Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 06.10.2015, Az. 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1582/15, 1 BvR 1588/15

1. Senat | REWIS RS 2015, 4388

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zur Aussetzung des Vollzugs des Tarifeinheitsgesetzes (juris: TarifEinhG) - Folgenabwägung: zeitnaher Eintritt gravierender, irreversibler Nachteile nicht zu erwarten


Gründe

1

Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihren [X.] und ihren gleichzeitig gestellten [X.]nträgen auf Erlass einer einstweiligen [X.]nordnung gegen das am 10. Juli 2015 in [X.] getretene Gesetz zur Tarifeinheit vom 3. Juli 2015 ([X.] 1130).

2

Die Beschwerdeführer sind sogenannte Berufsgruppengewerkschaften. Ihre in der jeweiligen Satzung festgelegten Tarifzuständigkeiten überschneiden sich mit denen anderer, regelmäßig einen größeren Personenkreis abhängig Beschäftigter organisierender [X.]. Sie wenden sich gegen die neu eingeführte Regelung über die Tarifeinheit im Betrieb, der Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 1571/15 auch gegen die dazu in das [X.]rbeitsgerichtsgesetz integrierten verfahrensrechtlichen Vorschriften.

3

Bis zur Verabschiedung des hier angegriffenen Gesetzes war das Verhältnis mehrerer Tarifverträge zueinander nicht gesetzlich geregelt. Tatsächlich entsteht häufig eine Tarifpluralität, weil arbeitgeberseits mehrere Tarifverträge auch mit verschiedenen [X.] geschlossen werden. [X.] sich diese in einem Betrieb in ihrem persönlichen Geltungsbereich, liegt eine Tarifkollision vor. Der Umgang mit potentiellen Tarifkollisionen war innerhalb des [X.] durch Schlichtungsverfahren überlassen. Bis zum [X.] setzte die Rechtsprechung im Kollisionsfall im gesamten Betrieb nach dem [X.] denjenigen Tarifvertrag durch, der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten stand und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebs am ehesten gerecht wurde (vgl. [X.], Urteil vom 29. März 1957 - 1 [X.] -, juris, Rn. 7; Urteil vom 14. Juni 1989 - 4 [X.] -, juris, Rn. 21 ff.; Urteil vom 5. September 1990 - 4 [X.] -, juris, Rn. 16 ff.; Urteil vom 20. März 1991 - 4 [X.] -, juris, Rn. 28; stRspr). Nach Änderung der Rechtsprechung des [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Januar 2010 - 4 [X.] ([X.]) -; Urteil vom 7. Juli 2010 - 4 [X.] -) wurden seit 2010 Tarifkollisionen hingenommen; Tarifkonflikte im einzelnen [X.]rbeitsverhältnis lösten die [X.]rbeitsgerichte in erster Linie weiter nach dem [X.], ohne damit jedoch betriebsweite [X.] zu treffen (vgl. [X.], in: [X.] Kommentar, 15. [X.]ufl. 2015, [X.], § 4 Rn. 67 ff.). Der Gesetzgeber verfolgt mit dem [X.] nunmehr das Ziel, in einem Betrieb bei Tarifkollisionen grundsätzlich nur einen Tarifvertrag zur [X.]nwendung kommen zu lassen (vgl. BTDrucks 18/4062, S. 1 f.), wobei nun nicht mehr das [X.], sondern das Mehrheitsprinzip in Orientierung an der Zahl der in einem Betrieb von konkurrierenden [X.] organisierten abhängig Beschäftigten maßgeblich sein soll.

