Bundesfinanzhof, Beschluss vom 03.08.2010, Az. VII B 71/10

7. Senat | REWIS RS 2010, 4322

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Gegenstand

Ermäßigter Umsatzsteuersatz für Bandagen erfordert deren besondere Stützwirkung - Sachverhaltserforschung bei Einreihung einer Ware


Leitsatz

1. NV: Der Frage, ob auch Bandagen, die nicht zur Anpassung an spezifische Funktionsschäden geeignet sind, oder solche serienmäßig gefertigte Bandagen, deren Anpassung an Funktionsschäden zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt, in die Unterposition 9021 10 10 KN eingereiht werden können, kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, da sie bereits höchstrichterlich geklärt ist .

2. NV: Der Einreihung in die Position 9021 KN steht der Umstand nicht entgegen, dass eine in Serienproduktion hergestellte Bandage einer nachträglichen Anpassung an die Bedürfnisse des jeweiligen Patienten bedarf .

3. NV: Bei der Einreihung einer Ware ist das FG nicht verpflichtet, ein Sachverständigengutachten oder eine unverbindliche Zolltarifauskunft einzuholen .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und [X.]eschwerdeführer (Kläger) ist der Rechtsnachfolger einer OHG, die als Sanitätshaus unter anderem orthopädische [X.]inden und [X.]andagen vertrieb. Im Rahmen einer Umsatzsteuersonderprüfung stellte der [X.]eklagte und [X.]eschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) fest, dass der Kläger den Verkauf eines Teils der von ihm vertriebenen [X.]inden und [X.]andagen in den Monaten Januar bis September 2003 gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) i.V.m. Nr. 52 [X.]uchst. b der Anlage 2 zum UStG als Erzeugnisse der [X.]. 9021 10 10 der Kombinierten Nomenklatur ([X.]) dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterworfen hatte. Für einige dieser Produkte lagen unverbindliche Zolltarifauskünfte für [X.] der Zolltechnischen Prüfungsanstalten A und [X.] vor, in denen eine Einreihung in die [X.]. 9021 10 [X.] ausgeschlossen wurde. Zudem wurden sämtliche Produkte in einer Verfügung des Finanzministeriums des Landes C als nicht steuerbegünstigt beurteilt. Unter [X.]erücksichtigung der Feststellungen der Umsatzsteuersonderprüfung änderte das [X.] allein den [X.] für September 2003. Später setzte das [X.] mit gesondertem [X.]escheid in Abweichung von der Umsatzsteuerjahreserklärung die Umsatzsteuer für 2003 erhöht um 4.784,88 € fest.

2

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte nur zu einem geringen Teil Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) urteilte, dass jede einzelne [X.]andage daraufhin zu untersuchen sei, ob sie die Voraussetzungen der [X.]. 9021 10 [X.] erfülle. Für deren Auslegung komme es allein auf die zolltariflichen Vorschriften und [X.]egriffe an, so dass eine Anerkennung als Hilfsmittel gemäß § 128 des [X.] Fünftes [X.]uch für [X.] unbeachtlich sei. Zur [X.]. 9021 [X.] gehörten [X.]andagen, wenn diese Waren Kennzeichen aufwiesen, die sie von gewöhnlichen und allgemein gebräuchlichen Gürteln und [X.]andagen unterschieden, insbesondere aufgrund der verwendeten Materialien, ihrer Funktionsweise oder ihrer Eignung zur Anpassung an die spezifischen Funktionsschäden des Patienten. Die streitgegenständlichen Sprunggelenk-, [X.], Kniegelenk-, Ellenbogen-, Schultergelenk-, [X.]rustwirbelsäulen- und Wirbelsäulenbandagen seien deshalb nicht in die [X.]. 9021 10 10 [X.] einzureihen, weil bei ihnen die Stützwirkung mangels starrer Zug-, Stütz- oder Stabilisierungselemente ausschließlich aus der Elastizität des Gewebes resultiere. Lediglich die ebenfalls streitgegenständliche Wirbelsäulenorthese erfülle die Voraussetzungen dieser [X.]ition, da sie mehr als 27 cm hoch sei und über fest eingearbeitete anatomische Stützen verfüge. Die vom Kläger vertriebenen [X.] seien in die [X.]. 3926 [X.] einzureihen.

3

Mit seiner [X.]eschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher [X.]edeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--), Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 [X.]O) und mangelnder Sachaufklärung (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O). Von grundsätzlicher [X.]edeutung seien die Fragen, ob die einzelnen Kennzeichen zur Tarifierung von [X.]andagen nicht kumulativ gälten und infolgedessen auch [X.]andagen, die nicht zur Anpassung an spezifische Funktionsschäden der Patienten geeignet seien, aufgrund anderweitiger stabilisierender Komponenten gleichwohl in die [X.]. 9021 10 10 [X.] einzureihen seien und ob eine Serienanfertigung von [X.]andagen dem ermäßigten Steuersatz entgegenstehe, wenn eine Anpassung an Funktionsschäden zu einem späteren Zeitpunkt erfolge oder erfolgen könne.

