Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.12.2003, Az. XI ZR 397/02

XI. Zivilsenat | REWIS RS 2003, 433

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[X.] DES VOLKESURTEILXI ZR 397/02Verkündet am:2. Dezember 2003Herrwerth,[X.] Geschäftsstellein dem [X.]: ja[X.]Z: nein[X.]R: [X.] Art. 3 Abs. 1, 21BGB § 134AGB-[X.] § 19 Abs. 1a) Eine erwerbswirtschaftlich tätige, aber ausschließlich von der öffentlichen [X.] hat das in Art. 3 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommendeWillkürverbot zu beachten.b) Die ohne sachgerechten Grund erklärte Kündigung eines Girovertrages [X.] ausschließlich staatlich beherrschtes Kreditinstitut verstößt gegen das [X.] und ist gemäß § 134 BGB nichtig.c) Ein ausschließlich staatlich beherrschtes Kreditinstitut darf die politische Ziel-richtung einer [X.] nicht zum Anlaß für eine Kontokündigung nehmen, solan-ge das [X.] die Verfassungswidrigkeit der [X.] nichtfestgestellt hat.[X.], Urteil vom 2. Dezember 2003 - [X.] [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche [X.] vom 2. Dezember 2003 durch [X.] [X.] Bungeroth, [X.], [X.] und Dr. Applfür Recht erkannt:Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des [X.] vom 25. September 2002 wird auf Ko-sten der Beklagten zurückgewiesen.Von Rechts [X.]:Der Kläger, der [X.] der [X.],nimmt die beklagte [X.] auf Fortführung eines Girokontos in [X.].Am 25. Juli 1990 ließ der Kläger ein Girokonto bei der Rechtsvor-gängerin der Beklagten eröffnen. Im August und [X.] mehreren Zeitungen über die Geschäftsverbindungen der [X.] "rechtsextremen" [X.]en berichtet. Am 12. September 2000 kündigtedie Beklagte gemäß § 19 Abs. 1 AGB-[X.] mit Wirkung zum24. Oktober 2000 das Girokonto mit der Begründung, es bestehe [X.] an einer Fortführung der Geschäftsverbindung. Bei andererGelegenheit verwies sie darauf, keine Geschäftsbeziehung zu verfas-- 3 -sungsfeindlichen Organisationen unterhalten zu wollen; ihr Vorstand [X.] die Kündigung sämtlicher Konten rechtsradikaler [X.]en und Orga-nisationen beschlossen, um "einen wichtigen Beitrag zur politischen Hy-giene" zu leisten und sich der "gesellschaftlichen Verantwortung" zustellen.Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam, weil er als Landes-verband einer politischen [X.] dringend auf eine Bankverbindung an-gewiesen sei, zu deren Eröffnung andere Kreditinstitute nicht bereit [X.]. Die Beklagte beruft sich darauf, die Kündigung angesichts der [X.] Kritik zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen ausgespro-chen zu haben. Als Rechtsperson des Privatrechts und Grundrechtsträ-gerin stehe es ihr zudem frei, eine Geschäftsbeziehung aus politischenoder weltanschaulichen Gründen zu beenden. Der Kläger möge [X.] bei einer Sparkasse durchsetzen.Das [X.] hat die Beklagte verurteilt, das Konto einstweilenfortzuführen. Das [X.] hat die Berufung der Beklagten zu-rückgewiesen und sie auf die Anschlußberufung des [X.] zur- unbefristeten - Fortführung des Kontos verurteilt. Mit der zugelassenenRevision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.Entscheidungsgründe:Die Revision ist [X.] -I.Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wiefolgt begründet:Die von der Beklagten ausgesprochene, ausschließlich politischmotivierte Kündigung stelle sich als unzulässige Rechtsausübung [X.] von § 242 BGB dar und sei daher unwirksam. Solange vom [X.] nicht für verfassungswidrig erklärt, genieße [X.] den besonderen Schutz des Art. 21 GG. Das durch Art. 2 Abs. 1GG geschützte Interesse der Beklagten an einer Beendigung der Ge-schäftsbeziehung trete bei Abwägung der beiderseitigen Interessen ge-genüber der grundgesetzlich geschützten Position des [X.] als politi-scher [X.] zurück. Die Beklagte könne keine bankspezifischen Gründefür die Aufkündigung der Vertragsbeziehung vorweisen, während [X.] auf das Fortbestehen der Kontoverbindung angewiesen sei. Einepolitische [X.] könne die ihr zugewiesenen Aufgaben in organisatori-scher Hinsicht nur erfüllen, wenn sie über die notwendigen technischenEinrichtungen und Voraussetzungen verfüge, wozu auch eine Bankver-bindung gehöre. Andere Kreditinstitute seien, wie der Kläger bewiesenhabe, nicht bereit, eine Geschäftsbeziehung mit ihm aufzunehmen. [X.] sei auch nicht gehalten, die örtliche Sparkasse gerichtlich auf Er-öffnung einer Kontoverbindung in Anspruch zu nehmen. Als [X.] für ein solches Begehren komme nur ein zivilrechtlicher Kon-trahierungszwang in Betracht, der jedoch ausscheide, wenn der [X.] - wie hier - keine marktbeherrschende Stellung [X.] 5 -II.Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung im [X.]. Die Beklagte ist zur Fortführung des Girokontos verpflichtet.Die Kündigung verstößt gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG zum Aus-druck kommende Willkürverbot und ist gemäß § 134 BGB nichtig (vgl. zurAnwendbarkeit des § 134 BGB auf [X.]: [X.]Z 65, 284,287; Senatsurteil vom 11. März 2003 - [X.], [X.], 823,824, zum Abdruck in [X.]Z vorgesehen; [X.]/Armbrüster, [X.]. § 134 [X.]. 33). Auf die Abwägung widerstrei-tender, durch das Grundgesetz geschützter Interessen des [X.] undder Beklagten kommt es - anders als im Rahmen der vom Berufungsge-richt herangezogenen Generalklausel des § 242 BGB - nicht [X.] Die Beklagte unterlag bei der Kündigung des [X.] - auf diesen Zeitpunkt ist bei der Beurteilung derWirksamkeit der Kündigung abzustellen - dem Willkürverbot. Sie ist [X.] 1995 im Zuge der [X.] durch Umwandlung des [X.] in Aktiengesellschaften gemäßArt. 143 b Abs. 1 Satz 1 GG, § 1 [X.] entstanden. Alleiniger Ak-tionär der Beklagten ist die [X.], deren Aktien im Zeitpunktder Kündigung noch vollständig im Eigentum der [X.] und der [X.], einer [X.] öffentlichen Rechts, standen. Der Börsengang der [X.] [X.] erfolgte erst im November 2000 und damit nach der Kündigung desGirokontos des [X.].- 6 -a) Nach einem zur [X.] Post AG ergangenen Urteil desBundesverwaltungsgerichts vom 18. März 1998 (BVerwGE 113, 208,211) unterliegt auch ein privatrechtliches Unternehmen, das im Alleinbe-sitz des Staates erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit nachgeht, der Grund-rechtsbindung. Art. 3 GG findet danach unmittelbar Anwendung (ebensoGersdorf, in: v. Mangoldt/[X.]/[X.], GG 4. Aufl. Art. 87 f [X.]. 87Fn. 54; Dreier, GG Art. 1 Abs. 3 [X.]. 48 ff.; [X.], in: [X.], [X.]. Art. 1 [X.]. 94 ff.; [X.], in: [X.]/[X.], GG 6. Aufl. Art. 1[X.]. 28 f.; [X.], [X.]/1 § 74 IV 5; von [X.] 1998,437, 444; a.A.: [X.], in: [X.]/[X.], GG 5. Aufl. Art. 87 f[X.]. 11 b; [X.], in: [X.], [X.]. Art. 87 f [X.]. 9; Herdegen,in: [X.] VerfGrdl. [X.]. 60).b) Nach der Rechtsprechung des [X.] ist die öf-fentliche Hand bei rein fiskalischem Handeln zwar nicht unmittelbar andie Grundrechte gebunden ([X.]Z 36, 91, 96; [X.], Urteil vom14. Dezember 1976 - [X.], NJW 1977, 628, 629 f.). Sie mußaber auch in diesem Bereich gewisse Bindungen und Schranken beach-ten, die für Privatpersonen nicht in entsprechender Weise gelten. [X.] gilt das Verbot willkürlichen Verhaltens als niedrigste Stufe eineröffentlich-rechtlichen Bindung privatrechtlichen Handelns des Staates([X.], Urteil vom 14. Dezember 1976 aaO; vgl. auch [X.] 98, 365,395; Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes[X.]Z 97, 312, 317; [X.], Urteil vom 6. Juni 1967 - [X.]/65,NJW 1967, 1911). Danach kann es auch einer erwerbswirtschaftlich täti-gen Gesellschaft, deren Anteile sich unmittelbar oder über eine odermehrere Gesellschaften mittelbar im Besitz der öffentlichen Hand befin-den und hinter der deshalb jedenfalls mittelbar die Organisations- und- 7 -Finanzkraft des Staates steht, weshalb sie dessen Einwirkungsmöglich-keiten in jeder Hinsicht unterliegt, nicht freistehen, bestimmte Geschäfts-oder Vertragspartner willkürlich zu benachteiligen.2. Das Willkürverbot ist verletzt, wenn sich bei verständiger Würdi-gung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken ein sachgerechterGrund für eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt nicht finden läßt([X.] 55, 72, 89 f.; 78, 232, 248). Einen solchen Grund hat die [X.] nicht dargelegt.a) Die zum Kündigungszeitpunkt zu 100% staatliche Beklagtedurfte die politische Zielrichtung des [X.] nicht zum Anlaß für eineKündigung nehmen. Dies wäre ihr selbst dann verwehrt, wenn der [X.] was die Beklagte nicht einmal behauptet - verfassungsfeindlich ausge-richtet wäre (Senatsurteil vom 11. März 2003, aaO S. 825). Nach Art. [X.]