Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.06.2022, Az. 6 StR 511/21

6. Strafsenat | REWIS RS 2022, 4020

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Gegenstand

Besonders schwerer Fall der Untreue: Regelbeispiel des gewerbsmäßigen Handelns; Entkräftung der Indizwirkung des Regelbeispiels; strafmildernde Berücksichtigung der Wirkung der Verurteilung als faktisches Berufsverbot für einen GmbH-Geschäftsführer


Tenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] (Oder) vom 17. Februar 2021

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass die Angeklagte der Untreue in 69 Fällen schuldig ist;

b) im gesamten Strafausspruch aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das [X.] (Oder) – Strafrichter – zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen „gewerblicher“ Untreue in 68 Fällen und Untreue in einem Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und zu einem Teil von einem Jahr aufgrund einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt. Weiterhin hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 9.647,42 Euro angeordnet. Die Revision der Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Verfahrensbeanstandungen versagen aus den Gründen der Antragsschrift des [X.]. Die im Rahmen der Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Schuldspruchs hat gleichfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten aufgedeckt. Das gilt auch insoweit, als in der [X.] in unzulässiger Weise (vgl. [X.], [X.]/[X.], 8. Aufl., § 267 Rn. 3 mwN) vielfach auf Urkunden verwiesen wird, die sich im Selbstleseordner oder in der Sachakte befinden. Da sich der Inhalt der in Bezug genommenen Urkunden jedoch noch hinreichend deutlich aus den Urteilsgründen ergibt, gefährdet dies den Bestand des Urteils nicht.

3

Jedoch ist das [X.] der Gewerbsmäßigkeit nach § 260 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht in die Urteilsformel aufzunehmen (st. Rspr., vgl. etwa [X.], Beschluss vom 26. Mai 2021 – 5 StR 529/20). Der [X.] hat den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO geändert.

4

2. Der Strafausspruch hält hingegen rechtlicher Überprüfung nicht stand.

5

a) Nach den Feststellungen des [X.]s war die unbestrafte Angeklagte im Tatzeitraum (2008 bis 2010) Geschäftsführerin der [X.] sowie zweier Tochtergesellschaften. In dieser Eigenschaft rechnete sie in 67 Fällen (Taten 1 bis 67) treuwidrig privat veranlasste [X.] und/oder Tankkosten, in einem Fall (Tat 28) zudem die Anschaffungskosten für Pflanzen, zum Nachteil der Gesellschaften ab. Die den Gesellschaften hierdurch entstandenen Schäden betrugen in nahezu der Hälfte der Fälle weniger als 100 Euro und lagen ansonsten – mit Ausnahme von Tat 28 – deutlich unter 350 Euro. In den beiden weiteren Fällen verwendete sie auf Rechnung und Kosten einer Gesellschaft bestellte Buchsbäume ([X.]; Schaden: 1.650 Euro) bzw. einen Briefkasten (Tat 69; Schaden: 781,45 Euro) für private Zwecke. Der Gesamtschaden betrug etwas über 12.000 Euro. Die Angeklagte erstattete der Geschädigten insgesamt etwa 2.500 Euro, davon einen Teilbetrag nach einem Zivilrechtsstreit.

6

Das [X.] hat mit einer Ausnahme (Tat 4) durchwegs das [X.] gewerbsmäßigen Handelns angenommen (§ 266 Abs. 2 i.V.m. § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 [X.]. 1 StGB), eine Entkräftung der hierdurch ausgelösten Regelwirkung für das Vorliegen eines besonders schweren Falls verneint und für die Taten 1 bis 3, 5 bis 67 jeweils die „Mindeststrafe“ von sechs Monaten verhängt. Für [X.] hat es eine Freiheitsstrafe von acht und für Tat 69 eine solche von sieben Monaten festgesetzt.

7

b) Anders als die Revision meint, ist gegen die Annahme gewerbsmäßigen Handelns nichts zu erinnern. Denn das [X.] setzt nicht voraus, dass der Täter seinen Lebensunterhalt allein oder auch nur überwiegend durch die Begehung von Straftaten bestreitet ([X.], Urteil vom 11. September 2003 – 4 [X.], [X.], 265, 266).

8

c) Jedoch begegnet die [X.] durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

9

Bei der Frage, ob ein besonders schwerer Fall im Sinne des § 266 Abs. 2 StGB anzunehmen ist, handelt es sich um eine dem Tatgericht obliegende Frage der Strafzumessung, in die einzugreifen dem Revisionsgericht nur in engen Grenzen gestattet ist (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteile vom 24. August 1982 – 1 [X.], [X.], 464, 465; vom 25. Juni 2003 – 1 [X.], [X.], 297, 298). Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn dem Tatgericht Abwägungsfehler unterlaufen sind (vgl. [X.], Beschluss vom 5. Mai 2011 – 1 [X.], [X.], 162, 163 mwN; [X.]/[X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1530), so dass das gefundene Ergebnis nicht mehr vertretbar ist. So liegt es hier.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] kann die Indizwirkung des [X.]s durch besondere strafmildernde Umstände entkräftet werden, die für sich allein oder in ihrer Gesamtheit so schwer wiegen, dass die Anwendung des Strafrahmens für besonders schwere Fälle unangemessen erscheint (vgl. zu § 263 Abs. 3 StGB etwa [X.], Urteil vom 11. September 2003 – 4 [X.], [X.], 265, 266; Beschluss vom 7. April 2009– 4 [X.], beide mwN). Hierzu besteht insbesondere Anlass, wenn die vom Täter erstrebte Bereicherung und der Schaden in einer Reihe von Fällen unter 100 Euro liegen und weitere erhebliche Strafmilderungsgründe hinzukommen (vgl. jeweils zum gewerbsmäßig begangenen Betrug [X.], Beschluss vom 7. April 2009 – 4 [X.]; ähnlich [X.], Beschluss vom 13. Januar 2010 – 1 [X.]/09 [23/09]; [X.], Beschluss vom 11. August 2011 – [X.] RVs 40/11).

