Bundessozialgericht, Urteil vom 13.04.2011, Az. B 14 AS 85/09 R

14. Senat | REWIS RS 2011, 7582

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Arbeitslosengeld II - Unterkunfts- und Heizkosten - Angemessenheitsprüfung anhand des Berliner Mietspiegels - Vergleichsraum - Stadtgebiet Berlin - Referenzmiete - Baualtersklasse - arithmetischer Mittelwert


Tenor

Auf die Revisionen der Klägerinnen wird das Urteil des [X.] vom 31. März 2009 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die [X.] begehren von dem Beklagten die Gewährung höherer Kosten für Unterkunft (KdU) und Heizung für die [X.] vom [X.] bis zum 31.3.2008.

2

Die 1965 geborene, alleinerziehende Klägerin zu 1 und ihre am 2005 geborene Tochter, die Klägerin zu 2, beziehen von dem beklagten Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende seit dem 1.1.2005 (die Klägerin zu 2 seit ihrer Geburt) durchgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] ([X.]). Sie bewohnen eine 91 qm große Zweizimmerwohnung in [X.]. Für diese Wohnung zahlte die Klägerin zu 1 im streitigen [X.]raum eine monatliche Gesamtmiete in Höhe von 620 Euro.

3

Der Beklagte gewährte den [X.] bis einschließlich März 2007 Leistungen unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 620 Euro. Mit Schreiben vom [X.] und ergänzend mit Bescheid vom [X.] teilte er den [X.] mit, die KdU seien nicht angemessen. Für [X.] gelte insoweit ein Richtwert für die Bruttowarmmiete von 444 Euro. Mit Schreiben vom 21.6.2006 und vom [X.] legte die Klägerin zu 1 dar, sie sei seit März 2006 wieder arbeitsuchend und wolle im März 2007 wieder voll in den Beruf einsteigen. In ihrer Wohnumgebung habe sie ein Netzwerk an Bezugs- und Betreuungspersonen für ihre Tochter aufgebaut, das ihr ermögliche, ihre bisherige berufliche Tätigkeit wieder aufzunehmen. Von einer Absenkung der Mietkosten müsse daher abgesehen werden, da eine Kombination zweier atypischer Fälle vorliege.

4

Für die [X.] vom [X.] bis zum [X.] bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom [X.] monatliche Leistungen in Höhe von 855 Euro und legte dabei KdU in Höhe von 444 Euro zugrunde. Widerspruch und Klage gerichtet auf die Übernahme der KdU in Höhe von 620 Euro blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom [X.]; Gerichtsbescheid des Sozialgerichts [X.] vom [X.]).

5

Für die [X.] vom 1.10.2007 bis zum 31.3.2008 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 12.9.2007 monatliche Leistungen in Höhe von 859 Euro und legte dabei weiterhin Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 444 Euro zugrunde. Widerspruch und Klage hiergegen blieben ebenfalls ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 29.11.2007; Gerichtsbescheid des [X.] vom 2[X.]).

6

Das gegen beide Entscheidungen angerufene [X.] ([X.]) [X.] hat die Berufungen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und mit Urteil vom 31.3.2009 zurückgewiesen. Für die Klägerin zu 1, die im streitigen [X.]raum Berechtigte im Sinne des § 7 Abs 1 [X.] (in der für den streitigen [X.]raum geltenden Fassung des [X.] von Kommunen nach dem [X.] vom 30.7.2004, [X.]) gewesen sei und ihre Tochter, die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebe und deshalb nach § 7 Abs 2 Satz 1 [X.] Leistungsberechtigte sei, ergäben sich Ansprüche auf weitergehende KdU als von dem Beklagten bewilligt nach Bestimmung der abstrakt angemessenen Kosten nach der sog Produkttheorie nicht.