. 2 Satz 2 GG entscheidet über die Verfassungswidrigkeit einer [X.] das [X.]. Hierbei handelt es sich nicht um einebloße Zuständigkeitsregelung, sondern - i.V. mit Art. 21 Abs. 1 GG - umeine Privilegierung der politischen [X.]en gegenüber anderen [X.]. Bis zu einer Entscheidung des [X.] kann deshalb niemand die Verfassungswidrigkeit einer[X.] rechtlich geltend machen ([X.] 12, 296, 304; 40, 287, 291).Erst recht kann demnach die politische Zielrichtung einer nicht verfas-sungswidrigen [X.] eine ihr rechtlich nachteilige Handlung nicht [X.]. Eine [X.] soll in ihren politischen Aktivitäten von jeder rechtli-chen Behinderung frei sein, solange sie mit allgemein erlaubten [X.] ([X.] 13, 123, 126; 39, 334, 357; 40, 287, 291; 47, 130, 139;BVerfG NJW 2001, 2076, 2077).- 8 -Die Kündigung, mit der die Beklagte "einen wichtigen Beitrag zurpolitischen Hygiene" leisten wollte, stellt eine unzulässige rechtliche [X.] dar. Sie greift zwar nicht unmittelbar in die politische Tätigkeitdes [X.] ein, beeinträchtigt seine Betätigungsfreiheit aber wesentlich,und zwar mit politischer Zielsetzung. Der Kläger ist bei seiner Arbeit aufdie Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr angewiesen. [X.] er Zahlungen von existentieller Bedeutung, nämlich die staatliche[X.]enfinanzierung (§ 19 Abs. 1 Satz 2 [X.]G), nicht entgegenneh-men. Ebensowenig kann er ohne Konto Mitgliedsbeiträge einziehen oderGeldspenden empfangen. Auch die Begleichung von Mieten, Telefonge-bühren oder von Rechnungen im Zusammenhang mit [X.]veranstaltun-gen ist in weitem Umfang ohne Girokonto praktisch nicht durchführbar(vgl. Senatsurteil vom 11. März 2003, aaO S. 825).Ob eine rechtliche Behinderung des [X.] zu verneinen wäre,wenn ein anderes Kreditinstitut zur Eröffnung eines Girokontos bereitwäre, bedarf keiner Entscheidung. Das Berufungsgericht hat rechtsfeh-lerfrei festgestellt, daß dies nicht der Fall ist. Auch die Möglichkeit, einenAnspruch auf Eröffnung und Führung eines Girokontos gegen die am Sitzdes [X.] ansässige [X.] - eventuell durch mehrere Instan-zen - einzuklagen, läßt eine rechtlich erhebliche Behinderung des [X.] nicht entfallen. Ebensowenig muß sich der - gesondert zur Rechen-schaftslegung verpflichtete (§ 23 Abs. 1 Satz 3 [X.]G) - Kläger auf [X.] eines Treuhandkontos (vgl. hierzu Senatsurteil vom [X.], aaO S. 825) oder eines Kontos der Bundespartei verweisen las-sen.- 9 -b) Die Beklagte kann die Kündigung auch nicht mit behauptetenwirtschaftlichen Nachteilen rechtfertigen, die bei Fortführung der [X.] mit dem Kläger drohen könnten. Sie hat nicht hinrei-chend dargelegt, daß die Aufrechterhaltung des seit über zehn Jahrenbeanstandungsfrei geführten Kontos des [X.] für sie zu einem Wett-bewerbsnachteil gegenüber anderen Kreditinstituten führen würde, etwaweil die Kündigung der Geschäftsbeziehungen durch andere Kunden zugewärtigen wäre. Ebensowenig hat die Beklagte einen ihr [X.] drohenden Imageschaden substantiiert ausgeführt. Zudem [X.] diesen Schaden allein aufgrund der politischen Zielrichtung des [X.], die, wie dargelegt, die dem Willkürverbot unterliegende [X.] nicht zu dessen Nachteil geltend machen kann.- 10 -III.Die Revision der Beklagten war daher als unbegründet zurückzu-weisen.[X.] Müller Wassermann Appl

Meta

XI ZR 397/02

02.12.2003

Bundesgerichtshof XI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.12.2003, Az. XI ZR 397/02 (REWIS RS 2003, 433)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 433

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