Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.04.2015, Az. IV ZR 104/13

4. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 13083

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Gegenstand

Private Unfallversicherung: Bemessung der Invaliditätsleistung bei einer Verletzung des Schultergelenks mit dauerhafter Funktionsbeeinträchtigung eines Arms; notwendiger Inhalt der fristgebundenen ärztlichen Invaliditätsfeststellung


Leitsatz

1. Findet das Schultergelenk in den Bestimmungen der Gliedertaxe über Verlust oder völlige Funktionsbeeinträchtigung eines Arms keine Erwähnung, ist der Invaliditätsgrad bei einer Gebrauchsminderung der Schulter nicht nach der Gliedertaxe sondern den Regeln zur Invaliditätsbestimmung für andere Körperteile zu ermitteln (Abgrenzung zu Senatsurteilen vom 24. Mai 2006, IV ZR 203/03, r+s 2006, 387 Rn. 19 ff. und vom 14. Dezember 2011, IV ZR 34/11, r+s 2012, 143 Rn. 12 - "Arm im Schultergelenk").

2. Die fristgebundene ärztliche Invaliditätsfeststellung muss die Schädigung sowie den Bereich, auf den sich diese auswirkt, ferner die Ursachen, auf denen der Dauerschaden beruht, so umreißen, dass der Versicherer bei seiner Leistungsprüfung vor der späteren Geltendmachung völlig anderer Gebrechen oder Invaliditätsursachen geschützt wird und stattdessen den medizinischen Bereich erkennen kann, auf den sich die Prüfung seiner Leistungsverpflichtung erstrecken muss (Fortführung des Senatsurteils vom 7. März 2007, IV ZR 137/06, VersR 2007, 1114 Rn. 10 ff.).

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 10. Zivilsenats des [X.] vom 22. Februar 2013 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage auf weitere Invaliditätsleistungen in Höhe von 37.940 € nebst Zinsen infolge des Unfalles vom 8. Oktober 2005 abgewiesen und die dagegen gerichtete Berufung des [X.] zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger fordert - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - weitere Inva[X.]ditätsleistungen in Höhe von 37.940 € aus einer bei der [X.] gehaltenen Unfallversicherung, der [X.] der [X.] ([X.]) zugrunde [X.]egen. [X.] ist unter anderem eine Inva[X.]ditätsgrundsumme von 150.000 € und für den Fall einer Inva[X.]dität durch Unfall eine nach deren Grad aus der Grundsumme errechnete Kapitalzahlung nebst Zuschlag ("Treuebonus") von 10%.

2

Unter "2.1 Inva[X.]ditätsleistung" heißt es in den Bedingungen unter anderem:

"2.1.1 Voraussetzungen für die Leistung

2.1.1.1 Die versicherte Person ist durch den Unfall auf Dauer in ihrer körper[X.]chen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt (Inva[X.]dität). Die Inva[X.]dität ist

- innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und

- innerhalb von fünfzehn Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schrift[X.]ch festgestellt und von Ihnen bei uns geltend gemacht worden.

2.1.2 Art und Höhe der Leistung

2.1.2.2.1 Bei Verlust oder völ[X.]ger Funktionsunfähigkeit der nachstehend genannten Körperteile und Sinnesorgane gelten aussch[X.]eß[X.]ch, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, die folgenden Inva[X.]ditätsgrade (G[X.]edertaxe):

Arm     

70%

Arm bis oberhalb des Ellenbogengelenks          

65%

Arm unterhalb des Ellenbogengelenks

60%

Hand   

55%

Daumen

20%

Zeigefinger

10%

anderer Finger

5%

…       

        

2.1.2.2.2 Für andere Körperteile und Sinnesorgane bemisst sich der Inva[X.]ditätsgrad danach, inwieweit die normale körper[X.]che oder geistige Leistungsfähigkeit insgesamt beeinträchtigt ist. Dabei sind aussch[X.]eß[X.]ch medizinische Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

2.1.2.2.3 Waren betroffene Körperteile oder Sinnesorgane oder deren Funktionen bereits vor dem Unfall dauernd beeinträchtigt, wird der Inva[X.]ditätsgrad um die Vorinva[X.]dität gemindert. Diese ist nach Ziffer 2.1.2.2.1 und Ziffer 2.1.2.2.2 zu bemessen."

