Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.04.2020, Az. 1 C 25/20

1. Senat | REWIS RS 2020, 3872

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Gegenstand

Gehörsverletzung durch Ablehnung eines Schriftsatznachlassantrages


Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 22. Mai 2019 aufgehoben, soweit es ihn betrifft. Insoweit wird der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

1

Der Kläger ist [X.] Staatsangehöriger und begehrt die Erteilung eines Visums zum Zwecke der Familienzusammenführung mit seinem als Flüchtling anerkannten [X.].

2

Sein am 20. November ... geborener [X.] (im Folgenden: [X.]r) reiste im Oktober 2014 in die [X.] ein. Auf seinen Asylantrag vom 20. November 2014 erkannte ihm das [X.] ([X.]) am 14. September 2015 die Flüchtlingseigenschaft zu. Die Ausländerbehörde erteilte ihm daraufhin im Oktober 2015 eine bis zum Dezember 2018 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 [X.].

3

Mit Schreiben vom 24. September 2015 wandte sich der von dem [X.]n bzw. von dessen gerichtlich bestelltem Vormund bevollmächtigte Rechtsanwalt und jetzige Klägerbevollmächtigte an die Botschaft der [X.] in [X.]/[X.] (im Folgenden: Botschaft [X.]) und beantragte, den Eltern und Geschwistern [X.] zum Familiennachzug zu erteilen. Bei der persönlichen Vorsprache zur Visumantragstellung in der Botschaft [X.] im Juni 2016 legte der Kläger einen bis zum Oktober 2016 gültigen Pass vor. Die damals zuständige Ausländerbehörde stimmte der Erteilung der [X.] im September 2016 zu.

4

Die Botschaft [X.] lehnte die [X.]anträge mit Bescheiden vom 22. September 2016 ab. Die Erteilung eines Visums an den Kläger und seine Frau zum Familiennachzug nach § 36 Abs. 1 [X.] sei nicht mehr möglich, weil der [X.] bereits volljährig sei. Eine außergewöhnliche Härte i.S.d. § 36 Abs. 2 [X.] liege nicht vor.

5

Am 4. November 2016 haben der Kläger, seine Ehefrau und zwei (seinerzeit) minderjährige Kinder Klage auf Verpflichtung der [X.] zur Erteilung von [X.] zum Zwecke der Familienzusammenführung erhoben. Der [X.] sei bei der insoweit maßgeblichen Antragstellung noch minderjährig gewesen. Zudem liege eine außergewöhnliche Härte vor, weil sich dieser aufgrund erlittener Traumata in psychotherapeutischer Behandlung befinde und ihrer Unterstützung bedürfe.

6

Mit Urteil vom 15. März 2018 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Einem Anspruch der (ehemaligen) Kläger aus § 6 Abs. 3 i.V.m. § 36 Abs. 1 [X.] stehe entgegen, dass der [X.] nicht mehr minderjährig sei. Mit Eintritt der Volljährigkeit am 20. November 2015 sei der [X.] erloschen. Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 [X.] lägen nicht vor, weil es an der dafür erforderlichen außergewöhnlichen Härte fehle. Im Übrigen sei der Lebensunterhalt der Kläger nicht gesichert.

7

Auf den Antrag des [X.] und seiner Ehefrau hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung gegen das Urteil des [X.] mit Beschluss vom 25. Januar 2019 zugelassen.

8

In der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht am 22. Mai 2019 wurde erörtert, dass der bei Visumantragstellung vorgelegte Reisepass des [X.] nur bis zum Oktober 2016 gültig gewesen sei. Den daraufhin von den ([X.] des [X.] beantragte [X.] bis zum 5. Juni 2019 lehnte das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss ab.

9

Mit Urteil vom 22. Mai 2019 hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des [X.] auf die Berufung der Ehefrau des [X.] geändert und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. September 2016 verpflichtet, ihr ein Visum zum Zwecke des Familiennachzugs zu erteilen; die Berufung des [X.] hat es zurückgewiesen.