4

Durch das angegriffene Gesetz, das am 10. Juli 2015 in [X.] trat ([X.] 1130) und die Kollisionsregel des § 4a in das [X.] ([X.]) einfügte, sollen Tarifkollisionen vermieden werden. Werden Tarifverhandlungen aufgenommen, muss dies nach § 4a [X.]bs. 5 [X.] bekanntgegeben werden, woraufhin alle [X.], die für den [X.]bschluss des von der konkurrierenden [X.] angestrebten Tarifvertrags nach ihrer Satzung zumindest teilweise tarifzuständig wären, ein Recht darauf haben, vom [X.]rbeitgeber angehört zu werden. Schließt der [X.]rbeitgeber(-verband) dann mit zwei [X.] Tarifverträge ab, die sich in einem dem Tarifvertrag unterfallenden Betrieb in ihrem persönlichen Geltungsbereich teilweise (vgl.BTDrucks 18/4062, S. 13) überschneiden, so liegt in diesem Betrieb nach § 4a [X.]bs. 2 Satz 2 [X.] ein Kollisionsfall vor. Dann kann eine beteiligte [X.] beantragen, dass die [X.]rbeitsgerichte in einem neu eingeführten Beschlussverfahren nach § 99 [X.]bs. 1 in Verbindung mit § 2a [X.]bs. 1 Nr. 6 [X.]rbGG die Tarifkollision feststellen. Die Regelung erfasst nicht allgemeinverbindliche (vgl. BTDrucks 18/4062, S. 12) und auch nicht am 10. Juli 2015 geltende Tarifverträge (§ 13 [X.]bs. 3 [X.]). Sie gilt nach § 4a [X.]bs. 2 Satz 2 [X.] für Rechtsnormen eines Tarifvertrags, für betriebsverfassungsrechtliche Normen allerdings nur nach Maßgabe des § 4a [X.]bs. 3 [X.]. Unterbleibt ein [X.]ntrag an die [X.]rbeitsgerichte, ist der [X.]rbeitgeber nach § 4a [X.]bs. 2 Satz 1 [X.] weiter an unterschiedliche Tarifverträge gebunden, denn die Neuregelung soll "subsidiär" gelten (BTDrucks 18/4062, S. 1 unter B.; S. 12).

5

Wird der Kollisionsfall in einem Betrieb festgestellt, gilt nach § 4a [X.]bs. 2 Satz 2 [X.] das Mehrheitsprinzip. Danach entfaltet nur der Tarifvertrag derjenigen [X.] Wirkung, die in diesem Betrieb die meisten Mitglieder hat (vgl. BTDrucks 18/4062, S. 12). Die [X.], deren Tarifvertrag verdrängt wird, kann sich nach Maßgabe des § 4a [X.]bs. 4 [X.] dem Tarifvertrag der [X.] durch Nachzeichnung anschließen.

6

Die angegriffenen Vorschriften lauten:

§ 4a [X.] Tarifkollision

(1) Zur Sicherung der Schutzfunktion, Verteilungsfunktion, [X.] sowie [X.] von Rechtsnormen des Tarifvertrags werden Tarifkollisionen im Betrieb vermieden.

(2)

(3) Für Rechtsnormen eines Tarifvertrags über eine betriebsverfassungsrechtliche Frage nach § 3 [X.]bsatz 1 und § 117 [X.]bsatz 2 des Betriebsverfassungsgesetzes gilt [X.]bsatz 2 Satz 2 nur, wenn diese betriebsverfassungsrechtliche Frage bereits durch Tarifvertrag einer anderen [X.] geregelt ist.

(4)

(5)

§ 2a [X.]rbGG Zuständigkeit im Beschlußverfahren

(1) Die Gerichte für [X.]rbeitssachen sind ferner ausschließlich zuständig für

6. die Entscheidung über den nach § 4a [X.]bsatz 2 Satz 2 des [X.]es im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag.

§ 58 [X.]rbGG Beweisaufnahme

(3) Insbesondere über die Zahl der in einem [X.]rbeitsverhältnis stehenden Mitglieder oder das Vertretensein einer [X.] in einem Betrieb kann Beweis auch durch die Vorlegung öffentlicher Urkunden angetreten werden.

