Bundesfinanzhof, Beschluss vom 10.01.2013, Az. III B 103/12

3. Senat | REWIS RS 2013, 9112

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Gegenstand

(Kein Anspruch auf Kindergeld in Höhe der vollen Sätze des § 66 Abs. 1 Satz 1 EStG für in der Türkei wohnende Kinder)


Leitsatz

NV: Es ist bereits geklärt, dass türkische Staatsangehörige für ihre in der Türkei wohnhaften Kinder weder nach dem Beschluss Nr. 3/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige noch nach dem Vorläufigen Europäischen Abkommen über soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen vom 11. Dezember 1953 Anspruch auf ein die Kindergeldsätze des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit übersteigendes Kindergeld haben .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) und seine Ehefrau sind [X.] Staatsangehörige. Sie sind die Eltern zweier im Juli 2001 und Februar 2004 geborener Kinder, für die der Kläger jeweils ab Geburt Kindergeld bezog. Die Familie lebte zunächst in [X.], wo der Kläger [X.] beschäftigt ist. Am 21. September 2010 wurden beide Kinder in der [X.] eingeschult. Seit der Einschulung leben die Kinder in der [X.] zusammen mit den Großeltern und der Ehefrau des [X.], die die Kinder in die [X.] begleitete. Die Schulausbildung in der [X.] soll bis zum Beginn der Berufsausbildung fortgesetzt werden. Vom 5. Juni 2011 bis 10. Juli 2011 hielt sich die Ehefrau des [X.] mit den Kindern im Inland auf. Vom 5. August 2011 bis 12. September 2011 verbrachte die gesamte Familie ihren Urlaub in der [X.]. In [X.] verfügt der Kläger über eine 5-Zimmer-Wohnung mit ca. 110 qm, in der für beide Kinder ein Kinderzimmer zur Verfügung steht.

2

Nach Einreichung der Schulbescheinigung setzte die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) mit [X.] vom 9. November 2010 das Kindergeld gemäß Art. 33 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik [X.] und der Republik [X.] über Soziale Sicherheit --deutsch-[X.]s Abkommen-- ([X.] 1965, 1169, [X.] 1972, 1, [X.] 1975, 373, [X.] 1986, 1038) auf 5,11 € für das erste Kind und 12,78 € für das zweite Kind ab Oktober 2010 fest und verrechnete das für Oktober 2010 überzahlte Kindergeld mit dem hälftigen Betrag der ab November 2010 zu erbringenden Kindergeldzahlungen. Der hiergegen --auf Kindergeld in Höhe der vollen gesetzlichen Sätze des § 66 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung ([X.] gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.

3

Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage als unbegründet ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die Kinder ab der Einschulung weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der [X.] oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, gehabt hätten. Dem Kläger stehe daher nur ein Kindergeldanspruch nach den Sätzen des deutsch-[X.]n Abkommens zu.

4

Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision.

Entscheidungsgründe

5

II. [X.] ist unzulässig und wird durch Beschluss verworfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Der Kläger hat einen Zulassungsgrund nicht in der durch § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O geforderten Art und Weise dargelegt.

6

1. a) Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O) oder wegen Erforderlichkeit einer Entscheidung des [X.] ([X.]) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 [X.]O) setzt voraus, dass der Beschwerdeführer eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage herausstellt, deren Klärung im Interesse der Allgemeinheit an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts erforderlich ist und die im konkreten Streitfall klärbar ist. Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen sowie die Darlegung, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und streitig ist (z.B. [X.]sbeschluss vom 16. August 2011 III B 155/10, [X.]/NV 2012, 48).

7

b) [X.]) Soweit der Kläger vorträgt, dass der Abstand zwischen den [X.] nach § 66 Abs. 1 Satz 1 EStG (184 €) und dem [X.] nach dem [X.] (5,11 €) nicht dem tatsächlichen Unterschied der Lebenshaltungskosten in [X.] und der [X.] entspreche, und zum Beweis hierzu die Einholung eines Sachverständigengutachtens anbietet, stellt er schon keine hinreichend bestimmte Rechtsfrage heraus.

8

bb) Dasselbe gilt hinsichtlich des Vortrags des [X.], dass sachliche Gründe für die unterschiedliche Behandlung des [X.] gegenüber Kindergeldberechtigten, deren Kinder in [X.] eine Schule besuchten, nicht ersichtlich seien, und eine solche Ungleichbehandlung dem erkennbaren Grundgedanken des Kindergeldrechts widerspräche. Zudem fehlt es insofern an der erforderlichen Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des [X.]. Danach ist bei der [X.] im Einzelnen auszuführen, ob und aus welchen spezifischen Gründen das Kindergeld hinsichtlich seiner Funktion, die steuerlich gebotene Verschonung des [X.] sicherzustellen, und/oder in seiner Funktion, eine [X.] Förderung der Familie zu bewirken, als gleichheitswidrig angesehen wird (vgl. im Einzelnen [X.]sbeschlüsse vom 12. Juli 2011 III B 111/10, [X.]/NV 2011, 1897, und vom 14. August 2012 III B 58/12, [X.]/NV 2012, 1977, m.w.N.).