3

Am 8. Oktober 2005 schlug der Kläger bei einem Sturz mit der [X.]nken Schulter auf und zog sich dabei nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eine Schulterprellung sowie eine Sprengung des [X.]nken Schultereckgelenks, der Verbindung des Schlüsselbeins mit dem Schulterblatt, mit positivem Klaviertastenphänomen (im [X.]) zu. Innerhalb eines Jahres nach dem Sturz traten dauerhafte Beeinträchtigungen im Bereich der [X.]nken Schulter ein, deren Umfang zwischen den Parteien streitig ist. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2006 attestierte der den Kläger behandelnde Arzt als Dauerschaden eine "Gebrauchsminderung der [X.]. Schulter".

4

Bereits am 24. August 1999 war der Kläger auf seinen [X.]nken Arm gestürzt. Die Beklagte hatte seinerzeit unter Heranziehung der G[X.]edertaxe eine Inva[X.]ditätsleistung auf der Grundlage einer Inva[X.]dität von 1/7 Armwert erbracht. Für die vorgenannten Folgen des Unfalls vom 8. Oktober 2005 lehnte sie Inva[X.]ditätsleistungen ab, weil eine dauerhafte Schädigung nicht objektivierbar sei.

5

Der Kläger hat geltend gemacht, der Grad seiner Inva[X.]dität betrage mindestens 3/7 des [X.]; er habe bei dem Unfall vom 8. Oktober 2005 auch eine Verletzung des [X.]nken Schlüsselbeins und insbesondere des Sternoklavikulargelenks, der Verbindung des Schlüsselbeins mit dem Brustbein, er[X.]tten, die fehlverheilt sei und zur Funktionsbeeinträchtigung der Schulter beitrage. Die Beklagte schulde eine Inva[X.]ditätsleistung von 45.000 € (30% von 150.000 €) zuzüg[X.]ch des Treuebonus von 10%, mithin 49.500 €.

6

Das [X.] hat den Inva[X.]ditätsgrad des [X.] nach Einholung zweier medizinischer Gutachten mit 1/10 Armwert (das entspricht einer Gesamtinva[X.]dität von 7%) bestimmt, dem Kläger danach 10.500 € (7% von 150.000 €) zuzüg[X.]ch 10% Treuebonus, zusammen 11.550 €, zugesprochen und bezüg[X.]ch des Unfalls vom 8. Oktober 2005 die weitergehende Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des [X.], der im Berufungsverfahren unter anderem geltend gemacht hatte, seine Schulterverletzung sei nicht nach der vereinbarten G[X.]edertaxe, sondern nach Nr. 2.1.2.2.2 [X.] zu beurteilen, zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein ursprüng[X.]ches Klagebegehren weiter und fordert 37.940 € als Differenz zwischen seiner ursprüng[X.]chen Klagforderung und der vom [X.] zugesprochenen Summe.

Entscheidungsgründe

7

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit es die Folgen des Unfalls vom 8. Oktober 2005 betrifft, und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8

I. Dieses hat den Invaliditätsgrad mit Hilfe des [X.] bestimmt. Das Schultergelenk habe keinen funktionellen Selbstzweck, sondern diene anatomisch allein dem funktionsgerechten Einsatz des Armes. Beim Kläger bestehe die Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit in einer funktionellen Beeinträchtigung des linken Armes, so dass für die Invaliditätsbestimmung zwingend die Gliedertaxe gelte. Ohne Bedeutung sei, dass die Beeinträchtigung auf einen Sehnenschaden im [X.] zurückzuführen sei. Nach der Rechtsprechung des [X.] sei bei [X.] stets der Invaliditätsgrad für den Verlust oder die Funktionsunfähigkeit der entsprechenden Gliedmaße "im Gelenk" anzunehmen. Das sachverständig beratene [X.] habe den Invaliditätsgrad unter Berücksichtigung der erlittenen Verletzung des [X.]s zutreffend bestimmt. Der Sachverständige Prof. Dr. T.    habe überzeugend dargelegt, dass die Gebrauchsminderung des linken Arms mit insgesamt 5/20 Armwert zu bewerten sei, dabei sei einerseits die Verletzung des [X.]s zu berücksichtigen, die der Sachverständige mit 2/20 Armwert bewertet habe, andererseits die vom Sachverständigen mit 1/7 Armwert bewertete Vorinvalidität. Letztere müsse nach Nr. 2.1.2.2.3 [X.] in Abzug gebracht werden.

