Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.12.2021, Az. B 10 EG 4/21 B

10. Senat | REWIS RS 2021, 501

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - anwaltlich vertretener Kläger - kein Anspruch auf persönliche Ladung zum Verhandlungstermin - Teilnahmerecht - Anordnung des persönlichen Erscheinens - gerichtliches Ermessen - Nichtgewährung von Akteneinsicht in erster Instanz - Fortwirken in der zweiten Instanz - Möglichkeit einer erneuten Antragstellung - Ankündigung der Urteilsverkündung "im Laufe des Sitzungstages" - handschriftliche Änderungen im Urteilstext - Bezeichnung eines Verfahrensmangels - Tatsachendarstellung - Divergenz - Übernahme von BSG-Formulierungen - Geltendmachung von unterschiedlichen Sachverhalten - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 24. Juni 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Die Klägerin begehrt in der Hauptsache höheres Elterngeld für ihre am [X.] geborene Tochter unter Berücksichtigung der während des [X.] im April und Dezember 2016 bezogenen Bonuszahlungen sowie der im Dezember 2016 erhaltenen Eheschließungsprämie. Diesen Anspruch hat das [X.] mit Urteil nach mündlicher Verhandlung vom [X.] verneint, weil es sich bei diesen Entgeltbestandteilen um sonstige Bezüge iS des § 2c [X.]elterngeld- und Elternzeitgesetzes ([X.]) gehandelt habe, die nicht bei der Berechnung des [X.] zu berücksichtigen seien.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim B[X.] Beschwerde eingelegt, die sie mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]) und einer Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]) begründet.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe des [X.] (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]) und der Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]) nicht in der hierfür erforderlichen Weise bezeichnet worden sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]).

4

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.] vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, so müssen für die Bezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]) die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des [X.] - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.] kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 [X.] und auf eine Verletzung von § 103 [X.] nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diese Darlegungsanforderungen an einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.] erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

5

a) Anders als geboten hat die Klägerin bereits den Sachverhalt, der dem angefochtenen Urteil des [X.] zugrunde liegt, nicht mitgeteilt. "Bezeichnet" iS des § 160a Abs 2 [X.] [X.] ist ein Verfahrensmangel nur dann, wenn er in den ihn begründenden Tatsachen substantiiert dargetan wird. Dies wird aber nur dann erkennbar, wenn zuvor diese Tatsachen im Zusammenhang mit dem Verfahrensgang dargestellt und einer rechtlichen Wertung unterzogen werden. Hieran fehlt es. Es ist nicht Aufgabe des [X.], unter Heranziehung von Verwaltungs- und Prozessakten das herauszusuchen, was möglicherweise zur Begründung der Beschwerde geeignet sein könnte (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom [X.] SB 88/16 B - juris Rd[X.] 5 mwN). Ohne Sachverhaltswiedergabe kann der Senat schon nicht beurteilen, inwiefern das Urteil des [X.] auf den vermeintlich gerügten Verfahrensmängeln beruhen können soll.

6

b) Soweit die Klägerin rügt, dass ihr bis zum Abschluss des zweitinstanzlichen Verfahrens keine Akteneinsicht in die Verwaltungsakte der Beklagten gewährt worden sei, obwohl sie dies in der ersten Instanz beantragt habe, hat sie bereits keinen Verstoß des Berufungsgerichts gegen das Recht auf Akteneinsicht nach § 120 Abs 1 [X.] bezeichnet. Verfahrensmängel iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.] sind Verstöße des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug. Ein Verfahrensmangel, der dem [X.] unterlaufen ist, kann daher nur dann die Revision rechtfertigen, wenn dieser fortwirkt und damit zugleich als ein Mangel des Verfahrens vor dem [X.] anzusehen ist (vgl B[X.] Beschluss vom 23.2.2017 - B 5 R 381/16 B - juris Rd[X.] 16 mwN). Hierzu enthält die Beschwerdebegründung keine substantiierten Angaben. Insbesondere fehlt es vollständig an dem erforderlichen Sachvortrag, wie sich eine angeblich fehlerhafte Nichtgewährung der Akteneinsicht durch das [X.] denkbar auf dessen Entscheidung ausgewirkt haben könnte. Dass die im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Klägerin vom [X.] daran gehindert worden ist, vor Verkündung seines Urteils (erneut) einen Antrag auf Akteneinsicht zu stellen, behauptet sie nicht.

