Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.04.2017, Az. 1 AZR 714/15

1. Senat | REWIS RS 2017, 12090

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Gegenstand

Sozialplanabfindung - Abgeltungsklausel in einem gerichtlichen Vergleich


Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 27. Oktober 2015 - 6 [X.]/15 - aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über eine Sozialplanabfindung.

2

Die Klägerin war bei der [X.] seit 1991 zuletzt im Bereich Asset-Management beschäftigt. Vom 1. Januar 2008 bis 31. März 2010 stand sie in einem Arbeitsverhältnis zur [X.], die später in [X.] umfirmierte. Zum 1. April 2010 ging das Arbeitsverhältnis im Wege des [X.]s wieder auf die Beklagte über, welche sich als Tochtergesellschaft der [X.] mit Vermarktungs-, Entwicklungs- und Verwaltungsaufgaben für [X.]bilien befasst. Die Klägerin wurde von der [X.] mit Schreiben vom 12. Februar 2010 über den [X.] und seine Rechtsfolgen unterrichtet. Darin ist aufgeführt, dass bei der [X.] eine „Betriebsvereinbarung zur Strategieumsetzung vom 21.04.2004“ besteht. Diese Betriebsvereinbarung ([X.] 2004) weist als Vereinbarungsparteien in ihrem Rubrum die Beklagte, die [X.] und den „Betriebsrat der [X.], [X.], vertreten durch die Vorsitzende und die stellvertretende Vorsitzende“, aus und lautet auszugsweise:

        

B.    

Fachlicher Geltungsbereich und Verfahren

        

1.    

Organisatorische und strukturelle Maßnahmen

        

Die nachfolgenden Regelungen gelten für alle organisatorischen und/oder strukturellen Vorhaben zur Verbesserung des Ertrags der Gesellschaften und die daraus resultierenden personellen Maßnahmen.

        

…       

                 
        

C.    

Personalwirtschaftliche Instrumente und Regelungen

        

…       

        

2.    

Arbeitsplatzsicherung/Versetzungen

        

2.1.   

Grundsatz der Arbeitsplatzsicherung

        

2.1.1. Vorrangiges Ziel ist, Mitarbeiter, deren Arbeitsplatz aufgrund organisatorischer und/oder struktureller Maßnahmen entfällt oder in der gehaltlichen Wertigkeit sinkt, auf einem Arbeitsplatz einzusetzen, der ihren Fähigkeiten und Erfahrungen entspricht.

        

…       

        
        

2.2.   

Gleichwertiger Arbeitsplatz in der bisherigen Einheit

        

Sofern aufgrund struktureller und/oder organisatorischer Veränderungen ein Arbeitsplatz in seiner Wertigkeit sinkt oder wegfällt, ist dem Mitarbeiter ein gleichwertiger Arbeitsplatz in der bisherigen Einheit bzw. am bisherigen Arbeitsort anzubieten. …

        

2.3.   

Gleichwertiger Arbeitsplatz in möglichst nahegelegener Einheit

        

Sofern ein solcher freier Arbeitsplatz am bisherigen Arbeitsort nicht besteht, ist dem Mitarbeiter ein gleichwertiger Arbeitsplatz in einer möglichst nahegelegenen Einheit der Gesellschaften anzubieten (gleichwertig zumutbarer Arbeitsplatz). …

        

…       

        

2.4.   

Geringer bewerteter Arbeitsplatz

        

Besteht kein gleichwertiger oder gleichwertig zumutbarer Arbeitsplatz, wird dem Mitarbeiter ein Einsatz auf einem geringer bewerteten Arbeitsplatz in derselben oder einer möglichst nahegelegenen Einheit angeboten.

        

…       

        

2.8.   

Vermittlung eines Arbeitsplatzes im Konzernunternehmen

        

Die [X.] bietet in ihren zahlreichen konzernangehörigen Unternehmen eine Vielzahl von interessanten Arbeitsplätzen. Der Wechsel der Mitarbeiter von einem Konzernunternehmen in ein anderes wird intensiv gefördert, nicht nur um attraktive Entwicklungsmöglichkeiten für Mitarbeiter aufzuzeigen, sondern auch, um Arbeitsplätze im Konzern zu sichern. Bei Wegfall eines Arbeitsplatzes in den Gesellschaften aufgrund struktureller und/oder organisatorischer Maßnahmen werden sich diese daher bemühen, einen gleichwertigen oder gleichwertig zumutbaren Arbeitsplatz in einem anderen Konzernunternehmen zu vermitteln. …

        

2.9.   

