Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.12.2011, Az. 6 AZR 452/10

6. Senat | REWIS RS 2011, 690

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Kinderbezogene Besitzstandszulage - "zu berücksichtigende Kinder" - Ausschlussfrist


Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 11. Juni 2010 - 9 [X.]/10 - wird zurückgewiesen.

2. [X.] der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 11. Juni 2010 - 9 [X.]/10 - wird als unzulässig verworfen.

3. Die Kosten der Revision hat die Klägerin zu 39 % und die Beklagte zu 61 % zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die Monate November 2005 bis Oktober 2006 gemäß § 29 Abschn. [X.] 3 [X.] den kinderbezogenen [X.] im [X.] und seit November 2006 die Besitzstandszulage nach § 11 des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den [X.] und zur Regelung des Übergangsrechts ([X.]) vom 12. Oktober 2006 für ihre Tochter [X.] zu zahlen.

2

Die Klägerin ist seit 2001 bei der Beklagten als wissenschaftliche Mitarbeiterin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand nach den Feststellungen des [X.] bis zum 31. Oktober 2006 der [X.] ([X.]) und seitdem der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder ([X.]) vom 12. Oktober 2006 Anwendung. Seit 2002 bezog die Klägerin nach den Feststellungen des [X.] für ihre drei Kinder, darunter auch für ihre am 11. September 1986 geborene Tochter [X.], Kindergeld. Auf einen von der Klägerin ebenfalls im Jahr 2002 gestellten Antrag erhielt diese bis einschließlich Oktober 2005 von der Beklagten den kinderbezogenen [X.] im [X.] auch für die Tochter [X.] von zuletzt 90,57 Euro brutto monatlich gezahlt. Ab November 2005 stellte die Beklagte die Zahlung dieses [X.]s ein, nachdem ihr die [X.] mit Schreiben vom 24. Oktober 2005 mitgeteilt hatte, dass für diese Tochter voraussichtlich bis einschließlich Oktober 2005 Kindergeld gezahlt werde. Tatsächlich wurde für diese auch nach dem 1. November 2005 bis zum 30. Juni 2011 durchgehend Kindergeld gezahlt, so auch im Oktober 2006, ohne dass die Beklagte davon Kenntnis hatte. Die Beklagte zahlte der Klägerin nach deren Überleitung in den [X.] keine Besitzstandszulage nach § 11 [X.]. Aus den Entgeltnachweisen der Klägerin ergab sich, dass seit November 2005 ein geringerer kinderbezogener [X.] gezahlt wurde als im Oktober 2005.

3

§ 1 [X.] bestimmt:

        

Kinderbezogene [X.]e

        

(1) Für im Oktober 2006 zu berücksichtigende Kinder werden die kinderbezogenen [X.]e des [X.] ... in der für Oktober 2006 zustehenden [X.]öhe als Besitzstandszulage fortgezahlt, solange für diese Kinder Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) ... ununterbrochen gezahlt wird oder ohne Berücksichtigung des § 64 oder § 65 EStG ... gezahlt würde. ...“

4

Mit E-Mail vom 10. Juni 2008 sowie mit Schreiben vom 17. September 2008 machte die Klägerin den Anspruch auf den kinderbezogenen Anteil im [X.] für ihre Tochter [X.] bzw. die „Kinderzulage“ geltend.

5

Mit ihrer am 22. Dezember 2008 bei Gericht eingegangenen und im Wege der Anschlussberufung erweiterten Klage begehrt die Klägerin zuletzt die Zahlung des kinderbezogenen [X.]s im [X.] für die Monate November 2005 bis Oktober 2006 von monatlich 90,57 Euro brutto sowie der Besitzstandszulage nach § 11 [X.] in [X.]öhe von 90,57 Euro brutto monatlich für die [X.] von November 2006 bis einschließlich Dezember 2007 und in [X.]öhe von 93,20 Euro brutto monatlich für die [X.] von Januar 2008 bis einschließlich Februar 2010, ferner die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung dieser Zulage seit März 2010 von jeweils 93,20 Euro brutto monatlich bis zum 30. Juni 2011.

