Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.02.2010, Az. VII B 234/09

7. Senat | REWIS RS 2010, 9448

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Gegenstand

Keine Pflicht des FG zur Einholung einer unverbindlichen Zolltarifauskunft für Umsatzsteuerzwecke - Pflicht des FG zur Einholung eines erneuten Sachverständigengutachtens - Keine Bindungswirkung von verwaltungsinternen Verfahrensanweisungen für die Gerichte


Leitsatz

1. NV: Zur Beurteilung der Anwendung eines ermäßigten Umsatzsteuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG kann das FG eine Einreihung der Ware in eine Position oder Unterposition des Zolltarifs selbst vornehmen, ohne in jedem Fall zur Einholung einer unverbindlichen Zolltarifauskunft verpflichtet zu sein. Dies gilt selbst dann, wenn das FG von bestehenden Verwaltungsanweisungen abzuweichen gedenkt .

2. NV: Hat das Gericht mangels eigener Sachkunde ein Sachverständigengutachten eingeholt, ist es zur Einholung weiterer Gutachten nur dann verpflichtet, wenn das bisherige Gutachten nicht dem Stand der Wissenschaft entspricht oder willkürlich ist oder von unsachlichen Erwägungen getragen wird .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) hatte im Streitjahr Umsätze aus dem Verkauf von Bandagen mit biegsamen Federstäben und Bandagen mit eingearbeiteten Pelotten und/oder Federstäben gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) i.V.m. Nr. 52 Buchst. b der Anlage 2 zum UStG als Erzeugnisse der Unterpos. 9021 10 10 (alt: 9021 19 10) der Kombinierten Nomenklatur ([X.]) dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterworfen. Aufgrund des Ergebnisses einer Außenprüfung ging der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --[X.]--) jedoch davon aus, dass die Bandagen nach dem Regelsteuersatz zu versteuern seien. Infolgedessen setzte das [X.] die Umsatzsteuer entsprechend fest. Im Einspruchsverfahren erkannte das [X.] die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes in Bezug auf einzelne Lieferungen an und wies den Einspruch unter Korrektur von Berechnungsfehlern im Übrigen als unbegründet zurück. Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg.

2

Das Finanzgericht ([X.]) beauftragte einen Sachverständigen des Medizinischen Dienstes des [X.] mit der Erstellung eines Gutachtens über die Art und Beschaffenheit von insgesamt 14 verschiedenen Bandagen, deren Funktionsweise oder Eignung zur Anpassung an die spezifischen Funktionsschäden von Patienten und Kennzeichen, die sie von gewöhnlichen und allgemein gebräuchlichen Bandagen unterscheiden. Aufgrund der schriftlichen Ausführungen des Gutachters gelangte das [X.] zu der Feststellung, dass sich die Wirkung der Bandagen nicht ausschließlich aus ihrer Elastizität herleiten lasse. Vielmehr wiesen die Bandagen andere Komponenten auf, die sie entweder aufgrund der verwendeten Materialien, ihrer Funktionsweise oder ihrer Eignung zur Anpassung an die spezifischen Funktionsschäden der Patienten von gewöhnlichen oder allgemein gebräuchlichen Gürteln und Bandagen unterschieden. Aufgrund dieser Feststellungen sei das Gericht zur Einreihung der streitgegenständlichen Bandagen in die [X.]. 9021 [X.] in der Lage, so dass es der Einholung einer unverbindlichen [X.]auskunft nicht bedürfe.

3

Mit seiner Beschwerde begehrt das [X.] die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob ein [X.] eine unverbindliche [X.]auskunft einzuholen habe, wenn es beabsichtige, bei der Einreihung einer Ware in eine [X.]ition oder Unterposition des [X.]s, die Voraussetzung für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ist, von den Erläuterungen der [X.] zum [X.] abzuweichen. Darüber hinaus sei die Frage grundsätzlich bedeutsam, ob bereits Pelotten, [X.] oder Silikonpolster Materialien darstellten, die die betreffenden Bandagen von gewöhnlichen und allgemein gebräuchlichen Bandagen unterscheiden, so dass die Bandagen in die Unterpos. 9021 10 10 (alt: 9021 19 10) des [X.]s einzureihen sind. Mit der Ablehnung, eine unverbindliche [X.]auskunft einzuholen, sei das [X.] einer bundeseinheitlichen Verwaltungsanweisung (Schreiben des [X.] vom 27. Dezember 1983 IV A 1 - S 7220 - 44/83, [X.], 567) nicht gefolgt. Der Feststellung des [X.], dass eine Bandage durch eine einfache Kompression eine Komponente aufweise, die zur Anpassung an die spezifischen Funktionsschäden geeignet und somit unter die Unterpos. 9021 1010 (alt: 9021 19 10) [X.] einzureihen sei, stehe das Schreiben des [X.] vom 5. August 2004 [X.] - S 7220 - 46/04 (BStBl I 2004, 638) in Verbindung mit den "Nationalen Entscheidungen und Hinweise ([X.])" im [X.]/Erläuterungen zur [X.] entgegen. Im Übrigen bestünden eine Vielzahl anderslautender unverbindlicher [X.]auskünfte, nach denen die Bandagen in die [X.]. 6307 [X.] einzureihen seien.

