Bundessozialgericht, Urteil vom 27.09.2011, Az. B 4 AS 155/10 R

4. Senat | REWIS RS 2011, 3003

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Erstattung von Kosten im Vorverfahren in sozialrechtlichen Angelegenheiten - Rechtsanwaltsvergütung - Gebührenerhöhung bei Beauftragung des Rechtsanwalts nur durch ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft nach § 38 SGB 2 - Untersuchungsmaxime gem § 103 SGG)


Leitsatz

In sozialrechtlichen Angelegenheiten ist eine Erhöhung der Geschäftsgebühr bei mehreren Auftraggebern auch dann möglich, wenn ein Rechtsanwalt nur von einem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft beauftragt wird.

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des [X.] vom 13. Januar 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte den Klägern weitere Rechtsanwaltsgebühren im Rahmen eines isolierten Vorverfahrens unter Berücksichtigung einer Erhöhungsgebühr nach [X.] 1008 der Anlage 1 Vergütungsverzeichnis (VV) zum Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG) zu erstatten hat.

2

Die Kläger, im Einzelnen die im Jahre 1972 geborene Klägerin zu 1, der im Jahre 1967 geborene Kläger zu 2 sowie die mit ihnen zusammenlebenden Kinder als Kläger zu 3 bis 7, beziehen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] Der Beklagte bewilligte ihnen [X.] bzw Sozialgeld ua für die Monate Mai bis November 2005. Die Leistungshöhe änderte er mehrfach, ohne den jeweils vorhergehenden Bescheid insoweit aufzuheben. Dem hierauf bezogenen Widerspruch vom 26.10.2005 gab er in vollem Umfang statt und er verpflichtete sich zudem, die in dem vorangegangenen Widerspruchsverfahren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Kosten auf Antrag zu erstatten, soweit diese notwendig und nachgewiesen seien (Bescheid vom [X.]).

3

Der von der Klägerin zu 1 im Widerspruchsverfahren bevollmächtigte Rechtsanwalt erklärte das Widerspruchsverfahren für erledigt und machte mit der Kostenrechnung vom [X.] die Übernahme von Anwaltskosten in Höhe von insgesamt 680,68 Euro geltend. Der Betrag setzte sich wie folgt zusammen:

Geschäftsgebühr nach [X.] 2500 VV RVG

240,00 Euro

Erhöhung für mehrere Auftraggeber nach [X.] 1008 VV RVG

288,00 Euro

Auslagenpauschale

20,00 Euro

Dokumentenpauschale (48 Kopien à 0,50 Euro)

24,00 Euro

Zwischensumme

572,00 Euro

19 % Umsatzsteuer nach [X.] 7008 VV RVG

108,68 Euro

Gesamtsumme

680,68 Euro

4

Der Beklagte setzte die zu erstattenden Gebühren und Auslagen auf 337,96 Euro fest. Die Erhöhungsgebühr für mehrere Auftraggeber berücksichtigte er nicht (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom 12.6.2007).

5

Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des [X.] vom 22.10.2007; Urteil des [X.] vom 13.1.2010). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das [X.] ausgeführt, die Erhöhungsgebühr für mehrere Auftraggeber gehöre nicht zu den zweckentsprechenden Kosten des Widerspruchsverfahrens, weil bereits zivilrechtlich ein solcher Anspruch des Bevollmächtigen gegenüber weiteren Personen neben der Klägerin zu 1 nicht entstanden sei. Der Vergütungsanspruch setze ein Vertragsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Auftraggeber voraus, für das die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs gelten würden. Vergütungsansprüche könnten auch ohne Vertragsschluss zB aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder aus ungerechtfertigter Bereicherung entstehen. Zwischen dem Prozessbevollmächtigten und allen (anderen) Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft sei - auch ohne Vertragsschluss - für das Widerspruchsverfahren kein Vergütungsanspruch entstanden, weil nicht die Bedarfsgemeinschaft, sondern nur die Klägerin zu 1 aufgetreten und auch nur diese anwaltlich vertreten worden sei. Insofern könne für die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft auch kein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag angenommen werden. Dies erfordere, dass die Geschäfte für Andere wahrgenommen werden sollten. Dies sei hier nicht der Fall, weil der Anwalt nur die Geschäfte für die Klägerin zu 1 (und dies in deren Auftrag) nach außen erkennbar wahrgenommen habe und habe wahrnehmen wollen. In der zur Stützung des Klagebegehrens in Bezug genommenen Entscheidung des [X.] ([X.]b [X.] - [X.], 217 = [X.]-4200 § 22 [X.] 1, jeweils Rd[X.] 24) habe sich das Gericht lediglich zur prozessrechtlichen Stellung der Bedarfsgemeinschaft bzw deren einzelner Mitglieder, die allein tätig geworden seien, geäußert. Hier gehe es jedoch nicht um die prozessuale Situation, sondern um die Frage, wer im Rahmen des Mandatsverhältnisses zivilrechtlicher Vertragspartner (Auftraggeber) des [X.] sei. Der Grundsatz der Meistbegünstigung, der den (prozessualen) Anspruch des Einzelnen für eine Zeit der ungewissen Rechtslage wahren solle, greife nicht im Zusammenhang mit der (zusätzlichen) Kostenentstehung durch anwaltliche Vertretung.