6

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, aus der Formulierung „zu berücksichtigen“ und „zustehende [X.]öhe“ in § 11 [X.] folge, dass es für diese Zulage allein maßgeblich sei, ob tatsächlich Kindergeld gezahlt worden sei. Darauf, dass der Beschäftigte den kinderbezogenen [X.] im Oktober 2006 auch tatsächlich gezahlt erhalten habe, komme es nicht an. Die berechtigten Interessen des Arbeitgebers würden durch die Ausschlussfristen hinreichend geschützt. Ihr Anspruch auf die Zulage nach § 11 [X.] sei für die [X.] vor Januar 2008 nicht verfallen. Die Beklagte handele treuwidrig, wenn sie sich insoweit auf die Ausschlussfrist berufe.

7

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

        

1.    

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin kinderbezogene Entgeltzulage für ihre Tochter [X.] seit November 2005 in [X.]öhe von 3.872,32 Euro brutto nebst Zinsen in [X.]öhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins in im Einzelnen aufgeführter, gestaffelter [X.]öhe zu zahlen;

        

2.    

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, zukünftig beginnend ab März 2010 an die Klägerin kinderbezogene Entgeltzulage in [X.]öhe von monatlich 93,20 Euro brutto für ihre Tochter [X.] bis zum 30. Juni 2011 zu zahlen.

8

Die Beklagte hat sich zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags auf die Rechtsprechung des Senats berufen (30. Oktober 2008 - 6 [X.] 128, 219 sowie 18. Dezember 2008 - 6 [X.] - [X.] 129, 93). Soweit die Tarifnorm auf die „zu berücksichtigenden Kinder“ abstelle, trage dies der Zukunftsbezogenheit der Norm Rechnung, deren Text vor Oktober 2006 verfasst worden sei. Es handele sich lediglich um eine Berechnungsgrundlage. Eine Zulage, die tatsächlich im maßgeblichen Monat nicht geleistet worden sei, könne weder weiter- noch fortgezahlt werden. § 11 [X.] diene allein der Entgeltsicherung und solle nur die Schlechterstellung der übergeleiteten Beschäftigten verhindern. Die Klägerin habe jedoch im November 2006 nicht schlechter als im Oktober 2006 gestanden, denn sie habe weder in dem einen noch in dem anderen Monat eine kinderbezogene Zahlung erhalten.

9

Darüber hinaus habe die Klägerin bereits deshalb keinen Anspruch auf die von ihr begehrte Zulage, weil sie die Ausschlussfrist für den Monat Oktober 2006 versäumt habe. Dies führe zum Erlöschen eines etwaigen Anspruchs auf die Besitzstandszulage. Es widerspreche dem Zweck der Ausschlussfrist, den Bestand einer Forderung nach Ablauf der Ausschlussfrist dem Streit der Parteien zu entziehen, gleichwohl aber diesen Streit mittelbar fortzusetzen, wenn ein Anspruch aus unverfallener [X.] vom Bestand eines verfallenen Anspruchs abhänge. Das gelte insbesondere, weil der [X.] keine kinderbezogenen [X.]e mehr vorsehe. Schließlich hat die Beklagte die Auffassung vertreten, sie habe die Klägerin von der Geltendmachung ihrer Forderung nicht treuwidrig abgehalten.

Das Arbeitsgericht hat der Leistungsklage für die Monate ab April 2008 sowie der Feststellungsklage stattgegeben. Das [X.] hat auf die Anschlussberufung der Klägerin die Beklagte auch zur Zahlung der Zulage für Januar bis einschließlich März 2008 verurteilt und im Übrigen die Rechtsmittel zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision begehrt die Beklagte nach wie vor die vollständige Abweisung der Klage. Die Klägerin strebt mit ihrer Anschlussrevision die Zahlung des kinderbezogenen [X.]s für die [X.] von November 2005 bis Dezember 2007 an.

Entscheidungsgründe

I. Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Klägerin steht die [X.]zulage nach § 11 TVÜ-Länder für die [X.] ab Januar 2008 bis zum 30. Juni 2011 zu.