Die Beklagte sei aus § 6 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 36 Abs. 1 [X.] zur Erteilung des Visums zum Familiennachzug an die Ehefrau verpflichtet, da die Voraussetzungen der Norm erfüllt seien. Der [X.] sei im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bei der gebotenen unionskonformen Auslegung insbesondere auch minderjährig i.S.d. § 36 Abs. 1 [X.]. Nach der Rechtsprechung des [X.] sei Art. 2 Buchst. f i.V.m. Art. 10 Abs. 3 Buchst. a RL 2003/86/[X.] dahin auszulegen, dass ein Drittstaatsangehöriger, der zum Zeitpunkt seiner Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats und der Stellung seines Asylantrags in diesem Staat unter 18 Jahre alt gewesen sei, aber während des Asylverfahrens volljährig geworden und dem später die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei, als Minderjähriger im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sei. Diese bindende Auslegung des [X.] gebiete es, im Falle eines unbegleiteten Flüchtlings auch bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Minderjährigkeit in § 36 Abs. 1 [X.] auf den Zeitpunkt der Stellung des Asylantrags abzustellen. Die gegen eine Übertragbarkeit bzw. Bindungswirkung der Entscheidung des [X.] gerichteten Einwände der [X.] griffen nicht durch.

Die zulässige Berufung des [X.] sei indes unbegründet, weil die gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 [X.] auch für die Erteilung eines Visums geltende allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 [X.] mangels gültigen Passes nicht erfüllt sei. Der im Rahmen der mündlichen Verhandlung beantragte [X.] sei nicht zu gewähren. Dem Gebot der Verfahrensbeschleunigung sei der Vorrang einzuräumen, weil nicht erkennbar sei, dass der anwaltlich vertretene Kläger an der rechtzeitigen Vorlage eines gültigen Passes bzw. einer Erklärung hierzu gehindert gewesen sei. Die zwei Tage nach Verkündung des Urteils vorgelegte Fotokopie eines gültigen Reisepasses zur Akte könne nicht mehr berücksichtigt werden.

Die Beklagte und der Kläger haben die durch das Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt.

Zur Begründung seiner Revision macht der Kläger geltend, er sei im Besitz eines gültigen Reisepasses gewesen. Nur der vermeintliche Nachweis in der Akte habe gefehlt. Das Berufungsgericht hätte trotz seiner anwaltlichen Vertretung angesichts der wegen des Aufenthalts im Ausland fehlenden Möglichkeit seiner Anwesenheit und der Schwierigkeiten, mit ihm zeitnah zu kommunizieren, den beantragten [X.] gewähren müssen, um den fehlenden Nachweis erbringen zu können. Das Oberverwaltungsgericht hätte insoweit berücksichtigen müssen, dass während des gesamten zweieinhalbjährigen Verfahrens weder von den Gerichten noch von der [X.] problematisiert worden sei, dass ein gültiger Reisepass fehlen würde. Kernproblem des Verfahrens sei eine Rechtsfrage gewesen. Deshalb sei auch eine Akteneinsicht in die Verfahrensakte der [X.] nicht erforderlich gewesen. Das Berufungsgericht habe den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes und des Anspruchs auf rechtliches Gehör verletzt. Eine Stellungnahme des Verfahrensbevollmächtigten noch in der mündlichen Verhandlung sei aufgrund der fehlenden Verbindung und Kontaktmöglichkeiten nicht möglich gewesen. Das Beschleunigungsgebot wäre bei einem [X.] aufgrund der Umstände des Einzelfalls nicht verletzt gewesen. Bereits zwei Tage nach der mündlichen Verhandlung sei eine Kopie seines gültigen Reisepasses vorgelegt worden. Für den Besitz eines gültigen Passes habe auch gesprochen, dass er im Verwaltungsverfahren einen Pass vorgelegt habe, der nur habe verlängert werden müssen, und dass seine Ehefrau sich im Besitz eines gültigen Passes befunden habe.

Die Beklagte ist der Revision des [X.] entgegengetreten. Eine entscheidungserhebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs liege nicht vor. Ein [X.] setze ein überraschendes neues Vorbringen voraus, auf das die Gegenseite mangels rechtzeitiger Mitteilung nicht erwidern könne. Davon sei bei der Erfüllung der elementaren Erteilungsvoraussetzung der Passpflicht nicht auszugehen. Der Prozessbevollmächtigte des [X.] hätte Kenntnis haben müssen, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nur ein abgelaufener Pass vorliege.

Der Vertreter des [X.] beim [X.] hat erklärt, dass er sich nicht am Verfahren beteiligt.

Das Verfahren über die Revision der [X.] und des [X.] ist zunächst unter dem Aktenzeichen 1 C 26.19 geführt worden. Mit Beschluss vom 23. April 2020 hat der Senat den Rechtsstreit hinsichtlich der Revision des [X.] zu 2 abgetrennt und unter dem vorliegenden Aktenzeichen fortgeführt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des [X.], über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist mit ihrer Verfahrensrüge begründet. Die Ablehnung des von seinen ([X.] in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht gestellten Antrages auf [X.] zum Nachweis eines gültigen Reisepasses verletzt den Kläger in seinem Recht auf rechtliches Gehör, worauf die Entscheidung auch beruht (§ 138 Nr. 3 VwGO) (1.) und führt gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung (2.).