9

Den Nachweis dafür, dass bei dem Unfall vom 8. Oktober 2005 auch das linke [X.] verletzt worden sei, habe der Kläger bisher nicht erbracht. Eine weitere Sachaufklärung dazu erübrige sich, weil es für diese behauptete Verletzung an einer ärztlichen Feststellung binnen 15 Monaten nach dem Unfall fehle (Nr. 2.1.1.1 [X.]). Die vom Kläger vorgelegte fristgerechte Feststellung einer dauerhaften Gebrauchsminderung der linken Schulter besage nichts über eine Verletzung des [X.]s. Eine solche Verletzung und ihre fehlerhafte Verheilung seien als invaliditätsbegründender [X.] somit nicht fristgerecht ärztlich festgestellt.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Rechtsfehlerhaft ist bereits die Bestimmung des Invaliditätsgrades anhand der Gliedertaxe der Nr. 2.1.2.2.1 [X.].

Deren Auslegung ergibt, dass die Verletzung des [X.]s vom Armwert nicht erfasst wird, so dass der Grad der Invalidität des [X.] nach Nr. 2.1.2.2.2 [X.] zu bestimmen ist.

a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die [X.] eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an (Senatsurteil vom 23. Juni 1993 - [X.], [X.], 83, 85 und ständig). Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind aus sich heraus zu interpretieren. In erster Linie ist vom [X.] auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (Senatsurteil vom 25. Juli 2012 - [X.], [X.], 1149 Rn. 21 m.w.[X.]).

b) Ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer entnimmt dem Leistungsversprechen aus Nr. 2.1 [X.] und der in Nr. 2.1.2.2.1 [X.] getroffenen Regelung über die Gliedertaxe zunächst, dass der Versicherer ihm eine Invaliditätsleistung verspricht für den Fall, dass ein Unfall zu einer dauernden Beeinträchtigung seiner körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) führt. Grundlage für die Berechnung der Leistung bilden die Versicherungssumme und der Grad der unfallbedingten Invalidität. Wie sich die Höhe der Leistungen im Einzelnen bemisst, kann der Versicherungsnehmer Nr. 2.1.2.2.1 [X.] für die dort genannten Körperteile und Sinnesorgane entnehmen. Die Gliedertaxe bestimmt nach einem abstrakten und generellen Maßstab feste Invaliditätsgrade bei Verlust oder diesem gleichgestellter Funktionsunfähigkeit der mit ihr benannten Glieder. Gleiches gilt bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines durch die Gliedertaxe abgegrenzten Teilbereichs eines Gliedes. Demgemäß beschreibt die Regelung abgegrenzte Teilbereiche eines Armes und Beines und ordnet jedem Teilbereich einen festen Invaliditätsgrad zu, der mit Rumpfnähe des [X.] steigt. Die Gliedertaxe stellt damit für den Verlust und für die Funktionsunfähigkeit der in ihr genannten Gliedmaßen oder deren Teilbereiche durchgängig allein auf den Sitz der unfallbedingten Schädigung ab (vgl. zu diesem Verständnis der Gliedertaxe in den [X.] 88: Senatsurteil vom 14. Dezember 2011 - [X.], [X.], 143 Rn. 10 m.w.[X.]).

Der Systematik der Gliedertaxe kann der Versicherungsnehmer ferner entnehmen, dass für die Bereiche der mit dem Arm und dem Bein zusammenhängenden Körperteile abgestufte Invaliditätsgrade festgesetzt werden, die beim Arm mit der Bewertung der Invalidität eines Fingers mit 5% beginnen und des (gesamten) Armes mit 70% enden. Hiermit trägt die Gliedertaxe dem Umstand Rechnung, dass [X.] - entsprechendes gilt für völlige oder teilweise Gebrauchsunfähigkeit - mit zunehmender Rumpfnähe der Stelle, an der das [X.] verloren gegangen (oder die Gebrauchsbeeinträchtigungen auslösende Ursache zu lokalisieren) ist, zu wachsender Einschränkung der generellen Leistungsfähigkeit von Menschen führen (Senatsurteil vom 14. Dezember 2011 aaO Rn. 11 m.w.[X.]).