1. Das [X.] hat zutreffend angenommen, dass der Klägerin die Zulage nach § 11 TVÜ-Länder ab Januar 2008 ungeachtet des Umstands zusteht, dass die Beklagte ihr im Oktober 2006 keinen kinderbezogenen [X.] im [X.] gezahlt hat. Für den Anspruch auf die [X.]zulage nach § 11 TVÜ-Länder ist allein erforderlich, dass der Beschäftigte im für die Überleitung in den [X.] maßgeblichen Stichmonat Oktober 2006 Anspruch auf den kinderbezogenen [X.] im [X.] gemäß § 29 Abschn. [X.] hatte. Die tatsächliche Zahlung dieses [X.]s im Oktober 2006 ist dagegen nicht Tatbestandsvoraussetzung.

a) Der [X.] hat in Fällen, in denen das Zahlungsverhalten des öffentlichen Arbeitgebers und die objektive Rechtslage im Einklang standen, angenommen, dass der Beschäftigte die Zahlung der [X.]zulage nach dem Tarifwortlaut nur verlangen kann, wenn er den kinderbezogenen [X.] im [X.] im maßgeblichen Stichmonat erhalten hatte ([X.] 30. Oktober 2008 - 6 [X.] - Rn. 8, [X.]E 128, 219; 18. Dezember 2008 - 6 [X.] - Rn. 14 ff., [X.]E 129, 93; 13. August 2009 - 6 [X.] - Rn. 24, [X.] § 11 Nr. 4 = [X.] 320 [X.] § 11 Abs. 1 Nr. 15; bestätigend im Rahmen der Prüfung der Berechnung des [X.] in [X.] auch 17. Dezember 2009 - 6 [X.] - Rn. 20, [X.] 320 [X.] § 5 Abs. 2 [X.] Nr. 18). In diesen Fällen wurde den klagenden Beschäftigten der kinderbezogene Bestandteil im [X.] im maßgeblichen Monat nicht nur nicht gezahlt, sondern ihnen stand tatsächlich auch kein Anspruch darauf zu. Anlass, sich mit der hier streitbefangenen Fragestellung auseinanderzusetzen, hatte der [X.] in den dortigen Konstellationen nicht. Aus dieser Rechtsprechung lässt sich daher für die hier streitbefangene Frage nichts herleiten.

b) Für den Anspruch auf die Zulage nach § 11 TVÜ-Länder genügt es, dass dem Beschäftigten im für die Überleitung maßgeblichen Oktober 2006 der kinderbezogene Bestandteil im [X.] zustand ([X.] in Fürst GKÖD Bd. IV Stand August 2009 G § 11 TVÜ-Länder Rn. 2; [X.] Anm. [X.] 2011, 21; im Ausgangspunkt auch [X.]/[X.]/[X.]/Wiese [X.] Stand Oktober 2011 TVÜ-Länder Rn. 327 und [X.]/B/M/S/[X.] [X.] Stand 15. Juli 2011 § 11 TVÜ-Länder Rn. 4, die es für den Anspruch auf die [X.]zulage ausreichen lassen, wenn innerhalb der Ausschlussfrist die Möglichkeit der Berücksichtigung von Kindern im Oktober 2006 nachträglich entsteht und nachgewiesen wird). Darüber, dass dies bei der Klägerin der Fall war, besteht zwischen den Parteien kein Streit.

aa) Die Tarifvertragsparteien haben mit der Verwendung des im vorliegenden Zusammenhang mehrdeutigen Begriffs der „im Oktober 2006 zu berücksichtigenden Kinder“ nur den Grundsatz bezeichnet. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass sie damit eine Stichtagsregelung in dem Sinne treffen wollten, dass es allein auf die tatsächlich in diesem Monat gezahlten kinderbezogenen [X.]e ankommen sollte, und zwar gerade auch dann, wenn diese vom Arbeitgeber - sei es vorsätzlich, sei es versehentlich, sei es, wie im vorliegenden Fall, in Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen - zu Unrecht nicht gezahlt worden sind. Es kann nicht in der Absicht der Tarifvertragsparteien gelegen haben, den weit in die Zukunft reichenden Anspruch auf die [X.]zulage von einem derartigen Zufall abhängig zu machen bzw. dem Arbeitgeber die Möglichkeit zu geben, durch sein Zahlungsverhalten Einfluss auf den Anspruch auf die [X.]zulage zu nehmen (vgl. [X.] 28. Oktober 2009 - 7 [X.]/09 - Rn. 31).

