Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.04.2024, Az. 1 StR 75/24

1. Strafsenat | REWIS RS 2024, 2128

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Tenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 5. Dezember 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten jeweils wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügen, haben Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s hatten sich die Angeklagten mit dem [X.]     im Frühjahr 2023 zerstritten und gegenseitig über die Plattform [X.]     beleidigt. Die Angeklagten entschlossen sich daher, dem A.      „eine Abreibung zu verpassen“, ihn einzuschüchtern, zu erniedrigen und ihm dessen Mobiltelefone wegzunehmen, damit er sich „– zumindest für eine gewisse [X.] ([X.]) nicht mehr über [X.]    äußern könne. Am 12. Juli 2023 gegen 1.15 Uhr drangen sie in A.     s [X.] ein. Der Angeklagte [X.]     schlug A.      mit der flachen [X.]nd auf dessen Brust und drückte ihn auf das Sofabett; er versuchte, die Zunge des Geschädigten herauszuholen, und schlug ihm gegen den Mund. Der Angeklagte   [X.].    hielt dem A.     einen Wurfdolch dicht vor die Schulter sowie das Gesicht und schlug ihn gegen die linke Gesichtshälfte sowie den Kiefer. Zudem drohte er dem Geschädigten, dessen Zunge herauszuschneiden und ihn „abzuschlachten“, weil er ihre Ehre verletzt habe. Mit der Gewalt und der Bedrohung wollten die Angeklagten sich vor allem an A.     rächen und ihn erniedrigen, aber auch zugleich die Wegnahme der Mobiltelefone ermöglichen. Während der Angeklagte [X.]     den Zeugen festhielt, fasste der Angeklagte  [X.].    in dessen Hosentasche und ergriff dessen Mobiltelefon; zudem nahm er von einem Beistelltisch ein weiteres Mobiltelefon an sich, das, was die Angeklagten nicht wussten, tatsächlich dem Zeugen [X.].         gehörte. Dabei sagte der Angeklagte [X.].   , dass er die [X.]ndys an sich nehme, weil A.      sie beleidigt und beschimpft habe. Mit den Mobiltelefonen, die sie „zumindest vorübergehend für sich […] behalten“ wollten ([X.]), rannten die beiden Angeklagten aus der Unterkunft, als A.    weiterhin um Hilfe rief.

3

2. Das Urteil hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

4

a) Die Feststellung zum Tatbestandsmerkmal der Absicht, sich die weggenommenen fremden Sachen zuzueignen (§ 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB), ist nicht in der Beweiswürdigung unterlegt; eine tragfähige Begründung für die erforderliche Aneignungsabsicht kann auch nicht dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnommen werden.

5

aa) Die [X.] setzt voraus, dass der Täter im [X.]punkt der Wegnahme die fremde Sache unter Ausschließung des Eigentümers oder bisherigen Gewahrsamsinhabers körperlich oder wirtschaftlich für sich oder einen [X.] erlangen und sie der Substanz oder dem Sachwert nach seinem Vermögen oder dem eines [X.] „einverleiben“ will. Der Täter muss mithin neben der dauernden Enteignung des Berechtigten, für die bedingter Vorsatz genügt, die Aneignung der Sache beabsichtigen. Hierfür ist nicht erforderlich, dass er diese auf Dauer behalten will. Jedoch muss er die – wenn auch möglicherweise nur vorübergehende – Aneignung zum Wegnahmezeitpunkt mit unbedingtem Willen erstreben. Andernfalls handelt es sich lediglich um eine Sachentziehung, die – auch wenn der bisherige Eigentümer damit dauerhaft aus seiner Position verdrängt wird – keine Form der Aneignung ist. Deshalb ist eine Aneignungsabsicht zu verneinen, wenn der Täter die Sache – ohne sie behalten zu wollen – an sich bringt, um sie sogleich zu beschädigen oder wegzuwerfen oder gar zu zerstören.

6

Ist die Aneignung abgeschlossen, wirkt es sich auf die [X.] nicht mehr aus, wie der Täter sodann mit dem erlangten Gegenstand verfährt. Mithin kommt es auch in Fällen, in denen der Täter die Entsorgung der Sache erstrebt, darauf an, ob er diese zunächst körperlich oder wirtschaftlich seinem Vermögen einverleiben will, er also beabsichtigt, sie – möglicherweise auch nur vorübergehend – für sich zu haben oder wirtschaftlich zu nutzen. Der Täter kann die Sache in sein Vermögen etwa dadurch körperlich einverleiben, dass er sie unter Ausschluss des wahren Berechtigten von der Ausübung der Sachherrschaft der eigenen eigentümerähnlichen Verfügungsgewalt unterwirft, sich also zum [X.]punkt der Wegnahme offenhält, wie er im [X.] mit der Sache verfahren will. Ob bei einer der geplanten Entsorgung vorausgehenden Nutzung der entwendeten Sache diese dem Vermögen des [X.] zugeführt werden soll, ist letztendlich unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beantworten. Dabei ist jeweils insbesondere von Bedeutung, ob er in irgendeiner Weise im weitesten Sinne wirtschaftlich von dem Gebrauch profitieren und aus der Nutzung mittelbar oder unmittelbar einen irgendwie gearteten wirtschaftlichen oder jedenfalls materiellen Vorteil ziehen will (vgl. zum Ganzen [X.], Urteil vom 17. Oktober 2019 – 3 StR 536/18, [X.]R StGB § 249 Abs. 1 [X.] 15 Rn. 16 f. mit weiteren umfangreichen Nachweisen). Wenn der Täter neben der Aneignung mit der Wegnahme ein weiteres Ziel erstrebt, steht dies der Annahme der [X.] nicht entgegen (vgl. [X.], Urteil vom 6. Oktober 1992 – 1 StR 554/92 Rn. 6, [X.]R StGB § 249 Abs. 1 Gewalt 5).