1. Den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag der ([X.] des Klägerbevollmächtigten auf [X.] bis zum 5. Juni 2019 zur Klärung der Frage des Vorliegens eines gültigen Reisepasses hat das Oberverwaltungsgericht verfahrensfehlerhaft (§ 138 Nr. 3 VwGO) unter Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör durch den in der Sitzung verkündeten Beschluss abgelehnt. Die insoweit erhobene Verfahrensrüge des [X.] ist begründet.

Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13.11 - BVerwGE 144, 230 Rn. 10). Kann sich ein Beteiligter wegen eines in der mündlichen Verhandlung gegebenen richterlichen Hinweises oder wegen neuen Sachvortrags nicht abschließend äußern, muss das Gericht ihm eine Reaktionsfrist zubilligen, bei deren Bemessung zum einen den erforderlich werdenden rechtlichen Überlegungen und Nachprüfungen zu entsprechen, zum anderen aber auch zu berücksichtigen ist, ob dies voraussichtlich mit der Einholung neuer Informationen oder sonstiger tatsächlicher Nachforschungen verbunden sein wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. August 1978 - 7 C 79.77 u.a. - [X.] 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 25 S. 15 f.). Insofern kommt sowohl eine Vertagung als auch die Gewährung eines [X.]es (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 283 ZPO) in Betracht ([X.], in: [X.], VwGO, 15. Aufl. 2019, § 103 Rn. 18 m.w.N.).

Eine begründete Verletzung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass der Beteiligte alle ihm eröffneten prozessualen und faktischen Möglichkeiten genutzt hat, sich rechtliches Gehör zu verschaffen ([X.], Beschlüsse vom 25. Mai 1956 - 1 BvR 53/54 -, [X.]E 5, 9 <10>; vom 16. Januar 1963 - 1 BvR 316/60 -, [X.]E 15, 256 <267 f.> und vom 28. Januar 1970 - 2 BvR 319/62 - [X.]E 28, 10 <14>). Bei neuem tatsächlichen Vorbringen muss er eine Unterbrechung, Vertagung oder eine Schriftsatzfrist beantragen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 1997 - 11 B 3.97 - [X.] 451.171 § 6 AtG Nr. 1 S. 6). Das rechtliche Gehör ist im Fall einer Nichtverarbeitung von tatsächlichem Vorbringen eines Beteiligten erst dann verletzt, wenn der Vortrag aus der Perspektive des Gerichts für das angefochtene Urteil entscheidungserheblich gewesen wäre (BVerwG, Beschluss vom 16. November 2001 - 1 B 211.01 -, [X.] 2002, 150). Bei der Entscheidung, ob bei Vorliegen erheblicher Gründe ein [X.] gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 283 ZPO zu gewähren ist, hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen sowohl das Gebot der Verfahrensbeschleunigung als auch den Anspruch auf rechtliches Gehör zu berücksichtigen (BVerwG, Beschluss vom 23. April 2009 - 2 B 79.08 - juris Rn. 5).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe erweist sich die Ablehnung des beantragten [X.]es als verfahrensfehlerhaft. Zwar hätte der Prozessbevollmächtigte des [X.] erkennen können, dass es nach Aktenlage an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Erfüllung der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 [X.]) fehlt. Gleichwohl hätte dem Kläger vorliegend aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls die Möglichkeit eingeräumt werden müssen, den Nachweis zum Besitz eines gültigen Passes kurzfristig nachzureichen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der Kläger im Ausland befindet, ohne das im vorliegenden Verfahren beantragte Visum nicht einreisen kann und deshalb auch nicht in der Lage war, persönlich an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Zum anderen war bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht Gegenstand der rechtlichen Erörterung allein die Frage, ob das Tatbestandsmerkmal der Minderjährigkeit des Stammberechtigten als erfüllt anzusehen ist. Weder das Gericht noch die Beklagte haben darauf hingewiesen, dass es an einem weiteren Tatbestandsmerkmal fehlt. Insofern wäre ein Hinweis aufgrund der Fürsorgepflicht des Gerichts auch deshalb angezeigt gewesen, weil der Kläger ursprünglich im Besitz eines gültigen Passes war, sodass lediglich zu klären gewesen wäre, ob dieser auch verlängert worden ist. Dies hätte das Gericht durch eine Anfrage im Vorfeld der mündlichen Verhandlung aufklären und dadurch einer Verfahrensverzögerung entgegenwirken können.