bb) Die Tarifvertragsparteien wollten mit der Regelung in § 11 TVÜ-Länder den Besitzstand der Beschäftigten mit für das Entgelt berücksichtigungsfähigen Kindern wahren. Maßgeblich dafür ist der tatsächliche, individuelle Besitzstand der übergeleiteten Beschäftigten im Monat vor der Überleitung ([X.] 18. Dezember 2008 - 6 [X.] - Rn. 22, [X.]E 129, 93). Teil dieses [X.] sind aber auch solche Ansprüche, die zwar bestehen, die der Arbeitgeber, aus welchen Gründen auch immer, jedoch nicht erfüllt ([X.] 24. Februar 2011 - 6 [X.] - Rn. 22, [X.] 320 [X.] § 5 Abs. 2 [X.] Nr. 22). Darin liegt der Unterschied zu den vom [X.] bereits entschiedenen Fällen, auf die die Beklagte hingewiesen hat ([X.] 30. Oktober 2008 - 6 [X.] - [X.]E 128, 219; 18. Dezember 2008 - 6 [X.] - aaO). In diesen Fällen gab es nach Auffassung der Tarifvertragsparteien, im für die Überleitung maßgeblichen Monat einen solchen schützenswerten Besitzstand nicht, weil wegen des Ruhens des Arbeitsverhältnisses kein kinderbezogener Bestandteil im [X.] zu zahlen war.

Dieser Wille der Tarifvertragsparteien, auch nicht erfüllte Ansprüche auf den kinderbezogenen Bestandteil im [X.] in ihrem Bestand zu sichern, kommt in dem Bezug in § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder auf die für Oktober 2006 „zustehende“ Höhe des kinderbezogenen [X.]s zum Ausdruck. Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich aus dieser Formulierung nicht lediglich entnehmen, dass die Zulage in der tatsächlich im Oktober 2006 ausgezahlten Höhe zu berücksichtigen sei. Vielmehr haben die Tarifvertragsparteien diesen Begriff entsprechend seinem Bedeutungsgehalt „etwas, worauf jemand einen rechtmäßigen Anspruch hat“ ([X.] [X.] [X.] 3. Aufl. Stichwort: „zustehen“) verwendet. Die Tarifvertragsparteien wollten bei der Überleitung vom [X.] in den diesen ablösenden [X.] an die tarifgerechten Grundlagen des [X.]s anknüpfen und haben ausgehend davon den Anspruch auf die [X.]zulage nach § 11 TVÜ-Länder geregelt (vgl. [X.] 24. Februar 2011 - 6 [X.] - Rn. 22, [X.] 320 [X.] § 5 Abs. 2 [X.] Nr. 22). Ihr Wille, bei der Überleitung von den tarifgerechten Grundlagen der Vergütung auszugehen, hat auch in § 5 Abs. 1 TVÜ-Länder Niederschlag gefunden. Dort haben die Tarifvertragsparteien ebenfalls auf die im für die Überleitung maßgeblichen Monat „zustehenden“ und nicht die tatsächlich gezahlten Bezüge abgestellt.

cc) Aus vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass auch das Argument der Beklagten, eine Zulage, die tatsächlich nicht geleistet worden ist, könne nicht „fortgezahlt“ werden, nicht trägt. Auch die Verwendung dieses Begriffs belegt nur, dass die Tarifvertragsparteien ihrer Regelung den tariflichen Normalfall zugrunde gelegt haben. Öffentliche Arbeitgeber erfüllen die gesetzlichen und tariflichen Ansprüche ihrer Beschäftigten im Allgemeinen auch tatsächlich.