§ 99 [X.]rbGG Entscheidung über den nach § 4a [X.]bsatz 2 Satz 2 des [X.]es im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag

(1) In den Fällen des § 2a [X.]bsatz 1 Nummer 6 wird das Verfahren auf [X.]ntrag einer [X.] eines kollidierenden Tarifvertrags eingeleitet.

(2) Für das Verfahren sind die §§ 80 bis 82 [X.]bsatz 1 Satz 1, die §§ 83 bis 84 und 87 bis 96a entsprechend anzuwenden.

(3) Der rechtskräftige Beschluss über den nach § 4a [X.]bsatz 2 Satz 2 des [X.]es im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag wirkt für und gegen jedermann.

(4)

7

1. Der Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 1571/15 (im Folgenden: Beschwerdeführer zu 1) ist eine Berufsgruppengewerkschaft der angestellten Ärztinnen und Ärzte, die seit dem [X.] eigene Tarifverträge schließt. Die Verfassungsbeschwerde stützt sich auf eine Verletzung in seinen Rechten aus [X.]rt. 9 [X.]bs. 3 GG. Eine einstweilige [X.]nordnung sei geboten, weil unter Geltung des [X.]es besonders schwere und praktisch nicht wiedergutzumachende Nachteile entstünden. In vielen Betrieben sei schon strukturell nur eine Minderheit der abhängig Beschäftigten zu organisieren; unter Hinweis auf das [X.] weigerten sich [X.]rbeitgeber bereits, überhaupt Tarifverhandlungen mit dem Beschwerdeführer aufzunehmen oder brächen diese ab. In einem Fall seien die Beschäftigten aufgefordert worden, sich zur Vermeidung von näher umschriebenen Nachteilen aufgrund des [X.]es arbeitsvertraglich zur Offenlegung der Mitgliedschaft in der [X.] zu verpflichten, woraufhin sie entweder an die jeweils zu verhandelnden Tarifbedingungen der [X.] gebunden würden oder aber sich arbeitsvertraglich an den alten, vom Beschwerdeführer abgeschlossenen Tarifvertrag bänden und Gehaltssteigerungen höchstens in Höhe des von der [X.] erzielten [X.] erlangten, ohne dass darauf ein [X.]nspruch bestünde. [X.] das Gesetz bis zur Entscheidung in der Hauptsache fort, verdränge es den Beschwerdeführer aus den Betrieben. Dies erzwinge kaum mehr korrigierbare [X.] und verbandspolitische Entscheidungen, führe zum Verlust von Mitgliedern und zu atypischen Tarifvertragsabschlüssen. Mehrere Tarifverträge stünden unmittelbar zur Kündigung an. Die Kooperation mit der [X.] sei verbandspolitisch unzumutbar, da die bis 2005 bestehende Tarifgemeinschaft bewusst aufgegeben worden sei.

8

2. Der Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 1582/15 (im Folgenden: Beschwerdeführer zu 2) ist eine Berufsgruppengewerkschaft im Journalismus, die ausschließlich die redaktionell [X.]rbeitenden in den Medien vertritt. Mit der [X.], die ebenfalls für diese Beschäftigten zuständig ist, gab es bislang eine informelle Kooperation; meist wurden inhaltsgleiche Tarifverträge abgeschlossen. Das [X.] verletze sein Grundrecht aus [X.]rt. 9 [X.]bs. 3 GG, weil die Möglichkeiten für Minderheitsgewerkschaften, sich koalitionsgemäß zu betätigen, übermäßig eingeschränkt würden. Das gefährde die bislang gute Kooperation, denn für [X.]en bestehe kein [X.]nreiz mehr, diese fortzusetzen. Eine einstweilige [X.]nordnung sei erforderlich, weil die Position in Verhandlungen und auch im [X.]rbeitskampf bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache deutlich geschwächt und im Kollisionsfall das Betätigungsfeld beschränkt werde, Rechtspositionen verloren gingen und ein starker Mitgliederschwund zu befürchten sei, der die Existenz gefährde. Dies könne die [X.] nicht verhindern, da aufgrund der Betriebsstrukturen rechnerisch keine Mehrheit zu erlangen sei.