Zudem war zu berücksichtigen, dass der erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungsinstanz angesprochene Umstand des - schon bei Klageerhebung - abgelaufenen Passes nicht dem bereits im Verwaltungsverfahren und im erstinstanzlichen Verfahren tätigen [X.]n, sondern den Unterbevollmächtigten entgegengehalten wurde. Diese hatte der [X.] wegen der Ablehnung der Übernahme seiner Anreisekosten im Rahmen der gewährten Prozesskostenhilfe bevollmächtigt. Sie hatten den [X.]n in der mündlichen Verhandlung telefonisch nicht erreichen können und sodann den [X.]antrag gestellt. Eine kurzfristige Kontaktaufnahme zu dem in [X.] bzw. der [X.] Kläger war nicht möglich. Die Unterbevollmächtigten hatten damit aus ihrer Sicht alles getan, die Frage in der Verhandlung zu klären. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, dem Gebot der Verfahrensbeschleunigung gegenüber einem kurzfristigen [X.] den Vorrang einzuräumen, wird auch der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits vorliegenden Verfahrensdauer von ca. zweieinhalb Jahren nicht gerecht. Insofern steht der Gewähr einer materiell richtigen Entscheidung nur eine kurzfristige Verzögerung gegenüber, die bei einem frühzeitigen Hinweis des Gerichts hätte vermieden werden können. Dass die Klärung innerhalb der nachgelassenen Frist möglich war, zeigt die Vorlage der Kopie eines gültigen Passes zwei Tage nach der mündlichen Verhandlung.

2. Wegen Vorliegens des absoluten Revisionsgrundes des § 138 Nr. 3 VwGO ist das Urteil des [X.], soweit es den (ehemaligen) Kläger zu 2 betrifft, aufzuheben und der Rechtsstreit gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen. Aus der Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung des Visums an die Ehefrau des [X.] auf Grundlage von § 6 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 36 Abs. 1 [X.] ergibt sich, dass das Fehlen eines gültigen Passes der einzige Grund für die Abweisung der Klage des [X.] und damit für das Oberverwaltungsgericht insoweit allein entscheidungserheblich war.

Der Senat kann über den Rechtsstreit nicht abschließend entscheiden (§ 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO), weil es an der für das Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Erfüllung der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 [X.]) erforderlichen tatsächlichen Feststellung fehlt. Das Oberverwaltungsgericht hat zwar zur Kenntnis genommen, dass der Kläger zwei Tage nach Urteilsverkündung die Fotokopie eines gültigen Reisepasses vorgelegt hat, diesen Umstand aber ausdrücklich nicht berücksichtigt ([X.]). Damit fehlt es an einer abschließenden tatrichterlichen Würdigung, ob mit der vorgelegten Kopie der erforderliche Nachweis erbracht ist.

Das Oberverwaltungsgericht wird bei seiner Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben, dass das [X.] den [X.] ([X.]) um eine Vorabentscheidung zu den Fragen ersucht hat, ob der vom [X.] im Urteil vom 12. April 2018 - [X.]/16 - zugrunde gelegte Zeitpunkt für das Bestehen der Minderjährigkeit beim [X.] auch dann zur Zulassung des Familiennachzuges führt, wenn - wie nach [X.] Rechtslage - den Eltern ein Aufenthaltsrecht zur Familienzusammenführung nur bis zur Volljährigkeit des Kindes zusteht, ob der Familienzusammenführungsantrag deswegen in Anwendung von Art. 16 Abs. 1 Buchst. a RL 2003/86/[X.] abgelehnt werden darf und welche Anforderungen an das Bestehen von tatsächlichen familiären Bindungen i.S.v. Art. 16 Abs. 1 Buchst. [X.] 2003/86/[X.] zwischen den nachziehenden Eltern und dem inzwischen volljährig gewordenen Flüchtling zu stellen sind (BVerwG, Beschlüsse vom 23. April 2020 - 1 C 9.19 und 1 C 10.19 -).

3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Meta

1 C 25/20

23.04.2020

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 22. Mai 2019, Az: OVG 3 B 1.19, Urteil

Art 103 Abs 1 GG, § 108 Abs 2 VwGO, § 173 S 1 VwGO, § 283 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.04.2020, Az. 1 C 25/20 (REWIS RS 2020, 3872)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3872

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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