Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.11.2011, Az. IV ZR 70/11

4. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 1154

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Deckungsklage gegen eine private Unfallversicherung auf Todesfallleistung: Beweislast des Versicherers hinsichtlich der Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen an der unfallbedingten Gesundheitsschädigung


Leitsatz

Der Unfallversicherer hat den Vollbeweis i.S. von § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO dafür zu erbringen, dass Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen (hier dem Tod des Versicherungsnehmers) zu mindestens 25% mitgewirkt haben.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 16. März 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt als Bezugsberechtigte von der Beklagten die Todesfallleistung aus einer Unfallzusatzversicherung, die ihr am 6. Februar 2004 verstorbener Ehemann in Verbindung mit einer Risikolebensversicherung abgeschlossen hatte.

2

Dem Versicherungsvertrag liegen die Bedingungen der Beklagten für die Unfallzusatzversicherung mit Leistung bei Erwerbsunfähigkeit oder Todesfall zugrunde (BB-UZV). Diese bestimmen in § 4:

"Haben zur Herbeiführung des Todes bzw. der Erwerbsunfähigkeit neben dem Unfall Krankheiten oder Gebrechen zu mindestens 25 Prozent mitgewirkt, so vermindert sich unsere Leistung entsprechend dem Anteil der Mitwirkung."

3

Am 26. Januar 2004 führte der Ehemann der Klägerin in einem Betrieb Elektroarbeiten aus. Die Klägerin behauptet, ihr Ehemann habe während der Montage aus einem Schaltschrank ein Kabel heruntergezogen und sei damit an mindestens eine Phase gelangt, wodurch ein Kurzschluss ausgelöst worden sei. Der dabei erlittene Stromschlag sei Ursache für den Tod ihres Ehemannes gewesen, dessen Gesundheitszustand sich nach dem Stromunfall erheblich verschlechtert habe.

4

In einem für die Berufsgenossenschaft erstellten pathologischen Gutachten vom 21. Juni 2004 wurden aufgrund einer Obduktion vom 9. Februar 2004 eine hochgradig stenosierende Koronararteriosklerose aller drei Herzgefäße als Grundleiden und frische subendokardiale Myocardinfarkte der Hinterwand und der Seitenwand des linken Ventrikels beschrieben; als Todesursache wurde ein protrahiertes Herz-Kreislauf-Versagen bei Koronarinsuffizienz angegeben.

5

Die Beklagte lehnte Leistungen aus der Unfallzusatzversicherung ab, weil der Tod des Ehemannes der Klägerin nicht auf einen Unfall, sondern auf die bestehende schwere Herzkrankheit zurückzuführen sei.

6

Das [X.] hat nach Vernehmung verschiedener Zeugen, Einholung mehrerer medizinischer Sachverständigengutachten und mündlicher Anhörung der Sachverständigen der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung der Todesfallleistung in Höhe von 231.183 € verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das [X.] nach ergänzender Beweisaufnahme die Verurteilung dahin geändert, dass es der Klägerin nur die Hälfte der Klageforderung zuerkannt hat. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren restlichen Zahlungsanspruch weiter.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8

I. Dieses hat es - ebenso wie das [X.] - für erwiesen erachtet, dass der Tod des Ehemannes der Klägerin durch einen am 26. Januar 2004 erlittenen Stromunfall mitverursacht worden sei. Die Klägerin habe den [X.] dafür erbracht, dass ihr Ehemann am 26. Januar 2004 einen Stromschlag erlitten habe, bei dem Strom durch seinen Körper und sein Herz geflossen sei und der zu einer Gesundheitsbeschädigung in Form einer Rhythmusstörung des Herzens geführt habe. Dass diese Gesundheitsbeschädigung den Tod zumindest mitverursacht habe, sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

9

Die von der Beklagten geschuldete Todesfallleistung vermindere sich allerdings nach § 4 BB-UZV auf die Hälfte, weil nach der Beweisaufnahme von einer 50%-igen Mitwirkung der Vorerkrankung - einer Koronararteriosklerose aller drei [X.] - am Tod des Versicherungsnehmers auszugehen sei. Die Beweislast für die Mitwirkung anderer Ursachen treffe den Versicherer, wobei das [X.] nicht § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO, sondern § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO entnommen werden müsse, weil es ebenso um die Unfallfolgen, also die haftungsausfüllende Kausalität gehe wie bei der vom Versicherungsnehmer zu beweisenden Tatsache, dass der Unfall mitursächlich gewesen sei. Für die tatrichterliche Überzeugungsbildung reiche deshalb eine überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit gegenüber anderen Geschehensabläufen, dass die Vorerkrankung in kausalem Zusammenhang mit der Unfallfolge stehe. Das sei hier anzunehmen.