Nimmt der Versicherungsnehmer - ausgehend von dieser Systematik - den Wortlaut der in Nr. 2.1.2.2.1 [X.] für Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines Armes getroffenen Regelung in den Blick, weist ihn - anders als bei der in früheren Bedingungen gebräuchlichen Formulierung "Verlust oder Funktionsunfähigkeit … eines Armes im Schultergelenk" (vgl. zu § 7 I (2) a [X.] 88: Senatsurteil vom 14. Dezember 2011 aaO Rn. 12; zu § 7 I (2) a [X.] 94: Senatsurteil vom 24. Mai 2006, [X.], [X.], 387 Rn. 19 ff.) - nichts darauf hin, dass der gesamte Schultergürtel zum Arm zählen und eine dort eintretende Gesundheitsbeeinträchtigung bei der Bestimmung des Invaliditätsgrades als bedingungsgemäße Funktionsstörung des Armes gelten soll. Vielmehr wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer der von 5% bis 70% reichenden Staffelung entnehmen, dass zum Arm nur dessen in der Gliedertaxe im Einzelnen benannte Teile, nämlich die Finger, die Hand, der Arm unterhalb und bis oberhalb des Ellenbogens, schließlich der restliche Arm zählen sollen. Teile der Schulterpartie, mögen sie auch funktionell dazu bestimmt sein, die zwischen Arm und Rumpf auftretenden Kräfte aufzunehmen und somit die Funktionsfähigkeit des Armes zu gewährleisten, wird er nicht als vom [X.] erfasst ansehen.

c) Auch aus dem systematischen Zusammenhang, in den die Taxenregelung über den Arm gestellt ist, ergeben sich keine anderslautenden Hinweise. Nichts deutet in den unter Nr. 2.1.2.2.1 und Nr. 2.1.2.2.2 [X.] getroffenen Regelungen zur Bestimmung des Invaliditätsgrades darauf hin, dass auch die Schädigung von nicht in der Gliedertaxe aufgeführten Körperpartien nach der Gliedertaxe eingestuft werden soll, sofern sich diese Schädigung lediglich auf den Gebrauch der in der Gliedertaxe aufgeführten Gliedmaßen auswirkt. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer erkennt vielmehr, dass die Gliedertaxe durchgängig auf den Sitz der unfallbedingten Schädigung abstellt (vgl. dazu Senatsurteil vom 14. Dezember 2011 aaO Rn. 10 m.w.[X.]). Anders als die Beklagte meint, gilt das nicht nur für die Einordnung einer Schädigung in die von der Gliedertaxe angeführten Teilbereiche eines Armes oder Beines, sondern auch für die Abgrenzung zu nicht in der Gliedertaxe aufgeführten Körperteilen.

d) Soweit sich das Berufungsgericht für seine anderslautende Auffassung auf die Senatsrechtsprechung zu früheren Fassungen der [X.] stützt (vgl. Senatsurteile vom 9. Juli 2003 - [X.], [X.], 427 = [X.], 1163 unter [X.] (2) - "Hand im Handgelenk"; vom 24. Mai 2006 - [X.], [X.], 387 Rn. 19 ff. und vom 14. Dezember 2011 aaO Rn. 12 - "Arm im Schultergelenk") und meint, der Senat habe dabei letztlich für die Anwendung der Gliedertaxe auf eine Funktionsunfähigkeit im jeweiligen Gelenk abgestellt, lässt sich dies auf den hier vereinbarten [X.] nicht übertragen, weil in Nr. 2.1.2.2.1 [X.] vom Schultergelenk im Zusammenhang mit dem Verlust oder einer Funktionsbeeinträchtigung des Armes nicht mehr die Rede ist und der Versicherungsnehmer mithin keinen Hinweis darauf erhält, dass das Schultergelenk oder gar der gesamte Schultergürtel der Gliedertaxe unterfallen soll.

