nicht unter diesen Erwägungsgrund subsumieren. Schließlich stellt sich das Problem der Anerkennung des aufgrund einer Zuständigkeitsbestimmung nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ergangenen Urteils (vgl. [X.], Urteil vom 12. Februar 2009, aaO Rn. 25 ff). Art. 25 Abs. 1 Unterabsatz 2 EuInsVO, der die Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Entscheidungen in [X.] regelt, gilt im Verhältnis zu Drittstaaten nicht.

8

3. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der [X.]eantwortung der Vorlagefrage ab. Eine Zuständigkeit der [X.] Gerichte lässt sich nur aus Art. 3 Abs. 1 [X.]InsVO herleiten. Der allgemeine Gerichtsstand des Insolvenzverwalters (§ 19a ZPO) gilt für Klagen gegen den Insolvenzverwalter, nicht allgemein für Klagen des Insolvenzverwalters (vgl. [X.]GH, Urteil vom 11. Januar 1990 - [X.], [X.], 246, 247). Art. 102 § 1 [X.][X.] und § 3 [X.] regeln die Zuständigkeit der Insolvenzgerichte, nicht diejenige der Prozessgerichte ([X.]GH, Urteil vom 27. Mai 2003 - [X.], [X.], 1419, 1420; vom 19. Mai 2009 - [X.], [X.], 1287 Rn. 15).

9

4. Die Vorlagefrage lässt sich nicht unter Heranziehung anderer [X.] Rechtsquellen, die Regelungen zur gerichtlichen Zuständigkeit enthalten, beantworten. Die Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 ([X.]; A[X.]l. 2001, [X.], [X.]) findet im vorliegenden Fall keine Anwendung. Gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. b [X.] ist sie auf Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren nicht anwendbar. Dies schließt [X.] ein. Der [X.] hat im Rahmen seiner Rechtsprechung zum [X.]rüsseler Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen(EuGVÜ; A[X.]l. 1972, [X.], [X.]) entschieden, dass eine Konkursanfechtungsklage sich auf ein Konkursverfahren bezieht, weil sie unmittelbar aus diesem hervorgeht und sich eng innerhalb des Rahmens eines Konkurs- oder Vergleichsverfahrens hält ([X.], Urteil vom 22. Februar 1979 - [X.], [X.]E 1979, 733, Rn. 4 - [X.]). Das gilt auch im Rahmen von Art. 1 Abs. 2 lit. b [X.] (vgl. das eingangs zitierte Urteil des [X.] vom 12. Februar 2009 - [X.]/07, Rn. 19) und für Art. 1 des [X.] Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 (A[X.]l. 1988 Nr. L 319, [X.]) in der revidierten Fassung vom 30. Oktober 2007 (A[X.]l. 2009 Nr. L 147, S. 5).

Kayser                             [X.]

                  Fischer                         [X.]

Meta

IX ZR 2/12

21.06.2012

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

EuGH-Vorlage

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Hamm, 3. Mai 2011, Az: I-27 U 145/10

Art 3 Abs 1 EGV 1346/2000, Art 267 AEUV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 21.06.2012, Az. IX ZR 2/12 (REWIS RS 2012, 5356)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5356

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