Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23.07.2013, Az. 2 BvC 4/13

2. Senat | REWIS RS 2013, 3917

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Zurückweisung einer Nichtanerkennungsbeschwerde (§ 18 Abs 4a S 1 BWahlG): Fehlen der Parteieigenschaft gem Art 21 GG, § 2 PartG - unzureichende organisatorische Verfestigung bei Fehlen von Landesverbänden und lediglich acht Parteimitgliedern - kaum Nachweise für Öffentlichkeitsarbeit


Tenor

Die Nichtanerkennungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Ablehnung der Anerkennung als [X.] für die Wahl zum 18. [X.] [X.].

2

1. Die Beschwerdeführerin wurde im August 2012 in [X.] gegründet. Sie besteht aus acht Mitgliedern und verfügt lediglich über einen [X.]verband, nicht aber über Landesverbände. Die Öffentlichkeitsarbeit erfolgt nach Angaben der Beschwerdeführerin gegenüber dem [X.] auf der eigenen Internetseite und durch verschiedene Aktivitäten wie Beteiligung an Podiumsdiskussionen und Petitionen, Herausgabe einer [X.]zeitung, Durchführung wöchentlicher öffentlicher Sitzungen und Unterschriftensammlungen.

3

2. Nachdem die Beschwerdeführerin dem [X.] rechtzeitig ihre geplante Beteiligung an der [X.] angezeigt hatte, stellte der [X.] am 5. Juli 2013 die Nichtanerkennung der Beschwerdeführerin als [X.] für die Wahl zum 18. [X.] [X.] fest. Die formellen Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 BWG seien erfüllt, nicht jedoch die Kriterien der [X.]eigenschaft gemäß § 2 PartG. Die erst kürzlich erfolgte Gründung sei zwar positiv anzurechnen, allerdings seien keine Angaben zu Landesverbänden gemacht worden und die Vereinigung verfüge lediglich über acht Mitglieder.

4

3. Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Nichtanerkennungsbeschwerde vom 8. Juli 2013. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, sie halte ihre [X.]eigenschaft für gegeben. Nach dem [X.] sei ein Landesverband nicht zwingend erforderlich. Sie habe einen Direktkandidaten für die [X.] benannt; ein weiteres Mitglied kandidiere als Privatperson für den [X.]. Insoweit lägen die erforderlichen Unterstützerunterschriften vor. Die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung werde belegt durch nachweisbar langjährige Aktivitäten und ihr Hervortreten in der Öffentlichkeit.

5

4. Dem [X.] wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

B.

6

Die Nichtanerkennungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet. Die Beschwerdeführerin ist nicht als wahlvorschlagsberechtigte [X.] für die Wahl zum [X.] [X.] anzuerkennen.

7

1. [X.]en sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere [X.] für den Bereich des [X.] oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im [X.] [X.] oder einem [X.] mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 PartG). Das [X.]verfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Gesetzgeber den [X.]enbegriff des Art. 21 Abs. 1 GG durch diese Legaldefinition in verfassungsmäßiger Weise konkretisiert hat (vgl. [X.] 89, 266 <269 f.>, m.w.N.). Sie ist danach auch für die im vorliegenden Verfahren zu entscheidende Frage maßgeblich, ob die Beschwerdeführerin eine [X.] ist. § 2 PartG muss allerdings im Lichte des Art. 21 Abs. 1 GG ausgelegt und angewendet werden (vgl. [X.] 89, 266 <270>).

8

[X.]en müssen auch in der Gründungsphase mindestens ansatzweise in der Lage sein, die ihnen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG in Übereinstimmung mit dem Grundgesetzzugedachten Aufgaben wirksam zu erfüllen. Allein der Wille, "[X.]" zu sein, ist nicht ausreichend. Im Blick auf die bei der Zulassung zur Wahl zu stellenden Anforderungen hat der Senat festgestellt, sie sollten gewährleisten, dass sich nur ernsthafte politische Vereinigungen und keine Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer um Wähler bewerben (vgl. [X.] 89, 266 <270>). Daraus folgt, dass es gewisser objektiver, im Lauf der [X.] an Gewicht gewinnender Voraussetzungen bedarf, um einer politischen Vereinigung den Status einer [X.] zuerkennen zu können.