dd) Das Argument der Beklagten, § 11 TVÜ-Länder solle nur eine Schlechterstellung der übergeleiteten Beschäftigten verhindern und die Klägerin habe im November 2006 nicht finanziell schlechter gestanden als im Oktober 2006, weil sie in beiden Monaten keinen kinderbezogenen [X.] erhalten habe, überzeugt nicht. Aus den genannten Gründen bezweckt § 11 TVÜ-Länder eindeutig nicht die finanzielle Entlastung von Arbeitgebern, die im für die Überleitung maßgeblichen Stichmonat - aus welchen Gründen auch immer - den bestehenden Anspruch auf den kinderbezogenen [X.] im [X.] nicht erfüllt haben.

ee) Entsprechend vorstehender Auslegung hat der [X.] bereits ohne ausdrückliche Problematisierung angenommen, dass die Zulage nach § 11 TVÜ-Länder auch dann zu zahlen ist, wenn der darauf bestehende Anspruch im Oktober 2006 vom Arbeitgeber nicht erfüllt worden ist ([X.] 18. März 2010 - 6 [X.] - Rn. 55, [X.]E 133, 354).

2. Das [X.] hat ebenfalls zu Recht angenommen, dass die Versäumung der Ausschlussfrist für den im Oktober 2006 zu zahlenden kinderbezogenen [X.] für das Bestehen des Anspruchs nach § 11 TVÜ-Länder als solches unschädlich ist. Insoweit kann deshalb dahinstehen, ob es, wie die Klägerin annimmt, geboten ist, die Verfallswirkung der tariflichen Ausschlussfrist gemäß § 242 BGB unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Rechtsausübung der Beklagten zu korrigieren (s. dazu [X.] 10. März 2005 - 6 [X.] - zu II der Gründe, [X.] [X.] § 70 Nr. 38 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 176; 17. April 1986 - 2 [X.] - zu [X.] 1 a der Gründe, [X.] BGB § 615 Nr. 40 = EzA BGB § 615 Nr. 47; [X.] Ausschlussfristen S. 68 f.).

a) Allerdings wird in der Literatur vertreten, dass der Anspruch auf die [X.]zulage nach § 11 TVÜ-Länder auch dann nicht zustehe, wenn der Beschäftigte im Oktober 2006 zwar tatsächlich Anspruch auf den kinderbezogenen [X.] gehabt habe, diesen aber nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 [X.] geltend gemacht habe ([X.]/[X.]/[X.]/Wiese [X.] Stand Oktober 2011 TVÜ-Länder Rn. 327; [X.]/B/M/S/[X.] [X.] Stand 15. Juli 2011 § 11 TVÜ-Länder Rn. 4). Den Umkehrschluss, dass es dem Arbeitgeber verwehrt ist, die Zahlung der [X.]zulage einzustellen, wenn er länger als sechs Monate nach der Überleitung gezahlt hat, obwohl die Voraussetzungen für diesen Anspruch nicht vorlagen, ziehen diese Kommentatoren allerdings nicht.

b) Entgegen dieser nicht näher begründeten Auffassung berührt der Verfall des Anspruchs auf Zahlung des kinderbezogenen [X.]s im für die Überleitung in den [X.] maßgeblichen Monat Oktober 2006 den mittelbar daran geknüpften Anspruch auf die [X.]zulage nach § 11 TVÜ-Länder als solchen nicht. Die Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 [X.] erfasst nur die einzelnen Zahlungsansprüche, die sich aus § 11 TVÜ-Länder ergeben. Deshalb steht der Klägerin die [X.]zulage nach § 11 TVÜ-Länder zu, soweit die Ausschlussfrist für den jeweiligen monatlichen Einzelanspruch gewahrt ist (vgl. [X.] 25. Juni 2009 - 6 [X.] - Rn. 20, [X.] § 5 Nr. 3 = [X.] 320 [X.] § 5 Abs. 2 [X.] Nr. 16 für die Neuberechnung des [X.] durch den Arbeitgeber nach einer mehr als sechsmonatigen Überzahlung).

