Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 24.02.2021, Az. 4 AZN 1083/20

4. Senat | REWIS RS 2021, 8424

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - Verletzung rechtlichen Gehörs - Eingruppierung - Forstrevierleiter


Tenor

1. Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 21. Oktober 2020 - 2 [X.]/19 - aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

3. Der Streitwert wird auf 23.179,68 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung des [X.]. Der Kläger ist als Forstrevierleiter bei dem Beklagten tätig. Er erhielt ab dem 1. Januar 2017 zunächst eine Vergütung nach [X.] 9b [X.]/[X.]. Mit seiner Klage hat er die Feststellung einer Vergütungsverpflichtung des Beklagten nach [X.] 12, hilfsweise 11, hilfsweise 10, hilfsweise 9c [X.]/[X.] begehrt. Der Beklagte hat erstinstanzlich hinsichtlich einer Eingruppierung in [X.] 10 [X.]/[X.] den Anspruch des [X.] anerkannt. Das Arbeitsgericht hat daraufhin durch [X.] und Schlussurteil der Klage hinsichtlich einer Vergütungsverpflichtung nach [X.] 11 [X.]/[X.] stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das [X.] hat auf die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und ist lediglich aufgrund des Anerkenntnisses von einem Vergütungsanspruch des [X.] nach [X.] 10 [X.]/[X.] ausgegangen. Hinsichtlich einer Eingruppierung in [X.] 11 [X.]/[X.] hat es die Klage abgewiesen. Die Berufung des [X.] hat es zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde, die er auf die Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und grundsätzliche Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage (§ 72 Abs. 2 Nr. 1, § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG) stützt.

2

II. [X.] ist begründet, da das [X.] wesentlichen Sachvortrag bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt hat (§ 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG).

3

1. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene [X.] zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Geht das Gericht auf [X.] des [X.] zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (st. Rspr., zuletzt zB [X.] 17. September 2020 - 2 BvR 1605/16 - Rn. 14 mwN).

4

2. Nach diesen Maßstäben hat das [X.] den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör verletzt.

5

a) Das [X.] hat angenommen, der Kläger sei kein Ingenieur iSd. tariflichen Vorschriften. Er könne nicht den erforderlichen erfolgreichen Abschluss eines technisch-ingenieurwissenschaftlichen Studiengangs einschließlich eines solchen in der Fachrichtung Forstwirtschaft nachweisen. Daher würde ohne das diesbezügliche Anerkenntnis des [X.] (gemeint wohl: des Beklagten) bereits kein Anspruch auf Vergütung nach [X.] 10 [X.]/[X.] bestehen. Bereits deshalb komme ein Anspruch auf Vergütung aus [X.] 11 [X.]/[X.] nicht in Betracht. Dies ergebe sich unabhängig davon auch daraus, dass es sich bei den [X.]n 10 und 11 [X.]/[X.] um [X.] handele und der Kläger bereits die Anforderungen der [X.] 10 [X.]/[X.] nicht erfülle. Der Kläger könne keine vergleichbaren Beschäftigten jedenfalls beim Beklagten benennen, da nur er sein Studium in [X.] absolviert habe. Eine Vergütung nach [X.] 12 [X.]/[X.] komme danach erst recht nicht in Betracht.

6

b) Damit geht das [X.] auf wesentlichen Vortrag des [X.] nicht ein, ohne dass erkennbar wäre, dass es diesen Vortrag von seinem Rechtsstandpunkt aus als unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert angesehen hätte.