2. Zu Unrecht hat es das Berufungsgericht für entbehrlich erachtet, weiteren Beweis darüber zu erheben, ob der Unfall des [X.] vom 8. Oktober 2005 zusätzlich zu einer - inzwischen fehlverheilten - Verletzung des linken [X.]s geführt hat; anders, als das Berufungsgericht meint, wäre eine solche Verletzung von der binnen der 15-Monatsfrist der Nr. 2.1.1.1 [X.] getroffenen ärztlichen Invaliditätsfeststellung vom 13. Oktober 2006 erfasst.

a) Seine anderslautende Auffassung kann das Berufungsgericht nicht auf die Senatsentscheidung vom 7. März 2007 ([X.], [X.], 1114 = r+s 2007, 255 Rn. 10 ff.) stützen.

Der Senat (aaO Rn. 10 ff.) hat dort ausgeführt, die 15-Monatsfrist für die ärztliche Invaliditätsfeststellung diene dem berechtigten Interesse des Versicherers an der baldigen Klärung seiner Einstandspflicht und führe selbst dann zum Ausschluss von Spätschäden, wenn den Versicherungsnehmer an der Nichteinhaltung der Frist kein Verschulden treffe. Allerdings seien an die Feststellung der Invalidität keine hohen Anforderungen zu stellen. Sie müsse sich nicht abschließend zu einem bestimmten Invaliditätsgrad äußern und brauche hinsichtlich der Feststellung der Unfallbedingtheit eines bestimmten [X.]s noch nicht einmal richtig zu sein. Es müssten sich aus ihr aber die ärztlicherseits für einen [X.] angenommene Ursache und die Art ihrer Auswirkungen ergeben, denn die Invaliditätsbescheinigung solle dem Versicherer Gelegenheit geben, dem geltend gemachten Versicherungsfall nachzugehen und seine Leistungspflicht auf Grundlage der ärztlichen Feststellung zu prüfen. Zugleich solle sie eine Ausgrenzung von Spätschäden ermöglichen, die in der Regel nur schwer abklärbar und überschaubar seien und die der Versicherer deshalb von der Deckung ausnehmen wolle. Deshalb könnten nur die in der ärztlichen Invaliditätsfeststellung beschriebenen unfallbedingten Dauerschäden Grundlage des Anspruchs auf Invaliditätsentschädigung sein.

b) Das lässt sich auf den Streitfall nicht in der Weise übertragen, dass die behauptete Verletzung des [X.]s nicht von der hier vorgelegten ärztlichen Invaliditätsfeststellung erfasst wäre. Die ärztliche Bescheinigung über eine durch den Unfall verursachte dauerhafte "Gebrauchsminderung der li. Schulter" gab dem beklagten Versicherer ausreichenden Anlass, zur Prüfung seiner Leistungspflicht alle Körperteile im Bereich der linken Schulter in den Blick zu nehmen, die Einfluss auf diese Gebrauchsminderung haben konnten. Das sind vor allem sämtliche zum linken Schultergürtel des [X.] gehörenden knöchernen Teile, mithin auch das [X.], zumal bereits die festgestellte Verletzung des [X.]s durch mechanische Gewalt es nicht fernliegend erscheinen ließ, dass die [X.] auch das andere Ende des linken Schlüsselbeins in Mitleidenschaft gezogen haben konnten. Die vom Senat in seinem Urteil vom 7. März 2007 formulierten Maßstäbe sind nicht dahin zu verstehen, dass bereits im Rahmen der fristgemäßen ärztlichen Invaliditätsfeststellung eine möglichst präzise Diagnose des Umfangs und der Ursachen eines [X.]s gefordert wäre. Gemessen am Zweck der fristgebundenen ärztlichen Feststellung genügt es vielmehr, wenn diese Feststellung die Schädigung sowie den Bereich, auf den sich diese auswirkt, ferner die Ursachen, auf denen der [X.] beruht, so umreißt, dass der Versicherer bei seiner Leistungsprüfung den medizinischen Bereich erkennen kann, auf den sich die Prüfung seiner Leistungsverpflichtung erstrecken muss und vor der späteren Geltendmachung völlig anderer Gebrechen oder Invaliditätsursachen geschützt wird.

