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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZR 2/12
vom
21. Juni 2012
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
EuInsVO Art. 3 Abs. 1
Dem Gerichtshof der [X.]Gemeinschaften wird zur Auslegung des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über [X.](ABl. Nr. L 160, S. 1) folgende Frage vorgelegt:
Sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet worden ist, für eine [X.]gegen einen [X.]zuständig, der seinen Wohnsitz oder sat-zungsmäßigen Sitz nicht im Gebiet eines Mitgliedstaats hat?
BGH, Beschluss vom 21. Juni 2012 -
IX ZR 2/12 -
OLG Hamm
LG Münster
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2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.]hat durch [X.]Dr. Kayser, den Richter Vill, die Richterin Lohmann, die Richter Dr.
Fischer und Dr. Pape
am
21. Juni 2012
beschlossen:
1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
2.
Dem Gerichtshof der [X.]Gemeinschaften wird zur Auslegung des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr.
1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzver-fahren (ABl. Nr. L 160, S. 1; im Folgenden: EuInsVO) folgende Frage vorgelegt:
Sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das [X.]über das Vermögen des Schuldners eröffnet [X.]ist, für
eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfech-tungsgegner zuständig, der seinen Wohnsitz oder satzungsmäßi-gen Sitz
nicht im Gebiet eines Mitgliedstaats hat?
-
3
-
Gründe:
I.
Der Kläger ist Verwalter in dem am 4.
Mai 2007 in [X.]eröffne-ten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A.
Zi.
(Schuldne-rin). Die Beklagte, die Stiefmutter der Schuldnerin,
ist [X.]Staatsangehö-rige und lebt in der Schweiz. Der Kläger nimmt sie im Wege der Insolvenzan-fechtung auf Rückgewähr eines Betrages
von 8.015,08
in An-spruch. Die Klage ist in den Vorinstanzen wegen fehlender internationaler [X.]der [X.]Gerichte als unzulässig abgewiesen worden. Mit [X.]vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den [X.]weiter.
II.
Vor der Entscheidung über die Revision ist das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung des [X.]zu der
im Be-schlusstenor gestellten Frage einzuholen (Art.
267 Abs.
1 Buchst. B, Abs.
3 AEUV). Die Sachentscheidung
ist abhängig von der Auslegung des Art.
3 Abs.
1 EuInsVO.
1. Der sachliche Anwendungsbereich von
Art.
3 Abs.
1 EuInsVO
ist er-öffnet. Unmittelbar regelt Art.
3 Abs.
1 EuInsVO zwar nur die Zuständigkeit für das Insolvenzverfahren selbst.
Eine
Insolvenzanfechtungsklage gehört jedoch zu denjenigen Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorge-hen und mit ihm in einem engen Zusammenhang stehen; sie fällt deshalb als 1
2
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[X.]ebenfalls in den Anwendungsbereich des Art.
3 Abs.
1
EuInsVO. Gemäß
Urteil
des [X.]Gerichtshofs
vom 12.
Februar 2009 (Rs C-339/07,
ZIP 2009, 427
Rn.
21, Deko Marty Belgium) sind
die
Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen [X.]zu-ständig, der seinen satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat.
2. Bisher ungeklärt ist
die Frage, ob Art.
3 Abs.
1 EuInsVO auch dann eingreift, wenn
das Insolvenzverfahren in einem Mitgliedstaat eröffnet worden ist, der Anfechtungsgegner
aber
seinen allgemeinen Gerichtsstand (einen Wohnsitz oder satzungsmäßigen Sitz)
nicht in einem Mitgliedstaat, sondern in einem [X.]hat.
a) Seinem Wortlaut nach lässt
es
Art.
3 Abs.
1 EuInsVO ausreichen, dass der Mittelpunkt der sachlichen Interessen des Schuldners in einem Mit-gliedstaat liegt. Dazu, ob der den Anwendungsbereich der Verordnung eröff-nende grenzüberschreitende Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat oder zu einem [X.]bestehen muss, trifft er keine Aussage. Hieraus
könnte
ge-schlossen
werden, dass der Bezug zu einem [X.]ausreicht
([X.]in Haß/Huber/Gruber/Heiderhoff, EU-Insolvenzverordnung, Art.
