Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 28.08.2014, Az. 1 BvR 2048/13

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2014, 3240

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Anforderungen der §§ 23 Abs 1 S 2, 92 BVerfGG an die substantiierte Rüge einer Verletzung des Willkürverbots (Art 3 Abs 1 GG) - hier: sozialgerichtliche Kostenentscheidung ohne Begründung nach Erledigterklärung und Zweifeln an ursprünglicher Zulässigkeit der Klage


Gründe

1

Die [X.]beschwerde betrifft die Kostenentscheidung in einem sozialgerichtlichen Verfahren.

I.

2

1. Die [X.] lehnte den Antrag der Beschwerdeführerin, ihr Berufsausbildungsbeihilfe für die [X.] ab September 2011 zu gewähren, mit Bescheid vom 16. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2012 zunächst ab. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin mit Klageschrift vom 21. Februar 2012 vor dem Sozialgericht Klage. Nachdem die [X.] der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 18. September 2012 - in Abänderung ihrer ursprünglichen Entscheidung - Berufsausbildungsbeihilfe ab dem 1. September 2011 bewilligt hatte, erklärte die Beschwerdeführerin den Rechtsstreit für erledigt und beantragte darüber hinaus, der [X.] die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Dem trat diese unter Hinweis darauf, die Klage sei aus ihrer Sicht als verfristet anzusehen und die Klägerin habe in diesem Zusammenhang einen eklatanten Täuschungsversuch begangen, entgegen.

3

2. Mit Beschluss vom 4. Januar 2013 stellte das Sozialgericht fest, dass die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten haben. Eine Begründung der Entscheidung erfolgte nicht. Die dagegen erhobene Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin wies das Sozialgericht mit Beschluss vom 21. Juni 2013 zurück.

4

3. Mit ihrer [X.]beschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine [X.] von Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot und von Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG.

II.

5

Die [X.]beschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. [X.] im Sinne von § 93a Abs. 2 [X.] liegen nicht vor. Die [X.]beschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

6

1. Soweit die Beschwerdeführerin einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot rügt, ist die [X.]beschwerde unzulässig, da sie nicht den in § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] enthaltenen Mindestanforderungen an eine schlüssige und substantiierte Begründung genügt (vgl. zum Maßstab [X.] 130, 1 <21> m.w.N.).

7

a) Ein Richterspruch verstößt dann gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür (Art. 3 Abs. 1 GG), wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. [X.] 62, 189 <192>; 89, 1 <13>; 112, 185 <215>). Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. [X.] 96, 189 <203>). Willkür liegt vielmehr erst dann vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt wird (vgl. [X.] 87, 273 <279>; 96, 189 <203>; 112, 185 <216>).

8

b) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin folgt vorliegend allein aus dem Umstand, dass das Sozialgericht seine Entscheidung nicht begründet hat, noch kein Verstoß gegen das Willkürverbot. Zwar hat das Sozialgericht damit in einfachrechtlicher Hinsicht gegen § 142 Abs. 2 Satz 2 SGG verstoßen, denn danach sind Beschlüsse nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache stets zu begründen. Allerdings bedarf nach der Rechtsprechung des [X.] eine mit ordentlichen Rechtsmitteln - wie hier wegen § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG - nicht mehr angreifbare letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung jedenfalls von [X.] wegen regelmäßig keiner Begründung (vgl. [X.] 50, 287 <289 f.>, 81, 97 <106>; 94, 166 <210>; 118, 212 <238>). Das Fehlen der Begründung einer gerichtlichen Entscheidung und eines anderen Hinweises auf den maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkt kann - bei entsprechend substantiiertem Vortrag des Beschwerdeführers - zwar dazu führen, dass ein [X.]verstoß nicht auszuschließen und die Entscheidung deshalb aufzuheben ist (vgl. [X.] 55, 205 <206>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 25. Februar 1993 - 2 BvR 251/93 - juris). Dass das Sozialgericht in der Sache eine willkürliche Kostenentscheidung getroffen haben könnte, zeigt die Beschwerdebegründung aber nicht auf.

9

Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang die Beteiligten bei Erledigung des Verfahrens ohne Urteil einander Kosten zu erstatten haben, ist nach sachgemäßem bzw. billigem Ermessen zu treffen. Dabei steht regelmäßig der nach dem Sach- und Streitstand zum [X.]punkt der Erledigung zu beurteilende mutmaßliche Verfahrensausgang im Vordergrund, aber auch die Gründe für die Klageerhebung und die Erledigung des Rechtsstreits können zu berücksichtigen sein (vgl. [X.]K 16, 245 <249 f.> m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben beruht es - somit aus dem [X.]beschwerdevorbringen ersichtlich - nicht auf offenkundig sachfremden Erwägungen, dass das Sozialgericht eine Kostenerstattungspflicht der Beteiligten verneint hat. Zwar hat die Beschwerdeführerin mit ihrem materiellen Klagebegehren - Gewährung einer Berufsausbildungsbeihilfe ab September 2011 - letztlich Erfolg gehabt, sie setzt sich aber nicht hinreichend damit auseinander, dass für den mutmaßlichen Verfahrensausgang auch die Zulässigkeit der Klage relevant ist. Hier bestehen deutliche Anhaltspunkte dafür, dass die Klage mit Blick auf die nach § 87 SGG einzuhaltende Klagefrist von einem Monat unzulässig war. Vor diesem Hintergrund ist die Kostenentscheidung des [X.] im Ergebnis jedenfalls vertretbar.

2. Die [X.]beschwerde ist ferner unzulässig, soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip rügt. Auch diesbezüglich genügt die Beschwerdebegründung den Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] nicht. Soweit die Beschwerdeführerin hierzu vorträgt, selbst eine versäumte Klagefrist ändere nichts daran, dass die Ablehnung der Berufsausbildungsbeihilfe rechtswidrig gewesen sei, setzt sie sich erneut nicht damit auseinander, dass zu den mutmaßlichen Erfolgsaussichten einer Klage auch deren Zulässigkeit gehört.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2048/13

28.08.2014

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend SG Hannover, 21. Juni 2013, Az: S 26 AL 83/12, Beschluss

Art 3 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 87 SGG, § 142 Abs 2 S 2 SGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 28.08.2014, Az. 1 BvR 2048/13 (REWIS RS 2014, 3240)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3240

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