Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 03.11.2011, Az. 1 WNB 4/11

1. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2011, 1781

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Gegenstand

Rechtsbeschwerde; Erledigung der Hauptsache; Einstellungs- und Kostenbeschlüsse


Leitsatz

1. §§ 22a und 22b WBO finden auch bei Einstellungs- und Kostenbeschlüssen des Truppendienstgerichts nach Erledigung des gerichtlichen Antragsverfahrens in der Hauptsache Anwendung.

2. Im Rechtsweg zu den Wehrdienstgerichten ist nach Erledigung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache § 20 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 und 2 WBO für die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Aufwendungen bzw. über die Kostenbelastung maßgeblich.

3. Zur Abgrenzung der prozessualen Kostenerstattungsvorschrift in § 20 Abs. 3 WBO zu dem materiellen Kostenerstattungsanspruch in § 96 Abs. 8 Satz 1 SGB IX (juris: SGB 9).

Tatbestand

Der Antragsteller, Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen, wendet sich mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in einem Beschluss des Truppendienstgerichts, mit dem es nach Erledigung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung das Verfahren eingestellt und gemäß § 20 [X.] über die Kosten des Verfahrens entschieden hatte.

Das [X.] hat die Nichtzulassungsbeschwerde zwar für statthaft gehalten, aber in der Sache zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

...

2

1. Gegen den [X.]eschluss des [X.]s ist die Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich statthaft.

3

§ 22a Abs. 1 [X.] eröffnet die Rechtsbeschwerde - nach Zulassung - ohne jede Einschränkung als statthaften Rechtsbehelf gegen "den" [X.]eschluss des [X.]s. Die Literatur betrachtet ebenfalls alle "Entscheidungen, die im gerichtlichen Antragsverfahren (§§ 17, 16a Abs. 5 <[X.]>) ergehen", als statthaften Gegenstand der Rechtsbeschwerde ([X.], [X.], 5. Auflage 2009, § 22a Rn. 3). Eine einschränkende Auslegung dieser Rechtsnorm ist auch aus ihrer Entstehungsgeschichte nicht geboten. Zwar wird in der [X.]egründung der [X.]undesregierung zum "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher und anderer Vorschriften (Wehrrechtsänderungsgesetz 2007)", das am 1. Februar 2009 als Wehrrechtsänderungsgesetz 2008 vom 31. Juli 2008 ([X.] 1629) in [X.] getreten ist, zu § 22a [X.] ausgeführt, Voraussetzung der Rechtsbeschwerde sei die Zulassung durch das [X.], über die es in der Entscheidung "über" den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu befinden habe, oder die Zulassung durch das [X.] ([X.]T-Drucks. 16/7955 S. 36). Soweit diese Formulierung die Interpretation nahelegt, die Rechtsbeschwerde solle nur gegen Entscheidungen des [X.]s statthaft sein, in denen noch in der Sache über einen Antrag nach § 17 [X.] zu urteilen ist, hat dies jedoch im Wortlaut des § 22a Abs. 1 [X.] keinen Niederschlag gefunden.

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Angesichts der umfassenden und eindeutigen normativen Regelung ist auch kein Raum für die Annahme, Einstellungs- und Kostenbeschlüsse des [X.]s nach Erledigung des Antragsverfahrens in der Hauptsache seien gemäß § 23a Abs. 2 [X.] i.V.m. § 92 Abs. 3 Satz 2 und § 158 Abs. 2 VwGO unanfechtbar. Wenn der Gesetzgeber derartige [X.]eschlüsse des [X.]s, in denen es gemäß § 20 Abs. 3 [X.] nur noch über die Erstattung der notwendigen Aufwendungen entscheidet, von der Möglichkeit der Anfechtung mit weiteren Rechtsbehelfen hätte ausschließen wollen, hätte er insoweit im Hinblick auf den Grundsatz der Normenklarheit und auf das besonders im Geltungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG zu beachtende Erfordernis der Rechtssicherheit eine eindeutige Regelung - wie etwa in § 142 Satz 2 [X.] und in § 18 Abs. 2 Satz 5 [X.] a.F. - treffen müssen. Das gilt umso mehr, als der Gesetzgeber zeitgleich mit der Einführung der §§ 22a, 22b [X.] an anderer Stelle ausdrücklich die Unanfechtbarkeit von [X.]eschlüssen des [X.]s geregelt hat (§ 16a Abs. 5 Satz 3 [X.]).