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cc) Soweit der Kläger geltend macht, ein Anspruch auf Kindergeld in Höhe der vollen Sätze des § 66 Abs. 1 Satz 1 EStG ergebe sich aus dem Beschluss Nr. 3/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der [X.]n Sicherheit der Mitgliedst[X.]ten der Europäischen [X.]en auf die [X.] Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige --[X.] 3/80-- ([X.] 1983, Nr. [X.] 110/60), fehlt es an der notwendigen Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des [X.]s und an der Darlegung, weshalb trotz dieser Rechtsprechung weiterer Klärungsbedarf besteht. Mit Urteil vom 15. Juli 2010 III R 6/08 ([X.]E 230, 545, [X.], 883) hat der [X.] bereits entschieden, dass der [X.] 3/80 lediglich auf Art. 72 der Verordnung ([X.]) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der [X.]n Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der [X.] zu- und abwandern ([X.] 1408/71), verweist, nicht indessen die Art. 73 und Art. 74 der [X.] 1408/71 für anwendbar erklärt. Es wird daher kein inländischer Wohnsitz von in der [X.] lebenden Kindern [X.] St[X.]tsangehöriger fingiert. In diesem Zusammenhang hat der [X.] auch darauf hingewiesen, dass nach Art. 39 Abs. 3 des Zusatzprotokolls vom 23. November 1970 ([X.] 1972, 385, [X.] 1973, 113) zum Assoziierungsabkommen vom 12. September 1963 zwischen der [X.] und der [X.] ([X.] 1964, 509, 1959) Bestimmungen wie der [X.] 3/80 die Zahlung von Familienzulagen lediglich für den Fall sicherstellen müssen, dass die Familie des Arbeitnehmers in der [X.] wohnhaft ist, nicht hingegen für den Fall, dass sie ihren Wohnsitz in der [X.] hat.

dd) Auch hinsichtlich des geltend gemachten Verstoßes der unterschiedlichen Kindergeldsätze gegen das Gleichbehandlungsgebot des [X.] über [X.] Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der [X.] (VEA)-- vom 11. Dezember 1953 ([X.] 1956, 507 und 528, [X.] 1958, 18, [X.] 1972, 175, [X.] 1985, 311) setzt sich der Kläger nicht mit der Rechtsprechung des [X.]s auseinander. Mit Urteil in [X.]E 230, 545, [X.], 883 hat der [X.] bereits entschieden, dass sich für einen [X.] St[X.]tsangehörigen auch aus dem Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. [X.] kein Anspruch auf Kindergeld in Höhe der in § 66 Abs. 1 EStG vorgesehenen Sätze für seine in der [X.] lebenden Kinder ergibt. Denn die Regelungen über das einkommensteuerrechtliche Kindergeld, insbesondere § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG, sehen keine Ungleichbehandlung vor, die an die St[X.]tsangehörigkeit der Eltern bzw. des Kindes knüpft.

2. Ebenfalls nicht dargelegt hat der Kläger die Voraussetzungen einer Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 [X.]O). Zur Darlegung einer Divergenz wäre insbesondere erforderlich gewesen, einen abstrakten tragenden Rechtssatz des angefochtenen [X.]s sowie einen tragenden abstrakten Rechtssatz einer divergierenden Entscheidung herauszuarbeiten und so gegenüberzustellen, dass die behauptete Abweichung erkennbar wird (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.]sbeschluss vom 13. März 2000 III B 92/99, [X.]/NV 2000, 1120, m.w.N.). Daran fehlt es in der Beschwerdebegründung. Der Kläger hat zwar dargelegt, der [X.] habe mit Urteil vom 4. Mai 1999 [X.]-262/96, [X.] ([X.]. 1999, [X.]) entschieden, dass für [X.] St[X.]tsbürger, die sich rechtmäßig als Arbeitnehmer in einem Mitgliedst[X.]t der [X.] aufhalten, die Regelung des § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht anwendbar sei. Er hat diesem Rechtssatz aber keinen abstrakten tragenden Rechtssatz aus dem angegriffenen [X.] gegenübergestellt und die Abweichung herausgearbeitet. Tatsächlich hat das [X.] auf den hier in Rede stehenden Sachverhalt auch nicht § 62 Abs. 2 EStG, sondern § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG angewandt.

3. Soweit der Kläger schließlich geltend macht, das [X.] habe zu Unrecht das weitere Vorliegen eines Wohnsitzes der Kinder im Inland verneint, rügt er im [X.] nur eine vermeintlich fehlerhafte Rechtsanwendung und unzutreffende Tatsachenwürdigung. Damit lässt sich die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht erreichen (z.B. [X.]-Beschluss vom 30. Mai 2008 IX B 216/07, [X.]/NV 2008, 1510).

Meta

III B 103/12

10.01.2013

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 15. Mai 2012, Az: 5 K 118/11, Urteil

§ 66 Abs 1 S 1 EStG 2009, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, EStG VZ 2010

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 10.01.2013, Az. III B 103/12 (REWIS RS 2013, 9112)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 9112

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