Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.12.2010, Az. IV ZR 24/10

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 361

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.] Verkündet am:

15. Dezember 2010

Heinekamp

Justizhauptsekretär

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]Z: nein [X.]R: ja AVB Unfallvers. § 7 I ([X.]) Bei Vereinbarung einer progressiven Invaliditätsstaffel, die § 7 I (2) und (3) [X.] entsprechende Bedingungen in Bezug nimmt, ist Grundlage für die Progression der um die Vorinvalidität geminderte Invaliditätsgrad. [X.], Urteil vom 15. Dezember 2010 - [X.] - [X.]

LG Frankfurt (Oder) - 2 -

[X.] hat durch die Richterin Dr. [X.], [X.], die Richterin [X.], [X.] Karczewski und [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 2010 für Recht erkannt: Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 3. Zi-vilsenats des [X.] vom 16. Dezember 2009 aufgehoben. Die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] (Oder) vom 23. April 2009 wird [X.]. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits. Von Rechts wegen
Tatbestand:

Der Kläger unterhält seit dem Jahre 1994 bei der Beklagten eine Unfallversicherung, der neben [X.] ([X.]) Besondere Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel ([X.]) zugrunde liegen. 1 - 3 -

2 Auszugsweise lautet § 7 I [X.] (Invaliditätsleistung) wie folgt: "(1) Führt der Unfall zu einer dauernden Beeinträchti-gung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) des Versicherten, so entsteht Anspruch auf Kapitalleistung aus der für den Invaliditätsfall versicher-ten Summe. – (2) Die Höhe der Leistung richtet sich nach dem Grad der Invalidität. a) Als feste Invaliditätsgrade gelten - unter Ausschluss des Nachweises einer höheren oder geringeren Invalidi-tät - bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit – eines Beines über der Mitte des Oberschenkels 70% b) Bei [X.] oder Funktionsbeeinträchtigung eines dieser Körperteile oder Sinnesorgane wird der entspre-chende Teil des Prozentsatzes nach a) angenommen. – (3) Wird durch den Unfall eine körperliche oder geistige Funktion betroffen, die schon vorher dauernd beeinträch-tigt war, so wird ein Abzug in Höhe dieser Vorinvalidität vorgenommen. Diese ist nach (2) zu bemessen." In den Besonderen Bedingungen wird § 7 I [X.] wie folgt [X.]: 3 "Führt ein Unfall nach den Bemessungsgrundsätzen der Nummern (2) und (3) zu einer dauernden Beeinträchti-gung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit, werden der Berechnung der Invaliditätsleistung folgende Versicherungssummen zugrunde gelegt: a) für den 25% nicht übersteigenden Teil des [X.] die im Versicherungsschein festgelegte [X.], - 4 -

b) für den 25%, nicht aber 50% übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die doppelte [X.], c) für den 50% übersteigenden Teil des [X.] die dreifache [X.]."
Der Kläger erlitt zunächst am 27. Januar 2005 einen Skiunfall und am 8. Februar 2006 einen Glatteisunfall; durch beide Unfälle kam es zu Dauerschäden an seinem rechten Bein. Der von der Beklagten beauf-tragte Gutachter [X.] die Gesamtinvalidität des [X.] mit 6/10 von 70% und ordnete diese zu jeweils 3/10 dem ersten und dem zweiten [X.] zu. Die Beklagte zahlte an den Kläger unter Heranziehung der Glie-dertaxe in § 7 I (2) a [X.] einen Gesamtbetrag von 55.296 •. Der [X.] lag für den ersten Unfall eine Versicherungssum-me von 122.880 • und für den zweiten Unfall von 138.240 • zugrunde, von der die Beklagte jeweils 21% (3/10 von 70%) ansetzte. Daraus er-rechneten sich 25.804,80 • für den ersten Unfall und 29.030,40 • für den zweiten Unfall, insgesamt 54.835,20 •. Die Überzahlung von 460,80 • verlangt die Beklagte nicht zurück. 4 Der Kläger vertritt die Ansicht, es sei eine Gesamtinvalidität von 42% Berechnungsgrundlage für die Invaliditätsleistung. Von der für den zweiten Unfall festgestellten Invalidität in Höhe von 21% seien 4% auf die einfache [X.], 17% hingegen auf die doppelte Invalidi-tätssumme zu beziehen. Das ergebe für den zweiten Unfall eine [X.] von 38%, was einem Betrag von 52.531,20 • entspreche. Für beide Unfälle zusammengerechnet seien 78.376 • zu entschädigen abzüglich bereits geleisteter 55.296 •. 5 - 5 -

