Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 21.07.2022, Az. 2 AZN 801/21

2. Senat | REWIS RS 2022, 3610

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Hilfsweise Anschlussberufung - Bindung an die Parteianträge - rechtliches Gehör - Nichtzulassungsbeschwerde


Tenor

1. Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 2. November 2021 - 7 [X.]/21 - insoweit aufgehoben, wie es die hilfsweise Anschlussberufung des [X.] zurückgewiesen hat.

2. Im Übrigen wird die Beschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 2. November 2021 - 7 [X.]/21 - als unzulässig verworfen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

4. [X.] wird für das Berufungsverfahren auf 6.922,66 Euro und für das Beschwerdeverfahren auf 7.422,66 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die auf sämtliche Zulassungsgründe aus § 72 Abs. 2 ArbGG gestützte [X.]eschwerde ist zum Teil begründet. Im Übrigen ist sie unzulässig, da sie nicht in der von § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG verlangten Form begründet worden ist.

2

I. Der Kläger hat unter II 1 auf Seite 3 ff. seiner [X.]eschwerdebegründung eine entscheidungserhebliche Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör dargelegt. Er macht zu Recht geltend, das [X.] habe unter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO über seine Anschlussberufung entschieden und damit gegen seinen Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen.

3

1. Der [X.] verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt jedoch keine Pflicht, sich mit jedem Vorbringen der Parteien in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Art. 103 Abs. 1 GG ist daher erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall aus besonderen Umständen klar ergibt, dass tatsächliches Vorbringen eines [X.]eteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. [X.] 19. August 2016 - 1 [X.]vR 1283/13 - Rn. 9).

4

2. Davon ist in [X.]ezug auf die Anschlussberufung des [X.] auszugehen.

5

a) Das [X.] hat unter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO über die nur hilfsweise erhobene Anschlussberufung des [X.] entschieden. Diese war nur für den Fall der [X.]estätigung des erstinstanzlichen Urteils erhoben. Das [X.]erufungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil aber „aufgehoben“ und dennoch die Anschlussberufung zurückgewiesen. Eine Verletzung des Antragsgrundsatzes nach § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegt nicht nur dann vor, wenn einer Partei ohne ihren Antrag etwas zugesprochen wird, sondern auch, wenn ihr ein Anspruch aberkannt wird, den sie nicht zur Entscheidung gestellt hat ([X.] 22. Juli 2021 - 2 [X.] - Rn. 42).

6

b) Das [X.]erufungsgericht hat auf Seite 5 des Tatbestands des anzufechtenden Urteils zwar wiedergegeben und damit zur Kenntnis genommen, dass die Anschlussberufung nur hilfsweise für den Fall der [X.]estätigung des erstinstanzlichen Urteils erhoben wurde. Es hat diesen Vortrag des [X.] jedoch bei der Urteilsfindung wieder aus den Augen verloren, deshalb nicht in Erwägung gezogen und stattdessen seiner Entscheidung einen Antrag zugrunde gelegt, den der Kläger für diese prozessuale Situation gar nicht gestellt hat (vgl. [X.] 27. Mai 1970 - 2 [X.]vR 578/69 - zu III der Gründe, [X.]E 28, 378). Das [X.] führt auf Seite 9, unten des [X.]erufungsurteils ohne jede nähere [X.]egründung aus, dass die Anschlussberufung zurückzuweisen gewesen sei. Ein solcher Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO stellt zugleich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zum Nachteil der hiervon betroffenen Partei dar (vgl. [X.] 16. Mai 2017 - VI ZR 25/16 - Rn. 11; 13. September 2016 - [X.] - Rn. 13; [X.]/Feskorn ZPO 34. Aufl. § 308 Rn. 6).

