Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.10.2013, Az. V R 14/12

5. Senat | REWIS RS 2013, 1694

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Gegenstand

Abgrenzung zwischen Lieferung und sonstiger Leistung bei Steuersatzermäßigung - Verfassungsmäßigkeit der Anwendung des Regelsteuersatzes auf die Lieferung von Beatmungsmasken


Leitsatz

Die Steuersatzermäßigung für die Leistungen aus der Tätigkeit als Zahntechniker gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG umfasst sonstige Leistungen (§ 3 Abs. 9 UStG) und die Lieferung (§ 3 Abs. 1 UStG) von Zahnersatz, nicht indes die Lieferung anderer Gegenstände (z.B. Beatmungsmasken) .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Zahntechnikermeister. In den Streitjahren 2003 bis 2005 lieferte er [X.], die er auf ärztliche Verordnung individuell für einzelne Patienten in seinem Dentallabor herstellte. Abnehmer waren Schwerstkranke, die bei der Benutzung von Beatmungsgeräten die vom Hersteller mitgelieferten Standardmasken nicht verwenden konnten. Für die Herstellung nahm der Kläger unter ärztlicher Aufsicht [X.] und verwendete [X.] aus der Zahntechnik.

2

Der Kläger versteuerte die Lieferungen nach dem ermäßigten Steuersatz. Demgegenüber ging der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) im [X.] an eine Außenprüfung davon aus, dass der Regelsteuersatz anzuwenden sei.

3

Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das [X.] ([X.]) mit seinem in "Entscheidungen der [X.]e" 2012, 1404 veröffentlichten Urteil statt. Bei den Lieferungen handele es sich um eine Leistung aus der Tätigkeit als Zahntechniker, so dass § 12 Abs. 2 Nr. 6 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der in den Streitjahren (2003 bis 2005) geltenden Fassung anzuwenden sei. [X.] für die Tätigkeit als Zahntechniker sei nicht nur die Herstellung von Zahnprothesen, sondern auch die Fertigung von Epithesen.

4

Hiergegen wendet sich das [X.] mit der Revision, für die es die Verletzung materiellen Rechts anführt. Die Tätigkeiten des [X.] seien nicht als berufstypische Leistungen der Zahntechniker nach der Verordnung über das Berufsbild und über die Prüfungsanforderungen im praktischen und im fachtheoretischen Teil der Meisterprüfung für das [X.] vom 27. Februar 1980 ([X.], 261) bzw. ab 1. Juli 2007 der Verordnung über das [X.] und über die Prüfungsanforderungen in den Teilen I und II der Meisterprüfung im [X.] Zahntechnikermeisterverordnung ([X.]) vom 8. Mai 2007 ([X.], 687) anzusehen.

5

Das [X.] beantragt,
das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen und regt an, die Sache dem [X.] ([X.]) vorzulegen.

7

Das [X.] habe zutreffend entschieden, da die Aufzählung in § 2 [X.] nicht abschließend sei. Zudem ergebe sich die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes aus § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. der Anlage 2 Nr. 52 Buchst. d zum UStG, da die Beatmungsmasken nach [X.]. 9021 90 des Zolltarifs ([X.]) einzureihen seien. Eine dem entgegen stehende Zolltarifauskunft sei für Zwecke der Umsatzsteuer nicht bindend. Hilfsweise sei dem [X.] die Frage vorzulegen, ob die Herstellung individuell für einzelne Patienten maßgefertigter Beatmungsmasken im Rahmen der Berufsausübung der Zahntechniker erfolge. Zudem sei die Besteuerung nach dem allgemeinen Steuersatz verfassungswidrig, da er ansonsten seine Leistungen zu einem höheren Preis als andere Zahntechniker anbieten müsse. Dies verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Die Anwendung des [X.] verletze ihn auch in seiner durch Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geschützten Berufsfreiheit.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision des [X.] ist begründet. Das Urteil des [X.] ist aufzuheben und die Sache an das [X.] zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). [X.]ntgegen dem Urteil des [X.] handelt es sich nicht um Leistungen aus der Tätigkeit als Zahntechniker i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG. [X.] ist nicht spruchreif. Im Hinblick auf eine mögliche Anwendung des ermäßigten Steuersatzes aufgrund der zolltariflichen [X.]inordnung sind im zweiten Rechtsgang noch weitere Feststellungen zu treffen.