Vermittlung eines Arbeitsplatzes in einem Drittunternehmen

        

…       

        
        

7.    

Beendigung des Arbeitsverhältnisses

        

7.1.   

Auflösung mit Abfindung

        

Mitarbeiter, die von den strukturellen und/oder organisatorischen Veränderungen unmittelbar betroffen sind und statt einer Versetzung, die einen Wohnortwechsel notwendig machen würde, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses wählen, um eine ansonsten notwendige betriebsbedingte Kündigung zu vermeiden, erhalten von den Gesellschaften eine an der Betriebszugehörigkeit, dem Alter und dem jeweiligen Monatsgehalt orientierte Abfindung. Dies gilt auch für Mitarbeiter, denen nach Ausschöpfung aller unter Ziffer 2 aufgeführten Maßnahmen kein Arbeitsplatz angeboten werden kann bzw. aus diesem Grund das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt beendet wird. …

        

Wird in der Folge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Arbeitsgericht angerufen, wird eine eventuell vom Gericht festgesetzte Abfindung mit der Abfindung nach dieser Vereinbarung verrechnet. Die Abfindung nach dieser Vereinbarung ist erst mit rechtskräftigem Abschluss des [X.] fällig, ansonsten mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

        

Die Höhe der Abfindung errechnet sich nach folgender Formel:

        

…       

        
        

7.2.   

Keine Abfindung bei [X.]

        

Sofern der Mitarbeiter ein gleichwertiges oder gleichwertig zumutbares Angebot in einem Konzernunternehmen annimmt, besteht kein Anspruch auf eine Abfindung nach dieser Betriebsvereinbarung.“

3

Im Hinblick auf den Wechsel der Mitarbeiter ab dem 1. April 2010 von der [X.] zu der [X.] schlossen diese beiden Gesellschaften und der Gesamtbetriebsrat der [X.] am 28. Januar/3. Februar 2010 eine Betriebsvereinbarung ([X.] 2010), in deren Nr. IV.2. geregelt ist:

        

„Für die von einer Standortschließung oder einer anderen strukturellen und/oder organisatorischen Maßnahme bei der [X.] betroffenen wechselnden Mitarbeiter finden die Regelungen der Betriebsvereinbarung zur Strategieumsetzung in der [X.] vom 21.04.2004 Anwendung. Die Zusage ist befristet bis zum 31.12.2012 und gilt für alle personalwirtschaftlichen Instrumente/Regelungen (z.B. für Versetzungen und Beendigungen von Arbeitsverhältnissen) gemäß Ziff. C. der genannten Betriebsvereinbarung zur Strategieumsetzung, die bis zu diesem Zeitpunkt ausgesprochen bzw. mit wechselnden Mitarbeitern vereinbart worden sind.“

4

Mit Wirkung vom 1. August 2011 wurden Facheinheiten der [X.], darunter diejenige, in der die Klägerin tätig war, im Rahmen des sog. Projekts A auf die [X.] ([X.]) übertragen. Hierzu schlossen die [X.], die - als „[X.]“ bezeichnete - Beklagte und die [X.] mit dem Gesamtbetriebsrat der [X.] sowie dem Betriebsrat der [X.] am 6. Juli 2011 einen „Interessenausgleich als Gesamtbetriebsvereinbarung/Betriebsvereinbarung“ ([X.] 2011), dessen Nr. VII.3. auszugsweise lautet:

        

„Die Betriebsvereinbarung zur [X.] der [X.] in der Fassung vom 21.04.2004 gilt jedenfalls für Mitarbeiter, die im Rahmen der Teilbetriebsübergänge nach dieser Betriebsvereinbarung zum Projekt A aus der [X.] in die [X.] überführt wurden, hinsichtlich aller organisatorischen und strukturellen Maßnahmen in der [X.] bis zum 30.09.2014.“

5

Die Klägerin widersprach dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die [X.]. Sie war seit 1. August 2011 von ihrer Tätigkeit unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt; die Beklagte übt seitdem keine operative Tätigkeit aus.