7

3. Eine Zurückverweisung gemäß § 72a Abs. 7 ArbGG kommt hier ausnahmsweise nicht in [X.]etracht, weil keine weitere Entscheidung in der Hauptsache mehr notwendig wird (vgl. [X.] 13. September 2016 - [X.] - Rn. 17). Da das klageabweisende Urteil des [X.]s wegen der Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde im Übrigen rechtskräftig wird (siehe unten II), ist die hilfsweise Anschlussberufung des [X.] endgültig im [X.]erufungsverfahren nicht zur Entscheidung angefallen und das insoweit zurückweisende Urteil des [X.]s aufzuheben.

8

II. Im Übrigen ist die [X.]eschwerde des [X.] unzulässig.

9

1. Der Kläger hat keine weitere Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör dargelegt.

a) Er zeigt unter II 2 auf Seite 5 ff. der [X.]eschwerdebegründung nicht auf, dass das [X.] seinen Vortrag zu einer Übernahme der Leitungsmacht durch die [X.]eklagte am 1. Februar 2019 beziehungsweise damit in Zusammenhang stehende [X.]eweisantritte - die nach der insoweit maßgeblichen [X.]egründungslinie des [X.]erufungsgerichts entscheidungserheblich gewesen wären - in einer nicht mit Art. 103 Abs. 1 GG zu vereinbarenden Weise übergangen habe. Das ist auch objektiv nicht ersichtlich. Vielmehr hat sich das [X.] auf Seite 9 des anzufechtenden Urteils mit dem Vortrag des [X.] und den von ihm im Verfahren vorgelegten Unterlagen auseinandergesetzt, dies aber nicht für ausreichend erachtet. Der Anspruch auf rechtliches Gehör schützt nicht davor, dass das Gericht dem Vortrag einer Partei in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht die aus deren Sicht richtige [X.]edeutung beimisst (vgl. [X.] 15. Oktober 2012 - 5 [X.] 1958/12 - Rn. 6).

b) Der Kläger legt unter II 3 auf Seite 14 ff. der [X.]eschwerdebegründung nicht dar, weshalb ein kundiger und gewissenhafter Prozessbeteiligter unter [X.]erücksichtigung der Vielzahl von vertretbaren Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf des von ihm vermissten rechtlichen Hinweises bedurfte (vgl. [X.] 24. Oktober 2019 - 8 [X.] 589/19 - Rn. 30). Das ist auch objektiv nicht ersichtlich. Die [X.]eklagte hat ausweislich Seite 3, letzter Absatz und Seite 5, erster Absatz des anzufechtenden Urteils einen [X.]etriebsübergang ab dem 1. Februar 2019 bestritten, so dass der Kläger Veranlassung hatte, hierzu vorzutragen.

c) Der Kläger zeigt unter II 5 auf Seite 20 ff. der [X.]eschwerdebegründung nicht auf, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör durch eine erst im Verhandlungstermin erfolgte Mitteilung des [X.]erufungsgerichts über die beabsichtigte Anwendung eines Urteils des Senats (vgl. [X.] 3. Dezember 1998 - 2 [X.] 754/97 - [X.]E 90, 251) auf den zu entscheidenden Fall verletzt worden ist. Voraussetzung für eine erfolgreiche Gehörsrüge ist, dass der [X.]eschwerdeführer darlegt, seinerseits alles Zumutbare getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (st. Rspr., vgl. etwa [X.] 18. August 2010 - 1 [X.]vR 3268/07 - zu III 1 c der Gründe; [X.]SG 3. November 2021 - [X.] 4 [X.]/21 [X.] - Rn. 7), etwa durch die [X.]eantragung einer Vertagung des Termins oder der Gewährung einer Frist für einen nachzureichenden Schriftsatz. Hierzu hat der Kläger nichts vorgetragen.