6 Das [X.] hat die auf 23.040 • zuzüglich Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des [X.] hatte in vollem Umfang [X.]. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision. Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel ist begründet. 7 [X.] Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die von der Beklagten verwendeten Versicherungsbedingungen seien unklar. Die sich bei einer Auslegung des § 7 I [X.] und der Besonderen Bedingungen ergeben-den Zweifel gingen gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten der Beklagten. Die vom Kläger geltend gemachte Lesart der Bedingungen sei rechtlich vertretbar und stelle die für ihn günstigste Auslegungsmöglichkeit dar; sie sei daher der Berechnung der Invaliditätsleistung zugrunde zu legen. Erst in den [X.] - und nicht schon in den zwischen den Parteien ver-einbarten [X.] - finde sich die klare Festlegung, dass zur Berücksich-tigung einer Vorinvalidität "der Invaliditätsgrad" gemindert werden [X.]. 8 I[X.] Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. 9 1. Versicherungsbedingungen sind aus sich heraus zu interpretie-ren ohne vergleichende Betrachtungen mit anderen [X.], die dem Versicherungsnehmer regelmäßig nicht bekannt sind und auch nicht bekannt sein müssen, so dass ihm eine bedingungsüber-greifende Würdigung deshalb von vornherein verschlossen bleibt (vgl. 10 - 6 -

Senatsurteile vom 30. September 2009 - [X.], [X.], 1622 [X.]. 19; vom 17. Mai 2000 - [X.], [X.], 1090 unter 2 a). Die Entstehungsgeschichte der Bedingungen - und erst recht ihre [X.] Entwicklung in nachfolgenden Fassungen - hat daher außer Betracht zu bleiben. Es geht allein darum, wie ein durchschnittlicher Versiche-rungsnehmer die Klausel in § 7 I (3) [X.] in Verbindung mit der [X.], wie sie in den Besonderen Bedingungen enthalten ist, bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (Senatsurteil vom 23. Juni 1993 - [X.], [X.]Z 123, 83, 85 m.w.N.). Dabei sind die [X.] eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - seine Inte-ressen entscheidend.
2. Ein solcher Versicherungsnehmer entnimmt zunächst § 7 I (1) [X.], dass die Beklagte als Versicherer ihm eine Invaliditätsleistung verspricht für den Fall, dass ein Unfall zu einer dauernden Beeinträchti-gung seiner körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) führt. Unter den in der Klausel weiter genannten Voraussetzungen ent-steht ein Anspruch auf Kapitalleistung aus der für den [X.] Versicherungssumme. Wie sich die Höhe der Leistung im [X.] bemisst, erfährt der Versicherungsnehmer aus § 7 I (2) [X.]; danach richtet sich diese nach dem Grad der Invalidität. Unter [X.]. a werden feste Invaliditätsgrade genannt, wenn es - wie hier - zum Verlust oder zur Funktionsunfähigkeit von Körperteilen oder Sinnesorganen kommt. Das ist für den (völligen) Verlust oder die (völlige) Funktionsun-fähigkeit eines Beines über der Mitte des Oberschenkels ein Invaliditäts-grad von 70%, wobei nach [X.]. b bei einem [X.] oder einer bloßen Funktionsbeeinträchtigung des betreffenden Körperteils nur ein 11 - 7 -

entsprechender Teil des der Gliedertaxe zu entnehmenden Prozentsat-zes in Ansatz gebracht wird. Für den ersten Unfall errechnet sich daraus - zwischen den Parteien unstreitig - ein Invaliditätsgrad von 21%, für den zweiten Unfall hingegen von insgesamt 42%. 3. Der Versicherungsnehmer erkennt bei weiterer Durchsicht der Versicherungsbedingungen, dass für die Versicherungsleistung wegen unfallbedingter Invalidität solche Ursachen außer Betracht zu bleiben haben, die sich für das aktuell zu entschädigende Unfallereignis als un-fallfremd darstellen. Dieses kommt für ihn in § 7 I (3) [X.] zum Aus-druck. Er erkennt daraus, dass Krankheiten und Gebrechen, wenn und soweit sie als Folge eines früheren Unfalls - oder aus anderem Grunde - schon vorher vorhanden waren, nicht dem neuen Unfall zuzurechnen sind. Das bedeutet hier: Beide Unfallereignisse sind getrennt zu [X.]; ferner ist die beim Kläger aufgrund des ersten [X.] vor-handene Vorschädigung bei der nach dem zweiten Unfallereignis beste-henden Invalidität und der daraus folgenden Versicherungsleistung min-dernd zu berücksichtigen. Ein verständiger Versicherungsnehmer darf und wird nicht erwarten, dass der Versicherer ihm Versicherungsschutz auch insoweit bietet, als eine nach dem späteren Unfallereignis festge-stellte Gesamtinvalidität eine Teilinvalidität einschließt, die sich auf ein früheres ([X.] zurückführen lässt (Senatsurteil vom 3. Dezember 1997 - [X.], [X.]Z 137, 247, 253). Eine daraus [X.] (Vor-)Invalidität geht zu seinen Lasten. 12 4. Dem Versicherungsnehmer wird aus § 7 I (3) [X.] weiter deutlich, dass eine solche - hier auf einem früheren Unfallereignis beru-hende - Vorinvalidität zu einem Abzug von der zuvor ermittelten [X.] führt. Der Versicherer verweist in § 7 I (3) [X.] darauf, dass 13 - 8 -