4

Die Klägerin ist der Beschwerde entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

5

II. Die Beschwerde ist unbegründet. Den vom [X.] aufgeworfenen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.

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1. Einer Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsbedürftig ist (vgl. Entscheidungen des [X.] --BFH-- vom 16. Juli 1999 IX [X.]/99, [X.], 401, [X.] 1999, 760, und vom 21. April 1999 [X.], [X.], 372, [X.] 2000, 254, m.w.N.). Das ist sie, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, so dass mehrere Lösungen vertretbar sind (vgl. [X.], [X.] Verfahrensrecht, § 115 [X.]O [X.] ff., und Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 28). An der zu fordernden Klärungsbedürftigkeit fehlt es jedoch, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das [X.] in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.] vom 18. Dezember 1998 [X.]/98, [X.], 559, [X.] 1999, 231, und vom 31. Mai 2000 [X.]/99, [X.], 1461).

7

In seiner Entscheidung hat das [X.] nachvollziehbar und überzeugend begründet, warum es in der Lage gewesen ist, die erforderlichen Feststellungen in Bezug auf die Beschaffenheit der Bandagen selbst zu treffen und warum es im Streitfall von der Einholung einer unverbindlichen Zolltarifauskunft absehen konnte. Seiner Überzeugungsbildung hat es die Feststellungen des von ihm beauftragten Gutachters zugrunde gelegt, die es sich zu eigen gemacht hat.

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Entgegen der Auffassung des [X.] bedarf es keiner höchstrichterlichen Klärung der Frage, ob das [X.] zur Einholung einer unverbindlichen Zolltarifauskunft verpflichtet ist. Nach § 76 Abs. 1 [X.]O obliegt es dem Gericht zu entscheiden, mit welchen Mitteln es den Sachverhalt erforscht. Dabei steht die Art und Weise der Beweiserhebung und insbesondere die Auswahl der Beweismittel im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Allgemeingültige Regeln, bestimmte Beweismittel heranzuziehen, lassen sich infolgedessen nicht aufstellen. Hat das Gericht wie im Streitfall mangels eigener zureichender Sachkunde ein Sachverständigengutachten eingeholt, ist es zur Einholung weiterer gutachterlichen Stellungnahmen nur dann verpflichtet, wenn das bisherige Gutachten nicht dem Stand der Wissenschaft entspricht oder widersprüchlich ist oder von unsachlichen Erwägungen getragen wird ([X.] vom 5. Mai 2004 [X.]/03, [X.], 1533, m.w.N.). Substantiierte Einwände dieser Art trägt die Beschwerde nicht vor.

9

Entgegen der Auffassung des [X.] lässt sich eine Verpflichtung zur Einholung einer unverbindlichen Zolltarifauskunft für Umsatzsteuerzwecke auch nicht aus der o.g. Verwaltungsanweisung des [X.] vom 27. Dezember 1983 ableiten, nach der Zweifelsfragen über die zolltarifliche Einordnung einer Ware im Benehmen mit den [X.] zu klären sind. Es liegt auf der Hand, dass derartige verwaltungsinterne Verfahrensanweisungen die Gerichte nicht binden und den Umfang der ihnen obliegenden Sachaufklärungspflicht auch nicht vorprägen können. Dies gilt selbst dann, wenn das Gericht bei der Einreihung einer Ware in die [X.] von bestehenden Verwaltungsanweisungen abzuweichen gedenkt. Aufgrund der insoweit eindeutigen Rechtslage kommt eine Zulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O mithin nicht in Betracht.

2. Hinsichtlich der Frage, ob bereits Pelotten, [X.] oder Silikonpolster Materialien darstellen, die eine Bandage von gewöhnlichen und allgemein gebräuchlichen Bandagen unterscheidet, fehlt es an der Klärungsfähigkeit dieser Frage. Nach den Feststellungen des [X.] unterscheiden sich die streitgegenständlichen Bandagen dadurch von gewöhnlichen und allgemein gebräuchlichen Bandagen, dass sie in Bezug auf die verwendeten Materialien, ihre Funktionsweise oder ihre Eignung zur Anpassung an die spezifischen Funktionsschäden der Patienten bestimmte --im Sachverständigengutachten näher aufgeführte-- Komponenten bzw. Kennzeichen aufweisen. Diese Würdigung des [X.] ist möglich, sie verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen allgemeine Erfahrungssätze, so dass der Senat in einem Revisionsverfahren an diese tatrichterliche Würdigung gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O gebunden wäre (vgl. hierzu Senatsurteil vom 14. November 2000 [X.]/99, [X.] 2001, 499). Diesbezügliche Verfahrensmängel macht die Beschwerde nicht geltend.

Auch hat das [X.] unter Bezugnahme auf das Gutachten festgestellt, dass die Bandagen ihre Wirkung nicht ausschließlich aus ihrer Elastizität herleiten. Demgegenüber ist der Warenbeschreibung der vom [X.] vorgelegten unverbindlichen Zolltarifauskünfte zu entnehmen, dass die Stützfunktion der begutachteten Bandagen ausschließlich bzw. überwiegend auf die Elastizität der Spinnstoffe zurückzuführen sei. Da der Senat an die vom [X.] getroffenen Feststellungen gebunden wäre, käme es auf die Beantwortung der eingangs bezeichneten Frage nicht an, so dass eine Zulassung der Revision auch aus diesem Grunde nicht in Betracht kommt.

Meta

VII B 234/09

11.02.2010

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 10. September 2009, Az: 16 K 180/07, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 76 Abs 1 FGO, § 12 Abs 2 Nr 1 UStG 1999, Anl 2 Nr 52 Buchst b UStG 1999, Pos 9021 UPos 1010 KN

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.02.2010, Az. VII B 234/09 (REWIS RS 2010, 9448)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9448

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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