5

2. Die fristgerecht eingelegte und mit einer [X.]egründung versehene [X.]eschwerde hat keinen Erfolg. Die von der [X.]eschwerde geltend gemachte grundsätzliche [X.]edeutung (§ 22a Abs. 2 Nr. 1 [X.]) kommt der Sache nicht zu. Der gemäß § 22a Abs. 2 Nr. 3 [X.] geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor.

...

7

Die von der [X.]eschwerde als grundsätzlich bedeutsam bezeichneten Fragen,

ob für Entscheidungen nach § 20 Abs. 1 und 2 [X.] (offensichtlich gemeint: [X.]) i.V.m. § 96 Abs. 8 Satz 1 [X.] die [X.]e oder in analoger Anwendung von § 2a Abs. 1 Nr. 3 ArbGG ausschließlich die Gerichte für Arbeitssachen zuständig sind,

und

ob - falls die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nicht bejaht werden könne - § 96 Abs. 8 Satz 1 [X.] als lex specialis der Ermessensregelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 [X.] (offensichtlich gemeint: [X.]) vorgehe,

rechtfertigen nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde, weil sie sich in dem angestrebten Rechtsbeschwerdeverfahren nicht stellen würden.

8

Im Rechtsbeschwerdeverfahren wäre die Frage des zulässigen Rechtsweges nicht erheblich. Das [X.] hatte als im Rechtsweg zu den [X.] aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der [X.]eteiligten nur noch über die Erstattung der notwendigen Aufwendungen in dem vor ihm geführten Verfahren zu befinden. Jedenfalls für diese Entscheidung war die Zuständigkeit des [X.]s gegeben. Davon ist auch der Antragsteller ausgegangen; er hat mit [X.] seines [X.]evollmächtigten vom 26. August 2009 das [X.] ausdrücklich um eine Kostenentscheidung gebeten.

9

Im Rechtsweg zu den [X.] ist nach Erledigung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung § 20 Abs. 3 [X.] für die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Aufwendungen bzw. über die Kostenbelastung maßgeblich. Die Vorschrift ordnet die sinngemäße Anwendung der Absätze 1 und 2 des § 20 [X.] an. Diese prozessualen Aufwendungserstattungsnormen können nach Maßgabe des § 23a Abs. 2 [X.] nur durch Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes ergänzt werden. Das [X.] ist dort nicht als weiteres heranzuziehendes Gesetz genannt.

Es kommt hinzu, dass § 96 Abs. 8 Satz 1 [X.] - anders als § 20 Abs. 3 [X.] - keine prozessuale Vorschrift über die Kostentragung enthält, sondern eine materielle Anspruchsgrundlage, mit der der Arbeitgeber unabhängig von einem gerichtlichen Verfahren für die durch die Tätigkeit der Schwerbehindertenvertretung entstehenden Kosten in Anspruch genommen werden kann. Das ergibt sich aus dem [X.]eschluss des [X.] vom 30. März 2010 - 7 [X.] - (NJW 2010, 1769 = juris Rn. 6); es entspricht ebenso der Rechtsprechung des [X.]s zu § 44 Abs. 1 Satz 1 [X.]PersVG, der Vorbildvorschrift für § 96 Abs. 8 Satz 1 [X.] (vgl. [X.]eschlüsse vom 25. Juni 2009 - [X.]VerwG 6 P[X.] 15.09 - [X.] 250 § 44 [X.]PersVG Nr. 37 = NVwZ-RR 2009, 731 = juris Rn. 10 und vom 29. April 2011 - [X.]VerwG 6 P[X.] 21.10 - NVwZ 2011, 1141). Der Vertrauensperson steht daher nach Maßgabe des § 96 Abs. 8 Satz 1 [X.] ein materiell-rechtlicher Erstattungsanspruch gegen den Arbeitgeber zu, für dessen gerichtliche Durchsetzung nach der Rechtsprechung des [X.] (a.a.[X.]) das arbeitsgerichtliche [X.]eschlussverfahren Anwendung findet.

