Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 17.02.2011, Az. 1 BvR 3050/10

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2011, 9369

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Unzureichende Substantiierung (§§ 23 Abs 1 S 2, 92 BVerfGG) - Speicherung von Verbindungsdaten wegen Urheberrechtsverstößen in Internet-Tauschbörsen - Zur Beschwerdebefugnis bei Rügen einer Verletzung von Art 14 Abs 1 GG


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Auskunftsanspruch des Rechteinhabers gegen den Internetprovider bei der Verfolgung von Urheberrechtsverstößen in [X.]. Bei Land- und Oberlandesgericht begehrte die Beschwerdeführerin sinngemäß, einem Internetprovider die Speicherung künftiger IP-Adressen und Verbindungsdaten jeweils "auf Zuruf" aufzugeben, bis das Gericht eine Anordnung nach § 101 Abs. 2, 9 Urheberrechtsgesetz ([X.]) erlassen oder einen entsprechenden Antrag rechtskräftig zurückgewiesen hat. Damit wollte die Beschwerdeführerin der ansonsten oft kurzfristig erfolgenden Löschung der Daten zuvorkommen, welche den Auskunftsantrag ins Leere laufen lässt.

2

Die gegen den ablehnenden Beschwerdebeschluss des [X.] gerichtete Verfassungsbeschwerde, die eine Verletzung der Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG rügt, ist nicht zur Entscheidung anzunehmen.

3

Annahmegründe (§ 93a Abs. 2 [X.]) liegen nicht vor, denn die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie erfüllt nicht die sich aus § 23 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz, § 92 [X.] ergebenden Anforderungen an eine substantiierte Darlegung der Beschwerdebefugnis (1.), der Notwendigkeit einer Vorlage an den [X.] (2.) und der Beachtung des Grundsatzes der materiellen Subsidiarität (3.).

4

1. Ob die Beschwerdeführerin im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG beschwerdebefugt ist, erschließt sich aus der Verfassungsbeschwerde und den ihr beigegebenen Anlagen nicht mit Sicherheit. Die Formulierungen können entweder so ausgelegt werden, dass die Beschwerdeführerin die ausschließlichen Verwertungsrechte von der Rechteinhaberin übernommen hat, oder - näherliegend - so, dass die Beschwerdeführerin lediglich von der Rechteinhaberin beauftragt wurde, Rechtsverletzungen in [X.] aufzuspüren und im eigenen Namen zu verfolgen, mithin in Prozessstandschaft Schadensersatz- und vorbereitende Ansprüche geltend zu machen.

5

Nur im erstgenannten Fall wäre die Beschwerdeführerin so in die Position des Urhebers beziehungsweise Rechteinhabers eingerückt, dass ihr die Rechte aus Art. 14 Abs. 1 GG selbst zuständen. Im zweiten Fall wäre die Beschwerdeführerin nicht befugt, vor dem [X.] das Eigentumsrecht eines Dritten geltend zu machen. Zwar sind Verwertungsgesellschaften wie die [X.] aufgrund der sogenannten [X.] bestimmter urheberrechtlicher Ansprüche befugt, die Eigentumsrechte der von ihnen vertretenen Urheber in Prozessstandschaft auch im Verfassungsbeschwerdeverfahren wahrzunehmen (vgl. [X.] 77, 263 <269 f.>). Im Übrigen ist jedoch die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde in gewillkürter Prozessstandschaft, also zur Geltendmachung der Grundrechte oder grundrechtsgleicher Rechte Dritter, mangels Beschwerdebefugnis nach ständiger Rechtsprechung des [X.]s unzulässig (vgl. [X.] 19, 323 <329>; 25, 256 <263>; 56, 296 <297>; 72, 122 <131>). Dies gilt unabhängig davon, ob die gewillkürte Prozessstandschaft im fachgerichtlichen Verfahren für zulässig gehalten wurde (vgl. [X.] 31, 275 <280>). Zu dieser Problematik hätte sich die Verfassungsbeschwerde eindeutig verhalten müssen.