6

Mit ihrer Revision rügen die Kläger eine Verletzung von § 38 [X.] sowie der [X.] 1008 VV RVG. Soweit das [X.] meine, die Gebührenerhöhung nach der [X.] 1008 VV RVG greife nicht, weil die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft keine Auftraggeber des Rechtsanwalts geworden seien, stünden diese Ausführungen im Widerspruch zur amtlichen Begründung zum RVG. Hiernach komme es nicht darauf an, ob gegenüber dem Anwalt eine oder mehrere Personen aufträten. Im Übrigen sei § 38 [X.] nach der Rechtsprechung des [X.] weit auszulegen. In seinem Urteil vom 7.11.2006 ([X.] [X.] - [X.], 217 = [X.]-4200 § 22 [X.] 1) habe der 7. Senat des [X.] ausgeführt, dass der vermutete Vertreter aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nicht nur zur Antragstellung und Entgegennahme der Leistungen bevollmächtigt sei, sondern darüber hinaus alle Verfahrenshandlungen umfasst würden, die hiermit zusammenhingen und der Verfolgung des Antrags dienten. Dies betreffe auch die Einlegung eines Widerspruchs. Daneben sei der Vertreter der Bedarfsgemeinschaft berechtigt, für deren Mitglieder einen Prozessbevollmächtigten zu beauftragen. Auch hier sei davon auszugehen, dass die Klägerin den Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung der Interessen der gesamten Bedarfsgemeinschaft habe beauftragen wollen. Entsprechend habe dieser zu den Ansprüchen sämtlicher Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft vorgetragen. Die Vermutung der Bevollmächtigung schließe die Beauftragung des Bevollmächtigten mit der Vertretung der gesamten Bedarfsgemeinschaft ein.

7

Die Kläger beantragen,
die Urteile des [X.] vom 13. Januar 2010 und des [X.] vom 22. Oktober 2007 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 24. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juni 2007 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Widerspruchsverfahrens in Höhe von insgesamt 680,68 Euro abzüglich gezahlter 337,96 Euro zu erstatten.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er bezieht sich auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] begründet (§ 170 [X.] Satz 2 SGG). Die Feststellungen des [X.] lassen keine abschließende Entscheidung des Senats darüber zu, ob die Kläger einen Anspruch auf Erstattung höherer Rechtsanwaltskosten haben.

1. Die Revision ist zulässig. Wird - wie hier in der Hauptsache - über die Kosten eines isolierten Vorverfahrens (§§ 78 ff SGG) gestritten, handelt es sich nicht um die Kosten des Verfahrens iS von § 144 Abs 4 SGG iVm § 165 Satz 1 SGG, bei denen Berufung und Revision nicht statthaft sind ([X.] vom [X.] [X.]/08 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.], Rd[X.]; Urteil des Senats vom [X.] - B 4 AS 21/09 R - [X.], 30 ff = [X.] 4-1935 § 14 [X.], jeweils Rd[X.] 9).

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.6.2007, mit dem der Beklagte die Rechtsanwaltsgebühren für das Vorverfahren festgesetzt hat. Gegen diese Bescheide wenden sich die Kläger mit ihrem Begehren auf Erstattung höherer Gebühren für das Vorverfahren zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage. Eine Konstellation, in welcher es einer Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) bedarf, weil es schon an einer Entscheidung des Rechtsträgers darüber fehlt, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigen überhaupt notwendig war ([X.] vom 27.1.2009 - [X.]/7a [X.] 20/07 R - [X.] 4-1935 § 14 [X.], Rd[X.] 9), liegt hier nicht vor (siehe hierzu unter 2).

