Bundessozialgericht, Urteil vom 22.08.2012, Az. B 14 AS 165/11 R

14. Senat | REWIS RS 2012, 3717

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen - Arbeitslosengeld II - Überzahlung nach Aufhebung der Leistungsbewilligung - kein Ermessen


Leitsatz

Soweit in der Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht wurden und der Leistungsempfänger sich nicht auf Vertrauensschutz berufen kann, hat das Jobcenter bei Erlass des Erstattungsverwaltungsakts kein Ermessen auszuüben.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 28. April 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Umstritten ist die Rückforderung einer Überzahlung, nachdem der Kläger zuvor Leistungen nach dem [X.] ([X.]) erhalten hatte.

2

Die Rechtsvorgängerin des beklagten [X.] (im Folgenden ebenfalls Beklagter) bewilligte dem Kläger [X.], einschließlich eines Zuschlags nach § 24 [X.], ua vom 1.10.2007 bis 31.1.2008 in Höhe von 721,81 Euro pro Monat (Bewilligungsbescheid vom 5.9.2007). Nachdem die [X.] dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1.7.2005 bewilligt hatte, hob der Beklagte diesen Bewilligungsbescheid ab 1.11.2007 auf (Aufhebungsbescheid vom 15.10.2007). Dennoch überwies der Beklagte in den Monaten November 2007 bis Januar 2008 jeweils 721,81 Euro auf das angegebene Konto des [X.]. Nachdem ihn der Kläger auf die Überzahlung hingewiesen hatte, forderte der Beklagte mit [X.] vom 10.1.2008 diese Leistungen in Höhe von 2165,43 Euro zurück.

3

Die vom Kläger nach dem erfolglosen Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom [X.]) erhobene Klage wurde vom [X.] ([X.]) abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 12.11.2009). Das [X.] (L[X.]) hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen (Urteil vom [X.]) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Sozialgerichte seien für den Rechtsstreit zuständig, weil es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 51 Abs 1 [X.] ([X.]G) handele. Der [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides sei formell rechtmäßig. Rechtsgrundlage sei § 50 Abs 2 Satz 1 Zehntes [X.] ([X.]B X). Zwischen dem Kläger und dem Beklagten habe ein öffentlich-rechtliches Leistungsverhältnis bestanden, in dem Regelleistungen nach §§ 19, 20 [X.] gewährt worden seien. § 50 Abs 3 Satz 1 [X.]B X bestimme ausdrücklich, dass die zu erstattende Leistung durch Verwaltungsakt festzusetzen sei. Der [X.] sei auch materiell rechtmäßig, insofern werde auf den Gerichtsbescheid des [X.] gemäß § 153 Abs 2 Satz 1 [X.]G Bezug genommen. Danach seien nach § 50 Abs 2 Satz 1 [X.]B X auch solche Leistungen zu erstatten, die weiter gezahlt worden seien, obwohl der Leistungstatbestand weggefallen sei. Die Leistung sei von Anfang an rechtswidrig iS des § 45 [X.]B X gewesen und der Kläger könne sich nicht auf einen Vertrauensschutztatbestand iS des § 45 Abs 2 [X.]B X berufen, weil er aufgrund des [X.] gewusst habe, dass ihm ab November 2007 keine Leistungen mehr zustanden. Da der Beklagte nach § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 [X.], § 330 Abs 2 Drittes [X.] ([X.]I) kein Ermessen gehabt habe, bleibe auch kein Raum für die Berücksichtigung von Mitverschulden des Beklagten. § 40 Abs 2 Satz 1 [X.] finde keine Beachtung, weil die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 [X.]B X vorliegen.

4

Mit der vom [X.] (B[X.]) zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von §§ 50, 45 [X.]B X, insbesondere durch die Anwendung von § 330 Abs 2 [X.]I. Er macht geltend, § 50 Abs 2 Satz 2 [X.]B X ordne lediglich die entsprechende Geltung der §§ 45, 48 [X.]B X an. Danach sei eine Ermessensausübung erforderlich, an der es in diesem Verfahren mangele. § 330 [X.]I beziehe sich nach seinem Wortlaut auf die Rücknahme eines Verwaltungsaktes, der vorliegend nicht gegeben sei. Auch eine teleologische Auslegung spreche gegen seine Anwendung. Die verschärfte Haftung von Leistungsbeziehern - ohne Vertrauensschutz und Ermessensausübung - könne vorliegend nicht zur Anwendung kommen, weil er zum Zeitpunkt der Überzahlung nicht mehr in einem Sozialleistungsverhältnis zu dem Beklagten gestanden habe. Er sei vielmehr ein Außenstehender gewesen, sodass die allgemeinen Regeln nach §§ 50, 45 [X.]B X, nicht aber § 330 [X.]I anzuwenden seien.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.] vom 28. April 2010 und den Gerichtsbescheid des [X.] vom 12. November 2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 10. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2008 aufzuheben.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen.

