Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.03.2013, Az. VI R 22/11

6. Senat | REWIS RS 2013, 7034

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Gegenstand

(Antragsveranlagung; Ermittlung der Einkünfte - Einheitliche Auslegung der Begriffe "Summe der Einkünfte" in § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG und § 2 Abs. 3 EStG)


Leitsatz

Unter der "Summe der Einkünfte" i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG ist derjenige Saldo zu verstehen, der nach horizontaler und vertikaler Verrechnung der Einkünfte verbleibt. Versagt das Gesetz --wie in § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG im Falle eines Verlustes aus privaten Veräußerungsgeschäften-- die Verrechnung eines Verlustes aus einer Einkunftsart mit Gewinnen bzw. Überschüssen aus anderen Einkunftsarten, fließt dieser Verlust nicht in die "Summe der Einkünfte" ein .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Im Juni 1999 hatte sie eine Eigentumswohnung erworben, die sie nach anfänglicher Selbstnutzung bis zur Veräußerung Ende Mai 2005 vermietete.

2

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2005 erklärte sie neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aufgrund der Vermietung der Eigentumswohnung in Höhe von 1.831 € und Einkünfte aus einem Immobilienfonds in Höhe von 3.879 €. Zudem erklärte sie einen Verlust aus der Veräußerung der Eigentumswohnung als sonstige Einkünfte i.S. der §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 8.886 €. Mit Bescheid vom 19. Januar 2007 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) Einkommensteuer für das Streitjahr in Höhe von 10.564 € fest, was zu einer Einkommensteuernachzahlung in Höhe von 1.098 € führte. Die sonstigen Einkünfte setzte er mit 0 € an, weil es sich bei dem erklärten Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften um einen nicht ausgleichsfähigen Verlust nach § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG handele. Mit Bescheid vom selben Tage stellte er einen verbleibenden Verlustvortrag für Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften auf den 31. Dezember 2005 in Höhe von 8.886 € fest.

3

Gegen den Einkommensteuerbescheid für 2005 und die [X.] für 2007 und 2008 --jeweils vom 19. Januar [X.] wandte sich die Klägerin mit dem Einspruch. Sie führte aus, dass sie ihren Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG zurücknehme, weil sie statt der erwarteten Steuererstattung nunmehr eine Steuernachzahlung leisten solle. Auf eine künftige Verlustberücksichtigung nach § 10d EStG lege sie keinen Wert. Es sei auch von Amts wegen keine Einkommensteuerveranlagung vorzunehmen, weil sich die nicht dem Lohnsteuerabzug unterliegenden Einkünfte auf weniger als 410 € beliefen. Im Laufe des [X.] änderte das [X.] den Einkommensteuerbescheid für 2005 sowie den Verlustfeststellungsbescheid, indem es den verbleibenden Verlustvortrag zum 31. Dezember 2004 berücksichtigte und den verbleibenden Verlust zum 31. Dezember 2005 auf 9.583 € erhöhte. Zudem setzte es die Quartalsvorauszahlungen für 2007 und 2008 von 274 € ab dem II. Quartal 2007 auf 129 € und ab dem [X.] auf 165 € herab. Hiermit trug es dem Wegfall der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aufgrund des Verkaufs der Eigentumswohnung Rechnung. Mit Einspruchsentscheidung vom 11. April 2007 wies das [X.] die Einsprüche zurück. Die hiergegen erhobene Klage wies das [X.] ([X.]) mit den in Entscheidungen der [X.]e 2011, 1426 veröffentlichten Gründen ab.

4

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] Köln vom 1. Oktober 2010  5 K 1853/07 sowie den Einkommensteuerbescheid für 2005 und die [X.] für die Jahre 2007 und 2008 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 11. April 2007 aufzuheben.

5

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

II. Der Senat entscheidet gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung durch Beschluss. Er hält die Revision einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich. Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 18. Januar 2013 darüber unterrichtet worden; sie hatten Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 22. Februar 2013.

7

1. Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die Voraussetzungen für eine Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG im Streitfall vorliegen.

8

a) Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt. Da die Klägerin den Antrag auf Vornahme einer Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG im Einspruchsverfahren zurückgenommen hat, kommt eine Veranlagung nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen einer Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 7 EStG vorliegen.

9

b) Nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.d.[X.] ([X.]) 2007 wird eine Veranlagung nur durchgeführt, wenn die positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 und § 24a EStG, mehr als 410 € beträgt. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.d.F. des [X.] 2007 ist nach § 52 Abs. 55j EStG auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006 anzuwenden.

Die Einkünfte i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG bestimmen sich nach Grund und Höhe nach Maßgabe der §§ 2 bis 24 EStG (Urteile des [X.] --[X.]-- vom 24. April 1961 VI 246/60 U, [X.], 113, [X.]I 1961, 310; vom 12. Februar 1976 IV R 8/73, [X.], 209, [X.] 1976, 413; vom 21. September 2006 VI R 52/04, [X.], 144, [X.] 2007, 45). Für den Streitfall bedeutet dies, dass in die Berechnung der Summe der Einkünfte i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG dem Grunde nach auch Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG einzubeziehen sind (§ 22 Nr. 2 EStG). Einkünfte können grundsätzlich auch vorliegen, wenn die Erwerbsaufwendungen die Einnahmen übersteigen ([X.]-Urteil in [X.], 144, [X.] 2007, 45). Da die in die Summe der Einkünfte einzurechnenden Beträge sich nicht nur dem Grunde nach, sondern auch bezüglich ihrer Höhe nach den §§ 2 bis 24 EStG bestimmen, ist für den Ansatz von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften auch § 23 Abs. 3 EStG anzuwenden. Die Höhe eines Veräußerungsgewinns oder –verlustes errechnet sich danach aus dem Unterschiedsbetrag zwischen Veräußerungspreis einerseits und den Anschaffungs- oder Herstellungskosten und den Werbungskosten andererseits (§ 23 Abs. 3 Satz 1 EStG). Weiter dürfen nach § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG Verluste nur bis zur Höhe des Gewinns, den der Steuerpflichtige im gleichen Kalenderjahr aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt hat, ausgeglichen werden. Ein negativer Saldo aus Veräußerungspreis, Anschaffungs- und Werbungskosten i.S. des § 23 Abs. 3 Satz 1 EStG ist danach im Rahmen der Ermittlung der Summe der Einkünfte eines [X.] i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG nur anzusetzen, wenn und soweit hierdurch ein Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften ausgeglichen wird. Fehlt es hieran, ist ein Veräußerungsverlust nicht in die Berechnung der Summe der Einkünfte einzubeziehen.