2. Rechtsgrundlage für einen Anspruch der Kläger auf Erstattung ihrer Aufwendungen ist § 63 Abs 1 Satz 1 [X.]. Hiernach hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Nach § 63 [X.] [X.] sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts im Vorverfahren erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Gemäß § 63 Abs 3 Satz 1 Halbs 1 [X.] setzt die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest.

Mit dem Abhilfebescheid vom [X.] hat der Beklagte die Kosten des Vorverfahrens dem Grunde nach anerkannt (vgl § 63 Abs 1 Satz 1, [X.], Abs 3 Satz 1 [X.]). Auch hat er mit der Erstattung der Gebühren und Auslagen in Höhe von 337,96 Euro mit dem angefochtenen Bescheid vom [X.] in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.6.2007 konkludent entschieden, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts iS von § 63 [X.], Abs 3 Satz 2 [X.] notwendig war (vgl [X.] vom [X.] - B 13 R 63/09 R, [X.] Rd[X.]8; [X.] vom [X.] [X.]/08 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.], Rd[X.]3). Die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG haben auch bereits ausgeführt, dass es der Einholung eines Gutachtens des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer über die Höhe der Gebühr nach § 14 [X.] [X.] in der Fassung von Art 3 des [X.] (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz <[X.]>) vom [X.] ([X.] 718; in [X.] getreten am 1.7.2004) hier nicht bedarf, weil diese Regelung nur im Rechtsstreit zwischen Mandant und Rechtsanwalt, nicht hingegen im Prozess zwischen dem Gebührenschuldner, hier den Klägern, und dem [X.], hier dem beklagten Grundsicherungsträger, anwendbar ist ([X.] vom [X.] - B 4 AS 21/09 R - [X.], 30 ff = [X.] 4-1935 § 14 [X.], jeweils Rd[X.]3; [X.] vom [X.] [X.]/08 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.], Rd[X.]4).

3. Gebühren und Auslagen iS von § 63 [X.] [X.] sind die gesetzlichen Gebühren ([X.], 159 = [X.] 3-1300 § 63 [X.] f). Aufwendungen der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung sind grundsätzlich auch die Gebühren und Auslagen, die ein Rechtsanwalt seinem Mandanten, hier den Klägern, in Rechnung stellt. Die Vergütung bemisst sich seit dem 1.7.2004 nach dem [X.] (§ 1 Abs 1 Satz 1 [X.]) sowie dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum [X.] (§ 2 [X.] Satz 1 [X.]), hier in der vom 1.7.2004 bis 30.6.2006 geltenden Fassung des [X.] (Art 5 Abs 1 [X.] und Art 8 Satz 1 [X.] vom [X.], [X.] 718). Nach den Feststellungen des [X.] ist der Auftrag zur Vertretung der Kläger spätestens mit dem Widerspruchsverfahren im Oktober 2005 erteilt worden (§ 60 Abs 1 [X.]).

§ 3 [X.] sieht vor, dass in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen - wie hier - das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, [X.] entstehen (Abs 1 Satz 1). Dies gilt entsprechend für eine Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens ([X.]). Nach dem eigenständigen Gebührentatbestand für sozialrechtliche Angelegenheiten erhält der Rechtsanwalt für die Vertretung im Verwaltungsverfahren in bestimmten sozialrechtlichen Angelegenheiten ua eine Geschäftsgebühr. Rechtsgrundlage der Geschäftsgebühr ist [X.]500 VV [X.] in der bis zum 30.6.2005 geltenden Fassung (aF) iVm § 14 [X.]. Nach § 14 [X.] bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. [X.]500 VV [X.] aF umfasst einen Betragsrahmen von 40 Euro bis 520 Euro. Eine Gebühr von mehr als 240 Euro kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (sog Schwellengebühr). Wird der Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit für mehrere Auftraggeber tätig, erhält er die Gebühren nur einmal (§ 7 Abs 1 [X.]). Hierzu bestimmt [X.]008 VV [X.], dass sich die Geschäfts- oder Verfahrensgebühr bei einer Mehrheit von Auftraggebern (§ 7 [X.]) erhöht, bei [X.] und Höchstbetrag um 30% für jede weitere Person, wenn Auftraggeber in derselben Angelegenheit mehrere Personen sind. Bei [X.] dürfen die Erhöhungen das Doppelte des Mindest- und Höchstbetrags nicht überschreiten ([X.]008 <3> VV [X.]). Entsprechend erhöht sich auch die Schwellengebühr nach der Zahl der Auftraggeber um jeweils 30% bis maximal zum Doppelten des Ausgangsbetrages ([X.] vom [X.] [X.]/08 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.], Rd[X.]0; Müller-Rabe in [X.], [X.], 18. Aufl 2008, [X.]008 VV [X.] Rd[X.]42; Dinkat in [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl 2006, [X.]008 VV [X.] Rd[X.] 8).