7

Hinsichtlich der Feststellung der angemessenen Wohnungsgröße sei die für [X.] im [X.] Wohnungsbau anerkannte Wohnraumgröße zugrunde zu legen. Nach Maßgabe der in [X.] geltenden Regelungen sei eine Wohnungsgröße von bis zu 60 qm für die [X.] angemessen. Für die weitere Feststellung des angemessenen [X.] seien nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der sich der Senat anschließe, die Kosten für eine Wohnung, "die nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist", zu ermitteln. Hierfür seien die sich aus der [X.]er Mietspiegeltabelle 2007 (Amtsblatt für [X.] 2007, 1797) ergebenden durchschnittlichen Mittelwerte für einfache Wohnlagen und Ausstattungen für Neu- und Altbauten zugrunde zu legen. Für eine Wohnfläche von sechzig und mehr Quadratmetern in einfacher Lage ergebe sich eine Nettokaltmiete von gerundet 4,55 Euro pro qm (Summe aus sämtlichen Mittelwerten geteilt durch 11), und also eine monatliche Nettokaltmiete in Höhe von insgesamt 273 Euro. Zu der Nettokaltmiete seien die angemessenen kalten Betriebskosten, die regelmäßig mit dem Mietzins zu entrichten seien, unter Zugrundelegung der vom [X.] ([X.]) mit dem "[X.] 2007" veröffentlichten Angaben (www.mieterbund.de) zu bestimmen, die sich auf 1,75 Euro pro qm (einschließlich Steuern und Abgaben) monatlich beliefen. Zuzüglich einer angemessenen Bruttokaltmiete von insgesamt 378 Euro seien Heizkosten in Höhe von 0,85 Euro pro qm (ebenfalls unter Rückgriff auf den [X.] 2007) als angemessen anzusehen, sodass sich bei einer Wohnungsgröße von 60 qm eine angemessene monatliche Bruttowarmmiete in Höhe von insgesamt 429 Euro (378 Euro + 51 Euro) ergebe.

8

Es sei davon auszugehen, dass eine konkrete Unterkunftsalternative zu dem von dem Beklagten zugrunde gelegten Mietzins tatsächlich anmietbar sei. Die von den [X.] vorgetragenen Gründe seien nicht geeignet, im Einzelfall einen höheren Mietzins als angemessen anzusehen. Die Betreuungssituation der Klägerin zu 2 könne auch bei Umzug in eine preisgünstigere Wohnung im Grundsatz aufrechterhalten werden. Solche Wohnungen seien nach den Recherchen des Senats im [X.] im selben Bezirk wenige Straßen weiter und auch im nahegelegenen [X.]-Neukölln verfügbar. Die vorgetragene mindestens halbstündige Betreuung durch weitere Hausbewohner verbessere die Betreuungssituation nicht so maßgeblich, dass hierauf Rücksicht genommen werden müsse. Es sei auch nicht dargetan, weshalb die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit durch die Klägerin zu 1 nur in der jetzt bewohnten Wohnung stattfinden könne. Versuche der [X.], eine preisgünstigere Wohnung anzumieten (etwa über eine Wohnungsbaugenossenschaft), seien schließlich nicht erkennbar geworden; es sei aber nicht Aufgabe des Beklagten oder des [X.], den [X.] entsprechende Wohnmöglichkeiten nachzuweisen.

9

Hiergegen richten sich die [X.] mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision. Sie rügen eine Verletzung des § 22 Abs 1 [X.]. Das [X.] habe den räumlichen Vergleichsraum unzutreffend bestimmt. Maßgeblich sei der bewohnte Bezirk (hier [X.]), denn die Bezirke unterschieden sich in ihren Lebensverhältnissen und dabei insbesondere im Mietniveau erheblich. Der Mietspiegel sei damit kein geeigneter Ausgangspunkt für die Bestimmung der [X.], denn es werde nicht ersichtlich, welche Miethöhe für einfache Wohnungen im Bezirk anzusetzen seien. Für den maßgeblichen Vergleichsraum [X.] ergebe sich für einfache Wohnlagen eine durchschnittliche Nettokaltmiete in Höhe von 5,90 Euro bzw 6,20 Euro pro Quadratmeter, wie sich aus Quellen eines weltweit tätigen Finanz-, Dienstleistungs- und Beratungsunternehmens im Immobilienbereich ergebe. Zuzüglich der vom [X.] zugrunde gelegten kalten und warmen Betriebskosten ergebe sich ein [X.] von 8,50 Euro bzw 8,80 Euro und damit eine angemessene Vergleichsmiete von 510 Euro monatlich für das [X.] und 528 Euro monatlich für das Jahr 2008.