6

Mit Schreiben vom 27. Juni 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2012. Die Klägerin erhob hiergegen Kündigungsschutzklage, mit der sie zudem die Feststellung eines Abfindungsanspruchs - hilfsweise die Zahlung einer Sozialplanabfindung begehrte. Mit Beschluss vom 8. Januar 2014 stellte das [X.] gemäß § 278 Abs. 6 ZPO einen Vergleich folgenden Inhalts fest:

        

„1.     

Die Parteien sind sich einig, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung vom 27.06.2012 zum 31.12.2012 geendet hat.

        

…       

        
        

3.    

Die Beklagte zahlt an die Klägerin für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung gem. den §§ 9, 10 KSchG in Höhe von brutto [X.] 150.000,00 (in Worten: Euro einhundertfünfzigtausend/00).

        

...     

        
        

8.    

Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind sämtliche beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, abgegolten. Forderungen aus deliktischen Handlungen, Forderungen und Verbindlichkeiten aus Geschäftsbeziehungen zwischen der [X.] und der Klägerin und etwaig unverfallbare Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung bleiben davon unberührt.

        

9.    

Damit ist der Rechtsstreit erledigt.“

7

Mit ihrer Klage hat die Klägerin nunmehr die Differenz zwischen einer Sozialplanabfindung entsprechend der [X.] 2004 und der im Vergleich vereinbarten Abfindungssumme verlangt.

8

Sie hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an sie 65.190,33 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2014 zu zahlen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Klägerin habe mit der im Vergleich vom 8. Januar 2014 vereinbarten [X.] wirksam auf etwaige Sozialplanabfindungen verzichtet. Es handele sich um einen [X.], der keiner Zustimmung des Betriebsrats bedürfe. Ihrem Zahlungsverlangen stehe der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen. Auch könne ein Abfindungsanspruch weder auf das Unterrichtungsschreiben der [X.] vom 12. Februar 2010 noch auf die [X.] 2011 oder die [X.] 2010 jeweils iVm. der [X.] 2004 gestützt werden. Die Voraussetzungen der [X.] 2004 erfülle die Klägerin nicht.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin den [X.] weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des [X.]erufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das [X.]. Mit der [X.]egründung des [X.]s kann die [X.]erufung der Klägerin nicht zurückgewiesen werden.

I. Die Klage ist zulässig. Ihr fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Dieses folgt für eine Leistungsklage grundsätzlich aus der Nichterfüllung des geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruchs (vgl. [X.] 16. Dezember 2014 - 9 [X.] - Rn. 14). Anderes ergibt sich nicht aus dem Einwand der [X.]n, die Klägerin verfolge einen Anspruch, der die Unwirksamkeit des in dem vorangegangenen Rechtsstreit festgestellten Vergleichs voraussetze. Es trifft zwar zu, dass ein Streit der Parteien über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs jedenfalls dann im Ausgangsverfahren auszutragen ist, wenn der Vergleich nicht allein aus Gründen unwirksam ist, die erst nach seinem Abschluss entstanden sind ([X.] 24. September 2015 - 2 [X.] - Rn. 16, [X.]E 153, 20). Allerdings wendet sich die Klägerin nicht gegen die prozessbeendigende Wirkung des durch [X.]eschluss vom 8. Januar 2014 festgestellten Vergleichs. Ein Verfahren, in dem ein Prozessvergleich geschlossen wurde, ist aber nur dann fortzusetzen, wenn die Wirksamkeit des Prozessvergleichs angegriffen und damit seine den Prozess beendigende Wirkung in Frage gestellt wird. Dementsprechend ist eine neue Klage, die ein solches Ziel nicht verfolgt, zulässig. Den Parteien steht es frei, übereinstimmend einen Zivilprozess als durch Vergleich unabhängig davon als beendet anzusehen, ob dieser wegen prozessualer oder materiell-rechtlicher Mängel unwirksam ist (vgl. [X.] 21. November 2013 - [X.] - Rn. 14 mwN).