Im Streitfall konnte der Versicherer der ärztlichen Feststellung entnehmen, dass der Unfall, bei dem der Kläger mit der Schulter [X.] war, zu deren dauerhafter Gebrauchsminderung geführt hatte. Das schließt alle Verletzungen und Schäden ein, die infolge des Aufpralls mechanisch im Bereich der linken Schulter hervorgerufen worden waren. Nicht erfasst wären hingegen Unfallschäden, die zwar aufgrund desselben Unfalls, aber entweder - wie etwa psychisch bedingte Einschränkungen - mittels einer anderen Kausalkette entstünden oder sich an anderen Körperstellen, beispielsweise der Wirbelsäule oder der Hüfte, auswirkten.

3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Bestimmung des Invaliditätsgrades nach den vorgenannten Maßstäben zu einem dem Kläger günstigeren Ergebnis führt. Wird sein linker Schultergürtel nach Nr. 2.1.2.2.2 [X.] untersucht und dabei möglicherweise zusätzlich eine unfallbedingte Verletzung des [X.]s festgestellt, deren Berücksichtigung das Berufungsgericht bisher abgelehnt hat, so ist nicht auszuschließen, dass die Einstufung des [X.]s höher ausfällt als bisher angenommen.

Es kommt hinzu, dass das Berufungsgericht einen Abzug wegen Vorinvalidität mit der bisher gegebenen Begründung nicht hätte vornehmen dürfen. Nach Nr. 2.1.2.2.3 [X.] wird der Invaliditätsgrad gemindert, wenn "betroffene Körperteile oder Sinnesorgane oder deren Funktionen bereits vor dem Unfall dauernd beeinträchtigt" waren. Die Vorschädigung des [X.] aus seinem früheren Unfall vom August 1999 betrifft nach der Behauptung der Beklagten den linken Arm mit 1/7 Armwert infolge einer Teildurchtrennung der Trizepssehne im Bereich des [X.]. Ordnet man nach richtiger Auslegung der Gliedertaxe die nach dem Unfall vom 8. Oktober 2005 erlittene [X.] nicht dem Arm, sondern dem linken Schultergürtel zu, bedarf es nach Nr. 2.1.2.2.3 [X.] besonderer Darlegungen, dass die Vorschädigung am [X.] dem von der Invalidität "betroffenen Körperteil" im Sinne der Klausel zuzuordnen ist.

III. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Die Jahresfrist für den Eintritt der Invalidität nach Nr. 2.1.1.1 [X.] soll den Versicherer davor schützen, für dauerhafte Spätfolgen eines Unfalls eintreten zu müssen, die sich erst später als ein Jahr nach einem Unfall erstmals zeigen. Geschützt wird damit das [X.] des Versicherers. Tritt ein [X.] binnen der Jahresfrist ein, besagt diese Frist aber nicht, dass bei der nachfolgenden Bemessung des Invaliditätsgrades ausschließlich diejenigen Umstände herangezogen werden dürften, die innerhalb der Jahresfrist erkennbar geworden sind. Vielmehr kann der Versicherungsnehmer im Rechtsstreit um die Erstbemessung seiner Invalidität im Grundsatz alle bis zur letzten mündlichen Verhandlung eingetretenen Umstände heranziehen (Senatsbeschluss vom 22. April 2009 - [X.], [X.], 293 = [X.], 920 Rn. 19). Eine zeitliche Begrenzung für die Berücksichtigung medizinischer Umstände bei der [X.] ist auch nicht der in Nr. 9.4 [X.] gesetzten Dreijahresfrist für die Neubemessung der Invalidität zu entnehmen. Zwar wird daraus ersichtlich, dass sich nach einer [X.] des Invaliditätsgrades gesundheitliche Veränderungen auf die Leistungspflicht des Versicherers nur dann auswirken sollen, wenn sie spätestens binnen drei Jahren nach dem Unfall eingetreten sind. Das gilt aber nur im [X.]. Ist dieses mangels [X.] gar nicht eröffnet, ist für die nur im [X.] vorgesehene Befristung kein Raum.

[X.]                               Felsch                                   Harsdorf-Gebhardt

              [X.]                    Dr. [X.]

Meta

IV ZR 104/13

01.04.2015

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Koblenz, 22. Februar 2013, Az: 10 U 441/12

Nr 2.1.1.1 AUB 2000, Nr 2.1.2.2.1 AUB 2000, Nr 2.1.2.2.2 AUB 2000

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.04.2015, Az. IV ZR 104/13 (REWIS RS 2015, 13083)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 13083

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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