Die [X.] beantragen,
das Urteil des [X.]s [X.] vom 31. März 2009, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts [X.] vom 3. April 2008 und den Bescheid des Beklagten vom 7. März 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2007 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts [X.] vom 23. April 2008 und den Bescheid des Beklagten vom 12. September 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2007 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, den [X.] für den [X.]raum 1. April 2007 bis 31. Dezember 2007 Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 510 Euro monatlich sowie für den [X.]raum 1. Januar 2008 bis 31. März 2008 Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 528 Euro monatlich zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Revision entgegengetreten und hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revision der [X.] ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache an das [X.] begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ). Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des [X.] kann nicht beurteilt werden, ob sie höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 Satz 1 [X.] beanspruchen können, als sie der Beklagte bewilligt hat.

1. Streitgegenstand sind allein Ansprüche der [X.] auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung für die [X.] von April 2007 bis März 2008. Die [X.] haben den Streitstoff in der Sache schon mit Klageerhebung auf die Kosten der Unterkunft und Heizung beschränkt (zur Zulässigkeit einer solchen Beschränkung vgl nur [X.], 217 = [X.]-4200 § 22 [X.], jeweils Rd[X.]8). Nach zulässiger Verbindung der beiden Verfahren durch das Berufungsgericht (vgl § 113 Abs 1 SGG) ist vorliegend der [X.]raum vom [X.] bis zum [X.] zu überprüfen. Dabei sind Gegenstand des Verfahrens der Bescheid des Beklagten vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.] sowie der Bescheid vom 12.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2007.

2. Die Klägerin zu 1 gehört nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 SGG) dem Grunde nach zum leistungsberechtigten Personenkreis nach dem [X.], weil sie das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erwerbsfähig und hilfebedürftig ist und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der [X.] hat (§ 7 Abs 1 Satz 1 [X.]). Sie lebt mit ihrer minderjährigen, nicht erwerbsfähigen Tochter, der Klägerin zu 2, in einer Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs 3 [X.]), sodass der Klägerin zu 2 Ansprüche auf Sozialgeld (§ 7 Abs 2 iVm § 28 [X.]) zustehen. Neben der Regelleistung (ggf unter Einschluss eines Mehrbedarfs wegen Alleinerziehung) haben die [X.] damit Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung.

3. KdU werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind (vgl § 22 Abs 1 Satz 1 [X.]). Welche Aufwendungen für die Unterkunft vorliegend tatsächlich angefallen sind, lässt sich den Feststellungen des [X.] nicht abschließend entnehmen, denn das [X.] hat die Gesamtaufwendungen für Unterkunft nicht von denen der Heizung getrennt ausgewiesen. Das [X.] wird dies nach Zurückverweisung des Rechtsstreits im Einzelnen nachzuholen und die Prüfung der Unterkunftskosten getrennt von den Kosten der Heizung durchzuführen haben (vgl nur [X.], 41 = [X.]-4200 § 22 [X.]3).

4. Die Angemessenheit von KdU ist unter Zugrundelegung der sog Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren zu konkretisieren: Zunächst ist die angemessene Wohnungsgröße zu ermitteln (dazu unter a). [X.] ist festzustellen, ob die angemietete Wohnung dem Produkt aus angemessener Wohnfläche und Standard entspricht, der sich in der Wohnungsmiete niederschlägt. Vergleichsmaßstab sind insoweit die räumlichen Gegebenheiten am Wohnort des Hilfebedürftigen (dazu unter b), wobei die örtlichen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt zu ermitteln und zu berücksichtigen sind (dazu unter c). Der Begriff der "Angemessenheit" unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle. Im Streitfall ist das der Bestimmung der Kosten zugrunde liegende Konzept damit von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen und ggf ein solches Konzept durch eigene Ermittlungen zu ergänzen. Diese Prüfung haben weder die Beklagte noch das [X.] rechtsfehlerfrei vorgenommen.