aa) Die Beklagte weist zwar zutreffend darauf hin, dass die Versäumung der Ausschlussfrist zum Erlöschen bzw. Untergang des Anspruchs führt ([X.] 30. März 1973 -  4 [X.] - [X.]E 25, 169, 173 f.). Der von ihr daraus gezogene Schluss, das Erlöschen des Anspruchs auf Zahlung des kinderbezogenen Bestandteils im [X.] für Oktober 2006 habe auch den Untergang des Anspruchs auf die Zulage nach § 11 TVÜ-Länder bewirkt, weil dieser vom Bestand des verfallenen Anspruchs für Oktober 2006 abhänge, trägt jedoch nicht.

bb) Der Verfall und damit Untergang des Anspruchs nach Versäumung der Ausschlussfrist führt allerdings dazu, dass mit einem verfallenen Anspruch nicht aufgerechnet werden kann, weil keine Rechtsposition mehr besteht, die zur Aufrechnung gestellt werden könnte ([X.] 30. März 1973 - 4 [X.] - [X.]E 25, 169). Aus demselben Grund kann das auf die erloschene Schuld Geleistete auch im Wege des [X.] kondiziert werden, weil der Rechtsgrund für die Leistung fehlt ([X.]/[X.]. 14. Aufl. § 209 Rn. 10; [X.] Ausschlussfristen S. 51, 57).

cc) In den genannten Fällen ist jedoch stets der unmittelbare Anspruch selbst gegenstandslos geworden und kann darum keine Rechtswirkungen mehr nach sich ziehen. In der vorliegenden Konstellation geht es dagegen um eine nur mittelbare Abhängigkeit eines Anspruchs von einem verfallenen Anspruch, nämlich um die Folgen des Verfalls des kinderbezogenen [X.]s im Stichmonat Oktober 2006 für die an den Anspruch für diesen Monat knüpfende Zulage nach § 11 TVÜ-Länder. Welche Auswirkungen die Versäumung der Ausschlussfrist auf mittelbar von dem verfallenen Anspruch abhängige Ansprüche hat, kann nur unter Berücksichtigung des konkreten Zwecks der anspruchsbegründenden Norm im Einzelfall beantwortet werden.

dd) Die Tarifvertragsparteien wollten, wie ausgeführt, ausgehend von den tarifgerechten Grundlagen den Besitzstand der Beschäftigten, die im für die Überleitung maßgeblichen Monat als „Stichmonat“ Anspruch auf den in den abgelösten Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes vorgesehenen kinderbezogenen [X.] hatten, schützen. Dieser Besitzstand wurde aber durch die Versäumung der Ausschlussfrist und den dadurch eingetretenen nachträglichen Untergang des Zahlungsanspruchs für Oktober 2006 nicht berührt, sondern blieb unverändert bestehen. In Fällen dieser Art ist zwischen dem Recht, das dem laufend neu entstehenden Anspruch zugrunde liegt, einerseits und dem Recht auf die jeweils fällig werdenden Einzelleistungen andererseits zu unterscheiden. Ersteres verfällt nicht (vgl. [X.] 25. Juni 2009 - 6 [X.] - Rn. 20, [X.] § 5 Nr. 3 = [X.] 320 [X.] § 5 Abs. 2 [X.] Nr. 16; 1. Juni 1995 - 6 [X.] 926/94 - [X.]E 80, 158, 162).

Nach dem Zweck des § 11 TVÜ-Länder hat die Klägerin demnach nur für den Monat Oktober 2006, für den sie die Ausschlussfrist versäumt hat, keinen Zahlungsanspruch mehr. Der unmittelbare Zahlungsanspruch für diesen Monat ist untergegangen bzw. „unwiderruflich zerstört“ (so die Formulierung von [X.] Arbeitsvertragliche Ausschlussfristen S. 54 f.). Die nur mittelbar an den Zahlungsanspruch für Oktober 2006 knüpfende [X.]zulage steht der Klägerin aber zu, soweit sie für die seit November 2006 entstandenen Ansprüche die Ausschlussfrist gewahrt hat.

