Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.03.2023, Az. IX ZR 150/21

9. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 1879

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Gegenstand

Erstattungsansprüche nach der Fluggastrechte-VO bei Insolvenz einer Fluggesellschaft


Leitsatz

Die allein auf die teilweise Erfüllung gestützte Erwartung, der Insolvenzverwalter werde auch die restliche Insolvenzforderung vollständig befriedigen, genügt nicht, um den das Insolvenzrecht beherrschenden Gleichbehandlungsgrundsatz hinter die Individualinteressen einzelner Gläubiger zurücktreten zu lassen.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 24. Zivilkammer des [X.] vom 10. August 2021 wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Im April 2019 buchte der Kläger bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen je einen Flug von [X.] nach [X.] in [X.] und von [X.] nach [X.]. Er bezahlte den Flugpreis. Der Hinflug sollte am 10. März 2020 stattfinden, der Rückflug am 22. März 2020.

2

Am 1. Dezember 2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet. Die Beklagte setzte den Flugbetrieb danach fort. Am 10. März 2020 beförderte sie den Kläger, wie im April 2019 gebucht, nach [X.]. Der Rückflug von [X.] nach [X.] am 22. März 2020 wurde hingegen wegen der [X.] von der Beklagten annulliert. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten wurde, nachdem ein Insolvenzplan zustande gekommen war, mit Beschluss vom 26. November 2020 aufgehoben.

3

Der Kläger verlangt, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, Erstattung des auf den Rückflug entfallenden Teils der Flugscheinkosten nebst Zinsen. Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten wurde die Klage insoweit abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erreichen.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Dem Kläger stehe nur ein Anspruch auf Zahlung der im Insolvenzplan festgelegten Quote zu. Bei dem Anspruch aus Art. 8 Abs. 1 lit. a der Fluggastrechteverordnung handele es sich um einen gesetzlich begründeten [X.]. Dieser stelle eine Masseverbindlichkeit dar, wenn die den Anspruch begründende Handlung, die Annullierung des Flugs, erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens stattgefunden habe. Im Zeitpunkt der Annullierung habe dem Kläger jedoch kein wirksamer Anspruch auf Beförderung mehr zugestanden, welcher Voraussetzung eines Erstattungsanspruchs sei. Der Beförderungsanspruch sei mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens untergegangen. Der Beförderungsvertrag unterfalle nicht § 103 [X.], weil der Kläger vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vollständig vorgeleistet habe. Der Sachwalter sei folglich nicht befugt gewesen, den Vertrag gleichwohl zu erfüllen. Die irrige Annahme der [X.], hierzu verpflichtet zu sein, ändere daran nichts. Der Anspruch auf Beförderung habe sich mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 45 Satz 1 [X.] in eine auf Geld gerichtete Forderung gewandelt. Dabei sei es geblieben. Auch der Hinflug habe keinen Anspruch auf einen Rückflug begründet. Die Zahlung der [X.] habe der Kläger nicht beantragt.

II.

6

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

7

1. Grundlage des Begehrens des [X.] ist Art. 5 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 lit. a der Verordnung ([X.]) Nr. 261/2004 des [X.] und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) Nr. 295/91 (fortan: Fluggastrechte-Verordnung oder [X.]). Gemäß Art. 5 [X.] werden den betroffenen Fluggästen bei Annullierung eines Fluges vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Art. 8 der [X.] angeboten, darunter gemäß Art. 8 Abs. 1 lit. a [X.] die vollständige Erstattung der Flugscheinkosten.

8

2. Ein Erstattungsanspruch ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil sich der Beförderungsanspruch des [X.] gemäß § 45 [X.] mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der [X.] in einen nur im Wege der [X.]eldung zur Tabelle durchzusetzenden Zahlungsanspruch umgewandelt hätte. Insolvenzforderungen, die nicht auf Geld gerichtet sind, wandeln sich erst mit der Feststellung zur Tabelle in eine Geldforderung um, nicht bereits mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl. [X.], Urteil vom 5. Mai 2022 - [X.], [X.], 1375 Rn. 8 ff). Der Kläger hat seinen Beförderungsanspruch nicht in Geld umgerechnet und zur Tabelle angemeldet. Der Anspruch ist auch nicht zur Tabelle festgestellt worden. Er ist damit nicht zu einer Geldforderung geworden, sondern ein Anspruch auf Beförderung geblieben.

