Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.01.2003, Az. 4 StR 267/02

4. Strafsenat | REWIS RS 2003, 4772

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[X.] DES VOLKESURTEIL4 [X.]/02vom23. Januar 2003in der Strafsachegegenwegen Totschlags- 2 -Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 23. [X.], an der teilgenommen haben:Vorsitzende [X.]in am [X.]. [X.],[X.] am [X.],[X.],[X.]innen am [X.]als beisitzende [X.],[X.] in der Verhandlung,Oberstaatsanwalt bei der Verkündung als Vertreter der [X.]schaft,Rechtsanwältin als Verteidigerin,Rechtsanwalt als [X.],Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,für Recht erkannt:- 3 -1. Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das [X.]eil [X.] vom 14. September 2001 mit [X.] aufgehoben.2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als[X.]wurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.Von Rechts wegenGründe:Das [X.] hat den Angeklagten vom Tatvorwurf des Totschlagsaus Rechtsgründen freigesprochen. Mit ihren Revisionen, mit denen sie dieVerletzung materiellen Rechts rügen, erstreben die Nebenkläger die Aufhe-bung des freisprechenden [X.]eils. Das Rechtsmittel hat Erfolg.[X.] Revisionen der Nebenkläger, die nur die nicht ausgeführte [X.] haben, sind zulässig. § 400 Abs. 1 StPO steht hier nicht entgegen, daein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt wurde und der [X.] nur wegen des [X.] nach § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO zur Nebenklage der Be-schwerdeführer als Eltern des Getöteten berechtigenden [X.] Delikts des [X.] nach § 212 Abs. 1 StGB angeklagt, hiervon jedoch freigesprochenworden ist (vgl. [X.]R StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 3; § 401 Abs. 1 S. 1- 4 -Zulässigkeit 2; [X.] bei [X.] NStZ-RR 2002, 104; Beschl. vom 19. [X.] 2001 - 3 StR 336/01).II.1. Nach den Feststellungen des [X.]wurgerichts trennte sich Ng. ,die damalige Lebensgefährtin des Angeklagten, von diesem und zog im Früh-jahr/[X.] 1999 in eine Wohnung nach [X.], wo sie in der Folgezeit mit ih-ren zwei Kindern lebte. Auch das spätere Tatopfer [X.] , mit dem Ng. imJahr 1998 ein Verhältnis begonnen hatte, hielt sich dort regelmäßig auf. [X.], der sich mehrfach vergeblich um die Rückkehr seiner Lebensge-fährtin bemüht hatte, wußte dies. [X.]. , die frühere Lebensgefährtin des[X.] , die von diesem vor etwa sechs Jahren verlassen worden war, wollte [X.] ebenfalls zurückgewinnen. Sie überredete den Angeklagten im Juni 1999,sie zusammen mit ihren Kindern sowie zwei weiteren Erwachsenen, der Zeugin[X.]und dem Zeugen [X.]. , zu der ihr unbekannten Wohnung in [X.] zu be-gleiten, um eine Aussprache mit [X.] herbeizuführen.Dementsprechend betraten der Angeklagte und [X.]. in der Tatnacht ge-gen 23.00 Uhr die [X.]er Wohnung. Letzterer fertigte [X.] wie zuvor gemeinsambeabsichtigt [X.] im [X.]lafzimmer zwei Lichtbilder von dem dort schlafenden [X.] zum Beweis seiner Beziehung zu Ng. . Daraufhin wurden die Eindringlin-ge von der Wohnungsinhaberin der Wohnung verwiesen. Der Angeklagte, derden ihm körperlich überlegenen [X.] fürchtete und deshalb stets zur Verteidi-gung zwei Küchenmesser in seinen Hosentaschen mit sich führte, kehrte [X.] allein in die Wohnung zurück und nahm aus der Küche ein weiteresMesser mit, um es - so ersichtlich seine Einlassung, der das [X.] ge-- 5 -folgt ist - vor [X.] zu verstecken. Anschließend wartete er mit seinen Begleiternvor dem Haus.Dorthin folgte ihm [X.] , der inzwischen geweckt worden war. Er war we-gen des Erscheinens der Besucher sowie der Anfertigung der Fotos erregt undrannte erst dem Zeugen [X.]