c) Für diese Auslegung des Begriffs der Summe der Einkünfte i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG spricht auch, dass sie zu einer einheitlichen Auslegung der Begriffe der "Summe der Einkünfte" in § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG und § 2 Abs. 3 EStG führt. Unter der "Summe der Einkünfte" i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG und des § 2 Abs. 3 EStG ist derjenige Saldo zu verstehen, der nach horizontaler und vertikaler Verrechnung der Einkünfte verbleibt. Versagt das Gesetz --wie hier in § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG-- die Verrechnung eines Verlustes aus einer Einkunftsart mit Gewinnen bzw. Überschüssen aus anderen Einkunftsarten, fließt dieser Verlust nicht in die "Summe der Einkünfte" ein. Dies geschieht erst, wenn und soweit in folgenden Veranlagungszeiträumen eine Verrechnung mit positiven Einkünften zulässig ist. Eine einheitliche Auslegung von Grundbegriffen des Einkommensteuerrechts innerhalb desselben Gesetzes ist geboten, soweit nicht zwingende Gründe eine unterschiedliche Auslegung erfordern (vgl. [X.]-Urteil vom 22. Mai 2006 VI R 50/04, [X.], 141, [X.] 2006, 801).

d) Im Streitfall erscheint eine von den für das Streitjahr geltenden Vorschriften für die Ermittlung der Summe der Einkünfte abweichende Auslegung des Begriffs der Summe der Einkünfte i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG nicht geboten. Vielmehr fordert der Sinn und Zweck des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG die hier vorgenommene Auslegung. Ziel der nach § 46 Abs. 2 EStG durchzuführenden Veranlagung ist die Herstellung steuerlicher Gleichheit zwischen allen Steuerpflichtigen durch Festsetzung der materiell richtigen Einkommensteuer (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 144, [X.] 2007, 45; Beschluss des [X.] vom 13. Dezember 1967  1 BvR 679/64, [X.] 23, 1, [X.] 1968, 70). Der mit der Vorschrift angestrebten Steuergerechtigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung widerspräche es, bezöge man einen nach § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG im Streitjahr nicht anzusetzenden Verlust in die Berechnung der Summe der Einkünfte i.S. des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG ein. Dies würde einem Steuerpflichtigen, der Nebeneinkünfte in erheblicher Höhe bezogen hat, ermöglichen, durch Gegenrechnung eines im Rahmen der Besteuerung des [X.] letztlich nicht zu berücksichtigenden Verlustes eine Veranlagung und damit die zutreffende Steuerfestsetzung zu vermeiden.

2. a) Eine andere rechtliche Beurteilung folgt auch nicht aus der von der Klägerin in ihrer Stellungnahme vom 21. Februar 2013 angeführten Entscheidung des [X.]. Senats des [X.] vom 20. Juni 2012 [X.] R 67/10 ([X.]E 237, 368, [X.]/NV 2012, 1697). Insbesondere ergibt sich hieraus nicht, dass es sich bei Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften um negative Einkünfte aus § 21 EStG handelt, die keiner Verlustausgleichsbeschränkung unterliegen. Darüber hinaus ist vorliegend weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Klägerin nach der Veräußerung ihrer Eigentumswohnung Schuldzinsen getragen hat, die als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen gewesen wären.

b) Eine Verweisung des Rechtsstreits an den [X.]. Senat des [X.] kommt entgegen der Auffassung der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 21. Februar 2013 nicht in Betracht. Der erkennende Senat ist vielmehr gemäß A.VI.1.c des für den Streitfall gültigen Geschäftsverteilungsplans des [X.] für die Sache zuständig.

3. Da nach den angeführten Rechtsgrundsätzen im Streitfall eine positive Summe der Einkünfte vorliegt, die 410 € übersteigt, stellt sich die Frage, ob die rückwirkende Anwendung der Neuregelung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durch das [X.] 2007 verfassungsrechtlichen Vorgaben genügt, vorliegend nicht (vgl. hierzu [X.]-Urteil vom 17. Januar 2013 VI R 32/12, [X.]E 240, 131, [X.]/NV 2013, 822).

Meta

VI R 22/11

26.03.2013

Bundesfinanzhof 6. Senat

Beschluss

vorgehend FG Köln, 1. Oktober 2010, Az: 5 K 1853/07, Urteil

§ 46 Abs 2 Nr 1 EStG 2002 vom 13.12.2006, § 23 Abs 3 S 8 EStG 2002, § 2 Abs 3 EStG 2002, EStG VZ 2005, EStG VZ 2007, EStG VZ 2008, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.03.2013, Az. VI R 22/11 (REWIS RS 2013, 7034)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7034

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