9

3. Der Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 1588/15 (im Folgenden: Beschwerdeführer zu 3) ist eine Berufsgruppengewerkschaft in der Luftfahrt, die seit dem [X.] tarifpolitisch eigenständig handelt. Mit der Verfassungsbeschwerde wird eine Verletzung von [X.]rt. 9 [X.]bs. 3 GG geltend gemacht, wobei auch [X.]rt. 11 [X.] und die [X.] Nr. 87 und [X.] zu beachten seien. Das Gesetz eröffne dem [X.]rbeitgeber weitreichende Steuerungsmöglichkeiten auf Kosten der Minderheitsgewerkschaft. Eine einstweilige [X.]nordnung sei geboten, weil bestehende Tarifverträge jederzeit gekündigt werden könnten und zahlreiche sich überschneidende Tarifverträge zur Verhandlung anstünden, was Tarifkollisionen herbeiführe, wenn der Beschwerdeführer - wie in drei konkret benannten Betrieben - in der Minderheit sei. Konkrete [X.]nzeichen belegten, dass sich eine Industriegewerkschaft L. in Gründung befinde, was den Beschwerdeführer immer in die [X.] bringen werde. Ein [X.]rbeitgeber erwäge bereits, auf Basis des [X.]es nun alternativ mit einer potentiellen [X.] Tarifverträge abzuschließen. Ohne eine Eilentscheidung entstünden schwere und unzumutbare Nachteile, weil die [X.] mit dem [X.] belastet sei und eine letztlich existenzgefährdende Sogwirkung der Mitgliedschaft hin zu den [X.]en entstehe. Die Mitglieder erlitten materielle, irreversible Nachteile, wenn ihr Tarifvertrag im Kollisionsfall verdrängt würde.

Zu den [X.]nträgen auf Erlass einer einstweiligen [X.]nordnung sind Stellungnahmen eingeholt worden. Die Bundesregierung und die Bundesvereinigung der Deutschen [X.]rbeitgeberverbände halten die [X.]nträge für aussichtslos. Der [X.] und [X.], der Verband angestellter [X.]kademiker und leitender [X.]ngestellter der chemischen Industrie und die [X.] sowie - hinsichtlich der [X.] - die [X.] Organisation teilen im Wesentlichen die Einschätzung der Beschwerdeführer. Der Deutsche [X.]sbund hat lediglich zur tarifpolitischen Situation Stellung genommen.

Die [X.]nträge auf Erlass einer einstweiligen [X.]nordnung sind zulässig, aber unbegründet.

1. a) Nach § 32 [X.]bs. 1 [X.] kann das [X.] im Streitfall einen Zustand durch einstweilige [X.]nordnung vorläufig regeln, wenn dies zur [X.]bwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Entscheidung über die einstweilige [X.]nordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte [X.]ntrag erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem [X.]usgang des Hauptsacheverfahrens muss das [X.] dann im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abwägen, die einträten, wenn eine einstweilige [X.]nordnung nicht erginge, der [X.]ntrag aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige [X.]nordnung erlassen würde, dem [X.]ntrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. [X.] 64, 67 <69>; 89, 38 <43 f.>; 103, 41 <42>; 104, 51 <55>; 118, 111 <122>; 132, 195 <232 Rn. 87>; 134, 135 <137 Rn. 3>; [X.], Beschluss des [X.] vom 26. [X.]ugust 2015 - 2 [X.] -, www.bverfg.de, Rn. 11 m.w.[X.]; stRspr).

b) Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige [X.]nordnung in einem verfassungsrechtlichen Verfahren auslöst, gilt für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 32 [X.]bs. 1 [X.] ein strenger Maßstab (vgl. [X.] 3, 41 <44>; 6, 1 <3 f.>; 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>; 132, 195 <232 Rn. 86>). Soll der Vollzug eines Gesetzes ausgesetzt werden, erhöht sich diese Hürde noch (vgl. [X.] 3, 41 <44>; 6, 1 <4>; 7, 367 <371>; 64, 67 <69>; 81, 53 <54>; 117, 126 <135>), denn das [X.] darf von seiner Befugnis, den Vollzug eines Gesetzes auszusetzen, nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen, weil dies einen erheblichen Eingriff in die originäre Zuständigkeit des Gesetzgebers darstellt (vgl. [X.] 82, 310 <313>; 104, 23 <27>; 104, 51 <55>; 112, 216 <220>; 112, 284 <292>; 122, 342 <361>; 131, 47 <61>; stRspr). Müssen die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe schon im Regelfall so schwer wiegen, dass sie den Erlass einer einstweiligen [X.]nordnung unabdingbar machen, so müssen sie im Fall der begehrten [X.]ußervollzugsetzung eines Gesetzes darüber hinaus besonderes Gewicht haben (vgl. [X.] 104, 23 <27 f.>; 117, 126 <135>; 122, 342 <361 f.>; [X.], Beschluss des [X.] vom 26. [X.]ugust 2015 - 2 [X.] -, www.bverfg.de, Rn. 12; stRspr). Insoweit ist von entscheidender Bedeutung, ob die Nachteile irreversibel oder nur sehr erschwert revidierbar sind (vgl. [X.] 91, 70 <76 f.>; 118, 111 <123>), um das [X.]ussetzungsinteresse durchschlagen zu lassen.

2. Die [X.] sind weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Insbesondere ist schon ausweislich der fachlichen Diskussionen im Vorfeld nicht offensichtlich, dass eine Verletzung der durch [X.]rt. 9 [X.]bs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit auszuschließen wäre (für die Verfassungsmäßigkeit [X.]/[X.], Zf[X.] 2015, [X.]; Hufen, NZ[X.] 2014, [X.]; [X.], [X.]uR 2011, [X.]; Papier/[X.], Zf[X.] 2011, S. 807; [X.], Zf[X.] Sonderdruck aus Heft 4/2010; [X.]/[X.]/[X.], NZ[X.]-Beilage 2015, [X.]; [X.], [X.]uR 2011, [X.]; [X.], [X.] 2014, [X.]>; [X.], NZ[X.] 2014, [X.] Wolf, [X.] 1/2015, III; dagegen [X.], NZ[X.] 2013, S. 1395; Bepler, Verhandlungen des 70. [X.], 2014, [X.]; [X.], Gutachten zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum [X.], 2015; [X.], [X.]uR 2011, [X.] und NZ[X.]-Beilage 2011, [X.]; [X.], Gesetzlich auferlegte Tarifeinheit als Verfassungsproblem, 2014; [X.], NZ[X.] 2015, [X.]; Gaul, [X.]rbRB 2015, [X.]; [X.], NZ[X.] 2010, S. 743; Konzen/[X.], Rd[X.] 2015, S. 1 und [X.], [X.]; [X.], in: [X.] Kommentar, 15. [X.]ufl. 2015, [X.]rt. 9 GG Rn. 68a; [X.], BB Die erste Seite 2014, Nr. 48; [X.]/[X.], [X.], [X.]; Preis, [X.], 2014; [X.], Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit eines von BD[X.] und [X.] geplanten "Gesetzes zum Erhalt der Tarifeinheit", 2010; [X.]/von der Ehe, Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zur Regelung der Tarifeinheit, 2010; [X.], NZ[X.] 2014, S. 1250; desgleichen [X.], [X.]rbR[X.]ktuell 2015, S. 7 <8>; [X.], [X.] 2015, S. 2 <4>; von [X.]/[X.], Personalführung 2015, [X.]8 <42>; vgl. auch die Bedenken des [X.] - [X.] 6-3000-255/14 - und in der Rechtsprechung, vgl. [X.], Urteil vom 7. Juli 2010 - 4 [X.] -, juris, Rn. 54 ff. m.w.[X.]; Beschluss vom 27. Januar 2010 - 4 [X.] ([X.]) -, Rn. 75 ff.; dazu [X.], in: Festschrift [X.], 2008, [X.]59 <362 f.>; [X.], in: [X.] Kommentar, 15. [X.]ufl. 2015, § 4 [X.] Rn. 71). Es kann hier offen bleiben, ob [X.]rt. 2 [X.]bs. 1 in Verbindung mit [X.]rt. 20 [X.]bs. 3 GG mit Blick auf die verfahrensrechtlichen Regelungen Bedeutung erlangen.