7

Er meint, die Revision sei nicht ordnungsgemäß begründet worden, weil der Kläger sich die Genehmigung der Revisionsbegründung vorbehalten habe, die nicht erfolgt sei.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des [X.] ist unbegründet. Das [X.] hat zu Recht die Berufung des [X.] gegen den die [X.]lage abweisenden Gerichtsbescheid zurückgewiesen, weil der [X.]läger verpflichtet ist, die vom [X.] überzahlten und mit [X.] festgesetzten 2165,43 Euro an den [X.] zu zahlen.

9

Die Revision ist zulässig. Das B[X.] ist für die Entscheidung des Rechtsstreits in der Revisionsinstanz zuständig (§ 39 Abs 1, §§ 160 ff [X.]G); im Rechtsmittelverfahren in der Hauptsache ist die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs nicht mehr zu prüfen (§ 17a Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz).

Die Revision ist gemäß § 164 Abs 2 [X.]G fristgemäß und ordnungsgemäß begründet worden. Dem steht nicht entgegen, dass der [X.]läger persönlich auf der "umfassenden Vollmacht" für seinen Rechtsanwalt mitgeteilt hat, er habe die Revisionsbegründung nicht genehmigt. Entscheidend ist die uneingeschränkte Erteilung der Vollmacht im Außenverhältnis, interne Absprachen oder Vorbehalte, wie die Genehmigung bestimmter Erklärungen, die das Gesetz nicht vorsieht, sind unbeachtlich (§§ 164, 116 ff Bürgerliches Gesetzbuch ). In dem Zusatz liegt auch entgegen der Ansicht des [X.] kein Widerruf der Revisionsbegründung seitens des [X.] persönlich, weil er persönlich gegenüber dem B[X.] nicht postulationsfähig ist (§ 73 Abs 4 [X.]G).

Die Revision ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]G), weil der [X.] des [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides formell (dazu 1.) und materiell (dazu 2.) rechtmäßig ist. Rechtsgrundlagen für den Bescheid sind § 40 [X.], § 50 Abs 2, 3, § 45 [X.] und § 330 Abs 2 [X.]I.

1. Der [X.] ist formell rechtmäßig.

Dem steht nicht entgegen, dass der [X.]läger zu dem [X.] als eingreifenden Verwaltungsakt nach § 24 Abs 1 [X.] anzuhören gewesen wäre, das [X.] aber keine Feststellungen zu einer solchen Anhörung getroffen und der Beklagte keine dahingehenden [X.] erhoben hat. Denn die fehlende Anhörung ist durch das durchgeführte Widerspruchsverfahren nach § 41 Abs 1 [X.] 3 [X.] geheilt worden.

Die Möglichkeit einer Heilung einer unterlassenen Anhörung bei Durchführung eines Widerspruchsverfahrens wird in der Literatur allgemein angenommen ([X.] in [X.]/[X.], [X.], Stand Juni 2012, [X.] § 41 Rd[X.] 15 f; Schütze in von [X.], [X.], 7. Aufl 2010, § 41 Rd[X.] 15; [X.] in [X.]asseler [X.]ommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand 4/2012, § 41 [X.] Rd[X.] 16; jeweils mwN). Sie erfordert jedoch, um die mit der [X.] bezweckte Wahrung des Anspruchs des Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen, dass dem Beteiligten schon in dem angefochtenen Verwaltungsakt oder auf andere Weise im Laufe des Widerspruchsverfahrens alle entscheidungserheblichen Tatsachen zur [X.]enntnis gebracht wurden, sodass er sich zu ihnen sachgerecht äußern konnte (B[X.] vom 26.9.1991 - 4 R[X.] 4/91 - [X.] 69, 247, 251 ff = [X.] 3-1300 § 24 [X.] 4; B[X.] vom 14.7.1994 - 7 [X.]/93 - [X.] 3-4100 § 117 [X.] 11 S 67, 72 f; B[X.] vom 12.12.2001 - [X.] [X.]A 3/01 R - [X.] 89, 90, 93 = [X.] 3-2500 § 82 [X.] 3).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, wie den Feststellungen des [X.] und den nach § 153 [X.] [X.]G in Bezug genommenen des [X.] noch entnommen werden kann, zumal der [X.]läger selbst den [X.] auf die Überzahlung hingewiesen hat und der Tatbestand als solcher zwischen den Beteiligten nicht umstritten ist.