9

1. Die vom Kläger ausgeführten Lieferungen unterliegen nicht § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG. Die nach dieser Vorschrift erforderliche Leistung aus der Tätigkeit als Zahntechniker gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG setzt voraus, dass es sich um eine sonstige Leistung (§ 3 Abs. 9 UStG) oder um die Lieferung (§ 3 Abs. 1 UStG) von Zahnersatz handelt. Die [X.] erfasst nicht die Lieferung anderer Gegenstände wie z.B. von Beatmungsmasken.

a) Nach § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG ermäßigt sich in den Streitjahren die Steuer für "die Leistungen aus der Tätigkeit als Zahntechniker sowie die in § 4 Nr. 14 Satz 4 Buchstabe b bezeichneten Leistungen der Zahnärzte".

Die Vorschrift beruht in den Streitjahren 2003 bis 2005 unionsrechtlich auf Art. 28 Abs. 3 Buchst. a i.V.m. Anlage [X.] Nr. 2 i.V.m. Art. 13 Teil A Buchst. e der [X.] vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/[X.]WG ([X.]/[X.]WG). Danach waren die Mitgliedstaaten berechtigt, auf "die Dienstleistungen, die Zahntechniker im Rahmen ihrer Berufsausübung erbringen, sowie die Lieferungen von Zahnersatz durch Zahnärzte und Zahntechniker" einen ermäßigten Steuersatz anzuwenden.

Aufgrund richtlinienkonformer Auslegung entsprechend Art. 28 Abs. 3 Buchst. a i.V.m. Anlage [X.] Nr. 2 i.V.m. Art. 13 Teil A Buchst. e der [X.]/[X.]WG sind nur Dienstleistungen (Art. 6 der [X.]/[X.]WG) und damit nur sonstige Leistungen (§ 3 Abs. 9 UStG), die Zahntechniker im Rahmen ihrer Berufsausübung erbringen, als Leistungen aus der Tätigkeit als Zahntechniker i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG anzusehen. Handelt es sich demgegenüber um eine Lieferung (§ 3 Abs. 1 UStG und Art. 5 der [X.]/[X.]WG), ist die Regelung nur anzuwenden, wenn es sich um die Lieferung von Zahnersatz handelt, so dass die Lieferung anderer Gegenstände von dieser Vorschrift nicht erfasst wird. Hierfür spricht neben dem allgemeinen Grundsatz enger Auslegung von [X.], dass Vorschriften des nationalen Rechts auch dann eng auszulegen sind, wenn sie ansonsten nicht der Richtlinie entsprechen (Urteil des [X.] --[X.]-- vom 8. März 2012 V R 14/11, [X.][X.] 237, 279, [X.], 630, unter II.2.c bb).

b) Im Streitfall hat der Kläger Beatmungsmasken hergestellt und geliefert. [X.]s handelt sich nicht um eine "Zurichtung" von Gegenständen, die vom Leistungsempfänger mitgebracht werden und die als sonstige Leistung anzusehen sein kann (vgl. [X.]-Urteil vom 9. Juni 2005 V R 50/02, [X.][X.] 210, 182, [X.], 98 zur orthopädischen Zurichtung der vom Kunden mitgebrachten [X.]). Die Lieferungen durch den Kläger unterliegen somit nicht dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 6 UStG, da es sich bei den Beatmungsmasken nicht um Zahnersatz handelt.

c) Die gegen die Anwendung des [X.] gerichteten [X.]inwendungen des [X.] greifen nicht durch.

aa) Die Anwendung des [X.] ist nicht verfassungswidrig. Wie der Senat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des [X.] ([X.]) bereits ausdrücklich entschieden hat, ist das nationale Recht, soweit es auf der Umsetzung [X.] Richtlinien als sekundärem Unionsrecht beruht, grundsätzlich nicht am Maßstab der Grundrechte des [X.] zu überprüfen, sondern unterliegt dem auf [X.] gewährleisteten Grundrechtsschutz. Lediglich soweit der nationale Gesetzgeber über einen Spielraum bei der Umsetzung von sekundärem Unionsrecht verfügt, ist er an die Vorgaben des [X.] gebunden und unterliegt insoweit in vollem Umfang der verfassungsrechtlichen Überprüfung ([X.]-Urteil vom 22. Juli 2010 V R 4/09, [X.][X.] 231, 260, [X.], 590, unter [X.]; vgl. hierzu auch den [X.]-Beschluss vom 20. März 2013  1 BvR 3063/10, [X.] 2013, 535, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2013, 818, mit dem eine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Senatsurteil nicht zur [X.]ntscheidung angenommen wurde).

