Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.03.2015, Az. VI R 60/11

6. Senat | REWIS RS 2015, 14350

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Gegenstand

Adoptionskosten als außergewöhnliche Belastungen


Leitsatz

Aufwendungen für die Adoption eines Kindes sind keine außergewöhnlichen Belastungen i.S. des § 33 EStG.

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des [X.] vom 10. Oktober 2011  6 K 1880/10 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob Aufwendungen für eine Adoption als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind.

2

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr 2008 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten u.a. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

3

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten sie Aufwendungen für die Adoption eines Kindes, die erst in den Folgejahren vollzogen werden konnte, in Höhe von 8.560,68 € als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend.

4

Wegen sog. primärer Sterilität haben die Kläger keine leiblichen Kinder. [X.] lehnen sie aus ethischen und gesundheitlichen Gründen ab.

5

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) berücksichtigte die Aufwendungen nicht, weil sie nicht zwangsläufig entstanden seien. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhoben die Kläger Klage, die das [X.] ([X.]) mit den in Entscheidungen der [X.]e (E[X.]) 2012, 414 veröffentlichten Gründen als unbegründet abwies.

6

Die Kläger beantragen,
das Urteil des [X.] Baden-Württemberg vom 10. Oktober 2011  6 K 1880/10 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2008 vom 24. Juni 2009 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 16. April 2010 dahingehend abzuändern, dass nach Abzug der zumutbaren Belastung außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 393 € anerkannt werden.

7

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist unbegründet. Sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat die Aufwendungen für die Adoption eines Kindes zu Recht nicht als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG anerkannt.

9

1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen [X.] erwachsen. Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

a) Der [X.] ([X.]) geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Krankheitskosten ohne Rücksicht auf Art und Ursache der Erkrankung dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Als Krankheitskosten werden solche Aufwendungen berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit entstehen oder mit dem Ziel, die Krankheit erträglich zu machen ([X.]-Urteile vom 16. Dezember 2010 VI R 43/10, [X.]E 232, 179, [X.], 414; vom 18. Mai 1999 III R 46/97, [X.]E 188, 566, [X.] 1999, 761). Die organisch bedingte Sterilität eines Ehepartners ist als objektiv regelwidriger Körperzustand eine Krankheit im Sinne dieser Rechtsprechung. Da die heterologe Insemination die gestörte Fertilität der Spermien durch einen ärztlichen Eingriff ersetzt und damit in ihrer Gesamtheit dazu dient, eine durch Krankheit behinderte Körperfunktion zu ersetzen, stellt sie eine medizinische Maßnahme zur Beseitigung der unmittelbaren Krankheitsfolge der Kinderlosigkeit eines Paares dar ([X.]surteil in [X.]E 232, 179, [X.], 414) und führt daher zu nach § 33 EStG abziehbaren Krankheitskosten.

b) Die Aufwendungen, die einem Paar aufgrund der Adoption eines Kindes im Falle organisch bedingter Sterilität eines Partners entstehen, stellen keine Krankheitskosten im Sinne dieser Rechtsprechungsgrundsätze dar.

Eine medizinische Leistung liegt weder vor noch kann der Vorgang einer Adoption einer solchen gleichgestellt werden. Die Adoption ist in erster Linie ein Mittel der Fürsorge für elternlose und verlassene Kinder, um in einer Familie aufwachsen zu können. Entsprechend fordert § 1741 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs als Grundvoraussetzung, dass die Annahme dem Wohl des Kindes dienen müsse. Die Vorstellung von einer Adoption als medizinisch indizierter Heilbehandlung oder dieser gleichgestellten Maßnahme wäre zudem auch nicht mit dem Grundrecht des Adoptivkindes auf Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 und Abs. 3 des Grundgesetzes --GG--) vereinbar, weil ein solches Verständnis das Adoptivkind zu einem bloßen Objekt herabwürdigen würde, das zur Linderung einer Krankheit der Adoptiveltern diente (vgl. [X.]-Urteil vom 20. März 1987 III R 150/86, [X.]E 149, 539, [X.] 1987, 596; [X.]-Beschluss vom 5. Januar 1990 III B 53/89, [X.]/NV 1990, 430).

2. Die geltend gemachten Aufwendungen sind den Klägern auch nicht aus anderen Gründen zwangsläufig erwachsen.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] sind Aufwendungen für Auslandsadoptionen weder aus rechtlichen noch aus sittlichen Gründen zwangsläufig ([X.]-Urteile in [X.]E 149, 539, [X.] 1987, 596, und vom 13. März 1987 III R 301/84, [X.]E 149, 245, [X.] 1987, 495).

b) Die Aufwendungen sind auch nicht aus anderen tatsächlichen Gründen zwangsläufig. Der Entschluss zur Adoption beruht nicht auf einer Zwangslage, sondern auf der freiwilligen Entscheidung, ein Kind anzunehmen (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 149, 245, [X.] 1987, 495; [X.]-Beschluss vom 27. April 1995 III B 77/93, [X.]/NV 1996, 39).

Als außergewöhnliche Belastungen kommen nur solche Aufwendungen in Betracht, die einen Bereich der Lebensführung betreffen, welcher der individuellen Gestaltung des Steuerpflichtigen entzogen ist (z.B. [X.]-Urteile vom 18. März 2004 III R 24/03, [X.]E 206, 16, [X.] 2004, 726; vom 3. März 2005 III R 68/03, [X.]E 209, 312, [X.] 2005, 266; vom 10. Mai 2007 III R 47/05, [X.]E 218, 141, [X.] 2007, 871). Dies gilt auch dann, wenn die Aufwendungen einen grundrechtlich geschützten Bereich wie hier die Verwirklichung des Kinderwunschs (Art. 1 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG) betreffen. Der [X.] verkennt nicht, dass der Wunsch, Kinder zu haben und aufzuziehen, bei [X.], die sich für eine Auslandsadoption entscheiden, oftmals ein wesentliches sinnstiftendes Element des Lebens sein wird. Entsprechend dürfte die ungewollte Kinderlosigkeit als schwere Belastung empfunden werden. Hieraus folgt jedoch nicht, dass der Entschluss zur Adoption als Mittel zur Verwirklichung eines individuellen Lebensplans nicht mehr dem Bereich der durch den Einzelnen gestaltbaren Lebensführung zuzurechnen wäre.

3. [X.] folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VI R 60/11

10.03.2015

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 10. Oktober 2011, Az: 6 K 1880/10, Urteil

§ 33 EStG 2002, § 1741 BGB, EStG VZ 2008

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.03.2015, Az. VI R 60/11 (REWIS RS 2015, 14350)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 14350


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VI R 60/11

Bundesfinanzhof, VI R 60/11, 10.03.2015.

Bundesfinanzhof, VI R 60/11, 18.04.2013.


Az. GrS 1/13

Bundesfinanzhof, GrS 1/13, 09.10.2014.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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