Die Feststellungen der Sachverständigen Dr. Ö.    und Prof. Dr. E.     begründeten eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Mitwirkung der Vorerkrankung und führten zu einer 50%-igen Leistungskürzung, denn beide Ursachen seien für den Tod des Ehemannes der Klägerin gleichwertig und nicht hinwegzudenken. Dem stehe nicht entgegen, dass Prof. Dr. E.     keine Verursachungsquoten habe angeben können. Wenn der Versicherungsnehmer nur im Zusammenwirken von Unfall und Vorerkrankung gestorben sei, aber nicht durch eine dieser Ursachen alleine gestorben wäre, und keine sonstigen Anhaltspunkte für eine andere Gewichtung vorlägen, könne nur eine hälftige Quotierung vorgenommen werden.

II. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Mitwirkung der Vorerkrankung halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Zugunsten der Klägerin ist die Feststellung des Berufungsgerichts zugrunde zu legen, dass ihr Ehemann am 26. Januar 2004 einen Stromschlag erlitt, der zu einer Gesundheitsbeschädigung in Form einer Herzrhythmusstörung führte, die den Tod des Versicherungsnehmers zumindest mitverursachte.

2. Die weitere Feststellung des Berufungsgerichts, die Vorerkrankung des Ehemannes der Klägerin - eine Koronararteriosklerose aller drei [X.] - habe zu 50% an seinem Tod mitgewirkt, beruht auf einem fehlerhaften Ausgangspunkt. Das Berufungsgericht hat das [X.] für das Leistungskürzungsrecht des Unfallversicherers bei der Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen verkannt.

a) Im Ansatz zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Beweislast für die Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen bei dem Unfallversicherer liegt ([X.], Urteil vom 18. Juni 2010 - 10 U 1014/09, juris Rn. 46 m.w.[X.], die Nichtzulassungsbeschwerde in diesem Parallelverfahren wurde durch Senatsbeschluss vom 14. September 2011 - [X.] - zurückgewiesen; [X.], [X.], 348, 349; [X.], 205, 207 m.w.[X.] [X.] in [X.], [X.]. § 182 Rn. 19 m.w.[X.] [X.], Unfallversicherung 4. Aufl. § 3 [X.] Rn. 7 m.w.[X.] [X.] in Halm/[X.]/[X.], Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrecht 4. Aufl. 22. Kap. Rn. 68; [X.] in [X.]. Ziff. 3 [X.] Rn. 6; [X.] in [X.]/[X.], [X.] Ziff. 3 [X.] Rn. 9 m.w.[X.] [X.], [X.] Kap. J Rn. 11; [X.] in [X.]/Pohlmann, [X.]. § 182 Rn. 6; [X.] in [X.]/[X.], [X.]. § 8 [X.] Rn. 6; [X.]. in [X.]/[X.], [X.]. Nr. 3 [X.] Rn. 8; [X.] in [X.], [X.] Versicherungsrecht 2. Aufl. § 24 Rn. 187 m.w.[X.] [X.]/Pürckhauer, [X.]. § 8 Rn. 12). Dies war bislang schon einhellige Auffassung und ist nunmehr in § 182 [X.] gesetzlich normiert (Amtliche Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Versicherungsvertragsreformgesetz, BT-Drucks. 16/3945 S. 108). Nicht nur nach der Intention des Reformgesetzgebers (aaO), sondern auch nach bislang unangefochtener Ansicht erstreckt sich die Beweislast des Versicherers auf den Nachweis, dass der Mitwirkungsanteil mindestens 25% entspricht ([X.], Urteil vom 18. Juni 2010 aaO; [X.] aaO; [X.] aaO; [X.] aaO; [X.] aaO; [X.] aaO; [X.] aaO; [X.] aaO). Liegt der Mitwirkungsanteil darunter, so unterbleibt eine Minderung ([X.] aaO).