2. Der [X.] ist auch materiell rechtmäßig.

Die Voraussetzungen der Rechtsgrundlagen für den angefochtenen Bescheid nach § 40 [X.] (dazu a), § 50 Abs 2, 3 [X.] (dazu b), § 45 [X.], insbesondere dessen Abs 2 (dazu c) und § 330 Abs 2 [X.]I (dazu d) sind erfüllt.

a) Nach § 40 Abs 1 Satz 1 [X.] in der vom 1.1.2005 bis heute geltenden Fassung aufgrund des Art 1 des [X.] am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 ([X.] 2954), gilt für das Verfahren nach dem [X.] das [X.]. Zudem sind entsprechend anwendbar die Vorschriften des [X.]I ua über die Aufhebung von Verwaltungsakten 330 Abs 1, 2, 3 Satz 1, 4 [X.]I; § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] 1 [X.] in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung <[X.] aF>, dem insofern § 40 Abs 2 [X.] 2, 3 [X.] in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.5.2011, [X.] 850 entsprechen <[X.] nF>).

b) Der in Bezug genommene und vorliegend einschlägige § 50 Abs 2 [X.] lautet: "Soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, sind sie zu erstatten. §§ 45 und 48 gelten entsprechend." Des Weiteren regelt § 50 Abs 3 Satz 1 [X.]: "Die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen."

(1) Die Grundvoraussetzungen des § 50 [X.] [X.] sind erfüllt, weil von dem [X.] an den [X.]läger die umstrittenen 2165,43 Euro durch Überweisung auf dessen [X.]onto geleistet wurden und für diese Leistung aufgrund der zuvor erfolgten Aufhebung des Bewilligungsbescheides durch den Aufhebungsbescheid vom 15.10.2007 kein Rechtsgrund, insbesondere nicht in Form eines Verwaltungsaktes, bestand (vgl B[X.] vom 24.1.1995 - 8 R[X.]n 11/93 - [X.] 75, 291 = [X.] 3-1300 § 50 [X.] 17).

Trotz dieses [X.] wurde die Zahlung entgegen der Ansicht des [X.] nicht zu einer privatrechtlichen Angelegenheit zwischen ihm und dem beklagten Jobcenter, sie behielt vielmehr ihre öffentlich-rechtliche Zielrichtung (vgl B[X.] vom 24.7.2001 - B 4 RA 102/00 R - [X.] 3-1300 § 50 [X.] 24; allgemein [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 50 Rd[X.] 14a mwN). Auch wenn die Leistungsbewilligung seitens des [X.] durch den Aufhebungsbescheid nicht mehr bestand, war das Rechtsverhältnis zwischen dem [X.]läger und dem [X.] damit nicht unmittelbar beendet, vielmehr war [X.] auch der Erstattungsanspruch zwischen dem [X.] und dem Rentenversicherungsträger abzuwickeln, der gegenüber dem [X.]läger Erfüllungswirkung hatte (§ 107 Abs 1 [X.]), und es gibt nachwirkende Rechte und Pflichten aus öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnissen (vgl allgemein nur [X.] in [X.]nack/dsl, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl 2010, vor § 35 Rd[X.] 14 ff; [X.] in [X.]/[X.], Verwaltungsverfahrensgesetz, 7. Aufl 2008, § 9 Rd[X.] 16 ff).