2. Der Kläger legt nicht dar, dass das Urteil des [X.]s von einer Entscheidung eines der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichte oder Spruchkörper abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht. Das ist auch objektiv nicht ersichtlich. Soweit das [X.] davon ausgegangen ist, dass die tatsächliche Übernahme der Leitungsmacht durch den [X.]etriebserwerber Voraussetzung für einen [X.]etriebsübergang ist, entspricht dies der Rechtsprechung des [X.]undesarbeitsgerichts (vgl. [X.] 22. Januar 2009 - 8 [X.] 158/07 - Rn. 18; 31. Januar 2008 - 8 [X.] 2/07 - Rn. 33; vgl. auch [X.] 25. Januar 2018 - 8 [X.] 309/16 - Rn. 55, [X.]E 161, 378: „Übernahme der Verantwortlichkeit für den [X.]etrieb“). Die vom Kläger herangezogene Entscheidung des [X.] (vgl. [X.] 26. März 1996 - 3 [X.] 965/94 - zu [X.] II 2 der Gründe) stellt ebenso auf den Zeitpunkt ab, zu welchem der [X.]etriebserwerber „die Leitungsmacht im [X.]etrieb mit dem Ziel der [X.]etriebsfortführung“ auszuüben in die Lage versetzt worden ist und äußert sich im folgenden Satz lediglich zu dem nicht erheblichen Umstand, ob die [X.]etriebsleitungsmacht tatsächlich ausgeübt wurde.

3. Der Kläger legt die grundsätzliche [X.]edeutung einer Rechtsfrage und deren Entscheidungserheblichkeit iSv. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG nicht dar. Er zeigt die - nicht offensichtliche - Klärungsbedürftigkeit der von ihm unter II 6 auf Seite 24 der [X.]eschwerdebegründung formulierten Fragestellung nicht auf. Hierzu reicht der bloße Hinweis auf eine ausstehende höchstrichterliche Entscheidung nicht aus. Die [X.]eschwerde hätte daher zum [X.]eleg der Klärungsbedürftigkeit darlegen müssen, aus welchen Gründen, in welchem Umfang und von welcher Seite die [X.]eantwortung der Frage zweifelhaft und streitig sein soll ([X.] 20. November 2018 - 6 [X.] 569/18 - Rn. 2).

III. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 analog ZPO. [X.]ei der Streitwertfestsetzung war zu berücksichtigen, dass im [X.]erufungsverfahren - anders als im [X.]eschwerdeverfahren - der hilfsweise geltend gemachte Anspruch nicht zur Entscheidung angefallen ist (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG).

IV. Von einer weiteren [X.]egründung wird nach § 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG abgesehen.

        

    Koch    

        

    Rachor    

        

    Schlünder    

        

        

        

    Trümner    

        

    [X.]rossardt    

                 

Meta

2 AZN 801/21

21.07.2022

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZN

vorgehend ArbG Nürnberg, 16. März 2021, Az: 14 Ca 3512/20, Urteil

§ 308 Abs 1 S 1 ZPO, Art 103 Abs 1 GG, § 72 Abs 2 Nr 3 Alt 2 ArbGG, § 72a Abs 7 ArbGG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 21.07.2022, Az. 2 AZN 801/21 (REWIS RS 2022, 3610)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 3610 MDR 2022, 1366 REWIS RS 2022, 3610


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 AZN 801/21

Bundesarbeitsgericht, 2 AZN 801/21, 21.07.2022.


Az. 14 Ca 3512/20

ArbG Nürnberg, 14 Ca 3512/20, 16.03.2021.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 AZN 22/23 (Bundesarbeitsgericht)

Kündigungsschutzklage - Auslegung eines ergänzenden allgemeinen Feststellungsantrags als unechter Hilfsantrag - Bindung an die Parteianträge


5 AZN 1958/12 (Bundesarbeitsgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Rechtsfrage - Entscheidungserheblichkeit


3 AZN 720/18 (Bundesarbeitsgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Divergenz - Verletzung rechtlichen Gehörs


3 AZN 1389/11 (Bundesarbeitsgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Grundsatz - Wegfall der Klärungsbedürftigkeit


3 AZN 822/16 (Bundesarbeitsgericht)

Auslegung von Versicherungsbedingungen - Rechtsfrage


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

8 AZN 589/19

1 BvR 3268/07

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.