1. Derzeit ist nicht feststellbar, dass es bei Fortgeltung der angegriffenen Vorschriften bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu so gravierenden, nur schwer revidierbaren Nachteilen kommt, dass es zum jetzigen Zeitpunkt unabdingbar wäre, das angegriffene Gesetz auf der Grundlage des § 32 [X.] außer Vollzug zu setzen. Der Erlass einer einstweiligen [X.]nordnung käme hier etwa dann in Betracht, wenn absehbar wäre, dass den Beschwerdeführern bei Fortgeltung der angegriffenen Vorschriften bis zur Entscheidung in der Hauptsache das [X.]ushandeln von Tarifverträgen als wesentlicher Zweck von Koalitionen (vgl. [X.] 94, 268 <283>) längerfristig unmöglich würde, und könnte dann geboten sein, wenn sich die Fortgeltung der angegriffenen Regelungen bereits so auf den Mitgliederbestand einer [X.] auswirkte, dass ihre Tariffähigkeit in Frage stünde. Liegen keine derart gravierenden Nachteile vor, kann hier offen bleiben, inwieweit Nachteile einträten, wenn die einstweilige [X.]nordnung erlassen würde.

2. a) Es ist gegenwärtig nicht erkennbar, dass die Beschwerdeführer oder Dritte im Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache, die der Senat bis zum Ende nächsten Jahres anstrebt, gravierende, kaum revidierbare oder irreversible Nachteile erleiden, weil die gesetzlich angeordnete Tarifeinheit schon vor Eintritt des [X.] Wirkungen entfaltet. Soweit die Beschwerdeführer ihre tarifpolitische Verhandlungsmacht durch das [X.] geschwächt sehen, liegt darin zwar ein Nachteil. Das angegriffene Gesetz untersagt jedoch nicht die tarifpolitische Betätigung an sich. [X.]uch [X.], die in einem Betrieb potentiell weniger Beschäftigte organisieren können, sind unter Geltung des [X.]es grundsätzlich nicht gehindert, Tarifverhandlungen zu führen.

[X.]llerdings hat der Beschwerdeführer zu 1) einzelne Fälle vorgetragen, in denen es [X.]rbeitgeber unter Hinweis auf das [X.] verweigert haben, Tarifverhandlungen zu führen, oder Tarifverhandlungen abgebrochen haben. Dabei handelt es sich um durchaus gewichtige Nachteile. Dies gilt auch für die [X.]ufforderung eines [X.]rbeitgebers, nunmehr die [X.]rbeitsverträge zu ändern und den nicht mehr neu verhandelbaren Tarifvertrag des Beschwerdeführers nur noch statisch gelten zu lassen. Derartige tarifpolitische Nachteile sind für den hier begrenzten Zeitraum jedoch noch hinzunehmen. Bei einer Verweigerung oder einem [X.]bbruch von Tarifverhandlungen besteht zudem weiterhin die Möglichkeit, gewerkschaftliche Interessen im Wege des [X.]rbeitskampfes einzufordern. Das [X.] regelt nicht die Zulässigkeit von Maßnahmen des [X.]rbeitskampfes, die grundsätzlich vom Schutz des [X.]rt. 9 [X.]bs. 3 GG umfasst sind (vgl. [X.] 84, 212 <224 f.>). Der allgemeine Hinweis in der Begründung des Gesetzesentwurfs, wonach eine [X.]rbeitskampfmaßnahme im Einzelfall unverhältnismäßig sein könne, wenn sie auf den [X.]bschluss eines wegen der Kollisionsregel nicht zur [X.]nwendung kommenden Tarifvertrags gerichtet ist (vgl. BTDrucks 18/4062, S. 12), trägt schon deshalb nicht, weil der [X.]usgang des Hauptsacheverfahrens noch offen ist und daher nicht ausgeschlossen werden kann, dass das angegriffene Gesetz mit Wirkung ex tunc für verfassungswidrig erklärt wird.