7

c) Sofern die Klägerin weiter rügt, dass sie nicht persönlich zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.] am [X.] geladen worden sei, hat sie ebenfalls keinen Verfahrensmangel des Berufungsgerichts bezeichnet. Der Gesetzgeber des [X.] hat als Mittel zur Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör den Grundsatz der mündlichen Verhandlung als Prozessmaxime des sozialgerichtlichen Verfahrens ausgestaltet und den Beteiligten in § 124 Abs 1 [X.] grundsätzlich einen Anspruch auf ihre Durchführung eingeräumt. Die Beteiligten haben ein Recht darauf, zur mündlichen Verhandlung als dem "[X.]stück" des gerichtlichen Verfahrens zu erscheinen und dort mit ihren Ausführungen gehört zu werden. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, müssen die Beteiligten daher die Möglichkeit haben, hieran teilzunehmen (vgl B[X.] Beschluss vom [X.] R 160/17 B - juris Rd[X.] 8 mwN). Die Möglichkeit der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung setzt die ordnungsgemäße Benachrichtigung über den Termin zur mündlichen Verhandlung voraus (§ 153 Abs 1, § 110 Abs 1 Satz 1, § 63 Abs 1 Satz 2 [X.]), die bei anwaltlich vertretenen Beteiligten - wie der Klägerin - gemäß § 73 Abs 6 Satz 6 [X.] eine an den Bevollmächtigten gerichtete Mitteilung der Terminbestimmung erfordert (vgl B[X.], aaO, Rd[X.] 9). Einen Verstoß hiergegen hat die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung nicht dargelegt. Sofern darin sinngemäß geltend gemacht werden sollte, das [X.] hätte das persönliche Erscheinen der Klägerin zur mündlichen Verhandlung anordnen müssen, so wäre es erforderlich gewesen, weiter auszuführen, dass und warum das nach § 111 Abs 1 Satz 1 [X.] bestehende gerichtliche Ermessen auf Null reduziert gewesen sein sollte, dass also die Anordnung des persönlichen Erscheinens durch das Gericht zwingend hätte erfolgen müssen (vgl B[X.] Beschluss vom [X.] - B 13 R 107/18 B - juris Rd[X.] 7). Solche zur Begründung einer Ermessensreduzierung geeigneten Umstände hat die Klägerin aber nicht benannt.

8

d) Auch die gerügte fehlerhafte Verkündung des Urteils des [X.] wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen § 132 Abs 1 Satz 2 [X.], weil eine Urteilsverkündung "im Laufe" des Sitzungstages unzulässig sei, hat die Klägerin nicht dargetan. Ausweislich des von ihr selbst in Bezug genommenen Protokolls über die öffentliche Sitzung des [X.] vom [X.] hat der Vorsitzende die mündliche Verhandlung um 10.36 Uhr für geschlossen erklärt und der Senat sich zur Beratung zurückgezogen. Nach geheimer Beratung hat der Vorsitzende sodann um 10.45 Uhr im Namen des Volkes das Urteil durch Verlesen der Urteilsformel verkündet. Nach § 132 Abs 1 Satz 2 [X.] wird das Urteil grundsätzlich in dem Termin verkündet, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird. [X.] ist nach dem Sitzungsprotokoll geschehen. Etwas Anderes zeigt auch die Beschwerdebegründung nicht auf.