Hier kann sich ein Anspruch der Kläger auf höhere Rechtsanwaltsgebühren insbesondere daraus ergeben, dass diese eine weitere Kostenerstattung in Gestalt einer oder mehrerer Erhöhungen nach [X.]008 VV [X.] beanspruchen können (4). In welchem Umfang sich die Zuerkennung von Erhöhungsgebühren auf die Höhe der insgesamt zu erstattenden Rechtsanwaltskosten auswirkt, hängt allerdings auch davon ab, in welcher Höhe die Geschäftsgebühr nach [X.]500 VV [X.] festzusetzen ist (5). Der von dem Beklagten mit dem Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.6.2007 zuerkannte Gesamtbetrag in Höhe von 337,96 Euro darf allerdings nicht unterschritten werden.

4. Ob der bevollmächtigte Rechtsanwalt - wie für eine Erhöhungsgebühr nach [X.]008 VV [X.] erforderlich - vorliegend für einen (allein die Klägerin) oder mehrere Auftraggeber (auch die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft) gehandelt hat, lässt sich anhand der Ausführungen des [X.] nicht feststellen.

Zwar enthält das Urteil des [X.] insofern die Feststellung, dass im Widerspruchsverfahren nicht die Bedarfsgemeinschaft, sondern nur die Klägerin zu 1 aufgetreten und auch nur diese anwaltlich vertreten worden sei. Auch hat das Berufungsgericht angenommen, es bestehe für die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft kein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag, weil "der Anwalt nur die Geschäfte für die Klägerin zu 1 (und dies in deren Auftrag) nach außen erkennbar wahrgenommen habe und auch habe wahrnehmen wollen".

Insofern geht das [X.] jedoch von unzutreffenden rechtlichen Maßstäben zu den Voraussetzungen des Erhöhungstatbestands der [X.]008 VV [X.] aus, weil es wesentlich darauf abstellt, dass nur die Klägerin (direkte) Vertragspartnerin gewesen sei. Vertragspartner und Auftraggeber iS der [X.]008 VV [X.] können jedoch auch unterschiedliche Personen sein ([X.] Rechtspfleger 1987, 387; [X.], [X.], 40. Aufl 2010, § 7 [X.] Rd[X.] 4; Schnapp in [X.]/Wolf, Anwaltskommentar [X.], [X.] VV 1008, 5. Aufl 2010, Rd[X.] 8). Eine Mehrheit von Auftraggebern liegt nach dem weiten Anwendungsbereich dieser Regelung bereits dann vor, wenn derselbe Rechtsanwalt für verschiedene natürliche Personen tätig wird. Es kommt insoweit nicht darauf an, wer persönlich dem Anwalt den Auftrag erteilt hat (BT-Drucks 15/1971 [X.]; Schnapp in [X.]/Wolf, Anwaltskommentar [X.], 5. Aufl 2010, [X.]008 VV [X.], Rd[X.] 7). Auch dann, wenn nur eine Person für eine von ihr vertretene Personenmehrheit Auftraggeber des Anwalts ist und mit diesem den Anwaltsvertrag abschließt, kann [X.]008 VV [X.] Anwendung finden (Teubel in [X.]/[X.], Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 2. Aufl 2006, § 7 [X.] Rd[X.] 4; Müller-Rabe in [X.], [X.], 19. Aufl 2010 VV [X.] 1008, Rd[X.] 38; Schnapp in [X.]/Wolf, Anwaltskommentar [X.], 5. Aufl 2010 VV [X.] 1008, Rd[X.] 6).