a) Zutreffend hat das [X.] eine Wohnungsgröße von 60 qm als angemessen für einen Zweipersonenhaushalt zugrunde gelegt. Bei der Bestimmung der angemessenen Wohnfläche ist auf die anerkannte Wohnraumgröße für [X.] im [X.] Mietwohnungsbau abzustellen (stRspr seit [X.], 254 = [X.]-4200 § 22 [X.], jeweils Rd[X.]9). Hinsichtlich der Überlassung von gefördertem Mietwohnungsraum gilt § 27 Abs 1 bis 5 Wohnraumförderungsgesetz ([X.]) vom 13.9.2001 ([X.]) iVm § 5 Wohnungsbindungsgesetz ([X.]) in der im streitigen [X.]raum geltenden Fassung (nF) der Bekanntmachung vom 13.9.2001 ([X.]). Wegen der maßgeblichen Wohnungsgröße verweist § 27 Abs 4 [X.] (als Nachfolgeregelung zu § 5 Abs 2 [X.] in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung) auf die nach § 10 [X.] von den Ländern festgelegten Wohnungsgrößen. Das [X.] hat allerdings zu § 10 [X.] keine Ausführungsvorschriften erlassen. Zu § 5 [X.] nF und § 27 [X.] liegen nur (unveröffentlichte) [X.] der [X.] vom 15.12.2004 vor, die wegen der maßgeblichen Wohnungsgröße an die zuvor ergangenen Bekanntmachungen anknüpfen (vgl Hinweis 8). Danach darf entsprechend der Bekanntmachung der [X.] vom 20.10.1995 ([X.], 4462) an Einzelpersonen Wohnraum bis zu 50 qm und an Zwei-Personen-Haushalte Wohnraum von bis zu 60 qm überlassen werden (vgl bereits [X.] vom 19.10.2010 - [X.] [X.]/10 R, [X.]-4200 § 22 [X.] Rd[X.]2 mwN).

b) Zutreffend hat das [X.] ferner bei der Bestimmung der angemessenen KdU als maßgeblichen Vergleichsraum das gesamte Stadtgebiet von [X.] herangezogen (vgl [X.] aaO Rd[X.]4). Auch ein Arbeitnehmer mit vergleichbar geringem Einkommen wird eine Ersatzwohnung innerhalb des gesamten Stadtgebiets für den Fall suchen, dass er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln eine innegehabte Wohnung nicht (mehr) finanzieren kann. Den besonderen Belangen und der konkreten Situation des jeweiligen Hilfebedürftigen (zB von Alleinerziehenden oder von Familien mit minderjährigen schulpflichtigen Kindern) ist nicht bereits bei der (abstrakt-generell vorzunehmenden) Festlegung der [X.], sondern erst im Rahmen der Zumutbarkeitsregelung des § 22 Abs 1 Satz 3 [X.] Rechnung zu tragen ( vgl [X.], 263 = [X.]-4200 § 22 [X.]9, jeweils Rd[X.]3, dazu unter 6.).

c) Ausgehend von dem gesamten Stadtgebiet [X.] als dem räumlichen Vergleichsmaßstab lässt sich der den [X.] widerspiegelnde angemessene Quadratmeterpreis (die [X.]) im streitgegenständlichen [X.]raum mangels ausreichender Feststellungen revisionsgerichtlich nicht abschließend bestimmen. Zugrunde zu legen ist ein einfacher, im unteren Marktsegment liegender Standard ([X.], 231 = [X.]-4200 § 22 [X.], jeweils Rd[X.]4); die Wohnung muss hinsichtlich ihrer Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügen ([X.], 254 = [X.]-4200 § 22 [X.], jeweils Rd[X.]0). Die festgestellte angemessene [X.] oder die Mietobergrenze muss mithin so gewählt werden, dass es dem Hilfebedürftigen möglich ist, im konkreten Vergleichsraum eine "angemessene" Wohnung anzumieten. Die Mietobergrenze ist nach der Rechtsprechung des [X.] auf Grundlage eines diese Vorgaben beachtenden schlüssigen Konzepts zu ermitteln ( vgl [X.] vom 18.6.2008 - [X.]/7b [X.] - FEVS 60, 145 ).