9

3. Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach Art. 5 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 lit. a [X.] sind für sich genommen erfüllt. Der Rückflug ist nach den für den Senat gemäß § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO bindenden tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts annulliert worden. Der Erstattungsanspruch des [X.] ist jedoch keine Masseverbindlichkeit, sondern eine Insolvenzforderung, die gemäß § 254 Abs. 1, § 254b [X.] nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nur nach Maßgabe des Insolvenzplans geltend gemacht werden kann.

a) Dazu, ob ein Erstattungsanspruch nach Art. 5 Abs. 1 lit. a, Art. 8 Abs. 1 lit. a [X.] eine Masseverbindlichkeit oder eine Insolvenzforderung darstellt, wenn der Flug vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Fluggesellschaft gebucht und bezahlt, der Flug aber erst nach der Eröffnung annulliert worden ist, gibt es keine spezialgesetzlichen Regelungen. Die Fluggastrechte-Verordnung sagt hierzu nichts. Auch im Übrigen gibt es keine europarechtlichen Vorschriften zur Qualifizierung von Forderungen gegen einen insolventen Schuldner. Vielmehr ergibt sich aus Art. 7 Abs. 1 der Verordnung ([X.]) 2015/848 des [X.] und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren, dass für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedsstaates gilt, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren eröffnet wird. Dies ist im Streitfall [X.], so dass allein das [X.] Recht maßgeblich ist (vgl. Ganter, [X.], 696, 697). Das gilt entgegen der Ansicht von [X.]/[X.], [X.] 5/2022 [X.]. 2 auch dann, wenn ausschließlich auf die bestätigte Buchung abzustellen ist. Die Buchung als solche entfällt nicht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Welche Rechte nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Luftfahrtunternehmens aus ihr hergeleitet werden können, richtet sich jedoch nach dem anwendbaren Insolvenzrecht.

b) Ob ein Anspruch eine Insolvenzforderung oder eine Masseverbindlichkeit ist, richtet sich zunächst nach den Vorschriften der [X.], insbesondere nach den §§ 38, 54 f [X.]. Ansprüche, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet waren, sind gemäß § 38 [X.] Insolvenzforderungen, die nur nach den Vorschriften der [X.] verfolgt werden können (§ 87 [X.]). Die [X.] des [X.] sind vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der [X.] begründet worden und waren damit nur Insolvenzforderungen. Sekundäransprüche, die aus der Nichterfüllung insolvenzbedingt nicht durchsetzbarer Ansprüche folgen, begründen keine Masseverbindlichkeiten (vgl. [X.], Urteil vom 5. Mai 2022 - [X.], [X.], 1375 Rn. 16 ff; zustimmend Ganter, [X.], 696, 697; [X.], EWiR 2022, 561, 562).

c) Die Fortsetzung des Flugbetriebs wertete die Insolvenzforderung des [X.] weder für sich genommen noch in Verbindung mit etwaigen Erklärungen der [X.], der Flugbetrieb werde fortgesetzt, zu [X.] auf (vgl. [X.], Urteil vom 5. Mai 2022 - [X.], [X.], 1375 Rn. 22; zustimmend Ganter, [X.], 696, 697; [X.], EWiR 2022, 561, 562). Entgegen [X.], [X.], 393, 396 sind durch das genannte Verhalten der [X.] keine Masseverbindlichkeiten in sonstiger Weise durch die Verwaltung der Insolvenzmasse begründet worden (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Fall 2 [X.]). Die Beklagte mag andere Fluggäste, deren [X.] insolvenzbedingt nicht durchsetzbar waren, anstandslos befördert haben. Aus dem Verhalten gegenüber [X.] folgte jedoch keine Selbstbindung der [X.] gegenüber dem Kläger (vgl. Ganter, [X.], 696, 697).