4

Im Streitfall habe das [X.] seiner Entscheidung eine vom Urteil des Niedersächsischen [X.] vom 10. September 2009  16 [X.]/07 abweichende Rechtsauffassung zugrunde gelegt. Entgegen der Auffassung des [X.] habe das Niedersächsische [X.] für einige der streitgegenständlichen [X.]andagen einen ermäßigten Umsatzsteuersatz gewährt. Sowohl das Urteil des Niedersächsischen [X.] als auch das Urteil des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) vom 7. November 2002 [X.]/00 bis [X.]/00 (Slg. 2002, [X.]) enthielten den unausgesprochenen Rechtssatz, dass die zur Einreihung in die [X.]. 9021 10 10 [X.] führenden Kriterien alternativ und nicht kumulativ anzuwenden seien. Demgegenüber habe das [X.] allein darauf abgestellt, ob zusätzlich ein starres Zug-, Stütz- oder Stabilisierungselement vorliege. [X.] seien die Kriterien verwendete Materialien und Funktionsweise geblieben.

5

Eine Abweichung liege auch hinsichtlich des Urteils des Hessischen [X.] vom 18. September 2003  7 [X.] vor. Das Hessische [X.] habe es ausreichen lassen, dass die Anpassung an Funktionsschäden nach der Serienfertigung der [X.]andagen erfolge. Demgegenüber habe das [X.] eine Einreihung in die [X.]. 9021 10 10 [X.] deshalb verweigert, weil die [X.]andagen nicht speziell vom Hersteller angepasst, sondern in [X.] geliefert worden seien. Schließlich habe sich dem [X.] die Einholung eines Sachverständigengutachtens auch ohne einen entsprechenden [X.]eweisantrag in der mündlichen Verhandlung aufdrängen müssen. Seine eigene Sachkunde habe das [X.] nur unzureichend dargelegt.

6

Das [X.] ist der [X.]eschwerde entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

7

II. [X.] ist unbegründet. Den vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Weder die behauptete Divergenz noch der gerügte Verfahrensmangel liegen vor.

8

1. Einer Rechtsfrage kommt nur dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsbedürftig ist (vgl. Beschlüsse des [X.] --[X.]-- vom 16. Juli 1999 [X.], [X.], 401, [X.] 1999, 760, und vom 21. April 1999 [X.], [X.], 372, [X.] 2000, 254, m.w.N.). Das ist sie, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, so dass mehrere Lösungen vertretbar sind (vgl. [X.] in [X.]/Gosch, [X.]O, § 115 Rz 102 ff., und Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 28). An der zu fordernden Klärungsbedürftigkeit fehlt es jedoch, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das [X.] in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.] vom 18. Dezember 1998 [X.]/98, [X.], 559, [X.] 1999, 231, und vom 31. Mai 2000 [X.]/99, [X.], 1461).

9

a) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen bereits durch die Rechtsprechung des [X.] geklärt, so dass eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O nicht in Betracht kommt. In seiner Entscheidung in [X.]. 2002, [X.] hat der [X.] ausgeführt, dass zur [X.]. 9021 [X.] Waren wie Handgelenkbandagen, [X.], Ellbogenspangen und Kniebandagen gehören, wenn diese Waren Kennzeichen aufweisen, die sie von gewöhnlichen und allgemein gebräuchlichen Gürteln und Bandagen unterscheiden, insbesondere aufgrund der verwendeten Materialien, ihrer Funktionsweise oder ihrer Eignung zur Anpassung an die spezifischen Funktionsschäden der Patienten, wobei die Anpassung im Stadium der Herstellung der Ware oder auch, bei vorgefertigten Waren, später, insbesondere bei ihrem Einsatz, mit Hilfe besonderer Mechanismen, die die Ware hierfür vorsieht, durch einen Arzt oder den Patienten selbst erfolgen kann. Aus der Verwendung des Wortes "insbesondere" und aus der Verknüpfung der drei genannten Kriterien durch das Wort "oder" ergibt sich eindeutig, dass der [X.] ein Erfordernis der kumulativen Erfüllung aller drei Merkmale nicht aufgestellt hat. Vielmehr ist es als ausreichend anzusehen, wenn eines dieser Kriterien in einer Art und Weise ausgeprägt ist, dass von gewöhnlichen Bandagen nicht mehr ausgegangen werden kann. Entscheidend ist, dass die zu tarifierenden Bandagen besondere Merkmale aufweisen, die sie mit hinreichender Prägnanz von herkömmlichen Bandagen unterscheiden. Darüber zu befinden, ob sich solche Merkmale feststellen lassen, ist nach der Rechtsprechung des [X.] Sache des nationalen Gerichts, mithin Sache des Tatrichters.

b) Der [X.] hat mit dem in Bezug genommenen Urteil zugleich entschieden, dass der Umstand allein, dass eine in Serienproduktion hergestellte Bandage einer nachträglichen Anpassung an die Bedürfnisse des jeweiligen Patienten bedarf, einer Einreihung in die [X.]. 9021 [X.] grundsätzlich nicht entgegensteht. Somit haben die vom Kläger formulierten Fragen bereits eine Beantwortung durch den [X.] erfahren. Die Entscheidung des [X.] ist für die nationalen Gerichte bindend, so dass es einer erneuten Klärung dieser Rechtsfragen in einem Revisionsverfahren vor dem [X.] nicht bedarf.