aa) Wie der [X.] bereits dargelegt hat und wovon auch das [X.] ausgegangen ist, sind die Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 [X.] der [X.] des Landes [X.] vom 7.6.2005 (Amtsblatt für [X.] 2005, 3743), für den streitigen [X.]raum geändert mit Verwaltungsvorschriften vom 30.5.2006 (Amtsblatt für [X.] 2006, 2062; im Folgenden: [X.]), zur Entscheidung über die Angemessenheit von Unterkunftskosten ungeeignet ([X.] vom 19.10.2010 - [X.] [X.]/10 R - [X.]-4200 § 22 [X.] Rd[X.]6).

bb) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das [X.] daher in einem dritten Schritt die angemessene [X.] auf Grundlage des [X.]er Mietspiegels 2007 (Amtsblatt für [X.] 2007, 1797) bestimmt. Qualifizierte Mietspiegel iS des § 558d Bürgerlichen Gesetzbuches ( wie der [X.]er Mietspiegel) können Grundlage der Bestimmung der [X.] nach § 22 Abs 1 [X.] sein (vgl im Einzelnen für den [X.]er Mietspiegel [X.] aaO Rd[X.]7 mwN). Wenn der Träger der Grundsicherung - wie in [X.] - keine Daten und/oder Auswertungen vorlegt, muss das Gericht auf solche bereits vorhandene Datengrundlagen (soweit sie geeignet erscheinen) bei der Bestimmung eines angemessenen Referenzwertes zurückgreifen, bevor es seine Amtsermittlungspflicht auf die Feststellung der "Obergrenze" nach den Tabellenwerten des § 8 [X.] aF (jetzt § 12; ggf erhöht um einen Zuschlag) reduziert (vgl [X.] [X.]-4200 § 22 [X.]7 Rd[X.]3 ).

Sollen aus Daten eines qualifizierten Mietspiegels grundsicherungsrelevante Schlüsse abgeleitet werden, ist eine Beschränkung auf Daten bestimmter [X.] grundsätzlich nicht zulässig (vgl bereits [X.], 263 = [X.]-4200 § 22 [X.]9 Rd[X.]5 ). Dies gilt - wie der [X.] ebenfalls bereits dargelegt hat ([X.] vom 19.10.2010 - [X.] [X.]/10 R - [X.]-4200 § 22 [X.] Rd[X.]9) - allerdings nicht für die im [X.]er Mietspiegel in den Spalten 1 und 3 noch gesondert abgebildeten [X.] bis 1918 und bis 1949 Wohnungen mit besonders niedrigem [X.] (Wohnungen ohne Sammelheizung und/oder ohne Bad), unabhängig davon, mit welcher Häufigkeit solche Wohnungen noch verfügbar sind. Zur Bildung eines grundsicherungsrelevanten Mietwertes sind diese Werte nicht mit heranzuziehen, denn auf Wohnungen mit diesem untersten [X.] können Hilfebedürftige bei der [X.] grundsätzlich nicht verwiesen werden.

cc) Die Bildung eines arithmetischen Mittelwerts aus den (verbleibenden) Mittelwerten der [X.] als abschließenden Schritt zur Berechnung einer grundsicherungsrelevanten Nettokaltvergleichsmiete, wie ihn das [X.] vorgenommen hat, erfüllt die Anforderungen an ein mathematisch-statistisch nachvollziehbares Konzept nicht.

Zum einen ist nicht nachvollziehbar, weshalb das [X.] den aus seiner Sicht relevanten Mittelwert aus den Werten der Wohnungen mit einer Wohnungsgröße 60 qm und größer gebildet hat, wenn es selbst (zutreffend) davon ausgeht, dass 60 qm die Obergrenze für das in Bezug zu nehmende Segment darstellen. Eine Differenzierung nach Wohnungsgrößen ist bei Rückgriff auf einen qualifizierten Mietspiegel deshalb geboten, weil nach den Besonderheiten des jeweils maßgebenden örtlichen Wohnungsmarktes, insbesondere aus Gründen der Bevölkerungs- und Sozialstruktur und wegen städtebaulicher Entwicklungen sowohl das Angebot als auch die Nachfrage hinsichtlich kleinerer und größerer Wohnungen erheblich differieren können. Insbesondere kleinere Wohnungen weisen oftmals einen höheren Quadratmeterpreis auf (vgl [X.] [X.]-4200 § 22 [X.]6 Rd[X.]8). Es sind dann aber Rückschlüsse aus den Werten des Mietspiegels zu ziehen, die die Wohnungsgrößen abbilden, in denen ggf eine Ersatzwohnung in erster Linie zu suchen ist. Das ist im vorliegenden Falle das Marktsegment der Wohnungen von 40 bis unter 60 qm. Die Wohnungen, die exakt 60 qm groß sind, werden davon statistisch zwar nicht erfasst. Diese Ungenauigkeit ist aber hinzunehmen, wenn diese Wohnungen für eine abstrakt angemessene Vergleichswohnung die Obergrenze bilden und sämtliche übrigen Wohnungen bis unter 90 qm wegen ihrer Größe nicht das maßgebliche Marktsegment darstellen.