d) Der Umstand, dass die Beklagte den Hinflug ausgeführt hat, nicht aber den Rückflug, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

aa) Die Erfüllung einer Insolvenzforderung aus der Masse führt nicht zu einer Aufwertung der Insolvenzforderung zu einer Masseforderung. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Konkurs- und zur Vergleichsordnung kann der Verwalter vielmehr Zahlungen, die er an einen Insolvenzgläubiger in der Annahme leistet, eine Masseverbindlichkeit zu erfüllen, nach § 812 [X.] als rechtsgrundlos zurückfordern ([X.], 54, 60 ff; [X.], Urteil vom 11. Mai 1978 - [X.], [X.]Z 71, 309, 312 f; ebenso [X.], [X.], 974, 975; [X.], Z[X.] 2001, 1168, 1169; [X.]/[X.], [X.], § 53 Rn. 28; MünchKomm-[X.]/Hefermehl, 4. Aufl., § 53 Rn. 49; [X.]/[X.], [X.], 15. Aufl., § 53 Rn. 5; [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl., § 53 Rn. 12; [X.]/[X.], 8. Aufl., § 812 Rn. 341; [X.], [X.], 1518 f). Erfüllt der Verwalter wissentlich eine Insolvenzforderung, ist eine Rückforderung gemäß § 814 [X.] ausgeschlossen; an der auf § 38 [X.] beruhenden Einordnung der Forderung als Insolvenzforderung ändert sich jedoch nichts. Gleiches gilt für die Erfüllung von Ansprüchen, die nicht auf Geld gerichtet sind.

bb) Die teilweise Erfüllung einer Insolvenzforderung lässt nicht nur die Rechtsnatur des erfüllten Teils der Forderung unberührt, sondern wirkt sich auch nicht auf den nicht erfüllten Teil der Forderung aus (vgl. [X.], Urteil vom 17. September 2020 - [X.], [X.], 1916 Rn. 17). Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 [X.]). Der Kläger mag auf die Erfüllung seiner [X.] vertraut haben. Das allein reicht jedoch für eine Aufwertung einer Insolvenzforderung zu einer Masseverbindlichkeit nicht aus. Die Einordnung einer Forderung als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit betrifft nicht nur den jeweiligen Insolvenzgläubiger, sondern auch die übrigen Insolvenzgläubiger, deren Quoten sich entsprechend erhöhen oder verringern. Die allein auf die teilweise Erfüllung gestützte Erwartung, der Insolvenzverwalter werde auch die restliche Insolvenzforderung vollständig befriedigen, genügt nicht, um den das Insolvenzrecht beherrschenden Gleichbehandlungsgrundsatz hinter die Individualinteressen einzelner Gläubiger zurücktreten zu lassen.

e) Die [X.] des [X.] und die damit verbundenen Rechte aus der bestätigten Buchung sind schließlich auch nicht aufgrund einer Vereinbarung der Parteien nachträglich zu Masseverbindlichkeiten geworden (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 [X.]). Wie der Senat an anderer Stelle näher ausgeführt hat, kann eine Insolvenzforderung durch Vereinbarung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Insolvenzgläubiger zu einer Masseverbindlichkeit werden (vgl. [X.], Urteil vom 9. März 2023 - [X.], [X.]). Der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kläger (vgl. [X.], 21, 24; [X.]/[X.], [X.], 16. Aufl., § 311 Rn. 11) hat die tatsächlichen Voraussetzungen einer entsprechenden Vereinbarung jedoch nicht dargelegt. Er hat vielmehr behauptet, nichts von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der [X.] gewusst zu haben. Sonstige Umstände, die nach objektivem Empfängerhorizont für entsprechende bindende Willenserklärungen der [X.] sprechen könnten, zeigt der Kläger nicht auf. Eine rechtsgeschäftliche Aufwertung der Insolvenz- zu [X.] kann unter diesen Umständen nicht stattgefunden haben.

f) Soweit das Berufungsgericht angenommen hat, dass die Voraussetzungen, unter denen der Insolvenzplan eine Auszahlung der Quote vorsieht, derzeit nicht erfüllt sind, greift die Revision dies nicht an.

Schoppmeyer     

      

Lohmann     

      

Schultz

      

Selbmann     

      

Harms     

      

Meta

IX ZR 150/21

09.03.2023

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Frankfurt, 10. August 2021, Az: 2-24 S 224/20

§ 242 BGB, Art 5 Abs 1 Buchst a EGV 261/2004, Art 8 Abs 1 Buchst a EGV 261/2004, § 1 InsO, § 45 InsO, § 254 Abs 1 InsO, § 254b InsO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.03.2023, Az. IX ZR 150/21 (REWIS RS 2023, 1879)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1879 NJW 2023, 1962 REWIS RS 2023, 1879

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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