6

2. Auch soweit die Beschwerdeführerin einen Entzug des [X.]s rügt, geschieht dies nicht ausreichend substantiiert. Sie beschränkt sich darauf, die von ihr für richtig gehaltene richtlinienkonforme Auslegung der Vorschrift des § 101 Abs. 2 [X.] darzulegen, geht dabei aber weder auf die einschlägigen Regelungen der [X.] (Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, berichtigte Fassung, [X.]. [X.] Nr. L 195 S. 16) ein noch auf die hierzu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union.

7

So verpflichtet Art. 8 Abs. 1 der [X.] die Mitgliedstaaten lediglich dazu sicherzustellen, dass die Gerichte "im Zusammenhang mit einem Verfahren wegen Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums" die Auskunftserteilung durch Dritte (Art. 8 Abs. 1 lit. c der Richtlinie) anordnen; der selbständige Auskunftsanspruch ohne anhängiges Klageverfahren in Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung in § 101 Abs. 2 Satz 1 [X.] geht hierüber hinaus, indem er von Art. 8 Abs. 3 lit. a der Richtlinie Gebrauch macht (vgl. BTDrucks 16/5048, S. 29).

8

Weiter hat der Gerichtshof entschieden, dass die Richtlinien zum Schutz des geistigen Eigentums einerseits und des Datenschutzes andererseits den Mitgliedstaaten nicht gebieten, die Pflicht zur Mitteilung personenbezogener Daten im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens vorzusehen. Der Gerichtshof hält die Mitgliedstaaten und ihre Gerichte lediglich für verpflichtet, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den Grundrechten herzustellen, die in diesen Richtlinien sowie in allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts ihren Ausdruck gefunden haben ([X.], Urteil vom 29. Januar 2008 - [X.]/06 "[X.]" -, [X.], S. 241 <243>, Rn. 61-70). Welche Auslegungsfrage des ungeachtet dem Gerichtshof vorzulegen wäre, erörtert die Verfassungsbeschwerde nicht.

9

3. Die Beschwerdeführerin trägt auch nicht vor, dass sie dem Grundsatz der Subsidiarität genügt hätte. Dieser erfordert, über die bloße formelle Erschöpfung des Rechtswegs hinaus, dass vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen worden sind, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. [X.] 112, 50 <60 ff.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 20. Februar 2008 - 1 BvR 2722/06 -, NVwZ 2008, S. 780 <781>). Handelt es sich beim [X.] um den Gerichtshof (vgl. [X.] 82, 159 <192 f.>), ist ein Antrag, ein Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen, nicht erforderlich und nach Art. 267 Abs. 3 A[X.]V auch nicht vorgesehen (vgl. [X.] 73, 339 <369>); es genügt eine entsprechende Anregung oder das ausdrückliche Thematisieren der vom Fall aufgeworfenen, bislang ungeklärten unionsrechtlichen Fragen.

Im Streitfall konnte die Beschwerdeführerin auch nichts Entsprechendes vortragen, da, wie die Schriftsätze des Ausgangsverfahrens zeigen, die Auslegung der [X.] keine Rolle gespielt hat.

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 3050/10

17.02.2011

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Hamm, 2. November 2010, Az: I-4 W 119/10, Beschluss

Art 101 Abs 1 S 2 GG, Art 14 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Art 8 Abs 1 EGRL 48/2004, Art 8 Abs 3 Buchst a EGRL 48/2004, § 101 Abs 2 UrhG, § 101 Abs 9 UrhG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 17.02.2011, Az. 1 BvR 3050/10 (REWIS RS 2011, 9369)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9369

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Urheberrechtsverletzung: Auskunftsanspruch gegen den Internetprovider bei unbefugter Zugänglichmachung von Filmwerken in einer Internet-Tauschbörse


Referenzen
Wird zitiert von

I ZR 58/16

I ZR 58/16

I ZB 80/11

I ZB 77/11

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