II. Das [X.] hat die Klage jedoch rechtsfehlerhaft als unbegründet abgewiesen. Ein etwaiger Anspruch der Klägerin auf eine Sozialplanabfindung nach einer für sie unmittelbar und zwingend geltenden [X.]etriebsvereinbarung ist aufgrund der [X.] in Nr. 8 des Vergleichs nicht erloschen (§ 397 Abs. 1 [X.]G[X.]).

1. Zutreffend geht das [X.]erufungsgericht davon aus, dass die in Nr. 8 Satz 1 des Prozessvergleichs vereinbarte Abgeltung als umfassender Anspruchsausschluss in Form eines konstitutiven negativen [X.] zu verstehen ist. Nach der gewählten Formulierung wollten die Parteien sämtliche Ansprüche der Klägerin aus dem Arbeitsverhältnis und dessen [X.]eendigung erledigen. Hiervon haben sie nach Nr. 8 Satz 2 des Vergleichs nur die dort ausdrücklich genannten Ansprüche ausnehmen wollen.

2. Nicht frei von [X.] ist jedoch seine Annahme, der vereinbarte Verzicht auf eine etwaige Sozialplanabfindung sei als sog. [X.] mit § 77 Abs. 4 Satz 2 [X.] vereinbar.

a) Nach § 77 Abs. 4 Satz 2 [X.] ist ein Verzicht auf Rechte des Arbeitnehmers aus einer [X.]etriebsvereinbarung nur mit Zustimmung des [X.]etriebsrats zulässig. Ein Sozialplan hat gemäß § 112 Abs. 1 Satz 3 [X.] die Wirkung einer [X.]etriebsvereinbarung. Ein - und sei es teilweiser - Verzicht des Arbeitnehmers auf einen Sozialplananspruch ist daher nur mit Zustimmung des [X.]etriebsrats wirksam ([X.] 15. Oktober 2013 - 1 [X.] - Rn. 25). Fehlt es hieran, ist der Verzicht wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 [X.]G[X.] nichtig ([X.] 30. März 2004 - 1 [X.]/03 - zu II 4 b aa der Gründe).

b) Nr. 8 Satz 1 des Prozessvergleichs regelt keinen sog. [X.], für den das Verzichtsverbot des § 77 Abs. 4 Satz 2 [X.] nicht gilt, sondern einen Rechtsverzicht. Ein Vergleich über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Sozialplanabfindung ist mit dem betriebsverfassungsrechtlichen Verzichtsverbot vereinbar, wenn die Parteien allein über die Erfüllung der tatsächlichen Anspruchsvoraussetzungen gestritten haben ([X.] 19. Juli 2016 - 3 [X.] - Rn. 49 mwN, [X.]E 155, 326; zum [X.] 23. August 1994 - 3 [X.] -; zu § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG 12. Februar 2014 - 4 [X.] - Rn. 19). Handelt es sich aber um eine vergleichsweise Verständigung über Rechtsfragen, etwa diejenige, wie bestimmte Regelungen in einem Sozialplan auszulegen sind, ist die [X.]eilegung von Meinungsverschiedenheiten der Parteien zwangsläufig mit einem Verzicht auf einen Rechtsanspruch verbunden. [X.]etrifft ein solcher Rechtsverzicht einen Anspruch aus einer [X.]etriebsvereinbarung, bedarf dies wegen § 77 Abs. 4 Satz 2 [X.] der Zustimmung des [X.]etriebsrats. Eine solche Verständigung enthält Nr. 8 Satz 1 des Vergleichs vom 8. Januar 2014. Die Parteien haben im vorangegangenen Rechtsstreit zur Anwendbarkeit der [X.] 2004 unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten. Nach dem Wortlaut der Nr. 8 Satz 1 des Vergleichs haben sie sich nicht über bestimmte tatsächliche Voraussetzungen für Ansprüche der Klägerin auf Sozialplanleistungen verständigt. Vielmehr haben sie ausdrücklich vereinbart, dass beiderseitige Ansprüche „abgegolten“ sind. Dies beseitigt keine tatsächliche Ungewissheit über die Voraussetzungen eines etwaigen Anspruchs, sondern die rechtliche Unsicherheit, ob ein solcher besteht.