3. Die Klägerin hat die Ausschlussfrist für die Zulage nach § 11 TVÜ-Länder bis einschließlich Januar 2008 gewahrt.

a) Das [X.] hat zu Recht angenommen, dass die Anschlussberufung zulässig ist, obwohl die Klägerin im Schriftsatz vom 17. März 2010, mit dem sie das Anschlussrechtsmittel eingelegt hat, dieses entgegen der Bestimmung des § 524 Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht sogleich begründet hat. Mit der Begründung der Anschlussberufung innerhalb der [X.] des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 66 Abs. 1 Satz 3 ArbGG war das Anschlussrechtsmittel erneut eingelegt, wobei insgesamt nur ein einheitliches Rechtsmittel vorlag, über das einheitlich zu entscheiden war (GMP/Germelmann ArbGG 7. Aufl. § 64 Rn. 107; [X.]/[X.]/[X.] ArbGG 3. Aufl. § 64 Rn. 193).

b) Das [X.] hat die Ausschlussfrist jedenfalls bis einschließlich Januar 2008 durch die E-Mail der Klägerin vom 10. Juni 2008 als gewahrt angesehen. Zur Wahrung der Schriftform des § 37 [X.] genügt die Einhaltung der Textform des § 126b BGB, der die E-Mail der Klägerin gerecht wird (vgl. [X.] 7. Juli 2010 - 4 [X.] 549/08 - Rn. 88 ff., [X.] GG Art. 9 Nr. 140 = EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 25). Gegen die Würdigung des [X.]s in der angefochtenen Entscheidung, die E-Mail der Klägerin sei nach ihrem Inhalt zur Wahrung der Ausschlussfrist geeignet, richten sich keine Angriffe der Revision.

II. [X.] der Klägerin ist unzulässig. Sie genügt den Anforderungen des § 554 ZPO nicht.

1. Auch die [X.] hat die Klägerin bereits vor Eingang der Rechtsmittelbegründung der Beklagten eingelegt und ihr Rechtsmittel entgegen § 554 Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht in der [X.] begründet. Die Begründung des Rechtsmittels in dem innerhalb der [X.] des § 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO beim [X.] eingegangenen Schriftsatz vom 11. Oktober 2010 ist jedoch als erneute Einlegung des Rechtsmittels zu werten (vgl. [X.]/[X.] Stand Juli 2011 § 74 Rn. 95; GMP/[X.]-Glöge ArbGG 7. Aufl. § 74 Rn. 73).

2. Die Zulässigkeit der [X.] scheitert auch nicht daran, dass die Klägerin keine Anträge hinsichtlich der [X.] angekündigt hat. Ebenso wie bei der Revision selbst (vgl. dazu [X.] 31. Januar 2008 - 8 [X.] 11/07 - Rn. 27) ist für die Zulässigkeit der [X.] nicht erforderlich, dass ein gesondert hervorgehobener und ausdrücklich formulierter Antrag angekündigt wird. Es genügt vielmehr, wenn sich aus dem Inhalt der Begründung ergibt, in welchem Umfang die Entscheidung des [X.]s angefochten wird und inwieweit diese aufgehoben werden soll. Das ist hier der Fall. Den Ausführungen der Klägerin lässt sich mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass sie eine Änderung des Urteils des [X.]s im Umfang ihrer Beschwer anstrebt.

3. [X.] ist jedoch unzulässig, weil sich die Klägerin nicht ausreichend mit der Begründung des [X.]s, warum ihre Ansprüche für die [X.] vor Januar 2008 verfallen seien, auseinandergesetzt hat. Insoweit sind an die [X.] keine geringeren Anforderungen als an eine Revisionsbegründung zu stellen ([X.]/[X.] Stand Juli 2011 § 74 Rn. 95).

