Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.01.2019, Az. 1 AZR 291/17

1. Senat | REWIS RS 2019, 11499

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Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 20. Januar 2017 - 8 [X.] 1212/16 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über Weihnachtsgeld.

2

Die Beklagte ist ein Einzelhandelsunternehmen mit Sitz in [X.]. In deren [X.] Vertriebsfiliale ist der Kläger als Verkäufer beschäftigt.

3

Bis April 2008 war die Beklagte tarifgebundenes Mitglied im Landesverband des [X.]er Einzelhandels e.V., welcher mit der [X.] (bzw. vor deren [X.]ründung mit der [X.] und der [X.], Banken und Versicherungen - [X.] -) Tarifverträge mit einem [X.]eltungsbereich für Einzelhandelsbetriebe auf dem [X.]ebiet der Freien und Hansestadt [X.] geschlossen hat. Sie ist - und war - nicht Mitglied des [X.] bzw. seines Rechtsvorgängers, der mit [X.] neben dem Manteltarifvertrag für den [X.] Einzelhandel ([X.]) ua. den Tarifvertrag über [X.]ehälter, Löhne und Ausbildungsvergütungen für den [X.] Einzelhandel (TV-[X.]LA [X.]) vereinbart hat. Nach § 1 A. und B. [X.] und dem gleich lautenden § 1 A. und [X.] (in ihren jeweils ab 1. Juli 2011 gültigen Fassungen) umfassen die [X.]eltungsbereiche dieser Tarifverträge räumlich das [X.] und fachlich „alle Betriebe des Einzelhandels aller Branchen und Betriebsformen einschließlich Dach- bzw. Holdinggesellschaften von Einzelhandelsunternehmen sowie Hilfs- und Nebenbetriebe.“

4

Die Vergütung der in der Filiale [X.] beschäftigten Arbeitnehmer - so auch die des [X.] - richtete sich nach der von der Beklagten mit dem dort errichteten Betriebsrat mit Wirkung zum 1. März 1997 geschlossenen „[X.]“ ([X.]). Diese lautet auszugsweise:

        

Präambel          

        

Ziel der Konzeption einer Betriebsvereinbarung war die Schaffung eines [X.]ehalts- und Arbeitszeitsystems, das für jeden Mitarbeiter nachvollziehbar, einsehbar und leistungsgerecht ist.

        

Ferner sollen die gesetzlichen Ladenschlußzeiten des Einzelhandels in gerechte Rahmenbedingungen gefügt werden.

        

Als [X.]rundlage wurden größtenteils bestehende Vereinbarungen genommen. Der Tarif berücksichtigt die [X.] des [X.] in [X.] soweit nicht andere Vereinbarungen getroffen werden und diese einen individuellen Leistungsausgleich berücksichtigen (Arbeitsvertrag). Eine Überarbeitung findet mindestens zum Zeitpunkt gültiger Tarifverhandlungen des Einzelhandels statt.

        

Die nachstehenden Paragraphen ergänzen die Regelungen des Arbeitsrechtes und gelten als Bestandteil des Arbeitsvertrages (Individualvereinbarung).

        

Jedem [X.] wird eine Ausfertigung der Vereinbarung bei Beginn des Arbeitsverhältnisses zusammen mit dem Arbeitsvertrag übergeben.

        

Die Bezeichnung des Arbeitnehmers als „[X.]“ ist dem gleichzusetzen.

        

…       

        

§ 8 Urlaubs- und Weihnachtsgeld            

        

[X.] zahlt in jedem Beschäftigungsjahr ein Urlaubsgeld in Höhe von 62,5 % des [X.]ehaltes.

        

Zahlungstermin ist spätestens der 31. Mai eines jeden Jahres. …

        

[X.] zahlt in jedem Beschäftigungsjahr ein Weihnachtsgeld in Höhe von 62,5 % des [X.]ehaltes.

        

Zahlungstermin ist spätestens der 30. November eines jeden Jahres. …

        

…       

        

§ 15 [X.]ehaltstarif            

        

Die [X.]-[X.]ehälter garantieren eine Mindesthöhe über den jeweiligen [X.]er Tarifen.

                 
        

In den Tarifen [X.]O, [X.]1, [X.]2

sind das [X.] 200,00

        

In dem Tarif

[X.]3    

sind das [X.] 300,00

        

In dem Tarif [X.]4a

sind das [X.] 400,00 und in [X.]4b [X.] 500,00

        

       

                 
        

[X.]ehaltserhöhungen:

        

Zukünftige Tariferhöhungen führen mit Wirkung des neuen Tarifabschlusses zu einer entsprechenden Erhöhung des [X.]arantiegehaltes.

        

In den Tarifen [X.]O, [X.]1, [X.]2

sind das [X.] 200,00

        

In dem Tarif

[X.]3    

sind das [X.] 300,00

        

In dem Tarif [X.]4a

sind das [X.] 400,00 und in [X.]4b [X.] 500,00

        

       

        

[X.]ehaltsgruppen:

        

Die Tätigkeitsbereiche der [X.] werden verschiedenen [X.]ehaltsgruppen zugeordnet. ...“

5

Des Weiteren sind in § 15 [X.] mehrere [X.]ehaltsgruppen festgelegt, denen allgemeine Tätigkeitsmerkmale und die Aufzählung bestimmter beruflicher Funktionen vorangestellt sind. Jede [X.]ehaltsgruppe enthält eine Tabelle, in der ausgehend vom „[X.] laut [X.]“ [X.] als Entgelte angeführt sind.