Die Bildung eines arithmetischen Mittelwertes bietet zum anderen bei einem so weitgehend ausdifferenzierten Tabellen-Mietspiegel wie dem [X.]er Mietspiegel nicht die Gewähr dafür, dass der abgebildete Wert als solcher tatsächlich den Schwerpunkt eines Mietpreises im einfachen Segment abbildet (im Einzelnen bereits [X.] vom 19.10.2010 - [X.] [X.]/10 R - [X.]-4200 § 22 [X.] Rd[X.]0). Weil die Werte der einzelnen Rasterfelder nicht (im Sinne einer gleichmäßigen Verteilung der hier wiedergegebenen Mietpreise) aufeinander aufbauen, bleiben arithmetische Mittelwerte mit einem hohen Grad an Zufälligkeit belastet, besonders wenn einzelne Werte - wie vorliegend der Wert für Neubauwohnungen der letzten 15 Jahre - stark von den übrigen Werten abweichen. Das arithmetische Mittel für sich genommen bietet damit nicht die Gewähr, dass das einfache Mietsegment realistisch abgebildet wird.

Das [X.] wird daher nach Wiedereröffnung des Berufungsverfahrens zu prüfen haben, ob sich aus den Grundlagendaten des qualifizierten Mietspiegels oder anderen Quellen weitergehende Schlüsse grundsicherungsspezifischer Art ziehen lassen (zur grundsätzlichen Eignung der Grundlagendaten für diese Prüfung bereits [X.] aaO Rd[X.]1). Für solche notwendig erscheinenden Auswertungen ist in erster Linie der kommunale Träger im Rahmen der Mitwirkungspflichten heranzuziehen (grundlegend dazu [X.] [X.]-4200 § 22 [X.]6). Dies gilt erst recht dann, wenn die vom Grundsicherungsträger bei seiner Entscheidung herangezogenen Daten als Entscheidungsgrundlage ungeeignet sind, wie dies in [X.] mit der [X.] der Fall ist.

Es könnten sich im Ergebnis weitergehender Auswertungen durch den Träger der Grundsicherung durchaus Anhaltspunkte ergeben, dass eine bestimmte Baualtersklasse statistisch nachvollziehbar über alle Bezirke hinweg so häufig vorhanden ist und zugleich den einfachen Standard nachvollziehbar abbildet, dass allein auf diesen Wert (ggf um einen Aufschlag erhöht) zurückzugreifen ist. Lassen sich solche weitergehenden Schlüsse aus vorhandenem Datenmaterial nicht ziehen, bietet es sich an, einen gewichteten arithmetischen Mittelwert nach Verteilung der in der Grundgesamtheit abgebildeten Wohnungen in den jeweiligen [X.] zu bilden (dazu Schifferdecker/Irgang/[X.], Archiv für Wissenschaft und Praxis der [X.] Arbeit 2010, 28; SG [X.] Urteil vom [X.] - [X.] AS 21949/07 - juris RdNr 46). Ein solcher Mittelwert böte immerhin die Gewähr, dass ein einzelner Wert für eine bestimmte Baualtersklasse entsprechend seiner tatsächlichen Häufigkeit auf dem Markt in einen grundsicherungsrelevanten Mittelwert einfließt. Dabei erscheint es - wovon auch das [X.] ausgegangen ist - zulässig, einen Wert auf Grundlage der jeweiligen Mittelwerte der Rasterfelder zu bilden. Er bestimmt eine nach den weiteren Ausstattungsmerkmalen, die im Mietspiegel nicht schon in den Rasterfeldern ihren Niederschlag finden (Bad, Küche, Wohnung, Gebäude, Wohnumfeld), durchschnittliche Wohnung. Also gibt der Mittelwert sowohl die schlecht ausgestatteten Wohnungen in einer bevorzugten, einfachen Wohnlage als auch die gut ausgestatteten Wohnungen in sehr einfachen Wohnlagen (zB an einer Durchgangsstraße) wieder. Mit dem Mittelwert aus der einfachen Wohnlage werden schließlich auch schlechter ausgestattete Wohnungen in mittlerer und guter Wohnlage erfasst.