a) Die Klägerin hat sich zur Begründung ihrer [X.] darauf beschränkt, ihre Begründung der Anschlussberufung leicht gekürzt wörtlich wiederzugeben. Das [X.] hat zwar zur Begründung, warum es die Berufung der Beklagten auf die tarifliche Ausschlussfrist für nicht rechtsmissbräuchlich hält, weitgehend auf die Entscheidung des Arbeitsgerichts Bezug genommen. Es hat jedoch weitergehend ausgeführt, ein Verhalten der Beklagten, das geeignet gewesen wäre, die Klägerin von der rechtzeitigen Geltendmachung ihrer Ansprüche abzuhalten, sei ebenso wenig ersichtlich wie das Erwecken des Anscheins, einer Geltendmachung des Anspruchs durch die Klägerin bedürfe es nicht. Es hat diesbezüglich darauf abgestellt, dass die Klägerin die Einstellung der Zahlung des kinderbezogenen [X.]s den Abrechnungen habe entnehmen können. Mit diesem Argument des [X.]s setzt sich die Klägerin nicht auseinander. Es ist nicht einmal andeutungsweise erkennbar, dass und inwieweit sie diese Ausführungen zur Kenntnis genommen hat, geschweige denn, in welchen Punkten und mit welchen Gründen sie sie angreifen will (vgl. [X.] 19. Oktober 2010 - 6 [X.] 120/10 - Rn. 12). Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass sie ungeachtet des Umstands, dass ihr das [X.] die begehrte Zulage ab Januar 2008 zugesprochen und insoweit das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert hat, mit der [X.] die Zahlung der [X.]zulage für die [X.] bis einschließlich März 2008 bzw. vor April 2008 beansprucht.

b) Die Bezugnahme im vorletzten Absatz des Schriftsatzes vom 11. Oktober 2010 auf das Vorbringen der Klägerin in den Tatsacheninstanzen, mit dem sie auf die Unübersichtlichkeit der Abrechnungen hingewiesen hat, genügt den Begründungsanforderungen nicht (vgl. [X.] 9. April 2008 - 4 [X.] 104/07 - Rn. 16, [X.] TVG § 1 Nr. 43 = EzA ZPO 2002 § 259 Nr. 1). Zur Zulässigkeit der Revision ist erforderlich, dass der Prozessbevollmächtigte des Revisionsführers durch die Darlegung der Gründe, die das Urteil als unrichtig erscheinen lassen, erkennbar machen muss, dass er das angefochtene Urteil nachgeprüft und sich damit auseinandergesetzt hat ([X.] 25. Mai 1976 - III ZR 26/76 - VersR 1976, 1063). Daran fehlt es.

4. Angesichts der Unzulässigkeit der [X.] kann dahinstehen, ob das [X.] den Ablauf der Ausschlussfrist angesichts der Geltendmachung vom 10. Juni 2008 richtig berechnet hat und ob sich die Beklagte auf die Ausschlussfrist für die [X.] vor Januar 2008 berufen kann.

III. [X.] folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Brühler    

        

    Spelge    

        

        

        

    [X.]    

        

    [X.]    

                 

Meta

6 AZR 452/10

08.12.2011

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Mainz, 26. August 2009, Az: 1 Ca 2386/08, Urteil

§ 11 Abs 1 TVÜ-L, § 29 Abschn B BAT, § 37 TV-L

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.12.2011, Az. 6 AZR 452/10 (REWIS RS 2011, 690)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 690

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

6 AZR 397/10 (Bundesarbeitsgericht)

Besitzstandszulage - Verfall des Anspruchs im Stichmonat - unzulässige Rechtsausübung


6 AZR 465/21 (Bundesarbeitsgericht)

"Besitzstandszulage Kind" im TVÜ-Länder - bestandskräftige Ablehnung des Kindergeldanspruchs


6 AZR 447/09 (Bundesarbeitsgericht)


6 AZR 454/09 (Bundesarbeitsgericht)

Kinderbezogener Zuschlag bei Neueinstellung - TV-Ärzte KAH


6 AZR 809/08 (Bundesarbeitsgericht)

Anspruch auf kinderbezogenen Ortszuschlag bei Teilzeitarbeit


Referenzen
Wird zitiert von

17 Sa 1001/13

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.