7

bb) Die Beweiswürdigung lässt nicht erkennen, dass sich das [X.] dieses Maßstabs bewusst war. So heißt es, dass „nicht der Wert der Mobiltelefone im Vordergrund stand“ ([X.]; [X.]: „nicht primär“; vgl. auch [X.], Beschluss vom 10. März 2020 – 2 [X.] Rn. 11 [X.]). Was die Angeklagten mit den Telefonen nach dem Verlassen des [X.] machten, ist nicht aufgeklärt; so lässt etwa die Wiedergabe der Auswertung von [X.], in denen der Angeklagte [X.].    sich der Tat rühmte, nicht erkennen, dass die [X.]ndys noch in seinem Besitz waren ([X.]). Der Beweiswürdigung ist nur zu entnehmen, dass die Angeklagten die Mobiltelefone nicht zurückgaben und diese nicht aufgefunden werden konnten, insbesondere nicht bei der Durchsuchung am 24. August 2023 ([X.]). Der fehlende [X.] trägt nur die dauernde Enteignung, wobei „für eine gewisse [X.]“ den [X.]raum meint, innerhalb dessen sich A.     ein neues Mobiltelefon beschaffen musste und er solange keinen Zugang zu [X.]    hatte. Den Angeklagten ging es zum [X.]punkt der Wegnahme vor allem darum, weitere Äußerungen [X.] auf [X.]    zu unterbinden und ihn zu erniedrigen. Damit liegt es aber gerade nicht auf der [X.]nd, dass die Angeklagten den Bestand ihres Vermögens durch – wenn auch nur vorübergehende – Zuführung der Substanz oder des Sachwerts der Mobiltelefone mehren wollten. Ob sie die Telefone zweckentsprechend benutzen oder später wirtschaftlich verwerten wollten oder zumindest beabsichtigten, diese auf unbestimmte [X.] zur beliebigen Verwendung in Besitz zu halten, ist offengeblieben.

8

b) Der Schuldspruch kann auch nicht in eine besonders schwere räuberische Erpressung (§ 253 Abs. 1, §§ 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) abgeändert werden.

9

aa) Bei fehlender [X.] kann die Strafvorschrift der räuberischen Erpressung angewendet werden. Dazu müssten die Angeklagten in der Absicht gehandelt haben, sich oder einen [X.] zu bereichern. Der bloße Besitz einer Sache ist aber nur dann ein Vermögensvorteil, wenn ihm ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt, etwa weil er zu wirtschaftlich messbaren Gebrauchsvorteilen führt, die der Täter oder der Dritte für sich nutzen will. Daran fehlt es nicht nur in den Fällen, in denen der Täter die Sache unmittelbar nach Erlangung vernichten will, sondern auch dann, wenn er den mit seiner Tat verbundenen Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf einen anderen Zweck gerichteten Verhaltens hinnimmt ([X.], Beschluss vom 10. März 2020 – 2 [X.], [X.]R StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 21 Rn. 8 f.; Urteil vom 17. Oktober 2019 – 3 StR 536/18 Rn. 19; jeweils mwN). Die erforderliche Bereicherungsabsicht fehlt auch dann, wenn es dem Täter beim Abpressen eines Mobiltelefons nur darum geht, dem Opfer einen Denkzettel zu verpassen ([X.], Beschluss vom 24. Mai 2011 – 4 [X.], [X.]R StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 20 Rn. 4 mwN) oder es zu isolieren ([X.], Beschluss vom 10. März 2020 – 2 [X.], [X.]R StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 21 Rn. 9).

bb) Hieran gemessen ist aus den genannten Gründen (Rn. 7) eine Bereicherungsabsicht der Angeklagten nicht tragfähig beweiswürdigend belegt.

c) Die Aufhebung umfasst wegen der Einheitlichkeit der Tat die gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB), auch wenn diese für sich genommen rechtsfehlerfrei festgestellt ist. Um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine insgesamt widerspruchsfreie Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite zu ermöglichen, hebt der Senat vorsorglich alle Feststellungen einschließlich derjenigen zum äußeren Tatgeschehen auf. Insbesondere wird aufzuklären sein, wie die Angeklagten mit den Telefonen verfahren sind und ob dies tragfähige Rückschlüsse auf ihren Willen zum Tatzeitpunkt zulässt.

Jäger     

      

Fischer     

      

[X.]

      

Leplow     

      

Welnhofer-[X.]ler     

      

Meta

1 StR 75/24

03.04.2024

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Augsburg, 5. Dezember 2023, Az: 3 KLs 307 Js 123426/23

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.04.2024, Az. 1 StR 75/24 (REWIS RS 2024, 2128)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 2128

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 175/11

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