b) Die [X.]eschwerde rügt außerdem die Versagung rechtlichen Gehörs, indem sie geltend macht, dass die Entscheidung des [X.]s in Nr. 3 des Tenors des [X.]eschlusses vom 19. Oktober 2010 überraschend gekommen sei, weil der Antrag des Antragstellers, die Kosten dem Arbeitgeber aufzuerlegen, zurückgewiesen worden sei. Es habe eines besonderen richterlichen Hinweises des [X.]s bedurft, dass es von § 96 Abs. 8 Satz 1 [X.] unter bevorzugter Anwendung von § 20 Abs. 2 Satz 1 [X.] (offensichtlich gemeint: [X.]) zu Lasten des Antragstellers abweichen werde. Wäre dieser Hinweis ergangen, hätte sich der Antragsteller auf den [X.]eschluss des [X.] vom 30. März 2010 (a.a.[X.]) bezogen, nach dem Rechtsstreitigkeiten über die nach § 96 Abs. 8 Satz 1 [X.] bestehende Kostentragungspflicht des Arbeitgebers im arbeitsgerichtlichen [X.]eschlussverfahren zu entscheiden seien.

Mit diesem Vorbringen macht die [X.]eschwerde einen Verfahrensmangel im Sinne des § 22a Abs. 2 Nr. 3 [X.] geltend.

Ein Verfahrensmangel liegt unter anderem dann vor, wenn der Anspruch eines Antragstellers oder [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt wird. Dieser in Art. 103 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz gilt auch im wehrbeschwerderechtlichen Antragsverfahren und erstreckt sich - über den Wortlaut des § 18 Abs. 2 Satz 4 [X.] hinaus - auf alle für die Entscheidung maßgeblichen Sachfragen sowie auf die [X.]eweisergebnisse, ferner auf entscheidungsrelevante Rechtsfragen, wenn der Einzelfall dazu Veranlassung gibt ([X.]eschlüsse vom 24. März 2010 - [X.]VerwG 1 [X.] 3.10 - [X.] 450.1 § 22a [X.] Nr. 4 und vom 26. Oktober 2010 - [X.]VerwG 1 [X.] 4.10 -). Die Gewährung rechtlichen Gehörs zu Rechtsfragen kommt unter anderem dann in [X.]etracht, wenn ein entscheidungserheblicher rechtlicher Gesichtspunkt im bisherigen Verfahren von keinem Verfahrensbeteiligten erkannt oder angesprochen worden ist. In einem derartigen Fall besteht zur Vermeidung eines Überraschungsurteils eine Hinweis- und Anhörungspflicht des Gerichts ([X.]eschluss vom 26. Oktober 2010 - [X.]VerwG 1 [X.] 4.10 -).

Gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs hat das [X.] in dem angegriffenen [X.]eschluss nicht verstoßen.

Die Frage der möglichen Anwendung des § 96 Abs. 8 Satz 1 [X.] hat der Antragsteller im [X.] seines [X.]evollmächtigten vom 30. Oktober 2009 selbst thematisiert. Damit hatte er den rechtlichen Gesichtspunkt dieser Vorschrift in das Verfahren vor dem [X.] eingeführt. Mit seiner [X.] verkennt der Antragsteller, das Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht verlangt, dass das Gericht vor seiner Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist; dem Gericht obliegt insoweit auch keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht ([X.], [X.]eschluss vom 29. Mai 1991 - 1 [X.]vR 1383/90 - [X.]E 84, 188 = NJW 1991, 2823; [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 26. Oktober 2010 - [X.]VerwG 1 [X.] 4.10 -). Deshalb ist das Gericht nicht gehalten, unter dem [X.]lickwinkel der Gewährung rechtlichen Gehörs seine die Entscheidung tragende Rechtsauffassung schon vor der Urteils- oder [X.]eschlussberatung im Einzelnen festzulegen und den [X.]eteiligten zur Erörterung bekannt zu geben ([X.]eschlüsse vom 24. Januar 1991 - [X.]VerwG 8 [X.] 164.90 - [X.] 316 § 54 VwVfG Nr. 6, vom 23. Oktober 2008 - [X.]VerwG 4 [X.] 30.08 - [X.]auR 2009, 233 und vom 26. Oktober 2010 - [X.]VerwG 1 [X.] 4.10 -).

Meta

1 WNB 4/11

03.11.2011

Bundesverwaltungsgericht 1. Wehrdienstsenat

Beschluss

Sachgebiet: WNB

§ 20 Abs 1 WBO, § 20 Abs 2 WBO, § 20 Abs 3 WBO, § 22a Abs 1 WBO, § 22b WBO, § 23a Abs 2 WBO, § 96 Abs 8 S 1 SGB 9

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 03.11.2011, Az. 1 WNB 4/11 (REWIS RS 2011, 1781)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1781

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7 AZB 32/09

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