Vor diesem Hintergrund ist die Feststellung des [X.], dass der Anwalt "nur die Geschäfte für die Klägerin zu 1 wahrgenommen habe", nicht ausreichend für die Annahme, dass tatsächlich keine [X.] bzw Personenmehrheit in Gestalt weiterer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft iS der [X.]008 VV [X.] gegeben war. In dem Urteil des [X.] finden sich keine Ausführungen dazu, welchen Inhalts "die Geschäfte" der Klägerin waren. Es ist noch näher zu ermitteln, ob sie neben ihrem eigenen Anspruch auch Ansprüche (weiterer) Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verfolgt hat. Insofern ist § 38 [X.] zu berücksichtigen, der die Vertretung mehrerer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft als Vertretungsvermutung "vermittelt".

Zwar sind die Ansprüche nach dem [X.] der einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ([X.] vom 7.11.2006 - [X.]b [X.] - [X.], 217 ff = [X.] 4-4200 § 22 [X.], jeweils Rd[X.]3). Nach § 38 [X.] wird jedoch vermutet, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige bevollmächtigt ist, Leistungen nach diesem Buch auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen (Satz 1). Leben mehrere erwerbsfähige Hilfebedürftige in einer Bedarfsgemeinschaft, gilt diese Vermutung zugunsten desjenigen, der die Leistungen beantragt (Satz 2). Die Vermutung erfasst alle Verfahrenshandlungen, die mit der Antragstellung und der Entgegennahme der Leistungen zusammenhängen und der Verfolgung des Anspruchs dienen, mithin auch die Einlegung eines Widerspruchs ([X.] vom 7.11.2006 - [X.]b [X.] - [X.], 217 = [X.] 4-4200 § 22 [X.], jeweils Rd[X.]9; [X.] vom [X.] - B 14 [X.]/08 R - [X.], 48 = [X.] 4-1500 § 71 [X.], jeweils Rd[X.]2; [X.] in [X.]PK-[X.], 3. Aufl 2011, § 38 [X.] Rd[X.] 30). Neben der Verfolgung ihres Einzelanspruchs könnte die Vertretung der Individualansprüche (weiterer) Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft also durchaus Gegenstand der "Geschäfte" der Klägerin gewesen sein. Die Konstellation einer Bedarfsgemeinschaft kann eine Erhöhungsgebühr nach [X.]008 VV [X.] auslösen ([X.] vom [X.] [X.]/08 R - [X.] 4-1300 § 63 [X.], Rd[X.]1; Müller-Rabe in [X.], [X.], 19. Aufl 2010, [X.]008 VV [X.] Rd[X.] 60; [X.] in Hartung/Schons/[X.], [X.], 2011, [X.]008 VV, Rd[X.]5; [X.] Mecklenburg-Vorpommern Urteil vom 29.11.2007 - L 8 AS 39/06 - [X.] 2008, 286 f).

Auch wenn nicht für alle Fallkonstellationen anzunehmen ist, dass bei einer Bedarfsgemeinschaft die Zahl deren Mitglieder stets die Zahl der Auftraggeber bzw der vertretenen Personen widerspiegelt, muss wegen der Vertretungsvermutung der Bedarfsgemeinschaft in einer Fallgestaltung wie der vorliegenden ausdrücklich festgestellt werden, ob das (Widerspruchs-) Vorbringen des Bevollmächtigen im Auftrag der allein gegenüber ihm auftretenden Klägerin (nur) ihren [X.] oder die Ansprüche weiterer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zum Gegenstand hatte. Insofern ist auch zu berücksichtigen, dass in der Anfangszeit des [X.] durch die Formulierungen der Bewilligungsbescheide der Eindruck erweckt wurde, es müsse sich nur derjenige wehren, an den sich der Bescheid formal gerichtet hat, obwohl von dem Bewilligungsbescheid auch die Ansprüche weiterer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft erfasst sind (vgl [X.], 217 = [X.] 4-4200 § 22 [X.], Rd[X.]6).