9

e) Soweit schließlich als Verfahrensmangel gerügt wird, dass das Urteil nach den Unterschriften der [X.] verändert worden sei, "und zwar nicht von einem Gericht", und die Klägerin eine andere Abschrift des Urteils erhalten habe als das in den Akten des [X.] enthaltene Exemplar, so fehlt es schon an Ausführungen dazu, die diesen Umstand objektiv nachvollziehbar belegen können. Die Klägerin behauptet nicht, dass das Urteil des [X.] mit den handschriftlichen Verbesserungen im Text nicht von den beteiligten Berufsrichtern des [X.] unterzeichnet worden ist (§ 153 Abs 3 [X.]). Sie wirft in ihrer Beschwerdebegründung auch keine Zweifel an der Echtheit der Unterschriften der am Urteil beteiligten Berufsrichter auf. Schließlich trägt die Klägerin nicht vor, was konkret nach den Unterschriften der [X.] im Urteil verändert oder korrigiert worden sein soll.

2. Auch die behauptete Divergenz hat die Klägerin nicht ordnungsgemäß bezeichnet.

Eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.] liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das [X.] einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des B[X.], des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] oder des [X.] aufgestellt hat. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht.

Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet dies: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der in Bezug genommenen höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des [X.] enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das B[X.] die höchstrichterliche Rechtsprechung im Revisionsverfahren einer Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (vgl stRspr; zB B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] SB 40/19 B - juris Rd[X.] 5; B[X.] Beschluss vom 31.7.2017 - B 13 R 140/17 B - juris Rd[X.] 12 f). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

Die Klägerin behauptet, das Berufungsgericht weiche mit seiner Entscheidung von dem Urteil des B[X.] vom 25.6.2020 ([X.] EG 3/19 R - B[X.]E 130, 237 = [X.] 4-7837 § 2c [X.] 7) ab. Das [X.] habe formuliert: "Die streitigen Zahlungen des Arbeitgebers sind bei der Berechnung des Elterngeldes nicht als Einkommen zu berücksichtigen." Ferner übernehme das [X.] aus dem Gesamtzusammenhang genommene Formulierungen des B[X.], ohne dass eine ausreichende Berücksichtigung der differenzierten Rechtsprechung des B[X.] vorgenommen werde. Die Nichtberücksichtigung entscheidender Umstände in ihrem Fall durch das [X.] mache deutlich, dass es mit seiner Entscheidung von der Rechtsprechung des B[X.] abweiche, weil es Bonuszahlungen einer Arbeitnehmerin im Bemessungszeitraum rechtlich als "sonstige Bezüge" einordne, wohingegen das B[X.] Bonuszahlungen einer Arbeitnehmerin im Bemessungszeitraum eines Elterngeldanspruchs rechtlich als "laufenden Arbeitslohn" betrachte.

Mit diesem Vorbringen bezeichnet die Klägerin indes keinen Rechtssatz des [X.], der die zitierte Rechtsprechung des B[X.] infrage stellt, sondern wendet sich hier im [X.] gegen die inhaltliche Unrichtigkeit des Berufungsurteils. Allein die - behauptete - Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall - zB wegen der Nichtbeachtung oder fehlerhaften Anwendung höchstrichterlicher Rechtsprechung - rechtfertigt die Zulassung wegen Divergenz nicht (vgl stRspr; zB Senatsbeschluss vom [X.] - [X.] SB 30/21 B - juris Rd[X.] 11; B[X.] Beschluss vom 16.4.2018 - [X.] V 8/18 B - juris Rd[X.] 14; B[X.] Beschluss vom 16.3.2017 - B 13 R 390/16 B - juris Rd[X.] 16). Das Vorbringen der Klägerin geht daher über eine im [X.] unbeachtliche Subsumtionsrüge nicht hinaus (vgl B[X.] Beschluss vom 29.5.2019 - [X.] V 15/19 B - juris Rd[X.] 14).

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]).

4. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 [X.] durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen [X.].

5. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.].

Meta

B 10 EG 4/21 B

08.12.2021

Bundessozialgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: EG

vorgehend SG Gotha, 23. März 2018, Az: S 8 EG 3470/17, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 63 Abs 1 S 2 SGG, § 73 Abs 6 S 6 SGG, § 110 Abs 1 S 1 SGG, § 120 Abs 1 S 1 SGG, § 124 Abs 1 SGG, § 132 Abs 1 S 2 SGG, § 153 Abs 1 SGG, § 153 Abs 3 S 1 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.12.2021, Az. B 10 EG 4/21 B (REWIS RS 2021, 501)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 501

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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