bb) Das [X.] hat der Angeklagten neben den vergleichsweise geringen Schadensbeträgen vorliegend eine Vielzahl äußerst gewichtiger Strafmilderungsgründe zugutegehalten (insbesondere unbestraft, rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von mindestens fünf Jahren, keine Straffälligkeit der Angeklagten seither). Dazu kommt entscheidend, dass die Taten im [X.] elf bis dreizehn Jahre zurücklagen. Auch in Anbetracht der als erschwerend genannten Umstände (die Angeklagte habe die Taten zum Nachteil in finanzielle Schieflage geratener Gesellschaften begangen und dabei – insoweit unter dem Blickwinkel des § 46 Abs. 3 StGB nicht unbedenklich – Schutzmaßnahmen gegen Fehlabrechnungen unter Ausnutzung ihrer Stellung gezielt unterbunden), ist dessen Wertung, die strafmildernden Umstände wögen nicht so schwer, dass die Anwendung des Strafrahmens für besonders schwere Fälle unangemessen erscheine, nicht mehr nachvollziehbar.

d) Die [X.] lassen überdies nicht erkennen, dass das [X.] im Rahmen der Strafzumessung die der Angeklagten drohende Inhabilität für eine Tätigkeit als Geschäftsführerin gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Buchstabe e GmbHG berücksichtigt hat.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] sind standesrechtliche Konsequenzen, die den Verlust der beruflichen und wirtschaftlichen Basis nach sich ziehen, strafmildernd zu berücksichtigen (so für Rechtsanwälte der Ausschluss nach § 114 Abs. 1 [X.] [X.], Beschluss vom 24. Juli 2014 − 2 [X.], [X.], 277, 278 mwN; für Steuerberater Maßnahmen nach § 90 StBerG [X.], Beschluss vom 8. Dezember 2016 – 1 [X.] mwN; für den drohenden Verlust der [X.] nach § 5 Abs. 2 Bundesärzteordnung [X.], Beschluss vom 16. Oktober 2003 – 5 [X.]). Gleiches gilt für den Ausschluss nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 GmbHG für die Bestellung zum Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (vgl. [X.]/[X.]/Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 738 mwN), denn auch eine solche Maßnahme kann für die Dauer von fünf Jahren als faktisches Berufsverbot wirken und damit standesrechtlichen Konsequenzen gleichstehen.

bb) Hier wird die Angeklagte bei einer Verurteilung wegen Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten – und damit zu einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr – von der Wirkung des § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Buchstabe e GmbHG erfasst. [X.] ist dabei, dass die jeweiligen Einzelstrafen die Jahresgrenze nicht überschreiten ([X.], [X.] 2019, 1201, 1207). Angesichts der mehrjährigen und ausschließlichen Tätigkeit der Angeklagten als Geschäftsführerin ist nicht ersichtlich, dass ihr alternative berufliche Betätigungsfelder zur Verfügung stehen, was für die 59 Jahre alte Angeklagte das Ende ihrer Berufstätigkeit und damit den Verlust ihrer wirtschaftlichen und beruflichen Existenz bedeuten könnte (vgl. [X.]/[X.]/[X.], aaO).

3. Der Strafausspruch bedarf nach alldem insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Der [X.] hebt auch die für Tat 4 zugemessene Strafe auf (30 Tagessätze zu je 150 Euro), um dem neuen Tatgericht eine widerspruchsfreie Strafzumessung zu ermöglichen. Die zugehörigen Feststellungen bleiben von den aufgezeigten [X.] unberührt und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie können durch ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.

4. Die Kompensationsentscheidung wird von der Aufhebung des Strafausspruchs nicht erfasst (vgl. [X.], Urteil vom 27. August 2009 – 3 [X.], [X.]St 54, 135, 138).

5. Der [X.] macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an das [X.] (Oder) – Strafrichter – zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 3 StPO).

[X.]     

      

König     

      

Feilcke

      

Fritsche     

      

von [X.]     

      

Meta

6 StR 511/21

28.06.2022

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankfurt (Oder), 17. Februar 2021, Az: 21 KLs 3/19

§ 263 Abs 3 S 1 StGB, § 266 Abs 2 StGB, § 6 Abs 2 S 2 Nr 3 GmbHG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.06.2022, Az. 6 StR 511/21 (REWIS RS 2022, 4020)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 4020

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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