. und dann dem Angeklagten hinterher, ohne [X.] einen der beiden zu erreichen. Die Zeugin [X.]. , die [X.] beschimpft, amArm gepackt und ins Gesicht geschlagen hatte und daher von diesem ebenfallsins Gesicht geschlagen worden war, zog ihre Tochter schützend vor sich undtrommelte nunmehr mit den Fäusten auf den Oberkörper des [X.] ein. [X.] der Zeugin [X.]gelang, die Tochter wegzuziehen, kam der Angeklagte, —umder Zeugin [X.]. zu helfen,fi auf [X.] zu, wobei er zwei der mitgeführten Messermit nach oben gerichteten Klingen in den Händen hielt. [X.] schlug dem [X.]n daraufhin mit der Hand ins Gesicht. Da der Angeklagte fürchtete, [X.] könne ihm die Messer entreißen und gegen ihn verwenden, stach er 31 mal [X.] frontal auf dessen Rumpf und Arme ein. Der Geschädigte ver-suchte, die Stiche mit den Händen abzuwehren, und lief auf die gegenüberlie-gende Straßenseite. Dort brach er kurz darauf zusammen und verstarb späterinfolge der Stichverletzungen durch Verbluten.2. Das [X.] hat eine Strafbarkeit wegen Totschlags verneint, dabei bestehender eigener Notwehrlage des Angeklagten ein Messereinsatz er-forderlich und geboten im Sinne des § 32 StGB gewesen sei. Zwar sei die [X.] von insgesamt 31 Messerstichen nicht erforderlich gewesen. [X.] der Notwehr sei jedoch wegen Verwirrung erfolgt,so daß [X.] nach § 33 StGB entschuldigt sei. Hilfsweise sei der [X.] -klagte - ebenfalls entsprechend § 33 StGB - wegen Überschreitung einer Puta-tivnothilfe zu Gunsten der Zeugin [X.]. entschuldigt.II[X.] vom [X.] vorgenommene Würdigung begegnet durchgrei-fenden Bedenken.1. Ein Notwehrexzess liegt nicht vor. § 33 StGB begründet Straffreiheitnur für denjenigen, der als rechtswidrig Angegriffener in Überschreitung [X.] den Angreifer aus Verwirrung, Furcht oder [X.]recken ver-letzt oder gar tötet; er setzt mithin das Bestehen einer Notwehrlage voraus (vgl.[X.] NStZ 1987, 20; [X.], 291, 292 m.w.[X.]; NStZ-RR 2002, 203, 204).Nach den [X.]eilsfeststellungen lag ein gegenwärtiger rechtswidriger [X.] des [X.] gegen den Angeklagten nicht vor. Zwar geht die [X.] ohne nähere Begründung davon aus, daß es sich bei dem [X.]lag, den [X.] dem Angeklagten ins Gesicht versetzte, um einen derartigen Angriff gehandelthabe. Dabei übersieht sie jedoch, daß dieser [X.]lag eine durch Notwehr ge-botene Handlung darstellte, weil er in dem Augenblick erfolgte, als der [X.] mit zwei Messern in den Händen auf [X.] losging, worin objektiv ein [X.] auf diesen zu sehen ist. Bei zeitlich aufeinanderfolgenden, wechselseiti-gen Angriffen der Beteiligten bedarf es zur Prüfung der Notwehrlage einer Ge-samtbetrachtung unter Einschluß des der Tathandlung vorausgegangenen [X.]; derjenige kann sich nicht auf ein Notwehrrecht berufen, der zuvoreinen anderen rechtswidrig angegriffen hat, so daß dieser seinerseits aus Not-- 7 -wehr handelt (vgl. [X.]St 39, 374, 376 f.; [X.] NStZ 2001, 143, 144 m.w.[X.] hat das [X.] verkannt.Nach den getroffenen Feststellungen hat der später Geschädigte wederAnlaß zu der Auseinandersetzung gegeben, noch seinerseits die Grenzen desihm zustehenden Notwehrrechts überschritten. Die Konfrontation war nicht vonihm, sondern von der Zeugin [X.]. und ihren männlichen Begleitern [X.]