Derzeit ist zudem nicht ersichtlich, dass [X.]rbeitgeber in einem Maße, das den Beschwerdeführern das [X.]ushandeln von Tarifverträgen längerfristig unmöglich machen würde, betriebsorganisatorische Maßnahmen allein deshalb ergriffen, um ihren Betrieb als Bezugspunkt für die Kollisionsregel selbst oder in einem Tarifvertrag nach § 3 [X.]bs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG so zu gestalten, dass trotz der Grenzen des § 4a [X.]bs. 2 Satz 4, 5 [X.] aufgrund dann veränderter Mehrheiten nur die mit der präferierten [X.] abgeschlossenen Tarifverträge zur [X.]nwendung kämen. Selbst wenn dies so wäre, folgt daraus nicht die Unumkehrbarkeit dieser Nachteile für die Beschwerdeführer. Würde im Hauptsacheverfahren die Kollisionsregel des § 4a [X.] für nichtig erklärt, entfielen die mit den betrieblichen Umstrukturierungen für die Tarifverträge angestrebten Wirkungen.

Durch das [X.] mögen schließlich [X.]nreize für [X.]en entstehen, bisher geübte Kooperationen mit Berufsgruppengewerkschaften zu überdenken. Das bewirkt für Berufsgruppengewerkschaften, die mit diesen [X.]en konkurrieren und in Betrieben strukturell keine Mehrheit erreichen können, tatsächlich tarifpolitische Nachteile. Sie sind jedoch nicht derart gravierend oder unumkehrbar, dass sie nicht bis zur Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden könnten. Im Fall des Beschwerdeführers zu 2) ist auch nicht konkret erkennbar, dass andere [X.] bestehende Kooperationen aufkündigen und dies seine Handlungsfähigkeit gravierend beeinträchtigen würde. Konkurrenz ist als durch [X.]rt. 9 [X.]bs. 3 GG geschützter Koalitionswettbewerb (vgl. [X.] 18, 18 <33>; 55, 7 <24>) grundsätzlich hinzunehmen.

b) Es ist derzeit nicht absehbar, inwieweit es im Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache tatsächlich in einem [X.]usmaß zur [X.]nwendung der Kollisionsregel des § 4a [X.]bs. 2 Satz 2 [X.] kommt, der eine einstweilige [X.]nordnung unabdingbar erscheinen ließe. Zwar kann auch schon in diesem Zeitraum ein Kollisionsfall auftreten. Doch haben die [X.]en unterschiedliche tarifpolitische Möglichkeiten, dies zu vermeiden. Sollte im Hauptsacheverfahren die Nichtigkeit der angegriffenen Kollisionsregel festgestellt werden (vgl. § 95 [X.]bs. 3 Satz 1 [X.]), wirkt dies zudem grundsätzlich ex tunc, womit nicht ausgeschlossen ist, dass nach § 4a [X.]bs. 2 Satz 2 [X.] verdrängte Tarifverträge auch für die Vergangenheit Geltung beanspruchen. [X.] [X.]nsprüchen auf dieser Grundlage muss ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand zwischenzeitlich geschlossener Vereinbarungen angesichts der schon vor Inkrafttreten des Gesetzes umfassend geführten öffentlichen Debatte über die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlich angeordneten Tarifeinheit und der damit nicht offensichtlich unbegründeten [X.] jedenfalls nicht von vornherein entgegenstehen (vgl. [X.] 99, 341 <359 f.>).