Im Streitfall lässt das sekundäre Unionsrecht keine Anwendung des ermäßigten Steuersatzes zu, so dass für das nationale Recht bei der Frage, ob Lieferungen, die Zahntechniker im Rahmen ihrer Berufsausübung ausführen, einem ermäßigten Steuersatz unterliegen, kein Umsetzungsspielraum besteht. Im Übrigen kommt ein Gleichheitsverstoß schon deshalb nicht in Betracht, weil nicht nur die Lieferung von Beatmungsmasken durch den Kläger, sondern auch die Lieferung von Beatmungsmasken durch andere Zahntechniker dem Regelsteuersatz unterliegt.

bb) [X.]iner Vorlage an den [X.]uGH bedarf es nicht, da die Herstellung von Beatmungsmasken umsatzsteuerrechtlich eine Lieferung (§ 3 Abs. 1 UStG) ist, die nach dem eindeutigen Wortlaut von Art. 28 Abs. 3 Buchst. a i.V.m. Anlage [X.] Nr. 2 i.V.m. Art. 13 Teil A Buchst. e der [X.]/[X.]WG vom Anwendungsbereich des ermäßigten Steuersatzes ausgeschlossen ist.

cc) Aus diesem Grund kam es auch nicht auf das Beweisangebot des [X.] zum Berufsbild des Zahntechnikers in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] an. Sind Lieferungen von der [X.] ausgeschlossen, können auch Überlegungen zum Berufsbild des Zahntechnikers eine [X.] der Lieferung nicht begründen.

2. Das [X.] ist von anderen Grundsätzen ausgegangen; das Urteil ist daher aufzuheben. [X.] ist nicht spruchreif. Das [X.] hat --ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt zu [X.] keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob die Voraussetzungen für eine ermäßigte Besteuerung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 52 Buchst. d der Anlage 2 zum UStG vorliegen. Insoweit wird im zweiten Rechtsgang zu berücksichtigen sein, dass sich gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG die Steuer auf 7 % für die Lieferungen der in der Anlage 2 bezeichneten Gegenstände ermäßigt. Zu diesen Gegenständen gehören nach Nr. 52 Buchst. d der Anlage 2 zum UStG Schwerhörigengeräte, Herzschrittmacher und andere Vorrichtungen zum Beheben von Funktionsschäden oder Gebrechen, zum Tragen in der Hand oder am Körper oder zum [X.]inpflanzen in den Organismus, ausgenommen Teile und Zubehör aus den [X.]. 9021.40 und 9021.50 sowie aus [X.]. 9021.90 [X.].

Ohne dass dabei eine Bindung an die im Streitfall erteilte und nur für [X.] verbindliche Zolltarifauskunft besteht, kann die zollrechtliche [X.]inreihung aber nicht nach diesen Tarifpositionen erfolgen, wenn die vom Kläger hergestellten Beatmungsmasken zolltarifrechtlich der [X.]. 9019 unterliegen, die für Apparate und Geräte für Ozontherapie, Sauerstofftherapie oder Aerosoltherapie, Beatmungsapparate zum Wiederbeleben und andere Apparate und Geräte für Atmungstherapie gilt. Nach den [X.]rläuterungen zum Harmonisierten System ([X.]rlHS), die nach der ständigen Rechtsprechung des [X.]uGH sowie des [X.] (z.B. [X.]-Urteil vom 5. Februar 2013 VII R 37/11, [X.]/NV 2013, 790, m.w.N. zur [X.]uGH-Rechtsprechung) zwar nicht bindende, jedoch wichtige und bei der tariflichen [X.]inreihung zu berücksichtigende Hilfsmittel sind, um eine einheitliche Anwendung des [X.] zu gewährleisten, gehören hierzu Apparate und Geräte für Patienten, die unter unzureichender Thoraxkapazität leiden ([X.]rlHS Nr. 25.0 zu [X.]. 9019 der Kombinierten Nomenklatur --KN--). Diese Tarifposition ist auch auf Teile und Zubehör für diese Apparate und Geräte anzuwenden ([X.]rlHS Nr. 37.0 zu [X.]. 9019 KN). Hierzu sind im zweiten Rechtsgang weitere Feststellungen zu treffen.

Meta

V R 14/12

24.10.2013

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 22. März 2012, Az: 5 K 22/11, Urteil

§ 12 Abs 2 Nr 6 UStG 1999, § 12 Abs 2 Nr 6 UStG 2005, Art 28 Abs 3 Buchst a EWGRL 388/77, UStG VZ 2005, Art 13 Teil A Buchst e EWGRL 388/77, Anl E Nr 2 EWGRL 388/77, § 3 Abs 1 UStG 1999, § 3 Abs 1 UStG 2005, § 3 Abs 9 UStG 1999, § 3 Abs 9 UStG 2005, § 12 Abs 1 UStG 1999, § 12 Abs 1 UStG 2005, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.10.2013, Az. V R 14/12 (REWIS RS 2013, 1694)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1694

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