1 Rn.
19
ff; Huber, [X.]114 (2001), 133, 138 f; Haubold, [X.]2003, 34, 35 f; [X.]ebenso
High Court of Justice London, ZIP 2003, 813; High Court of Justice Leeds, ZIP 2004, 1769; MünchKomm-InsO/Reinhart, 2.
Aufl., Art.
1 VO (EG) Nr. 1346/2000 Rn.
16; FK-InsO/Wenner/Schuster, 6.
Aufl., Art.
1 EuInsVO Rn.
9; Graf-Schlicker/Kebekus/Sabel/Schlegel, InsO,
2.
Aufl.,
Art.
1 EuInsVO Rn.
7;
[X.]in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, Art.
1 EuInsVO Rn.
49;
Gott-wald/Kolmann, Insolvenzrechtshandbuch, 4.
Aufl., §
130 Rn.
10
f; Rau-scher/Mäsch, EuZPR/EuIPR, 2011, Art.
1 EG-InsVO Rn.
15; Geimer/Schütze, 4
5
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5
-
EuZVR, 3.
Aufl., A.5, Art.
1 Rn.
39; Adam, [X.]bei der Insol-venz internationaler Unternehmensverbindungen, [X.]f;
Herchen, Z[X.]2003, 742, 745
f; Sabel/Schlegel, EWiR 2003, 367, 368; Hergenröder, [X.]2009, 309, 312).
b) Zwingend ist dieser Schluss jedoch nicht.
In der [X.]Literatur wird vielfach die Ansicht vertreten, dass nur ein "qualifizierter"
Aus-landsbezug
zu mindestens einem weiteren Mitgliedstaat den [X.]eröffnet
([X.]in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2010, Art.
1 EuInsVO Rn.
15; MünchKomm-BGB/Kindler, VO (EG) Nr. 1346/2000, 5.
Aufl., Art.
1 Rn.
28; [X.]in Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Europäische Insolvenzordnung, Art.
1 Rn.
3, 8
f, 53; HK-InsO/Stephan, 6.
Aufl., Art.
1 EuInsVO Rn.
11, 13; Uhlenbruck/Lüer, InsO, 13.
Aufl., Art.
1 EuInsVO Rn.
2; Pannen, Europäische Insolvenzverordnung, Art.
1 Rn.
120; Braun/Tashiro, InsO, 5.
Aufl., vor §§ 335, 358 Rn.
17; HmbKomm-InsO/Undritz, 4.
Aufl., Art.
1 EuInsVO Rn.
6
f; Smid, Internationales Insolvenzrecht, §
2 Rn.
43
f; Carstens, Die internationale Zuständigkeit im [X.]Insolvenz-recht, S.
32
ff; Schmiedeknecht, [X.]und die Auswirkungen auf das [X.]Insolvenzrecht, S.
108
ff; Westphal/Goether/Wilkens, Grenzüberschreitende Insolvenzen, Rn.
86
f; Leible/Staudinger, [X.]2000, 533, 538
ff; Duursma-Kepplinger, NZI 2003, 87; Smid, [X.]2003, 397, 402
f; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646, 651).
Annexverfahren, insbesondere die hier in Frage stehenden [X.]werden in Art.
3 Abs.
1 EuInsVO
nicht ausdrücklich geregelt, so dass aus dem Schweigen der Vorschrift keine Schlussfolgerungen hinsicht-lich ihres räumlichen Anwendungsbereichs gezogen werden können. Die Grün-6
7
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6
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de, welche den [X.]Gerichtshof
im Urteil vom 12.
Februar 2009 (aaO)
bewogen haben, Insolvenzanfechtungsklagen der Vorschrift des Art.
3 Abs.
1 EuInsVO zu unterstellen, lassen sich auf entsprechende Klagen gegen Anfech-tungsgegner außerhalb des Gebiets der [X.]Union zudem nur teil-weise übertragen. Die Zuständigkeit der Gerichte des [X.]dem im zweiten und im achten Erwägungsgrund der EuInsVO genann-ten Zweck der Verbesserung der Effizienz und der Beschleunigung der [X.](vgl. EuGH, Urteil vom 12.
