Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.09.2012, Az. 9 AZR 623/10

9. Senat | REWIS RS 2012, 3101

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Gegenstand

Anspruch auf Mindesturlaub und Schwerbehindertenzusatzurlaub - lang andauernde Arbeitsunfähigkeit - Ruhen des Arbeitsverhältnisses - Verfall der gesetzlichen Urlaubsansprüche


Tenor

1. Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 1. Oktober 2010 - 9 [X.] 1541/09 - unter Zurückweisung der Revision im Übrigen teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. Oktober 2009 - 5 Ca 2439/09 - unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.645,44 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Juli 2009 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu 5/6 und die Beklagte zu 1/6 zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Abgeltung des gesetzlichen Erholungsurlaubs und des Schwerbehindertenzusatzurlaubs aus den Jahren 2001 bis 2009.

2

Der als schwerbehindert anerkannte Kläger war vom 6. Juni 1984 bis zum 31. Mai 2009 bei der [X.] und deren Rechtsvorgängerin beschäftigt, zuletzt als Mülllader. Das monatliche Bruttoentgelt des [X.] betrug 2.842,54 Euro. Die Parteien wandten auf ihr Arbeitsverhältnis zuletzt den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst ([X.]) an.

3

Der Kläger war seit dem [X.] durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Mit Bescheid vom 5. August 2002 wurde ihm eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt, die mehrmals, zuletzt bis zum 30. Juni 2009, verlängert wurde und nach dem Bescheid vom 8. Mai 2009 als Dauerrente weitergewährt wird. Nachdem die Beklagte dem Kläger mitgeteilt hatte, dass das Arbeitsverhältnis gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 [X.] zum 31. Mai 2009 endet, verlangte dieser mit Schreiben vom 12. Juni 2009 von der [X.] ohne Erfolg, 278 Tage Erholungsurlaub und zusätzlich 45 Tage Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen abzugelten.

4

Mit seiner der [X.] am 17. Juli 2009 zugestellten Klage hat der Kläger zunächst die Abgeltung von insgesamt 323 Urlaubstagen geltend gemacht. Am 30. Oktober 2009 hat er seine Abgeltungsansprüche auf den gesetzlichen Mindesturlaub und den Schwerbehindertenzusatzurlaub beschränkt und nur noch die Abgeltung von insgesamt 213 Urlaubstagen beansprucht.

5

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 27.943,47 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Juli 2009 zu zahlen.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, im ruhenden Arbeitsverhältnis seien keine Urlaubsansprüche des [X.] entstanden. Eine Verpflichtung zur Abgeltung von Urlaubsansprüchen des [X.] aus den Jahren 2001 bis 2009 würde sie in ihrem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verletzen.

7

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, den gesetzlichen Mindesturlaub und den Schwerbehindertenzusatzurlaub aus den Jahren 2006 bis 2008 sowie aus den Monaten Januar bis Mai 2009 mit 11.544,72 Euro brutto abzugelten. Auf die Berufung der [X.] hat das [X.] unter Zurückweisung der Anschlussberufung des [X.] die Klage insgesamt abgewiesen. Der Kläger verfolgt mit seiner Revision die Abgeltung des gesetzlichen Erholungsurlaubs und des Zusatzurlaubs für Schwerbehinderte aus den Jahren 2001 bis 2009 weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des [X.] ist teilweise begründet. Das [X.] hat die Klage zu Unrecht insgesamt abgewiesen.