III. Die Entscheidung des [X.]s erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig. Das Zahlungsverlangen der Klägerin stellt sich nicht - wie die [X.] meint - unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens als unzulässige Rechtsausübung nach § 242 [X.]G[X.] dar. Die Rechtsordnung lässt widersprüchliches Verhalten grundsätzlich zu, soweit für den anderen Teil kein Vertrauenstatbestand geschaffen worden war oder besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (vgl. [X.] 17. Juni 2014 - 3 [X.] - Rn. 57 mwN). Allein der Abschluss einer gegen § 77 Abs. 4 Satz 2 [X.] verstoßenden Vereinbarung schafft kein Vertrauen darauf, der Arbeitnehmer werde später deren Unwirksamkeit nicht geltend machen. Anderenfalls liefe die gesetzlich angeordnete Unverzichtbarkeit eines betriebsverfassungsrechtlich vermittelten Anspruchs ins Leere. Überdies ist vorliegend nichts dafür ersichtlich, die Klägerin habe der [X.]n gegenüber erkennen lassen, sie wolle Nr. 8 Satz 1 des Vergleichs hinsichtlich des Anspruchs auf Sozialplanabfindung trotz seiner Rechtsunwirksamkeit gegen sich gelten lassen.

IV. Der Senat kann aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht entscheiden, ob die Klage begründet ist. Das führt zur Aufhebung des [X.]erufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur neuen Verhandlung und Entscheidung (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

1. Der streitbefangene Anspruch folgt nicht aus der [X.] 2011 iVm. der [X.] 2004. Es ist bereits fraglich, welchen Rechtscharakter die [X.] 2011 hat, die als Interessenausgleich anlässlich des [X.] zwischen den jeweils bestimmte [X.] übertragenden zwei Unternehmen [X.] und der [X.]n sowie der die Einheiten übernehmenden [X.] einerseits und dem Gesamtbetriebsrat der [X.] sowie dem [X.]etriebsrat der [X.]n andererseits geschlossen worden ist. Jedenfalls unterfällt die Klägerin, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die [X.] widersprochen hatte, nicht der [X.] 2011. Das zeigt deren Nr. VII.3., wonach die [X.] 2004 „jedenfalls für Mitarbeiter“ gilt, „die im Rahmen der Teilbetriebsübergänge nach dieser [X.]etriebsvereinbarung zum Projekt A aus der [X.] in die [X.] überführt wurden“. Hierzu gehört die Klägerin nicht.

2. Entgegen der Annahme der Revision steht der Klägerin auch kein Anspruch aus der [X.] 2010 iVm. der [X.] 2004 zu.

a) Die auf die Anwendung der [X.] 2004 verweisende Regelung der Nr. IV.2. [X.] 2010 gilt nicht unmittelbar und zwingend iSv. § 77 Abs. 4 Satz 1 [X.] für das Arbeitsverhältnis der Klägerin. Die [X.] 2010 wurde zwischen der bestimmte Einheiten abgebenden [X.] als [X.]etriebsteilveräußerin und der [X.]n als [X.]etriebsteilerwerberin sowie dem Gesamtbetriebsrat der [X.] geschlossen. Die [X.]etriebsparteien können aber mit einer [X.]etriebsvereinbarung Rechte und Pflichten nur im Verhältnis zueinander festlegen. Sie können keine unmittelbar und zwingend geltenden Ansprüche gegenüber und zu Lasten Dritter - etwa gegenüber einem [X.]etriebserwerber - begründen ([X.] 11. Januar 2011 - 1 [X.] - Rn. 14).

b) Es kann offen bleiben, ob Nr. IV.2. [X.] 2010 eine Zusage der [X.]n regelt, gegenüber den von der [X.] zu ihr wechselnden Mitarbeitern die [X.] 2004 auf schuldrechtlicher Grundlage (befristet) anzuwenden. Ein schuldrechtlicher Verpflichtungsgrund wäre von Nr. 8 Satz 1 des Vergleichs umfasst, weil das Verzichtsverbot des § 77 Abs. 4 Satz 2 [X.] hierfür nicht gilt.

3. Dementsprechend kann die Klägerin einen Anspruch auch nicht auf die [X.] 2004 im Zusammenhang mit einer individualrechtlichen Zusage stützen. Das von ihr herangezogene Unterrichtungsschreiben vom 12. Februar 2010 ist nicht von der [X.]n, sondern der [X.] verfasst; einen Anspruch gegen diese Gesellschaft verfolgt die Klägerin nicht. Im Verhältnis zur [X.]n unterfiele dieser vertragliche Anspruch auch der [X.] nach Nr. 8 Satz 1 des Vergleichs.