2. Entgegen der Rechtsauffassung der Beschwerde hat das [X.] keinen von der [X.]-Entscheidung in [X.]. 2002, [X.] und von den genannten [X.]-Entscheidungen abweichenden Rechtssatz aufgestellt. Vielmehr hat das [X.] den ersten Satz des zweiten Leitsatzes des [X.]-Urteils auf Seite 8 seiner Entscheidung nahezu wörtlich wiedergegeben und sich damit die Rechtsansicht des [X.] zu eigen gemacht. Es ist somit nicht ersichtlich, dass das [X.] --wie der Kläger behauptet-- von dem "unausgesprochenen" Rechtssatz abgewichen sein soll, nach dem die vom [X.] aufgestellten Kriterien alternativ anzuwenden sind.

Dass das [X.] unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des [X.] zu einem anderen Ergebnis als das Niedersächsische [X.] gekommen ist, liegt vielmehr an einer anderen Beurteilung der festgestellten Merkmale der Binden und Bandagen. Unter Gesamtwürdigung der objektiven Eigenschaften und Merkmale der Ware ist das [X.] zu der tatrichterlichen Überzeugung gelangt, dass sich die Stützfunktion der meisten streitgegenständlichen Erzeugnisse aus der Elastizität der zu ihrer Herstellung verwendeten Spinnstoffe ergibt und dass sich zusätzliche starre Zug-, Stütz- oder Stabilisierungselemente, die eine Einreihung in die [X.]. 9021 10 10 [X.] rechtfertigten, nicht feststellen lassen. Im [X.] seines Vorbringens beanstandet der Kläger keine Abweichung von in den Divergenzentscheidungen aufgestellten Rechtssätzen, sondern eine von den genannten Entscheidungen abweichende Beweiswürdigung. Die behauptete Divergenz liegt somit nicht vor.

Hinsichtlich des in Bezug genommenen Urteils des Hessischen [X.] fehlt es bereits an der Herausarbeitung und Gegenüberstellung von Rechtssätzen aus der angegriffenen [X.]-Entscheidung und der Divergenzentscheidung. Darüber hinaus hat das [X.] seine Entscheidung nicht ausschließlich darauf gestützt, dass die streitgegenständlichen Bandagen nicht speziell vom Hersteller angepasst, sondern in [X.] geliefert werden. [X.] bezeichnet nicht einmal diejenigen Produkte, bei denen das [X.] seine Entscheidung auf dieses zusätzliche Kriterium gestützt haben soll.

3. Nach § 76 Abs. 1 [X.]O obliegt es dem Gericht, mit welchen Mitteln es den Sachverhalt erforscht. Dabei steht die Art und Weise der Beweiserhebung und insbesondere die Auswahl der Beweismittel im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Dies gilt auch für die Hinzuziehung eines Sachverständigen. Bei der Einreihung einer Ware in die [X.] besteht ebenso wenig ein Zwang zur Einholung eines Sachverständigengutachtens wie ein Zwang zur Einholung einer unverbindlichen Zolltarifauskunft für Umsatzsteuerzwecke (Senatsbeschluss vom 11. Februar 2010 [X.]/09, [X.]/NV 2010, 1139). Im Streitfall hat das [X.] seine Überzeugungsbildung insbesondere auf die vorliegenden unverbindlichen Tarifauskünfte, auf den Inhalt von Verwaltungsanweisungen und auf die Produktbeschreibung des Herstellers gestützt und dabei die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht für erforderlich gehalten. In Anbetracht dieses Befundes ist der Beschwerde nicht zu entnehmen, warum sich dem Gericht unter Berücksichtigung seines materiell-rechtlichen Standpunkts die Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte aufdrängen müssen. Unter Hinweis auf die vermeintlich völlig unzureichende Sachkunde des [X.] wird dies vom Kläger lediglich behauptet. Ausweislich des [X.] hat er Anträge zur Vernehmung sachverständiger Zeugen oder zur Einholung eines Sachverständigengutachtens in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt und damit auf die Wahrnehmung seiner Rechte verzichtet.

Meta

VII B 71/10

03.08.2010

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend FG Düsseldorf, 4. Dezember 2009, Az: 1 K 4986/05 U, Urteil

§ 12 Abs 2 Nr 1 UStG 1999, Anl 2 Nr 52 Buchst b UStG 1999, § 76 Abs 1 FGO, Pos 9021 KN, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 03.08.2010, Az. VII B 71/10 (REWIS RS 2010, 4322)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4322

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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