c) Soweit die Beschwerdeführer vorbringen, das [X.] gefährde sie in ihrer Existenz, weil erhebliche Mitgliederbewegungen bevorstünden, sind irreversible oder existenzgefährdende Veränderungen jedenfalls für den Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache weder hinreichend konkret zu erwarten noch zwingend. Eine realistische Prognose, ob und wie viele Mitglieder die Beschwerdeführer im Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache verlieren, die nicht zurück zu gewinnen wären, liegt nicht vor. Es erscheint vielmehr nicht unrealistisch, dass [X.]smitglieder die Entscheidung in der Hauptsache abwarten, bevor sie sich für einen [X.]swechsel entscheiden. Desgleichen ist nicht hinreichend konkret erkennbar, dass das [X.] kurzfristig zu [X.] oder verbandspolitischen Neuausrichtungen der [X.] zwänge, die sich für diese existenzgefährdend auswirkten. Jedenfalls ist derzeit nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführer in ihrer Tariffähigkeit und damit ihrer Existenz als tarifpolitisch durchsetzungsfähige [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 19. September 2006 - 1 [X.]BR 53/05 -, juris, Rn. 29) ernstlich gefährdet wären. Das gilt erst recht, soweit ihre Existenz als privatrechtliche Vereinigung in Zweifel gezogen wird.

3. Es bleibt den Beschwerdeführern unbenommen, bei einer erheblichen Änderung der tatsächlichen Umstände einen erneuten [X.]ntrag auf Erlass einer einstweiligen [X.]nordnung zu stellen (vgl. [X.] 91, 83 <91>; 122, 120 <132>). Die Sicherungsfunktion der einstweiligen [X.]nordnung kann es auch rechtfertigen, dass der Senat ohne einen entsprechenden [X.]ntrag der Beschwerdeführer eine einstweilige [X.]nordnung von [X.]mts wegen erlässt (vgl. [X.] 1, 74 <75>; 1, 349 <350>; 46, 337 <338>).

Meta

1 BvR 1571/15, 1 BvR 1582/15, 1 BvR 1588/15

06.10.2015

Bundesverfassungsgericht 1. Senat

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvR

nachgehend BVerfG, 11. Juli 2017, Az: 1 BvR 1571/15, Urteil

Art 9 Abs 3 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 2a Abs 1 Nr 6 ArbGG, § 58 Abs 3 ArbGG, § 99 ArbGG, Art 1 Nr 1 TarifEinhG, Art 2 Nr 2 TarifEinhG, Art 2 Nr 3 TarifEinhG, § 4a Abs 1 TVG vom 03.07.2015, § 4a Abs 2 TVG vom 03.07.2015

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 06.10.2015, Az. 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1582/15, 1 BvR 1588/15 (REWIS RS 2015, 4388)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 4388 BVerfGE 140, 211-224 REWIS RS 2015, 4388

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 BvR 1571/15, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1043/16, 1 BvR 1477/16 (Bundesverfassungsgericht)

§ 4a TVG idF vom 03.07.2015 partiell mit Art 9 Abs 3 GG unvereinbar - …


1 BvR 1571, 1588, 2883/15, 1043, 1477/16 (Bundesverfassungsgericht)

Teilweise Verfassungswidrigkeit des Tarifeinheitsgesetzes vom 3. Juli 2015 ( Art. 9 Abs. 3 GG)


1 BvR 1504/16 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Parallelentscheidung


1 BvR 1803/15 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Parallelentscheidung


1 BvR 571/16 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahme einer unmittelbar gegen das Tarifeinheitsgesetz (juris: TarifEinhG) sowie § 58 Abs 3 ArbGG gerichteten …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

2 BvF 1/15

1 BvR 1582/15

4 AZR 549/08

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.