4. Der Anspruch auf die begehrte Sozialplanabfindung könnte aber aus einer unmittelbaren und zwingenden (Fort-)Geltung der [X.] 2004 für das Arbeitsverhältnis der Klägerin folgen. Das kann der Senat auf der Grundlage der bisher festgestellten Tatsachen aber nicht abschließend zu beurteilen.

a) [X.]ei der [X.] 2004 handelt es sich um einen Dauersozialplan für künftige, noch nicht konkret geplante [X.]etriebsänderungen. Solche Regelungen sind freiwillig möglich ([X.] 22. März 2016 - 1 [X.] - Rn. 12, [X.]E 154, 313).

b) Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für einen Abfindungsanspruch nach der [X.] 2004.

aa) Entgegen der Auffassung der [X.]n handelt es sich bei der Überführung von [X.] von der [X.]n auf die [X.] im Rahmen des [X.] - von der die Klägerin betroffen war - um eine Maßnahme, die Teil [X.] Nr. 1. [X.] 2004 unterfällt. Der fachliche Geltungsbereich des [X.] ist in dieser Regelung umfassend und weit umschrieben, indem auf „organisatorische und/oder strukturelle Vorhaben zur Verbesserung der Ertrags der Gesellschaften und die daraus resultierenden personellen Maßnahmen“ abgehoben wird. Dass mit „Ertrag“ der Gesellschaften ausschließlich eine monetäre Größenordnung gemeint sein soll, liegt angesichts der [X.] Formulierung fern. Daher unterfallen die Maßnahmen, die in der Präambel der [X.] 2011 mit den Intentionen „Steigerung der Qualität bei den vielfältigen Serviceleistungen“ und Fortführung von „Maßnahmen zur globalen [X.]ündelung von Aktivitäten“ beschrieben sind, dem Geltungsbereich der [X.] 2004. Dies gilt umso mehr, als in der Präambel der [X.] 2011 nach der Überzeugung des Managements „die Zusammenfassung der G[X.]S-Einheiten in [X.] in der [X.] einen positiven [X.]eitrag zur Qualitätssteigerung der Serviceleistungen der [X.] für ihre Kunden leisten und signifikant zum Erfolg der beteiligten Konzerngesellschaften und der gesamten [X.] beitragen wird“.

bb) Die Klägerin erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen nach Satz 2 von Teil C Nr. 7.1. [X.] 2004.

(1) Sie ist von dem Projekt A unmittelbar betroffen. Ihr Arbeitsverhältnis sollte zur [X.] übergehen. Dass sie dem [X.]etriebsübergang widersprochen hat, steht ihrer direkten [X.]etroffenheit nicht entgegen. Die [X.] verkennt, dass sich die Unmittelbarkeit iSv. Teil C Nr. 7.1. [X.] 2004 auf die „strukturellen und/oder organisatorischen Veränderungen“ und damit auf den Übergang von [X.] auf ein anderes Unternehmen bezieht.

(2) Der Klägerin konnte iSv. Teil C Nr. 7.1. Satz 2 [X.] 2004 „nach Ausschöpfung aller unter Ziffer 2 aufgeführten Maßnahmen kein Arbeitsverhältnis angeboten werden“. Hierbei kann unterstellt werden, dass ihr - wie die [X.] in den Instanzen vorgetragen hat - Weiterbeschäftigungsangebote in anderen Konzernunternehmen unterbreitet worden sind. Allenfalls ein Arbeitsplatzangebot bei der [X.]n würde keinen Abfindungsanspruch auslösen. Dies folgt aus Wortlaut und systematischen Zusammenhang der Sozialplanregelungen, wonach Satz 2 des Teil C Nr. 7.1. [X.] 2004 auf das „Anbieten“ eines Arbeitsplatzes abstellt und Teil C Nr. 2.2. bis 2.4. [X.] 2004 Regularien zum „Anbieten“ eines gleich oder geringer bewerteten Arbeitsplatzes bei den die [X.] 2004 schließenden Unternehmen aufstellen, während Teil C Nr. 2.8. und Nr. 2.9. [X.] 2004 auf die „Vermittlung“ eines Arbeitsplatzes in einem Konzern- oder Drittunternehmen abheben. Diese Auslegung wird bestätigt durch den in Teil C Nr. 7.2. [X.] 2004 aufgenommenen Ausschluss eines Anspruchs, der an die Annahme des Angebots „in einem anderen Konzernunternehmen“ anknüpft. Dies wäre überflüssig, wenn ein solches Angebot bereits iSv. Teil C Nr. 7.1. Satz 2 [X.] 2004 dem Abfindungsanspruch an sich entgegenstünde.