d) Zutreffend geht das [X.] davon aus, dass neben der Nettokaltmiete auch die angemessenen Betriebskosten iS des § 556 Abs 1 und 2 BGB iVm der Verordnung zur Berechnung der Wohnfläche, über die Aufstellung von Betriebskosten und zur Änderung anderer Verordnungen ( vom 25.11.2003, [X.] 2346 ) - mit Ausnahme der Heizkosten - abstrakt zu bestimmen und als Faktor in das Produkt mit einzubeziehen sind. Auch insoweit erscheint es zulässig, zur Erstellung eines Konzepts auf bereits vorliegende Daten aus Betriebskostenübersichten zurückzugreifen, im Ausgangspunkt allerdings auf örtliche Übersichten und insoweit auf die sich daraus ergebenden Durchschnittswerte (vgl im Einzelnen [X.] aaO Rd[X.]3 f). Nur wenn sich konkret Anhaltspunkte dafür ergeben, dass vom [X.] für das gesamte [X.] aufgestellte Übersichten gerade das örtliche Niveau besser abbilden, kann auf diese zurückgegriffen werden. Solche Gründe sind bislang nicht ersichtlich.

5. Das [X.] wird abschließend die Heizkosten getrennt von den Unterkunftskosten zu bestimmen haben (dazu nur [X.], 41 = [X.]-4200 § 22 [X.]3). Anhaltspunkte dafür, dass die tatsächlich gezahlten Kosten sich danach als unangemessen erweisen, ergeben sich bislang nicht.

6. Sollten sich die Aufwendungen der [X.] für Unterkunft und Heizung als unangemessen erweisen, könnten ihnen höhere Leistungen allenfalls nach § 22 Abs 1 Satz 3 [X.] zustehen. Soweit danach die Aufwendungen für die Unterkunft den die Besonderheiten des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder in sonstiger Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Bislang ist allerdings nicht erkennbar, dass das [X.] diese Prüfung auf Grundlage der hierzu ergangenen Rechtsprechung rechtsfehlerhaft vorgenommen hat. Alleinerziehung (insbesondere von schulpflichtigen Kindern) kann zwar zu einer eingeschränkten Zumutbarkeit eines Wohnungswechsels führen (vgl [X.], 263 = [X.]-4200 § 22 [X.]9, Rd[X.]5), wovon auch das [X.] ausgegangen ist. Die tatrichterliche Würdigung, dass ein Wechsel der unmittelbaren Betreuungspersonen (insbesondere der Tagesmutter) bei einem Umzug in eine günstigere (und dabei in erster Linie kleinere) Wohnung in der Umgebung nicht notwendig gewesen wäre, ist von den [X.] im Revisionsverfahren nicht mehr angegriffen worden. Sie haben bislang nichts vorgetragen, was gegen die Annahme des [X.] sprechen könnte, dass ein Umzug in entferntere Ortsteile nicht erforderlich ist, um eine kostenangemessene Wohnung anzumieten. Ein Umzug über nahegelegene Bezirksgrenzen hinweg ist für sich genommen jedenfalls kein Grund für dessen Unzumutbarkeit; auch das nähere [X.] Umfeld geht damit nicht notwendigerweise verloren.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 14 AS 85/09 R

13.04.2011

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Berlin, 3. April 2008, Az: S 121 AS 17596/07, Gerichtsbescheid

§ 22 Abs 1 S 1 SGB 2, § 558d BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 13.04.2011, Az. B 14 AS 85/09 R (REWIS RS 2011, 7582)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7582

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