Februar 2009, aaO Rn.
22). Der vierte Erwägungsgrund, welcher der Verlagerung von Vermögensgegenständen oder Rechtsstreitigkeiten entgegenwirken soll, nimmt demgegenüber nur auf das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts
Bezug
(vgl. EuGH, Urteil vom 12.
Februar 2009, aaO Rn.
23
f). [X.]mit [X.]allein zu Drittstaaten lassen
sich nicht unter diesen Erwägungsgrund sub-sumieren. Schließlich stellt sich das Problem
der Anerkennung des aufgrund einer Zuständigkeitsbestimmung nach Art.
3 Abs.
1 EuInsVO ergangenen Ur-teils (vgl. EuGH, Urteil vom 12.
Februar 2009, aaO Rn.
25
ff). Art.
25 Abs.
1
Unterabsatz 2
EuInsVO, der die Anerkennung und Vollstreckbarkeit
von Ent-scheidungen in [X.]regelt, gilt im Verhältnis zu Drittstaaten nicht.
3. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Beantwortung der Vorlagefrage ab. Eine Zuständigkeit der [X.]Gerichte lässt sich nur aus Art.
3 Abs.
1 [X.]herleiten. Der allgemeine Gerichtsstand des Insolvenz-verwalters
(§
19a ZPO)
gilt
für Klagen gegen den Insolvenzverwalter, nicht all-gemein für Klagen des Insolvenzverwalters
(vgl. BGH, Urteil vom 11.
Januar 1990 -
IX
ZR 27/89, ZIP 1990, 246, 247). Art.
102 §
1 EG[X.]und §
3 [X.]regeln die Zuständigkeit der Insolvenzgerichte, nicht diejenige der Prozessge-richte (BGH, Urteil vom 27.
Mai 2003 -
IX
ZR 203/02, ZIP 2003, 1419, 1420; vom 19.
Mai 2009 -
IX
ZR 39/06, ZIP 2009, 1287 Rn.
15).
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4. Die Vorlagefrage lässt
sich nicht unter Heranziehung anderer [X.]Rechtsquellen, die Regelungen zur gerichtlichen Zuständigkeit enthalten, beantworten. Die Verordnung (EG) Nr.
44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen vom 22.
Dezember 2000 (EuGVVO; ABl.
2001,
L
12,
S.
1) findet im vorliegenden Fall keine Anwendung. Gemäß Art.
1 Abs.
2 lit. b [X.]ist sie auf Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren nicht an-wendbar. Dies
schließt [X.]ein.
Der [X.]hat im Rahmen seiner Rechtsprechung zum [X.]Überein-kommen vom 27.
September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen
(EuGVÜ; ABl. 1972, L 299, S.
32) entschieden, dass eine Konkursanfechtungs-klage sich auf ein Konkursverfahren bezieht, weil
sie unmittelbar aus diesem hervorgeht und sich eng innerhalb des Rahmens eines Konkurs-
oder Ver-gleichsverfahrens hält (EuGH, Urteil vom 22.
Februar 1979 -
Rs
133/78,
EuGHE
1979, 733, Rn.
4 -
Gourdain).
Das gilt auch im Rahmen von Art.
1 Abs.
2 lit.
b
[X.](vgl. das eingangs zitierte Urteil des [X.]Ge-richtshofs vom 12.
Februar 2009 -
Rs
C-339/07, Rn.
19) und für Art.
1 des [X.]Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstre-
9
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8
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ckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen vom 16.
September 1988 (ABl. 1988 Nr.
L
319, S.
9) in der revidierten Fassung vom 30.
Oktober 2007
(ABl. 2009 Nr.
L 147, S.
5).
Kayser
Vill
Lohmann
Fischer
Pape
Vorinstanzen:
LG Münster, Entscheidung vom 28.10.2010 -
2 O 736/09 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 03.05.2011 -
I-27 [X.]-
Meta
21.06.2012
Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat
Sachgebiet: ZR
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.06.2012, Az. IX ZR 2/12 (REWIS RS 2012, 5404)
Papierfundstellen: REWIS RS 2012, 5404
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
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