(3) Schließlich wurde das Arbeitsverhältnis der Parteien betriebsbedingt iSv. Teil C Nr. 7.1. Satz 2 [X.] 2004 beendet. Das steht aufgrund des im Vorgängerrechtsstreit geschlossenen Vergleichs vom 8. Januar 2014, dessen prozessbeendigende Wirkung nicht angegriffen worden ist, fest.

c) Nach den bisher getroffenen Feststellungen kann aber weder angenommen noch ausgeschlossen werden, dass die [X.] 2004 im Zeitpunkt der Entstehung eines daraus abgeleiteten Anspruchs der Klägerin auf eine Abfindung bei der [X.]n iSv. § 77 Abs. 4 Satz 1 [X.] (noch) kollektivrechtlich galt. Die [X.] 2004 ist weder befristet geschlossen noch gekündigt worden. Ihr kollektivrechtlicher Geltungsgrund ist hingegen an den Fortbestand der betrieblichen Einheit, für die sie vereinbart worden ist, gebunden. Geschlossen wurde die [X.] 2004 nach der [X.]ezeichnung der sie verabredenden [X.]etriebsparteien, ihrer Unterzeichnung und ihrer inhaltlichen Ausgestaltung von der [X.]n und der [X.] - und (nur) einem [X.]etriebsrat. Ihre Fortgeltung bei der [X.]n könnte nur dann angenommen werden, wenn die ursprüngliche organisatorische (Teil-)Einheit als betriebsverfassungsrechtlicher [X.]ezugspunkt fortbestehen würde. Sollten die [X.] und die [X.] im Zeitpunkt des Abschlusses der [X.] 2004 einen Gemeinschaftsbetrieb geführt haben, wäre mit dessen Auflösung keine [X.]etriebsidentität mehr anzunehmen und die [X.] 2004 faktisch beendet. [X.]estand kein Gemeinschaftsbetrieb, könnte die [X.] 2004 der Sache nach zwei (gleichlautende) [X.]etriebsvereinbarungen enthalten, deren eine den [X.]etrieb der [X.]n beträfe. Sollte die Klägerin diesem (unveränderten) [X.]etrieb zuzuordnen sein, gölte die [X.] 2004 unmittelbar und zwingend für ihr Arbeitsverhältnis. Hierfür kommt es darauf an, ob die [X.], der [X.]etriebszweck und die Leitungsstruktur, welche die [X.]etriebsidentität prägen, bezogen auf die Zeitpunkte des Abschlusses der [X.] 2004 und der Maßnahme gegenüber der Klägerin iSd. [X.] 2004 unverändert geblieben sind (vgl. zur Fortgeltung einer [X.]etriebsvereinbarung nach betrieblichen Umstrukturierungen auch [X.] 7. Juni 2011 - 1 A[X.]R 110/09 - Rn. 15). Zu all dem hat das [X.] - auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung konsequent - keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachzuholen haben.

        

    Schmidt    

        

    Treber    

        

    K. Schmidt    

        

        

        

    Klebe    

        

    Hann    

                 

Meta

1 AZR 714/15

25.04.2017

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG München, 23. Juni 2015, Az: 40 Ca 6952/14, Urteil

§ 77 Abs 4 S 2 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.04.2017, Az. 1 AZR 714/15 (REWIS RS 2017, 12090)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 12090


Verfahrensgang

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Az. 1 AZR 714/15

Bundesarbeitsgericht, 1 AZR 714/15, 25.04.2017.


Az. 40 Ca 6952/14

ArbG München, 40 Ca 6952/14, 23.06.2015.


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1 Sa 987/17

5 Sa 240/17

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