9

Wegen der den [X.]en um der Offenheit des politischen Prozesses willen verfassungsrechtlich verbürgten Gründungsfreiheit ist bei politischen Vereinigungen, die am Beginn ihres Wirkens als [X.]en stehen, zu berücksichtigen, dass der Aufbau einer Organisation, die sie zur Wahrnehmung ihrer Funktionen befähigt, eine gewisse [X.] erfordert. Entscheidend ist das "Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse". Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG angesprochenen, nicht trennscharf voneinander abzugrenzenden objektiven Merkmale - deren Aufzählung nicht erschöpfend ist (vgl. [X.] 89, 266 <270>), denen regelmäßig aber ein großes Gewicht zukommt (vgl. [X.] 89, 291 <306>) - sind Indizien für die Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung. [X.] ist für sich genommen ausschlaggebend, und nicht alle müssen von der [X.] stets im gleichen Umfang erfüllt werden. Vielmehr bleibt es der [X.] grundsätzlich überlassen, wie sie die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung unter Beweis stellt. Ihr ist es unbenommen, in ihrer politischen Arbeit Schwerpunkte zu setzen, sei es etwa im Bereich der Mitgliederwerbung und -aktivierung, der Öffentlichkeitsarbeit zwischen den Wahlen oder der Wahlteilnahme. Zurückhaltung in einem Bereich kann durch verstärkte Bemühungen auf anderen Gebieten in gewissen Grenzen ausgeglichen werden ([X.] 91, 262 <271>).

Insgesamt kommt es darauf an, ob die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse einer [X.] - unter Einschluss der Dauer ihres Bestehens - den Schluss zulässt, dass sie ihre erklärte Absicht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ernsthaft verfolgt. Daraus ergibt sich, dass Vereinigungen, die nach ihrem Organisationsgrad und ihren Aktivitäten offensichtlich nicht imstande sind, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen, bei denen die Verfolgung dieser Zielsetzung erkennbar unrealistisch und aussichtslos ist und damit nicht (mehr) als ernsthaft eingestuft werden kann, nicht als [X.]en anzusehen sind ([X.] 91, 262 <271 f.>).

2. Gemessen an diesem Maßstab hat die Beschwerdeführerin nach der erforderlichen Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse nicht die Eigenschaft einer [X.]. Nach der Zahl ihrer Mitglieder und ihrem Organisationsgrad ist sie derzeit nicht imstande, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen. Auch ihr Hervortreten in der Öffentlichkeit bietet bislang keine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer politischen Zielsetzung.

Die Beschwerdeführerin verfügt nur über acht Mitglieder. Es ist nicht ersichtlich, wie die Vereinigung mit nur acht Mitgliedern auf [X.]ebene Einfluss auf die politische Willensbildung des Volkes nehmen will und einen Wahlkampf mit dem Ziel parlamentarischer Vertretung führen will (vgl. [X.] 91, 262 <274>). Auch ist damit nicht gesichert, dass das Bestehen der Vereinigung von einem Mitgliederwechsel unabhängig ist. Die [X.] weist über das Bestehen eines [X.]verbandes hinaus keine weiteren organisatorischen Strukturen auf und kann daher nicht als hinreichend organisatorisch verfestigt angesehen werden. Ein Ausbau der Organisation ist seit [X.]gründung nicht erfolgt. Auch ist die Beschwerdeführerin in der Öffentlichkeit bislang kaum hervorgetreten. Nachweise für die von der Beschwerdeführerin behauptete Öffentlichkeitsarbeit liegen kaum vor. Ständige Aktivitäten entwickelt die Beschwerdeführerin lediglich in der Herausgabe einer [X.]schrift ("Zukunftsangst"), von der schon unklar ist, in welchen [X.]abständen und in welcher Auflage sie erscheint. Ferner führt sie wöchentlich "öffentliche Versammlungen" durch, deren Teilnehmerkreis unbekannt bleibt. Über die lokale Öffentlichkeit hinausgreifende Wirksamkeit kommt diesen Aktivitäten offensichtlich nicht zu. Selbst unter Berücksichtigung der besonderen Situation von [X.]en in der Gründungsphase kann von einer Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung der Beschwerdeführerin nach alledem gegenwärtig nicht ausgegangen werden.

Meta

2 BvC 4/13

23.07.2013

Bundesverfassungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BvC

Art 21 Abs 1 GG, § 18 Abs 4a S 1 BWahlG, § 2 Abs 1 S 1 PartG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23.07.2013, Az. 2 BvC 4/13 (REWIS RS 2013, 3917)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3917 BVerfGE 134, 131-135 REWIS RS 2013, 3917

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