sich die Höhe dieses Abzuges nach § 7 I (2) [X.] richtet, mithin auch hier der Invaliditätsgrad Maß gibt, der - soweit ein entsprechender Teil auf die Vorschädigung entfällt - zu einer Verminderung des vom [X.] für den späteren Unfall zu entschädigenden Invaliditätsgrades führt. 5. Vor diesem Hintergrund wird der Versicherungsnehmer die Be-sonderen Bedingungen [X.] interpretieren; für eine Mehrdeutigkeit oder eine sonstige Unklarheit im Sinne des § 305c Abs. 2 BGB ist in die-sem Zusammenhang nichts ersichtlich. 14 a) Durch die Besonderen Bedingungen wird § 7 I [X.] aus-drücklich "erweitert", so dass der Versicherungsnehmer die so in Bezug genommene Klausel und ihren Regelungsgehalt zum Ausgangspunkt nimmt. Bestätigt wird er in dieser Sichtweise durch den nachfolgenden Wortlaut der Besonderen Bedingungen, wonach ein Unfall "nach den Bemessungsgrundsätzen der Nummern (2) und (3)" zu einer dauernden Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit füh-ren muss. Das bringt mit der gebotenen Deutlichkeit zum Ausdruck, dass von den Bemessungsgrundsätzen des § 7 I (2) und (3) [X.] nicht ab-gewichen werden soll, insbesondere soll es bei der Trennung zwischen dem vom Versicherer zu entschädigenden unfallbedingten Invaliditäts-grad und dem dem Versicherungsnehmer zuzurechnenden Vorinvalidi-tätsgrad - sei er auch seinerseits unfallbedingt - verbleiben. Dies gilt um-so mehr, als die Besonderen Bedingungen keine eigenen Bemessungs-grundsätze enthalten, sondern ausdrücklich an die in § 7 I [X.] ent-haltenen anknüpfen und diese lediglich insoweit fortschreiben, als bei [X.] eines bestimmten Invaliditätsgrades sich die im [X.] festgelegte [X.] verdoppelt oder sogar verdreifacht. 15 - 9 -

Dies ändert indes nichts daran, dass Basis für die Progression der um die Vorinvalidität bereinigte Invaliditätsgrad ist, der sich allein nach § 7 I (2) und (3) [X.] bestimmt.
b) Allein diese Auslegung der Versicherungsbedingungen der [X.], zu der bereits das [X.] gelangt ist, erweist sich demnach als richtig. Sie folgt den Grundsätzen des [X.] vom 24. Februar 1988 ([X.] ZR 220/86, [X.], 461 unter 1 zu [X.]), an denen festzuhalten ist; für die [X.] ergeben sich insoweit keine Besonder-heiten (vgl. auch [X.] in [X.]/[X.], [X.]. § 8 [X.] Rdn. 3; Nr. 3 [X.] Rdn. 9; [X.], Unfallversicherung 4. Aufl. Nr. 3 [X.] Rdn. 6; [X.] in [X.]/Matusche-[X.], [X.]. § 47 Rdn. 197; [X.] in [X.]/[X.]/ [X.], [X.] Ziff. 2 [X.] Rdn. 34). Das Senatsurteil vom 15. Dezember 1999 ([X.], [X.], 444 unter 2 [X.]), in dem auf die Rechtsprechung des [X.] ([X.], 836) Bezug genommen wird, steht dem nicht entgegen, denn im dortigen Zu-sammenhang ging es um eine Klausel, die § 8 [X.] entspricht. 16 c) Erst der nach § 7 I (2) und (3) [X.] ermittelte unfallbedingte Invaliditätsgrad versetzt den Versicherer nach alledem in den Stand, die ihm obliegende Berechnung der nach den Versicherungsbedingungen geschuldeten Entschädigungsleistung vorzunehmen. Die Beklagte hat in den Besonderen Bedingungen lediglich für Fälle, in denen die unfall[X.] Invalidität des Versicherten 25% übersteigt, die Anknüpfung an bewegliche, mit dem unfallbedingten Invaliditätsgrad progressiv steigen-de Versicherungssummen versprochen, nicht dagegen die Maßgeblich-keit anderer Invaliditätsgrade als der in den [X.] vereinbarten (vgl. [X.] vom 24. Februar 1988 aaO unter 2). Folgen zwei Unfälle auf-17 - 10 -

einander, kommt es auch für den zeitlich späteren Unfall nur auf den [X.] an, der letzterem zuzuordnen ist. Eine Zusammenrechnung oder eine sonstige übergreifende Betrachtung beider Unfälle, wie der Kläger sie geltend macht, scheidet für die progressive Invaliditätsstaffel aus. Einen Invaliditätsgrad, der 25% übersteigt, hat der Kläger allein mit dem zweiten Unfall nicht erreicht, so dass die Beklagte zu einer weiteren Versicherungsleistung nicht verpflichtet ist.
Dr. [X.] [X.] [X.]

[X.] [X.] Vorinstanzen: [X.] (Oder), Entscheidung vom [X.]/08 - [X.], Entscheidung vom 16.12.2009 - 3 U 70/09 -

Meta

IV ZR 24/10

15.12.2010

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.12.2010, Az. IV ZR 24/10 (REWIS RS 2010, 361)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 361

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