Der grundlegende Unterschied zwischen dem [X.]läger und einem beliebigen Dritten, auf dessen [X.]onto eine Zahlung erfolgt (vgl zu einer solchen Fallgestaltung: B[X.] vom 29.10.1986 - 7 [X.] - [X.] 61, 11 = [X.] 1300 § 50 [X.] 13), besteht darin, dass die Zahlung seitens des [X.] an den [X.]läger zur Erfüllung einer von dem [X.] irrtümlicherweise angenommenen öffentlich-rechtlichen Verpflichtung erfolgte (vgl zu einer solchen Fallgestaltung B[X.] vom 24.7.2001 - B 4 RA 102/00 R - [X.] 3-1300 § 50 [X.] 24). § 50 Abs 2 [X.] zielt gerade auf solche Fallgestaltungen ab, in denen ein das Rechtsverhältnis regelnder Verwaltungsakt fehlt, aber bestimmte Rechtsbeziehungen zwischen leistender Behörde und Leistungsempfänger bestehen (vgl die Gesetzesbegründung in BT-Drucks 8/2034 [X.] zu § 48 mit dem Beispiel [X.]; [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 50 Rd[X.] 14a mwN; [X.] in [X.]asseler [X.]ommentar, § 50 [X.] Rd[X.] 29). Der Grund für die Überzahlung war vorliegend eine Fortwirkung des im Rahmen der ursprünglichen [X.]-Bewilligung eingerichteten [X.] des [X.], den Betrag an den [X.]läger zu überweisen, der mit der Aufhebung des Bewilligungsbescheides nicht ebenfalls aufgehoben worden war.

Für diese Auslegung spricht zudem § 50 Abs 3 Satz 1 [X.], der nicht nur für die Fallkonstellation nach § 50 Abs 1 [X.], sondern auch für die nach § 50 Abs 2 [X.] eine Festsetzung der zu erstattenden Leistung durch Verwaltungsakt anordnet (B[X.] vom 24.7.2001 - aaO).

(2) Aus der in § 50 Abs 2 Satz 2 [X.] angeordneten entsprechenden Geltung der §§ 45, 48 [X.] folgt nichts anderes. Ein Ausnahmefall entsprechend dem zum Rentenrecht ergangenen Urteil des B[X.] vom 24.7.2001 (B 4 RA 102/00 R - [X.] 3-1300 § 50 [X.] 24), der ihre Anwendung ausschließt, liegt nicht vor, weil ein Verwaltungsakt über [X.]-Leistungen an den [X.]läger - im Unterschied zu jener Fallkonstellation - nicht nichtig wäre. Im Übrigen würde die Zugrundelegung der in jener Entscheidung entwickelten Maßstäbe die Stellung des [X.] eher verschlechtern, weil allgemeine Gründe für einen Vertrauensschutz des [X.] hinsichtlich der Überzahlung nicht zu erkennen sind und von ihm auch nicht behauptet werden.

§ 48 [X.] ist vorliegend von vornherein nicht einschlägig, weil in der [X.] von November 2007 bis Januar 2008, in der die Überweisungen des [X.] an den [X.]läger erfolgten, insofern keine Änderung in den Verhältnissen eingetreten ist.

c) Aber auch § 45 [X.] steht dem Erstattungsanspruch des [X.] nicht entgegen. § 45 [X.] lautet, soweit vorliegend maßgeblich, in [X.]: "Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist." und Satz 3: "Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit …
3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat." Nach § 45 Abs 4 Satz 1 [X.] wird nur in den zuletzt wiedergegebenen Fällen des Satzes 3 der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Aus der "entsprechenden" Geltung des § 45 [X.] folgt, dass in den Fällen einer Leistung ohne Verwaltungsakt nach § 50 Abs 2 [X.] an die Stelle des Verwaltungsaktes die Leistung oder vorliegend die Überweisung tritt.

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme für die Vergangenheit, die bei einem Erstattungsbegehren, das typischerweise immer Leistungen in der Vergangenheit betrifft, gegeben sein müssen, sind erfüllt. Denn der [X.]läger kannte, wie er auch im gesamten Verfahren nicht in Abrede gestellt hat, die Rechtswidrigkeit der Zahlungen des [X.] iS des § 45 Abs 2 Satz 3 [X.] 3 [X.] aufgrund ihrer Rechtsgrundlosigkeit und der zuvor erfolgten Aufhebung des Bewilligungsbescheides. Er hat den [X.] nach Feststellung der Zahlungseingänge auf seinem [X.]onto auch umgehend informiert.