9

I. Der Kläger hat gemäß § 7 Abs. 4 [X.] Anspruch auf Urlaubsabgeltung in Höhe von 4.645,44 Euro brutto.

1. Entgegen der Ansicht der Beklagten sind in der [X.] vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Mai 2009 Urlaubsansprüche des [X.] entstanden, obwohl das Arbeitsverhältnis der Parteien gemäß § 33 Abs. 2 Satz 6 [X.] aufgrund des Bezugs einer befristeten Rente wegen Erwerbsminderung geruht hat (vgl. [X.] 7. August 2012 - 9 [X.] - Rn. 9, [X.] 2012, 2462). Die Beklagte beruft sich ohne Erfolg darauf, hierdurch werde unzulässig in ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen. Das [X.] hat es bisher offengelassen, ob und inwieweit der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb als tatsächliche Zusammenfassung der zum Vermögen eines Unternehmens gehörenden Sachen und Rechte überhaupt in eigenständiger Weise von der Gewährleistung der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG erfasst wird ([X.] 26. Juni 2002 - 1 BvR 558/91, 1 BvR 1428/91 - zu [X.] 1 der Gründe mwN, [X.]E 105, 252). Ein solcher Eigentumsschutz kann sich nur auf den Gewerbebetrieb als Sach- und Rechtsgesamtheit beziehen, sodass grundsätzlich nur ein Eingriff in dessen Substanz Art. 14 GG verletzen könnte ([X.] 29. November 1961 - 1 [X.] - zu 3 c der Gründe, [X.]E 13, 225). Einen solchen Eingriff hat die Beklagte nicht ansatzweise behauptet.

2. Der gesetzliche Urlaub ist nicht für die [X.] des Ruhens des Arbeitsverhältnisses zu kürzen. [X.] das Arbeitsverhältnis, vermindert sich zwar nach § 26 Abs. 2 Buchst. c [X.] die Dauer des Erholungsurlaubs einschließlich eines etwaigen Zusatzurlaubs für jeden vollen Kalendermonat um ein Zwölftel. Diese Vorschrift ist jedoch insoweit unwirksam, als sie auch die Verminderung gesetzlicher Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern und schwerbehinderten Menschen erfasst, die aus gesundheitlichen Gründen keine Arbeitsleistung erbracht haben ([X.] 7. August 2012 - 9 [X.] - Rn. 9, [X.] 2012, 2462).

3. Der dem Kläger nach dem [X.] für das [X.] und die Monate Januar bis Mai 2009 zustehende Erholungsurlaub und der ihm für diese [X.] nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX zustehende Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen sind nicht gemäß § 7 Abs. 3 Satz 3 [X.] vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete vor Ablauf der Verfallfrist von 15 Monaten nach dem Urlaubsjahr (vgl. [X.] 7. August 2012 - 9 [X.] - Rn. 32, [X.] 2012, 2462).

4. Die Beklagte hat gemäß § 7 Abs. 4 [X.] 20 Tage gesetzlichen Erholungsurlaub aus dem [X.] zuzüglich fünf Tage Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX abzugelten. Für die Monate Januar bis Mai 2009 errechnet sich gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. c [X.] ein Erholungsurlaub von 8,33 Tagen und ein Schwerbehindertenzusatzurlaub von 2,08 Tagen. Bei einem täglichen Urlaubsentgelt in Höhe von 131,19 Euro brutto ergibt sich ein Abgeltungsanspruch in Höhe von 4.645,44 Euro brutto.

II. Die Urlaubsansprüche des [X.] für die [X.] 2001 bis 2007 (gesetzlicher Mindesturlaub und Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen) sind gemäß § 7 Abs. 3 Satz 3 [X.] 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen [X.]s verfallen, sodass mit Ablauf des 31. März 2009 Urlaubsansprüche des [X.] aus diesen Jahren nicht mehr bestanden und damit nicht abzugelten sind. § 7 Abs. 3 Satz 3 [X.] ist unionsrechtskonform so auszulegen, dass gesetzliche Urlaubsansprüche arbeitsunfähiger Arbeitnehmer 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen [X.]s verfallen ([X.] 7. August 2012 - 9 [X.] - Rn. 32 ff., [X.] 2012, 2462).

III. Dem Kläger stehen die beanspruchten Prozesszinsen aus dem zuerkannten Betrag gemäß den §§ 291, 288 Abs. 1 BGB zu.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO.

        

    Brühler    

        

    Klose    

        

    Krasshöfer    

        

        

        

    Pielenz    

        

    [X.]    

        

        

Meta

9 AZR 623/10

18.09.2012

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Essen, 30. Oktober 2009, Az: 5 Ca 2439/09, Urteil

§ 7 Abs 4 BUrlG, § 7 Abs 3 S 3 BUrlG, § 26 Abs 2 Buchst c TVöD, § 33 Abs 2 S 1 TVöD, § 33 Abs 2 S 6 TVöD, § 125 Abs 1 S 1 SGB 9

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.09.2012, Az. 9 AZR 623/10 (REWIS RS 2012, 3101)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3101

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 Ca 2418/22

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