Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 26.10.2011, Az. 1 BvR 2075/11

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2011, 1989

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Regelung zu sog. Partner- oder Vätermonaten nach § 4 Abs 3 S 1 BEEG durch Art 3 Abs 2 GG gerechtfertigt - Eignung der Regelung zur Förderung der Gleichberechtigung von Mann und Frau


Gründe

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde mittelbar gegen § 4 Abs. 3 Satz 1 [X.], nach dem der 14-monatige Bezug von [X.] durch einen Elternteil grundsätzlich nicht möglich ist (sogenannte Partner- oder Vätermonate).

2

1. Die verheiratete und mit ihrem Ehemann zusammenlebende Beschwerdeführerin gebar am 5. Dezember 2007 die gemeinsame Tochter J. Auf den Antrag der Beschwerdeführerin, ihr für vierzehn Monate [X.] zu gewähren, gewährte ihr die [X.] [X.] für zwölf Lebensmonate. Widerspruch und Klage blieben bis vor dem [X.] erfolglos. In ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG durch § 4 Abs. 3 Satz 1 [X.].

3

2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. [X.] nach § 93a Abs. 2 [X.] liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in [[X.]-4173-9290-8ee18099a110]§ 90 Abs. 1 [X.][/ref] genannten Rechte angezeigt.

4

Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Ob die mittelbar angegriffene Regelung in Grundrechte der Beschwerdeführerin eingreift (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG) kann hier offen bleiben. Die angegriffene Regelung ist jedenfalls durch den dem Gesetzgeber in Art. 3 Abs. 2 GG erteilten Auftrag gerechtfertigt, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern.

5

a) § 4 Abs. 3 Satz 1 [X.] zielte darauf, "die einseitige Zuweisung der Betreuungsarbeit an Frauen mit den diskriminierenden Folgen auf dem Arbeitsmarkt aufzubrechen". Sinn und Zweck der Regelungen zu den "[X.]" sei es, die partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit zu erleichtern. Dieser Zweck könne nur erreicht werden, wenn den bisherigen wirtschaftlichen, persönlichen und rechtlichen Argumenten für eine stärkere Rollenteilung eine klare Regelung an die Seite gestellt werde, die den Argumenten für eine partnerschaftliche Aufteilung mehr Gewicht verleihe (vgl. BTDrucks 16/1889, [X.]).

6

Damit wollte der Gesetzgeber dem [X.] zur Förderung der Gleichberechtigung aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG entsprechen (BTDrucks 16/1889, [X.]). Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG verfolgt nach der Rechtsprechung des [X.] das Ziel, tradierte Rollenverteilungen zu überwinden (vgl. [X.] 92, 91 <112 f.>; 114, 357 <370 f.>; ebenso bereits zu [[X.]-89d3-d70cb756e464]Art. 3 Abs. 2 [X.]] a.F.: [X.] 85, 191 <207>; 87, 1 <42>; 87, 234 <258>). Der [X.] will nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen (vgl. [X.] 85, 191 <207> m.w.N.). Dies verpflichtet den Gesetzgeber auch dazu, einer Verfestigung überkommener Rollenverteilung zwischen Mutter und Vater in der Familie zu begegnen, nach der das Kind einseitig und dauerhaft dem "Zuständigkeitsbereich" der Mutter zugeordnet würde (vgl. [X.] 114, 357 <370 f.>). Die Art und Weise, wie der Staat seine Verpflichtung erfüllt, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken, obliegen der gesetzgeberischen [X.] (vgl. [X.] 109, 64 <90>).

7

b) Die Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 1 [X.] ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet. Ein vom Gesetzgeber gewähltes Mittel ist im verfassungsrechtlichen Sinn bereits dann geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann, wobei die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt (stRspr; vgl. [X.] 125, 260 <317 f.> m.w.N.). Demnach wäre die vom Gesetzgeber getroffene Regelung nur dann mangels Eignung verfassungswidrig, wenn sie zur Erreichung des durch Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG vorgegebenen Ziels, zu einer partnerschaftlicheren Rollenverteilung beizutragen, evident ungeeignet wäre. Dies ist nicht der Fall. Gegen eine evidente Ungeeignetheit des vom Gesetzgeber gewählten Mittels spricht die tatsächliche Entwicklung: [X.]nach Angaben des [X.] der Anteil der Kinder, deren Vater [X.] bezog, bei den [X.] geborenen Kinder noch 15,4 %, so stieg deren Anteil bei Geburten im 3. Quartal 2009 auf 23,9 % an. Diese Daten lassen eine Steigerung der Akzeptanz der Wahrnehmung von Familienverantwortung durch Väter - und damit längerfristig auch die Erreichung des vom Gesetzgeber angestrebten Zwecks - zumindest als möglich erscheinen.

8

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

9

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2075/11

26.10.2011

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BSG, 26. Mai 2011, Az: B 10 EG 3/10 R, Urteil

Art 3 Abs 2 S 2 GG, Art 6 Abs 1 GG, Art 6 Abs 2 GG, § 4 Abs 3 S 1 BEEG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 26.10.2011, Az. 1 BvR 2075/11 (REWIS RS 2011, 1989)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1989

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Referenzen
Wird zitiert von

B 10 EG 2/11 R

B 10 EG 1/11 R

VI ZR 143/17

VI ZR 143/17

B 10 EG 3/14 R

B 10 EG 6/13 R

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