. Indem sich der Angeklagte und der Zeuge [X.]. ohne [X.] zur Nachtzeit in die auch von [X.] bewohnte Wohnung begaben und[X.]. Lichtbilder von dem schlafenden [X.] fertigte, griffen sie in dessen durchArt. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG geschütztes Persönlichkeitsrecht, insbesonderein den [X.]utz der Privatsphäre und das Recht am eigenen Bild, ein (vgl.[X.] 101, 361, 379, 381 f. = NJW 2000, 1021, 1022; [X.]Z 131, 332, 340jeweils m.w.[X.]). Auf diese Provokation reagierte [X.] , indem er zunächst [X.] [X.]. und anschließend dem Angeklagten schimpfend nachlief, [X.] von ihnen zu erreichen. Unabhängig davon, daß hierin noch kein Angriffgesehen werden kann, der dem Angeklagten angesichts seines Vorverhaltenssofortige Trutzwehr erlaubt hätte (vgl. [X.]St 39, 374, 376; 42, 97, 100 f.m.w.[X.]; [X.]R StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 2, 3), war diese Verfolgung - fürden Angeklagten erkennbar - spätestens dann beendet, als [X.] in eine [X.] tätliche Auseinandersetzung mit der Zeugin [X.]. verwickelt war. Als [X.] in dieser Situation zurückkehrte und mit den Messern in den Hän-den auf den ihm körperlich zwar überlegenen, aber unbewaffneten [X.] zuging,bestand für ihn mithin keine Notwehrlage. Eine solche war vielmehr für [X.] ge-geben, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Angeklagte - was den [X.] nicht zu entnehmen ist - schon zu diesem Zeitpunkt mit [X.] auf [X.] einstechen wollte. Auch wenn er dies nicht beabsichtigte, war- 8 -der ihm von [X.] versetzte [X.]lag ins Gesicht durch Notwehr gerechtfertigt, daes insoweit nur auf die äußere Gefährlichkeit des abzuwehrenden Verhaltensankommt (vgl. [X.]R StGB § 32 Abs. 2 Angriff 1).2. Soweit die Strafkammer den Freispruch hilfsweise mit dem [X.] begründet, hält dies ebenfalls rechtlicher Prü-fung nicht stand.Das [X.] hat angenommen, daß zu dem Zeitpunkt, als der [X.] nach seiner Einlassung der Zeugin [X.]. zur Hilfe kommen wollte, zwarobjektiv keine Nothilfelage vorgelegen, der Angeklagte sich aber insoweit ineinem unvermeidbaren Irrtum befunden habe; außerdem habe er aus Verwir-rung die Grenzen der erforderlichen Nothilfehandlung überschritten. Es ist [X.], daß "in diesem Fall die analoge Anwendung des § 33 StGB gerecht-fertigt" sei, die zur Straffreiheit führe.Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Auf den sogenannten Pu-tativnotwehrexzess ist § 33 StGB nach herrschender Meinung nicht anwendbar(vgl. [X.] NStZ-RR 2002, 203, 204 m.w.[X.]; siehe auch Nachweise [X.]/Perron in [X.]önke/[X.] StGB 26. Aufl. § 33 Rdn. 8).Unabhängig davon begegnet aber bereits die Beweiswürdigung hin-sichtlich eines Irrtums des Angeklagten über eine Nothilfelage durchgreifendenrechtlichen Bedenken, da sie Lücken aufweist, insbesondere nicht alle im [X.]eilfestgestellten und für den Vorsatz wesentlichen Umstände berücksichtigt (vgl.[X.]R StPO § 261 Beweiswürdigung 11 und 27; [X.], [X.]. vom 09. Juli 2002[X.] 1 [X.]; [X.] StPO 46. Aufl. § 337 Rdn. 29 m.w.