d) Der Beklagte hatte vor Erlass des [X.]es kein Ermessen auszuüben. Aus der angeordneten "entsprechenden" Geltung des § 45 [X.] in § 50 Abs 2 Satz 2 [X.] folgt zwar auch die Übertragung der bei einer Rücknahme nach § 45 [X.] grundsätzlich notwendigen Ermessensausübung seitens des [X.] auf dessen Erstattungsbegehren (B[X.] vom 18.8.1983 - 11 [X.] 1/82 - [X.] 55, 250, 254 = [X.] 1300 § 50 [X.] 3; B[X.] vom [X.] - 11a RA 2/85 - [X.] 60, 239, 240 f = [X.] 1300 § 45 [X.] 26; B[X.] vom [X.] - 4 RA 16/92 - [X.] 3-1300 § 50 [X.] 16). Diese Ermessensausübung wird vorliegend jedoch ausgeschlossen durch die in § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] aF angeordnete ebenfalls entsprechende Geltung des § 330 Abs 2 [X.]I. Die zuletzt genannte Vorschrift lautet: "Liegen die in § 45 Abs 2 Satz 3 [X.] genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vor, ist dieser auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen."

(1) Entgegen dem Vorbringen der Revision kann aus der Verwendung des Begriffs "Verwaltungsakt" im Wortlaut des § 330 Abs 2 [X.]I nichts hergeleitet werden. Entscheidend ist vielmehr die Wendung "liegen die in § 45 Abs 2 Satz 3 [X.] genannten Voraussetzungen … vor" und die Rechtsfolgenanordnung, dass dann der Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, also kein Ermessen hinsichtlich der Rücknahme auszuüben ist. Dies gilt gerade für die in § 50 Abs 2 Satz 2 [X.] angeordnete entsprechende Geltung des § 45 [X.], weil § 50 Abs 2 [X.] die Erstattung von Leistungen regelt, die ohne Verwaltungsakt erbracht wurden.

(2) Für den Ausschluss einer Ermessensausübung sprechen auch der Sinn und Zweck des § 330 Abs 2 [X.]I sowie systematische Zusammenhänge. § 330 [X.]I ist eine nach § 37 Abs 1 [X.] zulässige abweichende Regelung von den §§ 44 ff [X.]. § 330 Abs 2 [X.]I knüpft an die mit dem [X.] des Spar-, [X.]onsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21.12.1993 ([X.] 2353) mit Wirkung vom [X.] eingeführte Vorgängerregelung in § 152 Abs 2 Arbeitsförderungsgesetz ([X.]) an. Zu deren Begründung wurde damals ausgeführt, sie solle dem Umstand Rechnung tragen, dass die Arbeitsämter anders als die meisten Sozialversicherungsträger die Leistungen überwiegend kurzfristig zu erbringen und vielfach ebenso kurzfristig zu beenden haben, sodass Überzahlungen praktisch nicht zu vermeiden seien. Allein im Jahr 1992 sei in 1,85 Millionen Fällen über die Erstattung überzahlter Leistungen zu entscheiden gewesen, daher solle an die Stelle einer Ermessensentscheidung eine gebundene Entscheidung treten (BT-Drucks 12/5502 [X.] zu [X.] 43). Dieser Grund gilt für Leistungen nach dem [X.] in noch stärkerem Maße, da diese von den sich oft ändernden Bedarfen und Einkommen der Leistungsberechtigten abhängen. Bestätigt wird dieser Unterschied auch durch die Leistungsbewilligung für in der Regel sechs Monate nach dem [X.] (vgl dessen § 41 Abs 1) verglichen mit einer Rentengewährung nach dem Sechsten oder Siebten Buch Sozialgesetzbuch.

Eine solche typische Situation, die der Gesetzgeber mit der Sonderreglung des § 330 Abs 2 [X.]I erfassen wollte, ist vorliegend gegeben: Zunächst wird eine bestimmte Leistung bewilligt, dann fällt der Anspruch der leistungsberechtigten Person auf diese Leistung weg, weil sie eine andere vorrangige Leistung erhält, dies wird jedoch verwaltungsmäßig nicht so schnell umgesetzt, dass es nicht zu einer Überzahlung kommt. Sind die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 [X.] 3 [X.] erfüllt - die leistungsberechtigte Person kannte die Rechtswidrigkeit der Überzahlung, wie vorliegend der [X.]läger -, dann besteht, von weiteren Voraussetzungen abgesehen, kein Grund, warum sie diesen Betrag behalten soll und die Behörde insofern Ermessen ausüben muss.