7

aa) Der Kläger hat - wie die Beschwerde darlegt - im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 5. Februar 2020 umfangreich dazu vorgetragen, dass er - sollte er entgegen seiner Auffassung nicht über den erforderlichen Studienabschluss verfügen, um als Ingenieur iSd. tariflichen Vorschriften zu gelten - jedenfalls „sonstiger Beschäftigter“ iSd. [X.] 10 [X.]/[X.] sei. Er verfüge zumindest über eine gleichwertige Beherrschung des Wissensgebietes eines Forstingenieurs mit entsprechenden Erfahrungen. Die ihm übertragenen Aufgaben würden solche Kenntnisse voraussetzen. Er übe diese Tätigkeiten seit dem [X.] aus, ihm seien in [X.] auch „umfangreiche Fachkenntnisse“ bescheinigt worden. Auf diesen Sachvortrag ist das [X.] an keiner Stelle seiner Entscheidung konkret eingegangen. Im Tatbestand wird ausschließlich klägerischer Vortrag zu der Frage wiedergegeben, ob der Kläger „Ingenieur“ iSd. tariflichen Vorschriften ist. Im Übrigen wird lediglich der Akteninhalt allgemein in Bezug genommen. In den Entscheidungsgründen wird die Möglichkeit, die begehrte Eingruppierung als „sonstiger Beschäftigter“ zu erreichen, nicht angesprochen. Die Klage wird ausschließlich im Hinblick auf eine nach Auffassung des [X.]s fehlende Ausbildung als unbegründet angesehen.

8

bb) Das Übergehen des Sachvortrags des [X.] ist auch entscheidungserheblich.

9

(1) Dafür genügt bei der Rüge der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs, dass nicht auszuschließen ist, dass das [X.] innerhalb der von ihm selbst im angefochtenen Urteil dargelegten rechtlichen Argumentation bei Berücksichtigung des übergangenen Vortrags zu einer abweichenden Entscheidung gekommen wäre ([X.] 25. August 2015 - 8 [X.]/15 - Rn. 6 mwN).

(2) Beruht die anzufechtende Entscheidung auf einer Mehrfachbegründung, so kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur Erfolg haben, wenn jede der vom [X.] gegebenen Begründungen angegriffen wird und die [X.] gegen jede von ihnen durchgreifen ([X.] 6. Mai 2015 - 2 [X.] 984/14 - Rn. 12).

(3) Vorliegend erscheint nicht ausgeschlossen, dass das [X.] unter Berücksichtigung des Vortrags des [X.] diesen als „sonstigen Beschäftigten“ angesehen und die tariflichen Anforderungen für eine Eingruppierung in [X.] 10 [X.]/[X.] als erfüllt angesehen hätte. Damit wären aber sowohl die Erst- als auch die ausdrücklich selbständig tragende Zweitbegründung des [X.]s hinfällig. Denn es hat allein im Hinblick auf die seiner Ansicht nach fehlende Qualifikation des [X.] einen wertenden Vergleich als undurchführbar angesehen und ausschließlich das Studium des [X.] als für einen solchen maßgebend erachtet. Ob die Tätigkeit des [X.] die weiteren tariflichen Anforderungen der [X.]n 11 und 12 [X.]/[X.] erfüllt, wäre ggf. im [X.] zu prüfen, sollte der Kläger diejenigen der [X.] 10 [X.]/[X.] erfüllen.

III. Der Senat macht zur Beschleunigung des Verfahrens von der [X.] gemäß § 72a Abs. 7 ArbGG Gebrauch (vgl. zur Zurückverweisung an eine andere Kammer [X.] 12. Dezember 2006 - 3 [X.] 625/06 - Rn. 33 f., [X.]E 120, 322). Der Zurückverweisung steht nicht entgegen, dass der Frage, ob ein Semester, in dem gleichzeitig die Bachelorarbeit zu schreiben und mehrere Lehrveranstaltungen zu besuchen sind, ein Prüfungssemester iSd. Vorbemerkung Nr. 4 Satz 2 zur Anlage 1 zum [X.]/[X.] ist, grundsätzliche Bedeutung zukommen könnte. Ob diese Frage entscheidungserheblich ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung des gesamten Sachvortrags der Parteien feststellen. Letzteres ist aber dem Berufungsgericht vorbehalten.

IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 GKG, § 3 ZPO.

        

    [X.]    

        

    Rinck    

        

    Klug    

        

        

        

    S. Gey-Rommel    

        

    Kümpel    

                 

Meta

4 AZN 1083/20

24.02.2021

Bundesarbeitsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZN

vorgehend ArbG Bautzen, 14. August 2019, Az: 3 Ca 3029/19, Anerkenntnisurteil

Art 103 Abs 1 GG, § 72 Abs 2 ArbGG, § 72a ArbGG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 24.02.2021, Az. 4 AZN 1083/20 (REWIS RS 2021, 8424)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 8424

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BvR 1605/16

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