[X.]). Das- 9 -[X.] hat einen [X.] wegen der vorangegangenen eigenen Verfolgungdurch [X.] —unvermeidbar(en)fi [X.] Irrtum des Angeklagten darauf gestützt, [X.] seiner Einlassung nicht auszuschließen sei, er habe nur den [X.]lag des[X.] gegen die Zeugin, nicht aber deren vorangegangene Tätlichkeit gegen [X.] wahrgenommen. Diese Würdigung zum Vorstellungsbild des Angeklagten, dielediglich auf den Beginn dieser körperlichen Auseinandersetzung und nicht aufden Zeitpunkt des Eingreifens des Angeklagten abstellt, greift zu kurz:Für die Putativnothilfe entsprechend §§ 32, 16 Abs. 1 S. 1 StGB ist nichtnur die für den Angeklagten zur Tatzeit ungeklärte und allenfalls für [X.] eines Angriffs des [X.] relevante Frage entscheidend, wer dietätliche Auseinandersetzung begonnen hatte, sondern auch, ob es nach [X.] des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat einen unmittelbar bevor-stehenden (vgl. [X.]R StGB § 32 Abs. 2 Angriff 1) oder noch andauerndenrechtswidrigen Angriff (vgl. [X.]St 45, 378, 384) abzuwehren galt. Ein einzel-ner, bereits erfolgter [X.]lag des unbewaffneten [X.] gegen [X.]. begrün-det für sich noch nicht die Annahme, weitere [X.] auch angesichts der von derZeugin [X.]. gesuchten Konfrontation und vorsätzlichen Provokation [X.] nichthinnehmbare Beeinträchtigungen und Verletzungen (vgl. [X.]St 24, 356, 359)würden folgen. Daß der Angeklagte die Fortsetzung entsprechender Gewaltvon [X.] gegen dessen ehemalige Lebensgefährtin erwartete, hat das [X.]wur-gericht weder dargelegt noch drängt sich dies nach den Feststellungen [X.] auf. Das [X.] hat insbesondere unberücksichtigt gelassen,daß die Zeugin [X.]. zwischenzeitlich unter Zuhilfenahme ihres Kindes —als[X.]utzschildfi mit den Fäusten auf den Oberkörper des nicht mehr zurück-schlagenden [X.] —eintrommeltefi, bis der Angeklagte mit zwei Messern auf [X.] zuging. Demnach ist nicht nachvollziehbar, daß der Angeklagte nach [X.] 10 -ner anfänglichen Flucht zwar den [X.]lag des [X.] gegen die Zeugin [X.]. ge-sehen, nicht aber das weitere Geschehen wahrgenommen haben soll. Bei ent-sprechender Kenntnis dieser Lage, in der von [X.] gegen die weiter [X.] Zeugin keine Tätlichkeit mehr ausging, würde eine Putativnothilfe zuderen Gunsten schon mangels eines aus der Sicht des Angeklagten abzuwen-denden Angriffs ausscheiden.3. Das [X.]wurgericht hat auch den erforderlichen Verteidigungswillen(vgl. [X.]R StGB § 32 Abs. 1 Putativnotwehr 1; Abs. 2 Erforderlichkeit 2 und 9;NJW 1998, 465, 466) nicht hinreichend belegt. Ein solcher wird zwar nicht ge-nerell durch die den Angeklagten mitbeherrschenden —[X.] und [X.] (vgl. [X.]R StGB § 32 Abs. 2 Verteidigungswille 1; [X.], 365, 366). Der Verteidigungswille hätte hier aber trotz der - nur mit derkörperlichen Überlegenheit des [X.] und ohne Angaben über dessen [X.] unzureichend begründeten - Furcht des Angeklagten vor dem - [X.] - Geschädigten näherer Erörterung bedurft. Ein solcher Wille liegt ange-sichts der vom Angeklagten und [X.]. gemeinsam erfolgten Provokation, [X.] des Küchenmessers, der Vielzahl der Stiche und der relativ ge-ringfügigen Gewaltanwendung des Geschädigten fern (vgl. [X.] NJW 1990,2263, 2264). Auch die Einlassung eines Angeklagten zur subjektiven Tatseiteist anhand des Gesamtgeschehens zu überprüfen und nicht ohne weiteres alsunwiderlegbar zugrundezulegen (vgl. [X.]R StPO § 261 Einlassung 6).IV.Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Se-nat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch und- 11 -verweist die Sache an eine als [X.]wurgericht zuständige Strafkammer des[X.]s Magdeburg zurück.[X.] Maatz [X.]

Meta

4 StR 267/02

23.01.2003

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.01.2003, Az. 4 StR 267/02 (REWIS RS 2003, 4772)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 4772

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