b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hält die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit i.S. von § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO für ausreichend, um einen Mitwirkungsanteil von mindestens 25% nachzuweisen. Vielmehr wird allgemein sowohl für die Prüfung, ob überhaupt unfallabhängige Faktoren mitgewirkt haben, als auch für die Frage, ob der Mitwirkungsanteil mindestens 25% beträgt, das strenge [X.] des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO angewandt ([X.] r+s 2002, 261, 262; [X.] [X.] aaO; [X.], 762; [X.] aaO; [X.] aaO; [X.] aaO; [X.] aaO; [X.]/Pürckhauer aaO; dies [X.] auch [X.] aaO Rn. 5 und 6 m.w.[X.]). Bleibt unklar, ob der Anteil der Mitwirkung 25% oder mehr beträgt, so kommt eine Leistungskürzung nicht in Betracht ([X.], Urteil vom 18. Juni 2010 aaO; [X.] aaO Rn. 19 m.w.[X.] [X.] aaO; [X.] aaO Rn. 6 m.w.[X.] [X.] aaO m.w.[X.] [X.] aaO; [X.] aaO m.w.[X.]). Erst wenn dieser Nachweis erbracht ist, obliegt es der freien tatrichterlichen Würdigung, die Höhe des anzurechnenden Mitwirkungsanteils gemäß § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu schätzen ([X.] aaO Rn. 20 m.w.[X.]). Demgemäß wurde in den im Berufungsurteil zitierten Entscheidungen ([X.] VersR 1997, 174, 175; [X.], 1218 ff.; [X.], 946) zunächst festgestellt, dass der Mitwirkungsanteil der jeweiligen Vorerkrankung mehr als 25% betragen habe, und erst bei der Gewichtung im Verhältnis zu dem Unfall eine Schätzung nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgenommen.

c) Der Senat teilt die herrschende Auffassung, dass der Versicherer für einen Mitwirkungsanteil von mindestens 25% den [X.] gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu erbringen hat. Bei der Prüfung, ob Krankheiten oder Gebrechen bei der durch den Unfall verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen zu mindestens 25% mitgewirkt haben, geht es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht um die Unfallfolgen und damit um die haftungsausfüllende Kausalität wie bei der vom Versicherungsnehmer nach dem [X.] des § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu beweisenden Tatsache, dass die unfallbedingte Gesundheitsschädigung für die Invalidität oder den Tod des Versicherten (mit-)ursächlich war (vgl. dazu Senatsurteil vom 17. Oktober 2001 - [X.]/00, [X.], 1547 unter II 1 m.w.[X.]). Vielmehr betrifft die Mitursächlichkeit von Vorerkrankungen eine Leistungseinschränkung, für die grundsätzlich der Versicherer die volle Beweislast trägt. Für diesen Beweis genügt nicht eine überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit. Vielmehr muss ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit erreicht werden, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (so auch [X.] aaO m.w.[X.]).

d) Das Berufungsgericht wird nunmehr unter Anwendung des [X.]es gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO erneut zu prüfen haben, ob die Beklagte den ihr obliegenden Nachweis erbringen kann, dass die Vorerkrankung des Ehemannes der Klägerin zu mindestens 25% an seinem Tod mitgewirkt hat.

Dr. [X.]                                  Dr. Karczewski

                                 Lehmann                                           Dr. Brockmöller

Meta

IV ZR 70/11

23.11.2011

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, 16. März 2011, Az: 5 U 464/08 - 56, Urteil

§ 8 AUB 1994, Nr 3 AUB 2008, Nr 3 AUB 2010, § 286 Abs 1 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.11.2011, Az. IV ZR 70/11 (REWIS RS 2011, 1154)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1154

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IV ZR 125/18 (Bundesgerichtshof)

Private Unfallversicherung: Verletzung "an Gliedmaßen" bei Ruptur der Supraspinatussehne; Anspruchsminderung wegen Mitwirkung von Krankheiten oder …


IV ZR 521/14 (Bundesgerichtshof)

Private Unfallversicherung: Adäquater Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsbeeinträchtigung bei Vorschäden


IV ZR 98/12 (Bundesgerichtshof)

Private Unfallversicherung: Eintrittspflicht bei Tod eines auf Nüsse allergischen Kindes nach dem Verzehr von Schokolade


21 O 8/19 Ver (LG Weiden)

Zur Bemessung der Invaliditätsleistung in der Unfallversicherung


IV ZR 521/14 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.