5. Sowohl für den Umfang des [X.] im Falle der Feststellung einer Personenmehrheit iS der [X.]008 VV [X.] als auch des Gesamtbetrags der - über den anerkannten Betrag in Höhe von 337,96 Euro hinaus - zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren sind weitere Feststellungen zur Geschäftsgebühr erforderlich. Im Rahmen der Bestimmung des Umfangs des [X.] der [X.]008 VV [X.] ist die Höhe der diesem zu Grunde zu legenden Geschäftsgebühr von Amts wegen zu prüfen (vgl Müller-Rabe in [X.], [X.], 18. Aufl 2008, [X.]008 VV [X.] Rd[X.]42; Dinkat in [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl 2006, [X.]008 VV [X.] Rd[X.] 8).

Feststellungen, die es ermöglichen, die Höhe der Geschäftsgebühr zu beurteilen, fehlen in der Entscheidung des [X.]. Innerhalb des oben dargelegten Gebührenrahmens der [X.]500 VV [X.] (s unter 2) bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Auftraggeber nach billigem Ermessen (§ 14 Abs 1 Satz 1 [X.]). Dem Rechtsanwalt ist ein Beurteilungs- und Entscheidungsvorrecht eingeräumt, das mit der Pflicht zur Berücksichtigung jedenfalls der in § 14 [X.] genannten Kriterien verbunden ist (vgl hierzu näher [X.] vom [X.] - B 4 AS 21/09 R - [X.], 30 = [X.] 4-1935 § 14 [X.], jeweils Rd[X.]9). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs 1 Satz 4 [X.]). Sämtliche, nicht abschließend genannten Kriterien des § 14 Abs 1 Satz 1 [X.] stehen dabei selbstständig und gleichwertig nebeneinander. Bei der Bestimmung der konkreten Gebühr ist diese zunächst ausgehend von der [X.] festzulegen und ggf eine Kappung in Höhe des Betrags der Schwellengebühr vorzunehmen ([X.] vom [X.] - B 4 AS 21/09 R - [X.], 30 ff = [X.] 4-1935 § 14 [X.], jeweils Rd[X.]6; [X.] vom [X.] [X.] 14/09 R - [X.] 2011, 27 ff, Rd[X.]6).

Das [X.] wird daher ggf Feststellungen zum Umfang und zur Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie zur Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger, zum Gegenstand des Vorverfahrens (welche Bescheide angefochten sind und welchen Inhalt diese hatten) und den sich - nach dem Widerspruchsvorbringen - stellenden rechtlichen und tatsächlichen Problemen, zur Person der Vertretenen und der Zahl sowie dem Umfang der Schriftsätze des Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffen haben (vgl hierzu zB Urteil des Senats vom [X.] - B 4 AS 21/09 R - [X.], 30 = [X.] 4-1935 § 14 [X.]).

Das [X.] wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 4 AS 155/10 R

27.09.2011

Bundessozialgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Gotha, 22. Oktober 2007, Az: S 37 AS 2631/07, Urteil

§ 63 Abs 1 S 1 SGB 10, § 63 Abs 2 SGB 10, § 63 Abs 3 S 1 Halbs 1 SGB 10, § 38 SGB 2, § 7 Abs 1 RVG, § 14 Abs 1 RVG, Teil 1 Vorbem 1 RVG-VV, Nr 1008 RVG-VV, Nr 2500 RVG-VV, § 103 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 27.09.2011, Az. B 4 AS 155/10 R (REWIS RS 2011, 3003)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3003

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 14 AS 48/18 R (Bundessozialgericht)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Rechtsanwaltsvergütung - Erstattung von Kosten eines isolierten Vorverfahrens - Bestimmung der angemessenen …


B 4 AS 27/13 R (Bundessozialgericht)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Erstattung von Kosten im Vorverfahren - Rechtsanwaltsvergütung - zum Vorliegen "derselben" Angelegenheit …


B 14 AS 62/12 R (Bundessozialgericht)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Erstattung von Kosten im Vorverfahren - Rechtsanwaltsvergütung - Erledigungsgebühr - Erforderlichkeit einer …


S 13 AS 783/21 (SG München)

Leistungen, Bedarfsgemeinschaft, Bescheid, Einkommen, Widerspruchsbescheid, Gesetzgebungskompetenz, Widerspruch, Gerichtsbescheid, Berufung, RVG, Verfahrensmangel, Umsatzsteuer, Kostenrechnung, Widerspruchsverfahren, Zulassung …


B 13 R 63/09 R (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Rechtsanwaltsvergütung - Entstehen der Erledigungsgebühr - keine Erforderlichkeit eines beiderseitigen Nachgebens


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.