6

Die Beklagte kündigte die [X.] gegenüber dem Betriebsrat zum 31. Dezember 2014 und stellte die an die Erhöhung der Tarifentgelte des [X.]er Einzelhandels anknüpfenden Entgeltsteigerungen ebenso wie die Weihnachts- und Urlaubsgeldzahlung ein. Mit seiner Klage hat der Kläger - soweit für die Revision noch von Bedeutung - die Zahlung des [X.] 2015 verlangt und dies auf betriebsverfassungsrechtliche sowie individualvertragliche Erwägungen gestützt.

7

Der Kläger hat - soweit in der Revision noch von Interesse - beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.211,38 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

9

Das Arbeitsgericht hat der - bei ihm noch andere Zahlungsbegehren umfassenden - Klage stattgegeben. Das [X.] hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit der vom Senat - beschränkt auf die Weihnachtsgeldzahlung - zugelassenen Revision begehrt der Kläger die teilweise Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist unbegründet. Das [X.] hat die Klage - soweit sie Gegenstand der Revision ist - zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf das Weihnachtsgeld 2015.

I. Ein solcher Anspruch besteht nicht nach § 8 Unterabs. 2 der gekündigten [X.] 97. Diese Regelung entfaltet nach Beendigung der [X.] 97 keine Nachwirkung. Sie ist unwirksam. Das folgt daraus, dass sie sich auf die Gehaltstarifregelung des § 15 [X.] 97 bezieht, die ihrerseits - insoweit vom Kläger auch nicht mehr angegriffen - wegen Verstoßes gegen die [X.] des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam ist (vgl. dazu ausf. [X.] 15. Januar 2019 - 1 [X.] - Rn. 13 ff.). Die Unwirksamkeit der Gehaltstarifbestimmungen erfasst auch die Weihnachtsgeldfestlegung des § 8 Unterabs. 2 [X.] 97. Diese stellt ohne die Gehaltstarifregelung in § 15 [X.] 97 keine sinnvolle und in sich geschlossene, praktikable Bestimmung mehr dar. Das Weihnachtsgeld ist mit einem auf das Gehalt bezogenen prozentualen Anteil definiert („62,5 % des Gehaltes“). Mit „Gehalt“ haben die Betriebsparteien nicht an die individuelle Vergütung, sondern an das von ihnen in § 15 [X.] 97 ausgestaltete Gehalt angeknüpft. Für einen anderen [X.] fehlt es an Anhaltspunkten. Ist aber § 15 [X.] 97 als Bezugspunkt der Weihnachtsgeldregelung unwirksam, betrifft dies zwangsläufig auch die Bezug nehmende Regelung. Damit kommt es nicht darauf an, ob § 8 Unterabs. 2 [X.] 97 seinerseits - wie der Kläger argumentiert - im Hinblick auf eine „Sonderzuwendungen“ betreffende Öffnungsklausel im [X.] nicht gegen die [X.] verstoßen würde (§ 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG).

II. Ein Anspruch folgt gleichfalls nicht aus vertraglichen Gesichtspunkten.

1. Einen Anspruch aus seinem schriftlich niedergelegten Arbeitsvertrag macht der Kläger in der Revision nicht mehr geltend.

2. Sein Zahlungsbegehren ist nicht wegen einer im Zusammenhang mit der [X.] 97 einschließlich ihrer Regelungen der § 15, § 8 Unterabs. 1 und Unterabs. 2 - ggf. im Wege der Umdeutung nach § 140 BGB - anzunehmenden Gesamtzusage begründet. Dafür geben die Festlegungen der Präambel der [X.] 97 ebenso wenig her (vgl. ausf. [X.] 23. Januar 2018 - 1 [X.] - Rn. 25 ff., [X.]E 161, 305) wie andere vom Kläger angeführte Umstände. Es handelt sich nicht um außerhalb der Betriebsvereinbarung liegende Umstände, die auf einen Verpflichtungswillen der Beklagten losgelöst von der normativen Geltung der [X.] 97 schließen lassen könnten.

3. Der Kläger vermag die noch streitbefangene Forderung nicht auf eine betriebliche Übung zu stützen. Die Entgeltzahlungen der Beklagten erfolgten - für den Kläger erkennbar - in Erfüllung einer vermeintlichen Verpflichtung aus der [X.] 97. Der Kläger konnte nicht berechtigterweise annehmen, dass sich die Beklagte zu einem entsprechenden Verhalten unabhängig vom Schicksal der [X.] 97 auf unbegrenzte Zeit verpflichten wollte.

4. Schließlich besteht kein Anspruch nach § 611 BGB iVm. den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen. Zwar kann ein Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des Senats in Fortführung der Theorie der [X.] bei einer unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vorgenommenen Änderung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze fordern. Denn die im Arbeitsvertrag getroffene Vereinbarung über die Vergütung wird von Gesetzes wegen ergänzt durch die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer nach den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen zu vergüten (zB [X.] 5. Mai 2015 - 1 [X.] - Rn. 13). Vorliegend ist aber der Anwendungsbereich der Theorie der [X.] nicht eröffnet. Ebenso wenig, wie diese Theorie Ansprüche auf der Grundlage eines mitbestimmungswidrig eingeführten Entgeltsystems vermittelt (dazu [X.] 24. Januar 2017 - 1 [X.] - Rn. 46 mwN, [X.]E 158, 44), vermag sie Ansprüche auf ein vom Betriebsrat kompetenzwidrig (mit-)gestaltetes Entgelt zu begründen.

        

    Schmidt    

        

    Ahrendt    

        

    K. Schmidt    

        

        

        

    Fasbender    

        

    Berg    

                 

Meta

1 AZR 291/17

15.01.2019

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Berlin, 17. Juni 2016, Az: 28 Ca 18056/15, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.01.2019, Az. 1 AZR 291/17 (REWIS RS 2019, 11499)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 11499

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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