(3) Aus systematischen Gründen kann nicht im Sinne der Argumentation des [X.] zwischen den Fallgestaltungen mit einer direkten Anwendung des § 45 [X.] und der entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift unterschieden werden: In der ersten Fallgestaltung geschieht zunächst überhaupt nichts, dann werden nach der Überzahlung ein Rücknahmeverwaltungsakt, der die Leistungsbewilligung aufhebt, nach § 45 [X.] auch für die Vergangenheit ohne Ermessensausübung und zeitgleich ein Erstattungsverwaltungsakt nach § 50 Abs 1 [X.] erlassen. In der zweiten Fallgestaltung wird zwar die Leistungsbewilligung aufgehoben, aber es wird weitergezahlt und dann ein Erstattungsverwaltungsakt nach § 50 Abs 2 [X.] erlassen. Für den Ausschluss der Ermessensausübung gerade in der zweiten Fallgestaltung spricht, dass die leistungsberechtigte Person aufgrund der zuvor erfolgten Aufhebung der Leistungsbewilligung um die Rechtswidrigkeit der eingehenden Leistungen wusste (ähnlich [X.] in [X.], [X.]I, Stand 5/2012, § 330 Rd[X.] 25; im Ergebnis ebenso Düe in Niesel/[X.], [X.]I, 5. Aufl 2010, § 330 Rd[X.] 3; Schütze in von [X.], [X.], § 50 Rd[X.] 25; ebenso in früheren Entscheidungen schon [X.] Baden-Württemberg vom 10.10.2006 - L 13 AL 3133/05 - und vom [X.] [X.]/07; zu der erforderlichen Ermessensausübung nach § 50 Abs 2, § 45 [X.] vor Geltung des § 152 Abs 2 [X.] in obigen Fallgestaltungen: B[X.] vom 31.10.1991 - 7 [X.]/89 - [X.] 3-1300 § 45 [X.] 10).

(4) Entgegen dem Vorbringen des Revisionsführers kann er im Verhältnis zum [X.] nicht als "Außenstehender" angesehen werden, auf den nur die allgemeinen Regeln der §§ 50, 45 [X.] nicht aber die speziellen Regeln des § 330 [X.]I anzuwenden sind. Denn auch wenn die Leistungsbewilligung seitens des [X.] durch einen Bescheid aufgehoben worden war, war - wie ausgeführt - das Rechtsverhältnis zwischen [X.]läger und Beklagtem nicht unmittelbar beendet, sondern wirkte nach, wie die Überzahlung zeigt. Gründe für eine die in § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] 1 [X.] aF angeordnete Geltung des § 330 Abs 2 [X.]I einschränkende Auslegung in den Fällen des § 50 Abs 2 [X.] sind - wie dargelegt - nicht zu erkennen.

e) Die [X.] nach § 50 Abs 4, § 45 Abs 3 Satz 2, Abs 4 Satz 2 [X.] sind erfüllt, wie sich aus dem [X.] November 2007 bis Januar 2008 und dem Datum des [X.]es mit 10.1.2008 ergibt, ohne dass deren entsprechende Geltung in den Fällen des § 50 Abs 2 [X.] einer abschließenden Erörterung bedarf (vgl dazu B[X.] vom [X.] - 11a RA 2/85 - [X.] 60, 239 = [X.] 1300 § 45 [X.] 26; B[X.] vom 24.1.1995 - 8 R[X.]n 11/93 - [X.] 75, 291 = [X.] 3-1300 § 50 [X.] 17).

Die Höhe des [X.] ist nicht nach § 40 [X.] [X.] aF zu verringern, weil diese Vorschrift in den Fällen des § 45 Abs 2 Satz 3 [X.], wie vorliegend einer gegeben ist, keine Anwendung findet (§ 40 Abs 2 Satz 2 [X.] aF, heute in § 40 Abs 4 [X.] nF).

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 [X.]G.

Meta

B 14 AS 165/11 R

22.08.2012

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Freiburg (Breisgau), 12. November 2009, Az: S 15 AS 3749/08, Gerichtsbescheid

§ 40 Abs 1 S 1 SGB 2 vom 24.12.2003, § 40 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 2 vom 24.12.2003, § 45 Abs 1 SGB 10, § 45 Abs 2 S 1 SGB 10, § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB 10, § 50 Abs 2 S 1 SGB 10, § 50 Abs 2 S 2 SGB 10, § 330 Abs 2 SGB 3

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 22.08.2012, Az. B 14 AS 165/11 R (REWIS RS 2012, 3717)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3717

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