Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 08.02.2021, Az. 1 BvR 242/21

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2021, 8883

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Erfolglose Verfassungsbeschwerde bzgl der Versagung von Eilrechtsschutz gegen die infektionsschutzbedingte Schließung von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen in Bayern (§§ 18 Abs 1, 19 Abs 1 der 11. BayIfSMV ) - mangelnde Rechtswegerschöpfung bei unterbliebener Anhörungsrüge im fachgerichtlichen Verfahren


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Gründe

1

Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des [X.] vom 29. Januar 2021 - 20 NE 21.201 -, mit dem ihr Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung von § 18 Abs. 1 und § 19 Abs. 1 der [X.] (im Folgenden: 11. BayIfSMV) abgelehnt wurde.

2

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] nicht vorliegen (vgl. dazu [X.] 90, 22 <24 ff.>). Sie ist bereits unzulässig.

3

1. Soweit sich die Beschwerdeführer zu 1) bis 5) gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die in § 18 Abs. 1 der 11. BayIfSMV geregelte Schließung der Schulen wenden, [X.] sie unter anderem eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den Beschluss des [X.]; sie haben jedoch nicht dargelegt, dass sie vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde eine Anhörungsrüge nach § 152a Abs. 1 VwGO erhoben haben.

4

a) Wird mit der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend gemacht, so gehört eine Anhörungsrüge an das Fachgericht zu dem Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 [X.] im Regelfall abhängig ist (vgl. [X.] 122, 190 <198>; 126, 1 <17>). Erheben Beschwerdeführer in einem solchen Fall keine Anhörungsrüge, obwohl sie statthaft und nicht offensichtlich aussichtslos wäre, hat das zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig ist, sofern die damit gerügten Grundrechtsverletzungen denselben Streitgegenstand betreffen wie der geltend gemachte Gehörsverstoß ([X.] 134, 106 <113>). Das ist hier der Fall.

5

b) Die Beschwerdeführer [X.], die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, geöffnete Schulen t[X.] nach der Einschätzung des zur Beurteilung der pandemischen Situation nach § 4 Abs. 1 [X.] berufenen [X.] maßgeblich zum [X.] bei, beruhe auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs. Sie hätten sich auf mehrere Aussagen des [X.] aus jüngster Zeit berufen, aus denen sich das Gegenteil ergebe. Diese Aussagen habe der Verwaltungsgerichtshof übergangen.

6

Nach diesem Vorbringen ist eine Anhörungsrüge nach § 152a Abs. 1 VwGO nicht offensichtlich aussichtslos. Es spricht im Gegenteil einiges dafür, dass der Verwaltungsgerichtshof auf wesentliches Vorbringen der Beschwerdeführer zur spezifischen Rolle geöffneter Schulen am [X.] nicht vollständig eingegangen ist. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Gerichte das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen, damit das [X.] einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. [X.] 65, 293 <295 f.>; 70, 288 <293>). Geht das Gericht auf [X.] des [X.] zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. auch [X.] 47, 182 <189>; 86, 133 <146>). Das dürfte hier der Fall sein.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat seine Annahme, Schulen t[X.] maßgeblich zum [X.] bei, neben der Entscheidung des Gesetzgebers, Schulen als Einrichtungen mit besonderer Relevanz für die [X.] (§ 33 [X.]) und die Schließung von Schulen als notwendige Schutzmaßnahme zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 einzustufen (§ 28a Abs. 1 Nr. 16 [X.]), vor allem auf eine entsprechende Einschätzung des [X.] gestützt, da dieses nach § 4 Abs. 1 [X.] zur Beurteilung der pandemischen Situation berufen sei. Die Beschwerdeführer hatten demgegenüber mehrere Aussagen des [X.] und des [X.] anlässlich einer Pressekonferenz am 19. November 2020 zum [X.] an geöffneten Schulen genannt, die für sich genommen die Annahme des Gerichts in Frage stellen könnten. Die Gründe des angegriffenen Beschlusses lassen keine ausreichende Auseinandersetzung des Gerichts mit diesen Aussagen erkennen. Dazu hätte jedoch Anlass bestanden. Angesichts der Bedeutung, die der Verwaltungsgerichtshof der Einschätzung des [X.] zum Einfluss geöffneter Schulen auf das [X.] beimisst, dürfte es sich um [X.] des tatsächlichen Vorbringens der Beschwerdeführer zu einer für das Verfahren zentralen Frage handeln. Eine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beschwerdeführer dürfte sich auch nicht angesichts der vom Verwaltungsgerichtshof selbst zitierten Publikation des [X.] erübrigt haben. Denn in dieser Publikation wird lediglich die Zahl der an das [X.] unter anderem an Schulen genannt, diese Zahlen werden jedoch nicht hinsichtlich der Frage bewertet, welche Bedeutung geöffnete Schulen auf das [X.] haben. Eine solche Bewertung lässt sich auch dem angegriffenen Beschluss nicht entnehmen. In Randnummer 33 werden neuere Studien aus dem Ausland zwar zitiert, nicht aber ausgewertet und ihre Relevanz für das Beschwerdevorbringen erläutert.

8

2. [X.] hat zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde, soweit sie die Schließung von Schulen nach § 18 Abs. 1 der 11. [X.] betrifft, nicht nur in Bezug auf die behauptete Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, sondern insgesamt unzulässig ist.

9

3. Soweit sich die Beschwerdeführer zu 1), 2) und 6) außerdem dagegen wenden, dass der [X.] ihren Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung der Regelung des § 19 Abs. 1 der 11. BayIfSMV zur Schließung von [X.] als unzulässig abgelehnt hat, zeigen sie auch angesichts der Möglichkeit einer Notbetreuung eine Verletzung von verfassungsbeschwerdefähigen Rechten schon nicht hinreichend substantiiert auf.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 242/21

08.02.2021

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 29. Januar 2021, Az: 20 NE 21.201, Beschluss

Art 103 Abs 1 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 18 Abs 1 CoronaVV BY 12, § 19 Abs 1 CoronaVV BY 12, § 4 Abs 1 IfSG, § 28 IfSG, § 28a Abs 1 Nr 16 IfSG, § 32 IfSG, § 33 IfSG, § 152a Abs 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 08.02.2021, Az. 1 BvR 242/21 (REWIS RS 2021, 8883)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 8883

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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